Apho­ris­men, No­ta­te und Un­ein­sich­tig­kei­ten IV

Nie ist die Exi­stenz dra­ma­ti­scher als in un­se­rer Kind­heit, und nie be­wuss­ter als im Al­ter; da­zwi­schen lie­gen ein Ab­schnitt ge­schäfts­mä­ßi­ger Ver­ges­sen­heit und die gna­den­vol­le Un­be­küm­mert­heit der Ju­gend. Ver­gli­chen mit der Kind­heit, tritt im Al­ter die Exi­stenz vor dem ab­seh­ba­ren En­de, gleich­sam von der an­de­ren Sei­te her, ins Be­wusst­sein: Wäh­rend das Kind stets dar­um kämpft, mit den In­ten­si­tä­ten, die ihm die Welt auf­er­legt und die es durch­drin­gen und durch­ja­gen, zu­recht­zu­kom­men, al­so Sta­bi­li­tät zu er­lan­gen, ist das Al­ter von der Lee­re, ei­nem Über­maß an Sta­bi­li­tät, ei­nem Man­gel le­bens­loh­nen­der In­ten­si­tät, viel­leicht ei­nem Er­schöp­fen der Sin­ne, be­droht. Das Fle­hen end­lich ster­ben zu kön­nen, als Be­tag­ter aber nicht chro­nisch Kran­ker, ist ernst zu neh­men und zeigt, dass ein Le­ben trotz hin­rei­chen­der Funk­tio­na­li­tät, an sein En­de kom­men kann.

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Die Äl­te­ren und Al­ten wis­sen, dass In­ten­si­tät und Tie­fe nicht ge­gen die Zeit auf­zu­wie­gen sind. Und sie po­chen dar­auf, zu ent­schei­den, ob sie ein­kau­fen oder ih­re En­kel be­su­chen ge­hen, ge­ra­de in ei­ner Kri­se, die für sie ei­ne be­son­de­re Ge­fahr dar­stellt. Es ist der Ei­gen­sinn, der ge­gen die Un­frei­heit steht, oh­ne ihn ist die Frei­heit leer, ein Re­kla­me- wie Re­kla­ma­ti­on­ge­bäu­de. Um sich aus­spre­chen zu kön­nen, ver­langt der Ei­gen­sinn nach Frei­heit, er ist ih­re See­le. Nicht Tun und Las­sen kön­nen, wie man möch­te, oder sein wie es be­liebt, das Da­sein, ver­langt nach ei­nem Wie, ei­ner ei­ge­nen Art und Wei­se.

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Jung bleibt der­je­ni­ge, der Un­be­küm­mert­heit sein ei­gen nen­nen kann. Und die­se Un­be­küm­mert­heit rich­tet sich auf vor dem, was An­we­send­sein be­deu­tet.

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Dass die Mas­se der Ein­schrän­kung ih­rer Rech­te nichts ent­geg­net, son­dern die­ser auch noch Bei­fall zollt, legt ih­re exi­sten­zi­el­le Selbst­ver­ges­sen­heit bloß. Din­ge, Be­zie­hun­gen und Tä­tig­kei­ten ener­vie­ren nie­man­den mehr der­ge­stalt, dass er die von au­ßen vor­ge­nom­me­ne Ab­tren­nung und Ent­zwei­ung noch als ei­ne sol­che zu emp­fin­den ver­mag. Eher noch scheint je­der froh zu sein, nicht mehr tun zu müs­sen, was er sonst tut. Wor­aus folgt, dass den mei­sten Tä­tig­kei­ten gleich­gül­tig bleibt, wie sie aus­ge­führt wer­den und da­mit letzt­lich auch: was sie um­fas­sen. Es wird ab­ge­ar­bei­tet, was an­fällt. Dass das Le­ben auch sol­che Tä­tig­kei­ten be­inhal­tet, kann nie­man­dem vor­ge­wor­fen wer­den, aber sie soll­ten ih­re Be­grün­dung in dem ha­ben, was ei­nem Le­ben zen­tral ist, sie soll­ten auf eben­die­ses ver­wei­sen. In­di­vi­du­en müss­ten sich in der Kri­se die­ser Zen­tra­li­tät zu­wen­den, stär­ker als sonst, von ihr ge­winnt es sei­ne Sta­bi­li­tät, sie stellt es wie­der her und es müss­te sie ge­gen je­den Ein­griff en­er­gisch ver­tei­di­gen. Die­se Zen­tra­li­tät ist äs­the­tisch ver­mit­telt oder kei­ne.

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Wenn noch nicht al­les ver­lo­ren ist, dann ist die In­sta­bi­li­tät, die die Kri­se ver­ur­sacht, ein Grund nach je­ner Zen­tra­li­tät zu su­chen.

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Exi­stenz ist red­lich erst, vor dem An­ge­sich­tig­wer­den des­sen, was Ster­ben und Tod be­deu­ten. Und die ihr ent­sprin­gen­de, be­schwö­ren­de Re­de, sucht sie zu über­win­den.

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Funk­tio­nie­ren statt Exi­stie­ren, die­ses Ein­zu­üben und über die Kri­se hin­aus nicht zu ver­ges­sen, am be­sten als le­bens­lan­ge Ma­xi­me un­be­wusst zu eta­blie­ren, ist der Kern der neu­en Nor­ma­li­tät: Wir brau­chen dich! Du lei­stest ei­nen un­ver­zicht­ba­ren Bei­trag! Die­ses Wir aber, ist nicht weich, es ist hart und ab­strakt, es meint Funk­tio­na­li­tät mehr noch als Sy­stem­treue.

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Wer aber an­we­send ist, emp­fin­dungs­fä­hig, wird taub für das Ge­bot sich wie ein flüs­si­ger Ag­gre­gat­zu­stand zu ver­hal­ten. Der Funk­tio­na­li­tät wird er ih­ren Raum zu­wei­sen und sich nicht sei­nen von ihr zu­wei­sen las­sen.

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Ein Narr, wer al­ler­or­ten und zu je­der Zeit dis­zi­pli­niert ist. Der steu­er­ba­re Bür­ger be­rei­tet der Po­li­tik ein leich­tes Spiel.

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Le­be­we­sen ver­su­chen ih­re kri­sen­haf­te Ge­fähr­dung ab­zu­wen­den, sie wol­len ih­re Le­ben­dig­keit er­hal­ten, um zu blei­ben, was sie sind. Wo­her die all­ge­mei­ne Re­si­gna­ti­on? Ver­weist sie auf ei­ne Pa­ra­ly­se?

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Sinn­li­che In­ten­si­tät er­füllt den von Er­kal­tung be­droh­ten Leib mit Le­ben.

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Wer nicht mehr emp­fin­det, lebt nicht mehr. Und wer nicht auf­schreit, wenn ihm ent­ris­sen wird, was er liebt, der hat nicht ge­liebt. Das gilt auch und ge­ra­de für die Hin­ga­be an et­was oder je­man­den.

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Soll die In­ten­si­tät, das Wie, das gu­te Le­ben, dem mög­lichst lan­gen, dem ge­sun­den, dem Le­ben an sich, un­ter­ge­ord­net wer­den? Das In­di­vi­du­um dem Ab­strak­tum?

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Sich zu­rück­hal­ten ist et­was an­de­res als zu­rück­ge­hal­ten wer­den; sich zu­rück­zie­hen et­was an­de­res als zu­rück­ge­zwun­gen wer­den. Die Dif­fe­renz liegt nicht et­wa in der Frei­wil­lig­keit, son­dern in sub­jek­ti­ven Be­grün­dung, im Ei­gen­sinn des In­di­vi­du­ums. Von da­her ist die Frei­heit zu be­stim­men.

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Frei­heit be­deu­tet zu kön­nen, was man muss, dem­je­ni­gen, dem man aus­ge­lie­fert ist, ei­ne be­frei­en­de Form zu ge­ben.

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Es gibt kei­nen Le­bens­stil, der zu ver­tei­di­gen wä­re, son­dern die Mög­lich­keit sich selbst als Re­de, Me­lo­die oder Ge­stalt sicht­bar wer­den zu las­sen. Das wä­re zu be­grei­fen und die all­ge­mei­ne Lee­re da­durch ab­zu­wen­den, die dar­auf ruht, dass In­di­vi­dua­li­tät sich durch den Er­werb von Kon­for­mi­tät, Kon­sum- und In­du­strie­gü­tern be­zeugt.

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Aus dem Müs­sen, dem er­füll­ten Ei­gen­sinn, wach­sen Ru­he, Ge­las­sen­heit und Zu­frie­den­heit. Die In­ten­si­tät des ei­ge­nen Tuns legt ein Da­sein frei, das als sol­ches ge­nügt. Zur äu­ße­ren, tritt die in­ne­re Frei­heit.

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So trennt sich der, in Pro­duk­te in­du­stri­el­ler Fer­ti­gung ver­lieb­te und durch die­se eben­so selbst­ver­ständ­lich wie durch me­di­al ver­mit­tel­te Kon­ven­tio­nen er­schei­nen­de, d.h. ge­mach­te, In­di­vi­dua­lis­mus von je­nem, der der Be­deu­tung des Worts ge­recht wird. Es ist der Ei­gen­sinn, das Be­wusst­sein um das Wie, das die Ent­mün­di­gung, die gut ge­mein­te, im Dienst der gu­ten Sa­che ste­hen­de, zu er­sticken droht. Wird das Er­lö­schen der Ge­schäf­tig­keit im Aus­nah­me­zu­stand durch ei­ne an­de­re Re­gung be­ant­wor­tet wer­den, als durch die Sehn­sucht, dass die­se zu­rück­keh­re?

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Der Bann­spruch dem So­zia­len und Kon­kre­ten ge­gen­über, der in der Kri­se von den be­haup­te­ten all­ge­mei­nen Not­wen­dig­kei­ten aus­geht, ist dem so­ge­nann­ten Le­bens­not­wen­di­gen, das in der Er­zie­hung und den da­für zu­stän­di­gen In­sti­tu­tio­nen stets ge­gen das In­di­vi­du­um re­kla­miert wird, ver­wandt und ein von der Angst vor dem Ab­strak­ten – im We­sent­li­chen der Nicht­er­fül­lung von Funk­tio­nä­li­tä­ten – be­gan­ge­ner Ver­rat an den Er­schei­nun­gen.

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Apho­ris­men, No­ta­te und Un­ein­sich­tig­kei­ten V

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  2. Lang­sam kann ich Dei­nen Ein­las­sun­gen mehr und mehr ab­ge­win­nen. Aber dann zwi­schen­durch haut es mich im­mer wie­der raus:
    >Dass die Mas­se der Ein­schrän­kung ih­rer Rech­te nichts ent­geg­net, son­dern die­ser auch noch Bei­fall zollt, legt ih­re exi­sten­zi­el­le Selbst­ver­ges­sen­heit bloß.

    Nicht dass es nicht stim­me, dass ein Groß­teil der Men­schen seins­ver­ges­sen vor sich hin­düm­pe­le, aber ein Le­ben per­ma­nent in exi­sten­ti­el­ler In­ten­si­tät wä­re wohl auch sehr ver­zeh­rend und man schaue nur in wel­chen (in­ne­ren) Tu­mult die Ge­sell­schaft ge­rät, wenn sich je­der da­mit kon­fron­tiert sieht, dass da viel­leicht ei­ne Krank­heit auf ihn zu­kommt, für die es kein Heil­mit­tel gibt und die je nach Al­ters­grup­pe und Vor­er­kran­kung den Tod brin­gen könn­te. Kein Wun­der, dass man die Ver­un­si­che­rung in Ham­ster- und Toi­let­ten­pa­pier­käu­fen ab­re­agiert.

    Du ar­bei­test die­se (äs­the­ti­sche) Le­bens­in­ten­si­tät dann ja auch eher als ei­ne in­ne­re, denn äu­ße­re Hal­tung her­aus. Dem kann ich viel ab­ge­win­nen. Nur ir­ri­tiert mich die­se fort­wäh­ren­de Ab­leh­nung der äu­ße­ren Ein­schrän­kun­gen, so als kön­ne man die­se nicht auch aus ra­tio­na­len Grün­den an­neh­men. Mei­ne Wahr­neh­mung ge­ra­de in Deutsch­land ist, dass die­se Maß­nah­men ge­samt­ge­sell­schaft­lich ge­tra­gen wer­den, dass die Po­li­tik sich be­müht, sie trans­pa­rent und öf­fent­lich zu ver­han­deln. So wie es sich in ei­ner De­mo­kra­tie ge­hört.(*) Ge­nau­so wie ich bei der Wahl die Mehr­heits­ent­schei­dung ak­zep­tie­ren muss, wenn ich wie­der für die Op­po­si­ti­on stimm­te.

    Keu­sch­nig hat­te in sei­nem er­sten Kom­men­tar die Zah­len an­ge­führt, was mit oder oh­ne Maß­nah­men an Op­fern zu er­war­ten sei. Es mag als Tot­schlag­ar­gu­ment er­schei­nen, aber wenn das den wis­sen­schaft­li­chen Kon­sens der­zeit dar­stellt,.. wä­re es doch kein he­roi­scher Akt der in­ne­ren Frei­heit auf ei­ne Co­ro­na-Par­ty zu ge­hen, son­dern un­ver­ant­wort­li­che Dumm­heit.

    (*) Zu Be­ginn der Kri­se hat­te ich die Be­fürch­tung ei­ne de­mo­kra­ti­sche Re­gie­rung wür­de dar­auf mög­li­cher­wei­se we­ni­ger ef­fek­tiv re­agie­ren als au­to­kra­ti­sche Re­gime, die ein­fach hart durch­grei­fen. – Das Pro­blem was sich zeig­te ist wohl viel­mehr, dass al­le Macht­ha­ber nur un­voll­stän­di­ge In­for­ma­tio­nen ha­ben und auf die viel­fäl­ti­gen Ein­flü­ste­run­gen dann oft nur zö­ger­lich re­agie­ren, bzw. man an das Pro­blem nur glaubt, wenn es schon vor der ei­ge­nen Haus­tür steht.

  3. @Phorkyas
    Zu Be­ginn der Aus­gangs­be­schrän­kun­gen ha­be ich ein In­ter­view mit ei­nem Psy­cho­ana­ly­ti­ker ge­se­hen, der ge­fragt wur­de, war­um so vie­le Men­schen Un­men­gen von Toi­let­ten­pa­pier kauf­ten, er über­leg­te, dass es für Rei­ni­gung, Ab­wi­schen, Sau­ber­ma­chen stün­de, kam aber nicht recht auf ei­nen grü­nen Zweig; ich selbst hat­te zu­vor ähn­li­ches über­legt, aber auch oh­ne Er­geb­nis. Ge­stern kam mir beim Le­sen Dei­nes Kom­men­tars ei­ne schlüs­si­ge Er­klä­rung: Rei­ni­gung, rei­ni­gen, mit sich ins Rei­ne kom­men, je­der möch­te der­ge­stalt aus der Welt ge­hen, das vor der über­mä­ßig er­schei­nen­den Ge­fahr ei­ner Seu­che tun zu kön­nen, ist die sym­bo­li­sche Be­deu­tung die­ses Kauf­ver­hal­tens und ein Ver­weis auf die kol­lek­ti­ve See­len­la­ge.

    Wenn je­der, al­ler in­di­vi­du­el­len Mi­se­re zum Trotz, ein, zwei oder drei »Din­ge« sein Ei­gen nennt, die es zu tun lohnt, die aus sich selbst her­aus be­stehen kön­nen, die Kraft ge­ben, auch wenn das viel­leicht nicht im­mer aus­reicht, für die, zu­ge­ge­ben, viel­leicht ein hal­bes Le­ben lang zu su­chen ist, dann hät­te nie­mand Angst, weil dann ei­ne Form für die­se da wä­re, weil die Rei­ni­gung der See­le ge­län­ge, weil sie sich vom Schä­di­gen­den be­frei­en könn­te. Das Toi­let­ten­pa­pier ist Aus­druck für die­ses Ver­sa­gen, das ein kul­tu­rel­les Ver­sa­gen ist. Das Be­wusst­sein, das mit der Mo­der­ne er­wuchs, hat die In­di­vi­du­en in ei­ne neue Frei­heit ge­führt, aber die mit ihm ein­her ge­hen­de Prä­fe­renz des Ver­stan­des, führ­te wohl zu ei­ner Tren­nung von All­tag und äs­the­ti­scher Pra­xis, in ver­gan­ge­nen Zei­ten hat man nach der Ar­beit noch ge­mein­sam ge­sun­gen. Je­des Kind kann, oh­ne ei­nen Fun­ken von Be­wusst­sein für sein Tun zu be­sit­zen, sei­ne See­le sicht­bar­ma­chen und sich da­durch sta­bi­li­sie­ren. Sei­del sag­te völ­lig zu Recht, dass das Be­wusst­sein das Fal­sche ist oder an­ders: Das Be­nen­nen, kann das Zei­gen nicht er­set­zen. Die Not­wen­dig­keit der Psy­cho­ana­ly­se, Psy­che statt See­le (En­zens­ber­ger), zeugt da­von. Die­se Kri­se stellt die Fra­ge nach der Er­zie­hung, dem An­teil des Äs­the­ti­schen an ihr. Ro­bert Pfal­ler schreibt völ­lig zu­tref­fend, dass man uns dis­zi­pli­niert, um uns in­di­vi­du­ell ein­schlie­ßen zu kön­nen. Ja, Du schreibst völ­lig rich­tig, dass man das aus ra­tio­na­len Grün­den an­neh­men kann, ge­nau­so wie man ra­tio­nal über sich ver­fü­gen kann. Ich ver­weh­re mich dem, wenn ich die Not­wen­dig­keit nicht ein­se­hen kann, ge­nau­er: auch wenn ich die Not­wen­dig­keit ein­se­he, ist die Ver­fü­gung über sich selbst nicht an­ge­nehm (zu den Zah­len, die Du an­sprichst, in der näch­sten Fol­ge).

    Ich war vor ei­ni­ger Zeit im Lain­zer Tier­gar­ten spa­zie­ren, ha­be, wie schon an­de­re Ma­le auch, die dor­ti­gen Ei­chen be­wun­dert: Ih­re Ge­stal­ten, die ge­wun­de­nen Äste, je­de ist wie ei­ne Skultptur, trägt, trotz Un­be­wegt­heit, Span­nung und Ent­span­nung, al­so Dy­na­mik in sich, die Äs­the­tik ist schon in der Na­tur an­ge­legt, die­se mensch­li­che Grund­fer­tig­keit ist, was uns vom Tier un­ter­schei­det. Ist das Schau­en (Hand­ke), das Schö­ne, das Wahr­neh­men von Le­ben und Le­ben­dig­keit, nichts, was dem ei­nen oder an­de­ren ein we­nig Kraft gibt?

    Nur ein Narr hat Angst vor ei­ner Ge­fähr­dung. Die Ver­nunft, die ih­res sta­bi­len emo­tio­na­len Betts ver­lu­stig ge­gan­gen ist, be­ginnt zu mä­an­dern, sie fragt, was aus Grün­den der Si­cher­heit zu tun ist, wählt die Un­si­cher­heit und das Nicht­wis­sen und dreht sich in ei­ne Maß­nah­men­spria­le hin­ein. Ich ken­ne nie­man­den, der krank ist, ich bin vor drei oder vier Jah­ren das letz­te Mal krank ge­wor­den, bin ein ge­sun­der Mensch, hal­te Hy­gie­ne­re­geln et­was ge­nau­er ein als sonst, und ver­su­che nie­man­dem Frem­den un­nö­tig na­he zu kom­men, fer­tig (klar, an­de­re wer­den das ein we­nig an­ders for­mu­lie­ren). Angst, Sor­ge, Furcht vor dem Kon­kre­ten, ja. Es gibt, für den über­wie­gen­den Teil der Be­völ­ke­rung, ob­jek­tiv kei­nen Grund zur Be­sorg­nis, sub­jek­tiv wird die­ser aber wahr­ge­nom­men, weil die ver­dräng­ten Äng­ste in das Ab­strak­tum Pan­de­mie pro­ji­ziert wer­den, sie kom­men von dort zu­rück, der­ge­stalt, als wä­re der hal­be Freun­des­kreis krank. Und ei­ne Po­li­tik, die in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on ei­ne Mas­ken­pflicht ver­ord­net, kon­ser­viert die­se Angst, je­der er­scheint, als po­ten­zi­ell in­fi­ziert, ge­nau­so wie je­der Bür­ger im au­to­ri­tä­ren Sy­stem als ver­däch­tig er­scheint und sich ver­däch­tigt fühlt, ob­wohl ei­ne von der Re­gie­rung in Auf­trag ge­ge­be­ne re­prä­sen­ta­ti­ve Stu­die ei­ne An­zahl po­si­tiv Ge­te­ste­ter von 330 pro 100000 Ein­woh­ner er­gab, ei­ne An­zahl, die – ich mei­ne jetzt nicht die Ge­fähr­lich­keit –, ei­ner schwa­chen oder aus­klin­gen­den Grip­pe­epi­de­mie ent­spricht. Da­zu kommt ei­ne au­to­ri­tä­re Grund­hal­tung wie Kom­mu­ni­ka­ti­on und In­trans­pa­renz, ein In­fek­to­lo­ge, der wie die Po­li­titk, von ei­ner Rück­kehr zur Nor­ma­li­tät erst mit ei­ner Imp­fung spricht, nennt 2022 oder 2023. Ab­ge­se­hen da­von, dass er da­für nicht zu­stän­dig ist, mit wel­chem Ar­gu­ment denn? Weil 443 Men­schen tot sind, von de­nen un­klar ist, ob sie tat­säch­lich al­le an COVID-19 ge­stor­ben sind? Wir hat­ten letz­tes Jahr 410 Ver­kehrs­to­te, Herz­in­farkt- , Al­ko­hol- und Ta­bak­to­te er­spa­re ich mir an­zu­füh­ren, wo sind denn die Re­la­tio­nen? Die Ka­ta­stro­phe ist hier­zu­lan­de aus­ge­blie­ben, freu­en wir uns, sei­en wir noch et­was zu­rück­hal­tend, aber das Fern­ziel Imp­fung ist we­der durch ei­ne all­ge­mei­ne Ge­fähr­dung, noch durch ein Wis­sen um de­ren Wir­kung – Schutz­dau­er, Va­ria­bi­li­tät des Vi­rus – zu recht­fer­ti­gen, wir wer­den mit die­ser Krank­heit le­ben müs­sen, dar­an führt auch mit ei­ner Imp­fung kein Weg vor­bei.

    Da­ge­gen kann das Ge­sund­heits­res­sort nun auf Ver­hör­spe­zia­li­sten der Po­li­zei zu­rück­grei­fen, um die In­fek­ti­ons­kon­tak­te mög­lichst rasch auf­zu­decken, der In­fi­zier­te, das schwingt mit, ist ein Kri­mi­nel­ler, der Bun­des­kanz­ler stellt Ge­schwin­dig­keit und Funk­tio­na­li­tät vor recht­li­che Be­den­ken und Ein­wän­de und ver­wehrt sich ge­gen Kor­rek­tu­ren der Ge­set­ze und Ver­ord­nun­gen (der Ge­sund­heits­mi­ni­ster zum Glück nicht), die Re­gie­rung spricht von neu­er Nor­ma­li­tät. Ein aus un­se­rer Ex­per­ten­kom­mis­si­on aus­ge­tre­te­ner Pu­blik-He­alth-Ex­per­te, ei­ner der we­ni­gen, viel­leicht der ein­zi­ge, den ich in der öster­rei­chi­schen De­bat­te als fach­lich ein­wand­frei se­he, for­dert ei­ne Po­li­tik für Er­wach­se­ne, al­so Be­grün­dun­gen (und er sagt seit 12.3., spä­te­stens 19.3. sei klar ge­we­sen, dass die Si­tua­ti­on bei uns gut aus­geht). Ich ha­be nichts da­ge­gen, wenn die Po­li­tik kom­pro­miss­los die Not­brem­se zieht, dann soll­te sie aber Maß­nah­men zum Schutz der ge­fähr­de­ten Grup­pen setz­ten und sa­gen was sie war­um zu tun ge­denkt. Das Ge­gen­teil ist der Fall. Ich pro­gno­sti­zie­re, dass die­ses per­fi­de Spiel welt­wei­te Über­wa­chungs­maß­nah­men zur Fol­ge ha­ben wird, um den All­tag und den Rei­se­ver­kehr wie­der zu nor­ma­li­sie­ren, die uns er­hal­ten blei­ben wer­den. Un­ter all­ge­mei­nem Ap­plaus.

  4. @Phorkyas
    Ich glau­be, dass die Dik­ta­tu­ren tat­säch­lich im Vor­teil wa­ren bzw. sind – von Aus­nah­men ab­ge­se­hen. Die Chi­ne­sen, die am An­fang das Aus­maß nicht ein­se­hen woll­ten, leg­ten auf ein­mal ein Tem­po vor, das in ei­nem de­mo­kra­ti­schen Staat nicht mög­lich wä­re. Stren­ge Aus­gangs­sper­re, to­ta­le Über­wa­chung mit­tels App – un­ge­fragt. Letz­te­res auch Süd­ko­rea. Tai­wan – als In­sel im Vor­teil – hat so­fort al­le Gren­zen dicht­ge­macht. Hät­te man hier ei­nen Dis­kurs ge­führt, stün­de man jetzt an­ders da. Eu­ro­pa steht des­halb so schlecht da, weil man ent­schei­den­de Maß­nah­men zu spät ein­ge­lei­tet hat­te.

    @metepsilonema
    Nur ein Narr hat Angst vor ei­ner Ge­fähr­dung.
    Nur ein Narr ist furcht­los vor ei­ner Pan­de­mie.

  5. Oh Mann Gre­gor Keu­sch­nig, me­tep­si­lo­me­na er­klärt zwar, war­um er kei­ne Angst hat, aber Du er­klärst ihn ein­fach zum Nar­ren. Na­ja...

  6. Er möch­te ei­ne Pan­de­mie mit dis­kurs­de­mo­kra­ti­schen Mit­teln be­kämp­fen. Kann man ma­chen. Aber dann eher oh­ne mich.

    Er spricht auch nicht von Angst, son­dern von Furcht.

  7. Je­de Dis­kus­si­on zum The­ma »Co­ro­na-Kri­se« ist mü­ßig, so­lan­ge nicht be­dacht und an­er­kannt wird, dass be­stimm­te For­men kol­lek­ti­ver Lei­stung exi­stie­ren, de­ren Er­folg von ei­nem ein­zi­gen In­di­vi­du­um rui­niert wer­den kann.

    Am kon­kre­ten Bei­spiel sei dies vor Au­gen ge­führt: Ei­ne meh­re­re Ki­lo­me­ter lan­ge Ret­tungs­gas­se auf der Au­to­bahn kann von ei­nem ein­zi­gen Zeit­ge­nos­sen ih­rer le­bens­ret­ten­den Funk­ti­on be­raubt wer­den. Er fährt ein­fach nicht zur Sei­te und bleibt ste­hen.
    Ein Or­che­ster geht sei­nes mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­schen Po­ten­zi­als voll­stän­dig ver­lu­stig, wenn sich auch nur das Tri­an­gel nicht an die An­wei­sun­gen des Di­ri­gen­ten hält.

    Im Fall der Mas­ken­pflicht [hier: in Ge­schäf­ten und öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln] ist zu ar­gu­men­tie­ren, dass sich das An­steckungs­ri­si­ko für je­des ein­zel­ne In­di­vi­du­um auf ein Mi­ni­mum re­du­zie­ren lässt, wenn sich aus­nahms­los al­le an die Mas­ken­pflicht hal­ten. Ein ein­zi­ger mas­ken­ver­wei­gern­der und gleich­zei­tig in­fek­tiö­ser Aus­rei­ßer reicht, um die An­stren­gung des Kol­lek­tivs zu­nich­te zu ma­chen. Wer hier mit ver­nunft­ge­lei­te­ter Frei­wil­lig­keit ar­gu­men­tie­ren will, geht an der täg­lich er­fahr­ba­ren Le­bens­rea­li­tät vor­bei.

    Das an­de­re ist ein ge­ra­de­zu klas­si­scher Zir­kel­schluss: We­gen der ge­rin­gen An­zahl an To­des­fäl­len ist Dau­er der re­strik­ti­ven Maß­nah­men nicht zu recht­fer­ti­gen (de­rent­we­gen aber die An­zahl der To­des­fäl­le so ge­ring ist).

    So kann das nichts wer­den mit dem Er­kennt­nis­ge­winn in der ak­tu­ell bren­nen­den An­ge­le­gen­heit. Man neh­me mir die­se An­mer­kung bit­te nicht übel.

  8. @metepsilonema: All­ge­mein stim­me ich schon zu, dass trotz der neu­en wis­sen­schaft­li­chen Fun­die­rung die Hy­gie­ne ein Be­reich ist der wei­ter­hin tief ins me­ta­pho­risch-re­li­gi­ös-mo­ra­li­sche Be­wusst­sein greift. Was die Re­li­gi­on mit ih­ren Re­geln noch un­scharf, oft will­kür­lich er­fass­te, wel­ches Tier »un­rein« sei, etc., ist zwar nun mit dem Mi­kro­skop, aber nicht für un­ser All­tagsau­ge sicht­bar, so dass wir im­mer noch emo­tio­nal-ir­ra­tio­na­le Zu­schrei­bun­gen von rein-un­rein wäh­len (z.B. soll ein Spül­schwamm ein Viel­fa­ches an Bak­te­ri­en züch­ten als an ei­ner Toi­let­te je ge­sich­tet wer­den).

    Was aber die Toi­let­ten­pa­pier­käu­fe an­geht ist mei­ne Deu­tung et­was we­ni­ger »tief«. Für mich sind es hier Äu­ße­run­gen des Her­den­triebs a lá Tul­pen­ma­nie. Wenn das ein­setzt, dann bei den mei­sten wahr­schein­lich auch ein­fach ei­ne Pa­nik als letz­ter leer aus­zu­ge­hen und nichts mehr der wich­ti­gen Gü­ter zu er­ha­schen. Was dann ei­nen selbst­ver­stär­ken­de Rück­kopp­lung er­gibt. – Nicht mal die Bi­det­na­tio­nen Ja­pan oder Frank­reich wa­ren aus­ge­nom­men.

    Dei­ne Aus­füh­run­gen da­zu sei­nem Le­ben pri­va­tim, bil­dungs­äs­the­tisch Sinn zu ver­lei­hen kann ich nach­füh­len. Mit oder oh­ne Ador­no: Als wir mit un­se­rem Soh­ne den Schul­eig­nungs­test ab­leg­ten, da fühl­te ich wie die­se Mess­lat­ten und Maß­stä­be an­ge­legt wur­den, um die Nor­ma­li­tät sei­nes Ent­wick­lungs­stands zu be­zeu­gen, dass ein or­dent­li­cher Brut­to­so­zi­al­pro­du­zent aus ihm wer­de. – (Ge­ra­de jetzt mit den so­zia­len Me­di­en, wo je­der sich »pro­du­zie­ren« muss, um auch das »Pri­va­te« zu mo­ne­ta­ri­sie­ren, wer­den Ador­nos Pro­gno­sen im­mer treff­si­che­rer.)

    Ich kann die Ir­ri­ta­ti­on über die plötz­li­che Um­po­lung al­ler Leu­te und das Ab­dre­hen des öf­fent­li­chen Le­bens wie auf Knopf­druck, schon ver­ste­hen, dass da schein­bar schul­ter­zuckend al­les hin­ge­nom­men wird. Aber für mich ist die son­sti­ge Ord­nung, die wir uns ge­ge­ben ha­ben eben­falls zum größ­ten Tei­le will­kür­lich und nur durch Ge­wöh­nung zur zwei­ten Haut ge­wor­den. War­um soll man Ge­wohn­hei­ten nicht auch än­dern? Viel­leicht könn­ten wir auch spä­ter Ge­wohn­heits­spreng­sel in un­se­ren All­tag in­te­grie­ren, die gar nicht so schlecht sind, z.B. we­ni­ger Au­to fah­ren? Viel­leicht ha­ben wir auch al­le ei­nen Knall, weil wir auf den Bür­ger­stei­gen im­mer noch 2m Ab­stand zu hal­ten su­chen? Wir werden’s se­hen.

    So sehr mich die­se Ge­sell­schaft auch mit­un­ter ab­stößt, kann ich doch nicht völ­lig aus ihr her­aus. Oder will z.B. auch, dass mein Sohn so­viel ler­ne, als dass er in ihr fried­lich ko­exi­stie­re. Die auf- oder ab­leh­nen­de Ab­son­de­rung durch Kunst hat für mich da­her auch im­mer et­was künst­li­ches, et­was re­li­gi­ös-mes­sia­ni­sches, das mich so­wohl an­zieht als auch ab­stößt, weil ich dar­in ähn­lich ideo­lo­gi­sche Mu­ster se­he, wie in Re­li­gi­on, Wis­sen­schaft oder all die­sen gei­sti­gen Be­tä­ti­gun­gen, die ih­rem Aus­über ein Ge­fühl der Über­le­gen­heit ver­mit­teln, ei­nes hö­he­ren Be­wusst­seins, ei­nes kla­ren, ob­jek­ti­ven Schau­ens, usw.

    Lei­der sind die­se Aus­füh­run­gen nun et­was ver­streut, aber ich hof­fe sie wer­den Dei­ner aus­führ­li­chen und ko­hä­ren­te­ren Er­wi­de­rung ge­recht oder Du fin­dest zu­min­dest et­was her­aus­zu­picken.

  9. Die Ver­nunft kann sich durch Den­ken nicht von un­be­wuss­ten Äng­sten be­frei­en, sie müs­sen äs­the­tisch trans­for­miert wer­den; wenn sich ei­ne De­mo­kra­tie von ei­nem au­to­ri­tä­ren Sy­stem da­durch un­ter­schei­det, dass in ihr das Den­ken angst­frei sein darf und soll, dann wird (und muss) sie dem In­di­vi­du­um ein Ent­kom­men und nicht ein Un­ter­ord­nen un­ter ein von Angst zu­sam­men ge­bun­de­nes Kol­lek­tiv ge­wäh­ren (ich schrei­be ger­ne noch ein­mal, dass die Furcht vor ei­ner Pan­de­mie, die Furcht vor et­was Ab­strak­ten ist, d.h. ver­mut­lich ei­ne Angst­pro­jek­ti­on vor­liegt; um das zu kon­ter­ka­rie­ren, kann sich je­der fra­gen, wie vie­le Men­schen in sei­nem Um­feld tat­säch­lich krank sind). Die po­li­ti­sche For­mu­lie­rung ist ein­fach: Man kann die Ge­fahr ei­ner An­steckung im Klei­nen ab­zu­schät­zen ver­su­chen und wis­sen­schaft­lich be­glei­ten, un­ge­fähr so wie Spren­ger, auf den ich oben ver­wie­sen ha­be, das für das par­ti­el­le Öff­nen von Schu­len vor­schlägt, das hät­te man längst ma­chen kön­nen (dann er­spar­ten wir uns was-wä­re-wenn Spe­ku­la­tio­nen über das, was wir nicht wis­sen und das Ge­re­de, dass das Po­ten­ti­al [!] ei­nes Or­che­sters, wer weiß, viel­leicht so­gar ei­nes Lan­des, an ei­ner Au­to­ri­tät hin­ge).

    @Phorkyas
    Dei­ne Emp­fin­dun­gen hin­sicht­lich des Schul­eig­nungs­tests Dei­nes Sohns eh­ren Dich: Das, was Du be­schreibst, ist das Re­sul­tat ei­ner all­ge­gen­wär­ti­gen, in­stru­men­tel­len Ver­nunft, Bil­dung meint heu­te Ent­wick­lung, Ge­sund­heit und Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung, al­so tech­ni­sche Be­lan­ge, an die Stel­le äs­the­ti­scher Wahr­neh­mung ist ei­ne ra­tio­na­li­sier­te ge­tre­ten, ein Ver­hält­nis bei­der, ist nicht mehr ge­ge­ben.

    Das Pro­du­zie­ren in den so­zia­len Me­di­en, der Nar­ziss­mus, das stän­di­ge Er­zäh­len, was man nicht ge­ra­de tue und wie wich­tig es sei, zeigt doch den Man­gel le­bens­loh­nen­der In­ten­si­tät in un­se­rem All­tag, ich muss mich doch nicht stän­dig wie ei­nen Luft­bal­lon auf­bla­sen, wenn ich zu­frie­den bin. Die Fra­ge, die ich mir stel­le, ist die, dass doch un­se­re Ge­wohn­hei­ten, hof­fent­lich zu ei­nem Teil, ei­ne Be­deu­tung tra­gen oder auf ei­ne ver­wei­sen, al­so nicht sämt­lich dis­ponabel sind. Selbst je­mand wie ich, der sel­ten ver­reist, der schon Jah­re lang nicht mehr in ei­nem Flug­zeug ge­ses­sen ist, sieht, dass es ei­ni­ge we­ni­ge so­zia­le Be­zie­hun­gen und »Din­ge« gibt, an de­nen er hängt, was ich wuss­te, aber die ei­ne oder an­de­re Be­deu­tung ist mir nun noch deut­li­cher ge­wor­den. Das mag bei je­dem an­ders sein, aber treibt das nicht zu­min­dest ein paar Men­schen um, dass sie et­was von Be­lang nicht mehr tun kön­nen, et­was, das in ei­ner Be­zie­hung zu ih­nen steht? Das ist ja kein Auf­ruf zu Re­vol­te.

    Wir ha­ben al­le ei­ne äs­the­ti­sche Grund­dis­po­si­ti­on, in un­ter­schied­li­cher Aus­prä­gung, aber nicht je­der ist ein Künst­ler, Äs­the­tik und Kunst sind aus­ein­an­der zu hal­ten; letz­te­re be­ruht auf er­ste­rer. Dei­ne Ein­wän­de sind zu­tref­fend, Mes­sia­nis­mus und Ideo­lo­gie ge­hö­ren zur Ge­schich­te der Kunst. Aber die Trau­rig­keit in den Ge­sich­tern der Kin­der er­scheint mir re­al und mehr als not­wen­dig. Und doch hal­ten sie ei­nen Reich­tum in Hän­den, der vie­len Er­wach­se­nen fehlt; ich glau­be nicht, dass es hier um Kön­nen geht, son­dern um ein ver­schüt­te­tes Be­dürf­nis.

  10. Dass man sich dar­über mo­kiert, was ich nicht ge­schrie­ben ha­be, bleibt na­tür­lich je­der­mann un­be­nom­men. Den­noch darf ich den stroh­män­ni­schen An­griff sach­lich pa­rie­ren; wie ein Or­che­ster als Kol­lek­tiv funk­tio­niert, setz­te ich of­fen­sicht­lich nicht ver­fehlt als be­kannt vor­aus. Das Po­ten­zi­al ei­nes Or­che­sters steht und fällt mit den Auf­nah­me­ent­schei­dun­gen be­züg­lich neu­er Mit­glie­der durch das Or­che­ster­kol­le­gi­um, wel­ches [nicht nur dar­in] al­lei­ni­ge Au­to­ri­tät in­ne­hat. So­gar bei der Ver­pflich­tung der Or­che­ster­lei­tung wird die­se Au­to­ri­tät aus­ge­übt. Das künst­le­ri­sche Po­ten­zi­al ei­nes Or­che­sters hängt al­so mit­nich­ten von der ver­lie­he­nen Au­to­ri­tät des­sen Lei­ters ab, der es le­dig­lich zu schöp­fen wis­sen kann. In­so­fern bleibt die Ana­lo­gie des po­ten­zi­al­ver­nich­ten­den Tri­an­gels durch die ge­ring­schät­zi­ge Be­mer­kung vom »Ge­re­de« un­be­rührt.

    Von wei­te­ren Ein­las­sun­gen möch­te ich ger­ne ab­se­hen.

  11. »Ein Or­che­ster geht sei­nes mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­schen Po­ten­zi­als voll­stän­dig ver­lu­stig, wenn sich auch nur das Tri­an­gel nicht an die An­wei­sun­gen des Di­ri­gen­ten hält.« #7

    Das mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­sche Po­ten­zi­al des er­sten Gei­gers, das ei­nen Teil des mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­schen Po­ten­zi­als des Or­che­sters aus­macht (das ein Teil sei­nes Po­ten­zi­als ist), wie das der Tri­an­gel, hat mit dem der Tri­an­gel nichts zu tun und ge­hört auch zum Or­che­ster. Auch das mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­sche Po­ten­zi­al der Tri­an­gel hängt nicht an ei­nem Feh­ler oder ei­ner Miss­ach­tung. Auch das des Or­che­sters nicht. Se­hen Sie sich doch Ih­re Ar­gu­men­ta­ti­ons­struk­tu­ren ein­mal an, Sie kom­men je­des mal aus ei­nem au­to­ri­tä­ren Ge­fü­ge: Ein­mal ist es die Wis­sen­schaft (Wahr­heit), dann das Recht (Ver­fas­sung, Grund­ge­setz), dann wird die Ret­tungs­gas­se an­ge­führt, aus der ei­ner nicht aus­sche­ren darf und zu­letzt das Or­che­ster, das sein mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­sches Po­ten­zi­al voll­stän­dig ver­liert, al­so die Ge­samt­heit sei­ner vor­han­de­nen und ver­füg­ba­ren mu­si­ka­lisch-äs­the­ti­schen Mit­tel, Mög­lich­kei­ten und Fä­hig­kei­ten, Sie schrei­ben nicht, dass ein Kon­zert ver­saut wur­de oder es nicht so gut ge­lau­fen ist, weil sich ei­ner nicht an die An­wei­sung ge­hal­ten hat. Sie ha­ben recht, das ist kei­ne Ge­re­de, das ist Au­to­ri­täts­hö­rig­keit.

  12. So ist es.

    Ich schrei­be ganz be­wusst nicht vom ver­sau­ten Kon­zert oder dass es nicht so gut ge­lau­fen sei. Weil das näm­lich nicht mein Punkt ist. Für ein ei­gen­wil­li­ges Tri­an­gel wird kein Sitz­kreis or­ga­ni­siert. Es wird schleu­nigst und ganz au­to­ri­tär vor die Tür ge­setzt.

    An­schei­nend ist nicht zu ver­ste­hen, dass die An­stren­gung vie­ler durch ein ein­zi­ges »non­kon­for­mi­sti­sches« In­di­vi­du­um ob­so­let wird. Öko­no­misch be­trach­tet: ver­schwen­de­te Kraft, ver­geu­de­te Zeit, die An­stren­gung hät­te un­ter­blei­ben oder für an­de­re Zwecke ein­ge­setzt wer­den kön­nen.

    Nach der zwei­ten oder gar drit­ten In­fek­ti­ons­wel­le – je­der da­von wird wie­der mit strik­ten Maß­nah­men be­geg­net wer­den müs­sen – wird sich die Fra­ge nach der Au­to­ri­täts­hö­rig­keit wohl nicht mehr stel­len. Der so­zia­le Druck wird dann we­gen der da­mit ein­her­ge­hen­den Auf­klä­rung so groß wer­den, dass z.B. Mas­ken­ver­wei­ge­rer in ei­nem be­lie­bi­gen Ge­schäft in Ge­fahr ge­ra­ten könn­ten, ei­ne Tracht Prü­gel zu be­zie­hen.

  13. »Es gibt, für den über­wie­gen­den Teil der Be­völ­ke­rung, ob­jek­tiv kei­nen Grund zur Be­sorg­nis,« schrie­ben Sie in #3. Könn­ten Sie wohl kurz skiz­zie­ren, was Sie dem klei­ne­ren Teil der Be­völ­ke­rung zu sa­gen hät­ten und, vor al­lem, wer zu wel­chem Teil ge­hört? Die tri­via­le Ant­wort »der klei­ne­re Teil der Be­völ­ke­rung hat ob­jek­ti­ven Grund zur Be­sorg­nis« wol­len wir hier ein­mal aus­klam­mern.

  14. Dem Ei­gen­wil­li­gen wird mit Rechts­ver­lust ge­droht und zur Si­cher­heit für spä­ter noch ein Mehr an Mög­li­chem an­be­raumt. Dass da­nach ans Ver­ste­hen ap­pel­liert und mit dem Dis­ku­tie­ren wie­der be­gon­nen wer­den soll, ist ein durch­sich­ti­ges Ma­nö­ver. Die­je­ni­gen, die man be­droht, sol­len lei­sten, wor­an es ei­nem sel­ber ge­bricht, ob­wohl sich an der Sach­la­ge, die im Zwei­fel mit Ge­walt so ge­rückt wird, wie man sie braucht, nichts zu den ei­ge­nen Un­gun­sten ver­än­dern wird. Die Au­to­ri­tä­ten ha­ben sich, trotz ih­rer hi­sto­risch ver­bürg­ten, grau­si­gen Lei­stun­gen, Spott und Hohn red­lich ver­dient.

  15. In­ter­es­sant die­se Ver­bis­sen­heit. Wenn ei­nem nichts mehr ein­fällt, ent­deckt man Au­to­ri­ät­sgläu­big- oder gar hö­rig­keit. Da­bei zeigt die­ses Ret­tungs­gas­se-Bei­spiel schön, dass Au­to­ri­tä­ten sehr wohl sinn­haft sind, wenn es ge­bo­ten ist. So ist das Ein­for­dern ei­ner Ret­tungs­gas­se für das Ho­len von Piz­zen für die Ret­tungs­wa­gen-Crew un­statt­haft, für die Mög­lich­keit der Ret­tung von Ver­letz­ten al­ler­dings ge­bo­ten. Mei­ne »Frei­heit« mit der PKW an ei­ner be­stimm­ten Stel­le zu ste­hen, wird »ein­ge­schränkt«. Ich kann nun die­se »Frei­heit« nicht da­durch auf­recht er­hal­ten, dass ich be­haup­te, die Ret­tungs­wa­gen-Crew wür­de nur schnell ih­re be­stell­ten Piz­zen ab­ho­len wol­len und bis zum Be­weis des Ge­gen­teils könn­te ich ste­hen blei­ben. Min­de­stens müss­te aber dis­ku­tiert wer­den, ob die EIn­schrän­kung mei­ner Frei­heit ge­recht­fer­tigt ist, d. h. ob der/die Ver­letz­ten, die vom Ret­tungs­wa­gen ver­sorgt wür­den, nicht trotz­dem ster­ben wür­den... Und so wei­ter.

    Ex­akt auf die­sem Ni­veau be­we­gen wir uns zu oft in die­sen Dis­kus­sio­nen. Man wird in Deutsch­land in ei­ni­gen Bun­des­län­dern (be­son­ders Nord­rhein-West­fa­len) se­hen, was in zwei, drei Wo­chen ge­schieht, wenn et­li­che »Locke­run­gen« ein­ge­tre­ten sind. Der­zeit ster­ben in Deutsch­land an COVID 19 zwi­schen 200 und 250 Men­schen pro Tag. Da es zwi­schen 18 und 23 Ta­gen sein sol­len, die zwi­schen In­fek­ti­on und Tod ver­ge­hen, müs­sen sich die­se Leu­te wäh­rend des Lock­downs an­ge­steckt ha­ben. Wenn jetzt die Maß­nah­men ge­lockert wer­den, müss­te man al­so in 3 Wo­chen noch hö­he­re To­des­zah­len ha­ben.

    Vie­le Kon­junk­ti­ve. Aber was wä­re ei­gent­lich, wenn kei­ner­lei Maß­nah­men ge­trof­fen wür­den? Wenn sich die Lei­chen in den nicht her­ge­rich­te­ten Kran­ken­häu­sern sta­peln wür­den? So­fort wür­de man mit der Für­sor­ge­pflicht des Staa­tes kom­men...

  16. #14 las­se ich als Ant­wort auf #13 nicht durch­ge­hen.

    Schließ­lich wur­de in #3 kon­sta­tiert, dass nur ein Narr Angst vor ei­ner Ge­fähr­dung ha­be. Im sel­ben Ab­satz wird dort ei­ni­ge Sät­ze spä­ter fest­ge­stellt, was in #13 von mir fra­gend auf­ge­grif­fen wur­de: dass es für den über­wie­gen­den Teil der Be­völ­ke­rung ob­jek­tiv kei­nen Grund zur Be­sorg­nis ge­be. Zu­ge­stan­den wird mit die­ser Aus­sa­ge gleich­zei­tig, dass der Rest (im­mer­hin rd. 20% der Be­völ­ke­rung) ob­jek­tiv sehr wohl Grund zur Be­sorg­nis hat. Und den­noch wird, wer die­sem mit Grund be­sorg­tem Fünf­tel an­ge­hört, als Narr be­zeich­net.

    Das ist die lo­gisch kor­rek­te Schluss­fol­ge­rung aus dem in #3 Ge­sag­ten. Be­vor je­mand we­gen Aus­sa­gen die­ser Qua­li­tät mo­ra­lisch ver­ur­teilt wird, soll er sei­ne Aus­sa­gen ar­gu­men­ta­tiv ge­hö­rig ver­tei­di­gen. Die Aus­flucht in­des ist kein Ar­gu­ment, sie bleibt ei­ne Flucht.

    Ei­ne De­mo­kra­tie, üb­ri­gens, un­ter­schei­det sich von ei­nem au­to­ri­tä­rem Sy­stem durch ei­nen funk­ti­ons­fä­hi­gen öf­fent­li­chen De­bat­ten­raum. Öf­fent­lich heißt: für je­den zu­gäng­lich, gleich wel­cher – in al­len denk­ba­ren Be­deu­tungs­schat­tie­run­gen – Her­kunft. Funk­ti­ons­fä­hig heißt: dia­lo­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on mit dem Ziel, wi­der­strei­ten­de Ein­zel­in­ter­es­sen im Ver­hand­lungs­we­ge mit­ein­an­der ver­träg­lich zu ma­chen.

    In­wie­weit Äu­ße­run­gen der Ver­nunft durch un­be­wuss­te Äng­ste be­ein­flusst wer­den, ist für sich ge­nom­men ein hoch­in­ter­es­san­tes, weil (als Me­tho­de auf­ge­fasst) in­tro­spek­ti­ons­för­dern­des The­ma. Ver­wei­se auf kon­kre­te Le­bens­rea­li­tä­ten sind da­bei oh­ne Fra­ge hilf­reich und nütz­lich. Wenn sie denn kor­rekt sind (was hier die mei­sten Ver­wei­se auf die CO­VID-Kri­se eben nicht sind). An­son­sten näm­lich bloß die For­mung ei­nes »Nar­ra­tivs« be­ob­ach­tet wer­den kann.

  17. @Gregor
    In­ter­es­sant, dass ich et­was ent­decke, wenn der Au­tor es im An­schluss be­stä­tigt. Ich ha­be nir­gend­wo ge­schrie­ben, dass ich auch nur ei­ne der ver­häng­ten Maß­nah­men nicht mit­tra­ge, ich ha­be auch nicht da­zu auf­ge­ru­fen, aber ich ha­be das Recht die­se zu kri­ti­sie­ren. Wenn das Wi­der­spre­chen­de, dar­in ei­gen­wil­li­ge (nicht: der Rechts­bre­cher), mit dem Raus­wurf be­droht wird, wenn es als Po­ten­zi­al­ver­nich­ter ei­nes Kol­lek­tivs – selbst wenn es ein­mal et­was miss­ach­tet ha­ben soll­te – be­zeich­net wird, dann ist das ein au­to­ri­tä­res Mu­ster (ge­ra­de dann, wenn das wei­ter ge­tan wird, ob­wohl das Ar­gu­ment, auf das sich die Po­ten­zi­al­ver­nich­tung be­zog, wi­der­legt wur­de).

    Ob das Ret­tungs­gas­sen­pa­ra­dig­ma im Fall von Co­ro­na gilt, ist zu be­grün­den und nicht zu be­haup­ten (auf der Stra­ße tut es das, das ist un­be­strit­ten). Ein aus­sche­ren­des In­di­vi­du­um ist im Amei­sen­hau­fen der Ge­sell­schaft sta­ti­sti­sches Rau­schen, der Au­tor weiß das. Das kann in be­stimm­ten Kon­stel­la­tio­nen an­ders sein, nie­mand hält ihn da­von ab, das zu be­grün­den (mit ein we­nig Nach­den­ken kann man dar­auf kom­men, wel­che In­sti­tu­tio­nen in Öster­reich zur Zeit oh­ne Mund-Na­sen-Schutz ar­bei­ten dür­fen und dass de­ren Mit­ar­bei­ter auch den Si­cher­heits­ab­stand nicht im­mer ein­hal­ten; sche­ren die nun aus oder geht das in Ord­nung, weil es ih­nen frei­ge­stellt ist?)

    @h.z
    Ge­fähr­dung meint, dass ei­ne – oft mit ei­ner Wahr­schein­lich­keit be­zif­fer­ba­re – Mög­lich­keit be­steht, zu er­kran­ken, ver­letzt zu wer­den, ..., z.B. Krebs­er­kran­kung, Schlag­an­fall, Herz­ver­sa­gen, Au­to­un­fall, Be­triebs­un­fall, In­fek­ti­ons­krank­heit. (Vor)Sorge, Vor­sicht und Be­sorg­nis sind ver­nünf­tig, Angst vor dem Kon­kre­ten auch, weil es un­ver­nünf­tig wä­re, sich z.B. von an ei­ner In­fek­ti­ons­krank­heit er­krank­ten Be­kann­ten nicht (ein we­nig) zu di­stan­zie­ren. Ge­gen Angst vor kon­kre­ten Din­gen kann man et­was tun und da­durch die Angst in den Griff be­kom­men (z.B. Di­stanz hal­ten, auf­pas­sen). Hät­te ich Angst vor ei­ner Ge­fähr­dung, nicht vor ei­ner (kon­kre­ten) Ge­fahr, dann bleibt die Angst we­nig­stens un­ter­schwel­lig im­mer vor­han­den, et­wa im Fall von Krank­hei­ten, weil ein (Rest)risiko im­mer be­steht. Wenn man sich das klar macht, lebt man be­frei­ter und si­cher­lich auch ge­sün­der.

    Zum Nar­ra­tiv: Es wä­re si­cher­lich un­ge­recht, al­len et­was zu un­ter­stel­len, ich ma­che in mei­nem All­tag im­mer wie­der Be­ob­ach­tun­gen an Per­so­nen, die ich ken­ne, die Über­le­gun­gen be­stä­ti­gen bzw. zu neu­en füh­ren (ab­ge­se­hen da­von ist apho­ri­sti­schem Schrei­ben Zu­spit­zung ei­gen).

  18. @metepsilonema
    Es ist ei­ni­ger­ma­ßen auf­rei­bend, stän­dig neu ge­form­te Fehl­schlüs­se und Wi­der­sprü­che auf­zu­klä­ren, wie auch jetzt wie­der in Ih­ren Aus­füh­run­gen zur Ge­fähr­dung. Sie stell­ten zu­nächst die Be­haup­tung auf, nur ein Narr äng­sti­ge sich vor ei­ner Ge­fähr­dung. Nun be­schrei­ben Sie – le­gi­ti­mer­wei­se – die Be­deu­tung des Be­griffs »Ge­fähr­dung« in Ih­rer spe­zi­el­len An­wen­dung und stel­len da­bei auf die Kon­kre­ti­sier­bar­keit ab, was ich Ih­nen auch ger­ne zu­bil­li­ge. Falls ich Sie rich­tig ver­ste­he, lau­tet die prä­zi­sier­te Aus­sa­ge nun: Nur ein Narr hat Angst vor un­kon­kre­ter Ge­fähr­dung (auch die­se Aus­sa­ge ist vom psy­cho­lo­gi­schen Stand­punkt aus be­trach­tet voll­kom­men un­halt­bar).

    Der Fehl­schluss un­ter­läuft Ih­nen an der Stel­le, dass in Ih­rem Sin­ne be­grün­de­te Angst nur vor­lie­ge im bei­spiel­haf­ten Fal­le ei­ner in­fi­zier­ten Be­kann­ten, und zwar we­gen der rea­len An­steckungs­ge­fahr. Die Angst vor dem »Ab­strak­tum Pan­de­mie« sei hin­ge­gen un­be­grün­det, weil ei­ne Pro­jek­ti­on, wie Sie in #3 aus­führ­ten, und mit ei­ner Wir­kung be­haf­tet, »als wä­re der hal­be Freun­des­kreis krank«. Gleich­zei­tig wis­sen Sie aber, dass die In­fek­tio­si­tät des ge­gen­ständ­li­chen Co­ro­na­vi­rus schon bis zu zwei Ta­ge vor Auf­tre­ten der er­sten Krank­heits­sym­pto­me ge­ge­ben ist und dass asym­pto­ma­ti­sche Vi­ren­aus­schei­der kei­ne sel­te­ne Aus­nah­me dar­stel­len (das Per­fi­de dar­an, dass ge­ra­de Kin­der am sel­ten­sten von er­kenn­ba­ren Krank­heits­sym­pto­men be­trof­fen sind). Von sich un­so­zi­al ver­hal­ten­den Vi­ren­aus­schei­dern, weil Selbst­iso­la­ti­on ver­wei­gernd, ganz ab­ge­se­hen.

    Dar­aus folgt nun, dass Sie sich mit na­ment­lich un­be­kann­ter, gleich­wohl rea­ler An­steckungs­ge­fahr kon­fron­tiert se­hen, so­fern Sie nicht selbst in strik­ter Selbst­iso­la­ti­on le­ben. Schon gar nicht kön­nen Sie fest­stel­len, ob ein un­wis­sent­li­cher Vi­ren­aus­schei­der fünf Me­ter vor Ih­nen auf dem Bür­ger­steig ge­hend ge­ra­de un­ge­schützt ge­niest hat und Sie in des­sen Ae­ro­sol­schwa­de fol­gen. Die­se Über­le­gun­gen feh­len in Ih­rem Ge­dan­ken­ge­fü­ge gänz­lich, wenn Sie vom »Ab­strak­tum Pan­de­mie« spre­chen.

    (wie auch ei­ne an­ge­mes­se­ne Wür­di­gung des Um­stan­des fehlt, dass, wenn Sie das Pech ei­ner In­fek­ti­on ha­ben, Sie schon bei mit­tel­schwe­rem Krank­heits­ver­lauf bis zu sechs Wo­chen au­ßer Ge­fecht ge­setzt sein kön­nen – mit ei­ner Op­ti­on auf blei­ben­de Lun­gen­schä­den).

    In Ih­rer er­neu­ten Nicht­ant­wort auf #13 ver­mis­se ich wie­der ei­ne Ein­las­sung zum wich­ti­ge­ren Teil der Fra­ge, wer zu wel­chem Teil der Be­völ­ke­rung ge­hö­re. Ver­nünf­ti­ger­wei­se wer­den Sie zu­ge­ste­hen müs­sen, dass ei­ne Zu­wei­sung von In­di­vi­du­en zum über­wie­gen­den Teil der Be­völ­ke­rung, der ob­jek­tiv kei­nen Grund zur Be­sorg­nis ha­be, wie Sie in #3 dar­stell­ten, nicht mög­lich ist. So­mit hat je­des In­di­vi­du­um ob­jek­ti­ven Grund zur Be­sorg­nis. Auch des­halb ver­fü­gen Ih­re Über­le­gun­gen im Hin­blick auf das Pan­de­mie­ge­sche­hen und den Um­gang da­mit über kei­ne Stand­fe­stig­keit.

    (Ih­re Über­le­gun­gen zur Un­ter­schei­dung von Ge­fähr­dung und Ge­fahr soll­ten je­doch für sich ge­nom­men sorg­fäl­tig be­dacht wer­den. Die Er­zeu­gung von dif­fu­sen Äng­sten ist Be­stand­teil ei­nes be­währ­ten Herr­schafts­in­stru­men­ta­ri­ums und ist we­gen der de­mo­kra­tie­schä­di­gen­den Wir­kung wert, um­fas­send er­ör­tert zu wer­den. Hin­ter die­sen Ne­bel­wän­den wird un­be­merkt z.B. an der Ent­wick­lung ei­nes Feind­straf­rechts ge­ar­bei­tet, des­sen Vor­bo­te, die Ge­fähr­der­haft, in Bay­ern be­reits Rea­li­tät wur­de.)

    Ge­ra­de in mu­si­ka­li­schen Be­lan­gen ist Ih­re Ar­gu­men­ta­ti­on von ei­ner ge­wis­sen Un­er­fah­ren­heit – ich ver­mei­de ganz be­wusst den all­zu un­schar­fen Be­griff Igno­ranz – ge­kenn­zeich­net. Kei­nes­wegs ha­ben Sie das Ar­gu­ment der or­che­stra­len Po­ten­zi­al­ver­nich­tung durch tri­an­gu­lö­se Ei­gen­wil­lig­keit wi­der­legt. Denn Sie las­sen den zen­tra­len Punkt für ei­ne mög­li­cher­wei­se er­folg­rei­che Wi­der­le­gung, eben die­se Ei­gen­wil­lig­keit näm­lich, au­ßer Acht. In mei­nem Ana­lo­gie­bei­spiel ist nicht von Feh­lern oder Un­acht­sam­kei­ten die Re­de, son­dern von struk­tu­rel­ler men­ta­ler Dis­so­nanz mit dem sei­ne ver­lie­he­ne Au­to­ri­tät aus­üben­den Di­ri­gen­ten und auch dem die­se Au­to­ri­tät ver­lei­hen­den Or­che­ster­kol­lek­tiv (G.K. hat dies am Ret­tungs­gas­sen­bei­spiel über­aus tref­fend her­aus­ge­ar­bei­tet). Viel­leicht hilft Ih­nen zum bes­se­ren Ver­ständ­nis die Aus­wechs­lung des Tri­an­gels ge­gen die Pau­ke, de­ren Ei­gen­wil­lig­keit den Ein­druck ei­nes be­ses­se­nen Ga­lee­ren­tromm­lers er­weckt, der den Takt für ein flüch­ten­des Schiff schlägt. Und das zu Son­nen­auf­gang in Strauss’ »Al­so sprach Za­ra­thu­stra«.

    Na­tür­lich be­trach­te auch ich die Ih­ri­gen Ar­gu­men­ta­ti­ons­struk­tu­ren. Dar­in bleibt mir Ih­re Ten­denz zur Tor­pfo­sten­ver­schie­bung nicht ver­bor­gen. Von In­sti­tu­tio­nen, die zur Zeit oh­ne Mund-Na­sen-Schutz ar­bei­ten und die Sie auch ger­ne be­nen­nen dür­fen (an Ra­te­spie­len be­tei­li­ge ich mich nicht), kann bei der Be­hand­lung der Mas­kenpflicht in mei­nem Kom­men­tar #7 lo­gi­scher­wei­se nicht die Re­de sein. Falls Ih­nen dar­in et­was un­klar ge­blie­ben wä­re, oder der Schluss aus der Ana­lo­gie sich nicht er­öff­ne­te, stün­de die Mög­lich­keit der Nach­fra­ge of­fen. Die aber un­ter­bleibt. Das an­de­re Ana­lo­gie­bei­spiel der Ret­tungs­gas­se an­er­ken­nen Sie da­ge­gen aus­drück­lich in Ih­rer Ant­wort an G.K. Wenn ich, was ich tat­säch­lich tue, red­li­ches Dis­kurs­ver­hal­ten un­ter­stel­le, wirkt Ih­re Ar­gu­men­ta­ti­on et­was in­ko­hä­rent.

    Ich se­he mich durch­aus auch mit rhe­to­ri­schen Kampf­tech­ni­ken kon­fron­tiert, die in ei­nem kul­ti­viert-de­mo­kra­ti­schen De­bat­ten­raum ge­ne­rell nichts zu su­chen ha­ben. Ziel sol­cher Kampf­tech­ni­ken ist un­ter an­de­rem die De­s­a­vou­ie­rung und De­le­gi­ti­mie­rung von De­bat­ten­teil­neh­mern in der Er­war­tung, dass die­se ver­schlis­sen und in­di­gniert vor­zei­tig sich zu­rück­zie­hen. Aus Sor­ge vor ei­ner sol­chen Ent­wick­lung und Zeit­knapp­heit hat­te ich un­längst ei­nen Kom­men­tar zu­rück­ge­nom­men. Zeit­lich kann ich mir die Aus­ein­an­der­set­zung jetzt eben lei­sten, doch dre­he ich den Zeit­hahn als­bald wie­der zu.

    Wel­che Au­to­ri­tät, ne­ben­bei ge­fragt, neh­men Sie in An­spruch, mir die Un­ter­schei­dungs­fä­hig­keit zwi­schen »au­to­ri­tär« und »Au­to­ri­tät«, noch da­zu ver­lie­he­ner, ab­zu­spre­chen? Wenn Sie mir gar Au­to­ri­tätshö­rig­keit auf­drücken wol­len, sei Ih­nen die Aus­sa­ge Spren­gers in dem von Ih­nen ver­link­ten Ge­spräch ent­ge­gen­ge­hal­ten. Er sag­te: »Lea­der­ship. Uns fehlt das Lea­der­ship.« (Ant­wort auf die Fra­ge, was der Grund sei für ver­spä­te­tes Hoch­fah­ren der Re­gel­ver­sor­gung im Ge­sund­heits­sy­stem). Hö­ren Sie doch noch­mals ge­nau hin, was Spren­ger in die­sem Ge­sprächs­ab­schnitt ins­ge­samt zu sa­gen hat­te.

    off to­pic
    ei­ne völ­lig bei­läu­fi­ge an­re­gung an den »ma­schi­ni­sten«: viel­leicht wird es ir­gend­wann mög­lich, ein word­press-plug­in »pre­view« zu in­stal­lie­ren, so­dass ein kom­men­tar be­reits wäh­rend der er­stel­lung mit den um­ge­setz­ten text­aus­zeich­nun­gen sicht­bar wird. (kom­pli­ment, im üb­ri­gen)

  19. Lie­ber h.z., ich weiß nicht, ob Sie mit fol­gen­dem Vor­schlag et­was an­fan­gen kön­nen: Ich be­mer­ke schon lan­ge, dass wir bei­de ei­ne grund­ver­schie­de­ne Auf­fas­sung von Spra­che ha­ben (Stich­wort »Tor­pfo­sten­ver­schie­bung«). Ich the­ma­ti­sie­re, nun ja, von mei­nem Stand­punkt aus, ei­nen Kon­flikt zwei­er »Pa­ra­dig­men« im fünf­ten Teil mei­ner Se­rie, die da­mit zu tun ha­ben. Kön­nen Sie mir kurz sa­gen, ob Sie die­sen le­sen wol­len oder wür­den. Falls nicht, dann ge­he ich auf die­sen Auf­fas­sungs­un­ter­schied in Form ei­nes Kom­men­tars hier ein.

  20. Ich bit­te Sie! Selbst­ver­ständ­lich wer­de ich mir den fol­gen­den Teil nicht ent­ge­hen las­sen, und das mit of­fe­nem, neu­gie­ri­gen Geist.

  21. @mete: Ich kann dem neur­al­gi­schen Punkt nach­füh­len, der dich zum An­zweif­ler wer­den lässt: dass sich die gan­ze Ge­sell­schaft hier Hals über Kopf in hef­ti­ge Maß­nah­men stürzt, ob­wohl die Da­ten­la­gen dünn. Oh­ne flä­chen­decken­de Tests, was wis­sen wir schon über Dun­kel­zif­fern oder das viel­be­schwo­re­ne »R«? Der Zu­sam­men­bruch des Ge­sund­heits­sy­stems mit Hun­dert­tau­sen­den To­ten recht­fer­tigt Aus­nah­me­zu­stand und Über­wa­chungs­app (in Öster­reich schon am Start). Al­le gleich­ge­schal­tet in Pa­nik­mo­dus und Iso­la­ti­on. Wer nicht mit­ma­chen will, wird weg­ge­bis­sen, wie hier?

    Den ver­link­ten Part aus dem In­ter­view hat­te ich an­ge­schaut. Da ging es vor al­len Din­gen, um die Kom­mu­ni­ka­ti­on der (öster­rei­chi­schen) Po­li­ti­ker, wie die­se die Maß­nah­men dem Volk na­he­brin­gen oder ein­fach de­kre­tie­ren. Wie ge­sagt, schien mir die Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on der Kanz­le­rin bis­her vor­bild­lich. Kann sein, dass es in Öster­reich lei­der an­ders lief.

  22. @mete: Nach­trag, bzw. was ich ei­gent­lich schrei­ben woll­te. Nur ma­nö­vriert dich das ge­ra­de in ei­ne dis­kurs­theo­re­tisch ge­fähr­li­che La­ge. Ich nen­ne es mal den ver­gif­te­ten Trump-Trumpf: Weil die eta­blier­ten Me­di­en oder der Main­stream mich be­kämp­fen, ha­be ich recht und kann sie als fake-news dif­fa­mie­ren. Ge­trof­fe­ne Hun­de bel­len.

    So ein­fach ist ist es ja nicht. Wohl hat der Jour­na­lis­mus und die »al­ten« Me­di­en struk­tu­rel­le Pro­ble­me, die ei­nen Prä­si­den­ten Trump er­mög­lich­ten. In der Haupt­sa­che, dass ein Groß­teil der Be­völ­ke­rung oder zu­min­dest die stim­men­star­ke An­hän­ger­schaft Trumps sich von ih­nen ab­ge­wen­det ha­ben. (Ist es nicht fast ei­ne fie­se Vol­te bei den An­hän­gern Trumps, ei­ne ver­zerr­te Ko­pie der al­ten Ab­leh­nung des Main­streams und der Holz­me­di­en zu se­hen, mit de­nen die Blogs an­ge­tre­ten wa­ren, sich von die­sen ab­zu­set­zen. Alt­be­währ­te Mu­ster.)

    Nichts­wür­di­ges The­ma.

    Bei den mei­sten Un­ter­neh­mun­gen der Po­li­tik und all die­sen Schi­mä­ren der Kunst, se­geln wir ins Un­ge­fäh­re. – Was für Me­tri­ken, wis­sen­schaft­li­che Evi­denz gibt es schon für das mei­ste, was wir da trei­ben? – Ver­gli­chen da­mit sind die Cor­vi­d19-Fak­ten schon re­la­tiv hart und be­last­bar – und ich ehr­lich ge­sagt froh, dass un­se­re Re­gie­rung zu har­ten Maß­nah­men griff. Viel­mehr be­fürch­te ich jetzt bei den ge­plan­ten Locke­rung in NRW, dass ein fal­scher Schritt sein könn­te, ein Fun­ke am Knall­gas, der zu recht von Mer­kel kri­ti­siert wur­de...

  23. @h.z.
    Ich woll­te noch et­was zu un­se­rer bei­der Sprach­ver­ständ­nis schrei­ben, das bit­te mit Teil V in Zu­sam­men­hang set­zen.

    Mir ist schon bei der Dis­kus­si­on um Hans Text fol­gen­des auf­ge­fal­len: Sie be­nut­zen Spra­che wie ein Glei­chungs­sy­stem, neh­men Teil­stücke her­aus und fü­gen an­de­re ein, so wie man mit Va­ria­blen um­geht. Oben auch (er­ster Ab­satz). Da­zu ist ein prä­zi­ser Sprach­ge­brauch un­um­gäng­lich. In der Art und Wei­se wie Sie schrei­ben wird Ihr volks­wirt­schaft­lich-ma­the­ma­tisch-recht­li­cher Hin­ter­grund sicht­bar, den ich u.a. der vor­an­ge­gan­ge­nen Dis­kus­si­on ent­neh­me, al­le­samt Ge­bie­te, in de­nen es not­wen­dig ist, prä­zi­se zu sein. Das ist ein schö­nes Bei­spiel da­für, was Äs­the­tik ist und meint, dass sich näm­lich un­se­re Art und Wei­se in der Welt zu sein, zeigt und aus­spricht, oft – in die­sem Fall weiß ich das nicht – auch un­be­wusst. Ih­nen die­sen Sprach­ge­brauch vor­zu­hal­ten, kä­me ei­nem An­griff auf Ih­re Per­son gleich.

    Ich ha­be mir heu­te fol­gen­den Satz no­tiert: »Un­be­herrsch­te Zeit, be­frei­te, freie, ist was al­lem Aus­druck zu Grun­de liegt.« Ein nur sub­jek­tiv er­fahr­ba­res Mo­ment wird auf ein um­fas­sen­des, ei­nen all­ge­mein­gül­ti­gen Be­griff, be­zo­gen, dar­in liegt ei­ne Span­nung, man könn­te auch sa­gen, ei­ne ge­wis­se Ar­ro­ganz, aber oh­ne sie wä­re der Satz wert­los, weil er dann fast nichts be­an­spru­chen wür­de. Sie kön­nen aus die­sem Satz kei­ne Glei­chung ma­chen, je­den­falls nicht oh­ne ihn zu zer­stö­ren, es gibt aber trotz­dem ei­ne Be­zie­hung zwi­schen un­be­herrscht, be­herrscht, frei und dem Be­griff Aus­druck. Die­ses Sprach­ver­ständ­nis ist sym­bo­lisch, nicht im stren­gen Sinn lo­gisch, der Satz ist aber trotz­dem kri­ti­sier­bar, da­durch, dass man die sym­bo­li­sche Be­zie­hung zwi­schen frei und Aus­druck un­ter­sucht. Da­für dür­fen Sie den Satz aber nicht ver­än­dern, Sie müs­sen sich in das Ge­schrie­be­ne hin­ein füh­len und den­ken.

    Ich be­nen­ne die bei­den Ver­ständ­nis­se ein­mal mit Prä­zi­si­on und Aus­druck (da­mit ist kein lo­gi­sches Aus­schluss­prin­zip ge­meint, et­wa, dass Sie durch Ihr Schrei­ben nichts aus­drücken). Ein Kon­flikt zwi­schen Prä­zi­si­on und Aus­druck ist un­um­gäng­lich, wenn man ihn aber kennt, dann kann man Be­rei­che ab­gren­zen, in de­nen ein Ver­ständ­nis Vor­rang hat oder den Kon­flikt zu klä­ren ver­su­chen. Wor­auf wir uns in der Dis­kus­si­on oben viel­leicht sinn­voll ei­ni­gen kön­nen, ist, dass ein pan­de­mi­sches Ge­sche­hen nicht rein sub­jek­tiv, aber auch nicht bloß ob­jek­ti­vie­rend be­trach­tet wer­den kann, zu­min­dest dann nicht, wenn Be­trof­fe­ne mit am Tisch sit­zen.

    Zu dem Kon­flikt noch ein Bei­spiel, von dem ich die­se Wo­che las: Ei­ne Schlag­zei­le in ei­ner der Gra­tis­zei­tun­gen, um die ich sonst ei­nen Bo­gen ma­che, in­ter­es­sier­te mich. Ich las nach und er­fuhr, dass es Po­li­zei­stra­fen in ei­ner Hö­he von 1000€ gab, weil Ju­gend­li­che, die nicht zu­sam­men woh­nen, händ­chen­hal­tend auf Park­bän­ken sa­ßen. Ob das kor­rekt be­rich­tet wur­de, sei da­hin­ge­stellt, neh­men wir es als Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment und für re­al an, dann kön­nen wir uns den Kon­flikt der an­ge­führ­ten Ver­ständ­nis­se noch ein­mal vor Au­gen füh­ren: Ei­ne de­mo­kra­tisch und recht­lich ein­wand­freie, al­so prä­zi­se Be­stim­mung ver­bie­tet (be­schränkt) ein fun­da­men­ta­les mensch­li­ches Aus­drucks­be­dürf­nis in der Öf­fent­lich­keit (wer je­man­den liebt, möch­te dies aus­drücken, das er­for­dert Nä­he). In der Be­schrän­kung ei­ner exi­sten­zi­el­len Be­find­lich­keit, grün­det sich ein in­di­vi­du­el­les (kein ju­ri­sti­sches) Wi­der­spruchs­recht, das Ei­gen­wil­lig­keit ein­klagt, das gut von ei­ner Straf­tat oder be­lie­bi­gem Non­kon­for­mis­mus ab­grenz­bar ist. Die Ge­müts­re­gung Zorn ist für mich nach­voll­zieh­bar und we­nig ver­wun­der­lich. Se­hen Sie das ähn­lich?

  24. Das se­he ich in der Tat ganz an­ders. Zorn ist in dem Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment Aus­druck selbst­ver­schul­de­ter Ohn­macht (ein sehr ähn­li­cher Fall zwei­er mit­ein­an­der jog­gen­der Le­bens­part­ner mit noch ge­trenn­ten Wohn­sit­zen wur­de vor we­ni­gen Ta­gen im ORF be­rich­tet).

    Was Sie in dem Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment be­schrei­ben, ist ein schla­gen­des Bei­spiel für gäh­nen­de Gleich­gül­tig­keit. Un­se­re Ver­fas­sung kennt kein Grund­recht auf Ah­nungs­lo­sig­keit. Prä­zi­se und recht­lich ein­wand­freie Be­stim­mun­gen sind kei­nes­wegs ge­eig­net, wirk­sa­me Aus­we­ge zu ver­hin­dern.

    Der ei­ne Ju­gend­li­che mel­de sei­nen Haupt­wohn­sitz bei den El­tern des an­de­ren Ju­gend­li­chen, be­hal­te den Zweit­wohn­sitz bei den ei­ge­nen El­tern und schon fällt die po­li­zei­li­che Wohn­sitz­prü­fung in je­der denk­ba­ren Kon­stel­la­ti­on un­auf­fäl­lig aus. Be­hörd­li­cher Wi­der­stand da­ge­gen ist theo­re­tisch zwar denk­bar, prak­tisch aber sehr un­wahr­schein­lich – ins­be­son­de­re wenn der ei­ne Ju­gend­li­che in Be­glei­tung der El­tern des an­de­ren Ju­gend­li­chen zur Wohn­sitz­än­de­rung bei der Mel­de­be­hör­de er­scheint.

    Zi­vi­ler Un­ge­hor­sam kann ge­lei­stet wer­den in der Form, wie Sie in dem Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment dar­stel­len. Zorn hat dar­in al­ler­dings kei­nen Platz. Wirk­sam ge­lei­stet zeig­te sich zi­vi­ler Un­ge­hor­sam durch ver­ab­re­de­te Ak­tio­nen die­ser Art mit ent­spre­chen­der me­dia­ler Auf­merk­sam­keit. Zweck des zi­vi­len Un­ge­hor­sams wä­re, den mo­ra­lisch ge­recht­fer­tig­ten An­spruch auf Be­find­lich­keits­äu­ße­rung de­mon­stra­tiv ge­gen die recht­li­che Be­schrän­kung zu stel­len – wohl­ge­merkt: un­ter be­wuss­ter In­kauf­nah­me der da­mit ver­bun­de­nen, recht­lich ein­wand­frei­en Stra­fe. Das ist völ­lig in Ord­nung. Nicht in Ord­nung aber wä­re, den so­dann eben­falls sich ar­ti­ku­lie­ren­den ge­sell­schaft­li­chen An­spruch auf Ein­hal­tung der Be­schrän­kun­gen als au­to­ri­tä­re An­wand­lung zu­rück­zu­wei­sen.

    Ei­ne öf­fent­li­che De­bat­te hat un­ver­zicht­bar statt­zu­fin­den, in der Für und Wi­der ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen wer­den und zwar nicht von ei­nem der De­bat­te vor­sit­zen­den Rich­ter, son­dern von den De­bat­ten­teil­neh­mern selbst. Sie und nur sie al­lein sind da­zu er­mäch­tigt, ei­nen Kom­pa­ti­bi­li­täts­mo­dus für die wi­der­strei­ten­den Ein­zel­in­ter­es­sen aus­zu­han­deln – falls sie denn al­le für sich in An­spruch neh­men wol­len, eben nicht in ei­ner Schein­de­mo­kra­tie zu le­ben (wie im­mer, ei­ne emp­find­li­che Na­gel­pro­be für all je­ne, die bloß be­haup­ten, in ei­ner De­mo­kra­tie le­ben zu wol­len – dür­fen De­mo­kra­tie­geg­ner von de­mo­kra­ti­schen Ver­hand­lun­gen aus­ge­schlos­sen wer­den?). Ob sie tat­säch­lich da­zu be­fä­higt sind und falls nicht: wes­halb nicht, wä­re m.E. eben­so wich­tig zu er­ör­tern.

    Zum Sprach­ver­ständ­nis möch­te ich mich spä­te­stens mor­gen noch aus­führ­lich äu­ßern.

  25. Ein vor­sorg­lich klar­stel­len­der Nach­trag zum Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment: der von mir skiz­zier­ter Aus­weg fin­det mei­ne Un­ter­stüt­zung nur in­so­fern, als er le­gi­tim und mög­lich ist. Mo­ra­lisch hal­te ich ihn zu­min­dest für be­denk­lich.

  26. @h.z.
    Zwei kur­ze Nach­fra­gen: Zorn wür­den Sie auch nicht zu­ge­ste­hen, im Au­gen­blick der Tren­nung bzw. Straf­er­tei­lung durch die Po­li­zei? Und wenn wir hin­zu­neh­men, dass – re­al oder im Ex­pe­ri­ment – ei­ne Wohn­sit­zum­mel­dung auf Grund der Maß­nah­men nicht mög­lich wä­re?

  27. @metepsilonema
    Sie ge­stat­ten, dass ich wie­der ein­mal die sprach­kri­ti­sche Brech­stan­ge aus mei­ner Werk­zeug­kam­mer ho­le: Auf Ih­re er­ste Nach­fra­ge möch­te ich al­so mit ei­ner Ge­gen­fra­ge re­agie­ren: »Ha­ben Sie auf­ge­hört, Ih­re Frau zu schla­gen?«

    Die zwei­te Nach­fra­ge über­ho­le ich gleich und stel­le fest, dass Zorn be­greif­lich wä­re, wenn die Po­li­zei die Re­ge­lung im Mo­ment der An­hal­tung frisch aus der Luft fin­ge. Dann al­ler­dings wä­re von Un­muts­äu­ße­run­gen der Ju­gend­li­chen drin­gend ab­zu­ra­ten, weil sie auf der Stel­le er­schos­sen wer­den könn­ten.

    Sie ver­ste­hen ge­wiss, was schon das sprach­li­che Pro­blem mit der er­sten Nach­fra­ge ist, die an­de­ren Pro­ble­me mal au­ßen vor. Mei­ne be­reits fer­tig­ge­stell­te Äu­ße­rung zum Sprach­ver­ständ­nis wer­de ich noch­mals grund­le­gend über­ar­bei­ten.

    Bit­te le­gen Sie mir of­fen, was der Zweck un­se­res Aus­tau­sches aus Ih­rer Sicht ist. Ich ha­be das drin­gen­de Be­dürf­nis, mei­nen Auf­wand da­nach aus­zu­rich­ten.

  28. Wenn ich mich zur Un­ter­stüt­zung von me­tep­si­lo­me­na ein­schal­ten darf:

    Bei dem Bei­spiel mit den Händ­chen hal­ten­den Ju­gend­li­chen dürf­te doch auf­fal­len, dass ei­ner­seits das Ver­bot, an­de­rer­seits das Buss­geld von 1.000 EUR (!) krass un­ver­hält­nis­mä­ßig sind.

    Ei­ne hin­rei­chend be­stimm­te und for­mell ord­nungs­ge­mä­sse Rechts­grund­la­ge vor­aus­ge­setzt: Je­den­falls nach deut­schem Recht ist je­de Ein­zel­mass­nah­me am Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz zu über­prü­fen.

    Grund­rechts­schutz be­steht über­dies un­ab­hän­gig von de­mo­kra­ti­schen Mehr­hei­ten. So kann das BVerfG for­mel­le Ge­set­ze des Par­la­ments auf­he­ben. Le­ben wir des­halb in ei­ner Schein­de­mo­kra­tie?

    Wie auch im­mer man zum Shut­down ins­ge­samt ste­hen mag, wür­de die­ses Bei­spiel zei­gen, dass die Exe­ku­ti­ve jeg­li­ches Au­gen­maß ver­lo­ren hat, so auch wenn al­te Men­schen auf­grund der Qua­ran­tä­ne oh­ne den Bei­stand ih­rer An­ge­hö­ri­gen oder – falls gläu­big – oh­ne ei­nes Prie­sters mut­ter­see­len­al­lein ster­ben müs­sen.

    Wer dar­auf mit Zorn re­agiert, zeigt nur sei­ne Mensch­lich­keit.

  29. Er­stens, @Christian Backes, ver­hängt die öster­rei­chi­sche Po­li­zei kein Buß­geld über 1.000 EUR, son­dern er­stat­tet An­zei­ge an die zu­stän­di­ge Ver­wal­tungs­be­hör­de.
    Zwei­tens, dies auch nur dann, wenn nach Ver­war­nung der Auf­for­de­rung zur Ein­hal­tung des Si­cher­heits­ab­stan­des be­harr­lich nicht Fol­ge ge­lei­stet wird.
    Drit­tens, ei­ne der­ar­ti­ge An­zei­ge zieht ein or­dent­li­ches Ver­wal­tungs­straf­ver­fah­ren nach sich, in wel­chem sich die Ju­gend­li­chen ver­ant­wor­ten kön­nen. Fin­det die ver­fah­rens­füh­ren­de Be­hör­de in der Ver­ant­wor­tung der Ju­gend­li­chen kei­nen hin­rei­chen­den Grund, das Straf­ver­fah­ren ein­zu­stel­len, setzt es für je­den Ju­gend­li­chen 500 EUR, wie es im nun mal z.B. im Raum Wien üb­lich ist.
    Vier­tens, ist das BVerfG für Ver­ord­nun­gen des Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­sters nicht zu­stän­dig. Der VfGH kann Ver­ord­nun­gen auch dann nach­träg­lich auf­he­ben, wenn sie schon längst durch Frist­ab­lauf au­ßer Kraft ge­tre­ten sind. Durch ei­ne Auf­he­bung der ent­spre­chen­den Ver­ord­nung fie­le auch der Rechts­grund für die ver­häng­te Ver­wal­tungs­stra­fe weg.
    Fünf­tens, wir le­ben des­halb in ei­ner Schein­de­mo­kra­tie, weil un­ser Herr Bun­des­kanz­ler um Ver­ständ­nis ge­wor­ben hat für ver­fas­sungs­recht­li­che Schlud­rig­kei­ten. Es kön­ne der VfGH zwar ver­fas­sungs­wid­ri­ge Ver­ord­nun­gen auf­he­ben; bis das pas­sie­re, sei­en die Ver­ord­nun­gen aber schon lan­ge nicht mehr gül­tig, als wo­zu die Auf­re­gung, bit­te­schön.
    Sech­stens, schrei­ben Sie in blan­ker Un­kennt­nis der ver­wal­tungs­in­ter­nen Richt­li­ni­en vom Ver­lust jeg­li­chen Au­gen­ma­ßes der Exe­ku­ti­ve und in Un­kennt­nis des gel­ten­den Ver­ord­nungs­tex­tes vom Schick­sal al­ter Men­schen, oh­ne Bei­stand ih­rer An­ge­hö­ri­gen oder gar ei­nes Prie­sters mut­ter­see­len­al­lein ster­ben zu müs­sen.
    Sieb­tens, wer dar­auf mit Zorn re­agiert, zeigt sei­ne un­er­träg­li­che Igno­ranz. Ich schrieb be­reits, dass die Ver­fas­sung kein Grund­recht auf Ah­nungs­lo­sig­keit kennt.

    Zorn, so be­kräf­ti­gen Sie, sei ei­ne ge­recht­fer­tig­te Mensch­li­che Re­gung. Nun, dann schleu­de­re ich Ih­nen mei­nen Zorn ob Ih­rer un­sin­ni­gen In­ter­ven­ti­on ent­ge­gen.
    Gu­ten Abend.

  30. @metepsilonema, vor vie­len Jah­ren hat­te ich auf twoday.net spe­zi­el­le Ly­rik (Mund­art) ver­fasst, der ver­ein­zelt mit aus­ge­spro­chen leb­haf­ter Neu­gier­de be­geg­net wor­den war. Meist saß ich Wo­chen an ei­nem Text, um »das ei­ne« Wort zu fin­den. Man­che Tex­te (vie­le, um der Wahr­heit die Eh­re zu ge­ben) blie­ben un­voll­endet. Ich ha­be mein Be­mü­hen schließ­lich auf­ge­ge­ben. Ge­blie­ben ist mir die er­neu­er­te Freu­de an ge­konn­ter Mehr­deu­tig­keit (will hei­ßen: Of­fen­heit) ei­nes Tex­tes, an des­sen emo­tio­na­ler Ex­plo­ra­ti­on, an der Ge­walt und Schär­fe des Sat­zes, aber auch an der be­schwich­ti­gen­den Schwe­re des Wor­tes, die mir mit­un­ter mei­ne mir selbst un­ver­ständ­lich blei­ben­de Kom­ple­xi­tät er­träg­li­cher macht.

    Sie wer­den be­merkt ha­ben, dass ich mich zu Ih­ren apho­ri­sti­schen Tex­ten nicht äu­ße­re. Der Grund da­für liegt in mei­nem Man­gel an hand­werk­li­chem Rüst­zeug für Text­kri­tik ab­seits von Ge­schmacks­be­kun­dun­gen, nicht in ei­ner höf­lich-di­stan­zier­ten oder gar ab­leh­nen­den Hal­tung zu Ih­ren Tex­ten.

    An­ders ver­hält es sich mit Ih­ren Kom­men­ta­ren, de­nen ich kei­ner­lei apho­ri­sti­schen Cha­rak­ter zu­ge­ste­he. Wür­de ich sol­ches un­ter­neh­men, ent­rück­te ich schon den Kom­men­tar ei­ner sich auf­drän­gen­den in­halt­li­chen Wür­di­gung. Denn künst­le­ri­sche Tex­te füh­ren ein Ei­gen­le­ben im be­sten Sin­ne. Sie wer­den mir ge­wiss glau­ben kön­nen, dass ich da­vor tie­fen Re­spekt ha­be. Ich neh­me al­so nicht Ih­re Spra­che oder Ih­ren Aus­druck aus­ein­an­der, son­dern die In­for­ma­ti­on, die Sie dar­in trans­por­tie­ren. Auf die­se Dif­fe­ren­zie­rung le­ge ich al­ler­größ­ten Wert.

    Kom­men­ta­re span­nen ei­nen De­bat­ten­raum auf – je di­ver­gen­ter, de­sto um­fang­rei­cher der Raum. Im Ge­gen­satz da­zu be­steht die Ge­fahr, dass der De­bat­ten­raum zu ei­ner kläg­li­chen Emp­fin­dungs­bla­se ver­kommt, je ein­för­mi­ger die Ein­las­sun­gen aus­fal­len. In­so­fern hoff­te ich sehr, dass mei­ne Bei­trä­ge nicht als Be­lä­sti­gung auf­ge­fasst wer­den, son­dern schlech­te­sten­falls als druck­vol­le Auf­wei­tung des [Meinungs]Spektrums.

    Aus der aus­schwei­fen­den Vor­re­de mö­ge sich er­hel­len, dass ich in der Kri­tik an Hans For­mu­lie­rung nicht zim­per­lich sein woll­te. Ich gab auch ei­ne aus­führ­li­che Be­grün­dung (1. Abs.) da­für, als Re­ak­ti­on auf Ih­ren mei­ner Kri­tik fol­gen­den Ein­wurf. Wenn Sie nun fin­den, ich be­nut­ze Spra­che wie ein Glei­chungs­sy­stem, ver­wah­re ich mich da­ge­gen ent­schie­den. Ich ana­ly­sie­re sie als sol­ches mit mei­nen be­schei­de­nen Mit­teln, wie ich gleich fol­gend dar­stel­len darf:

    Mein Glei­chungs­sy­stem im Hin­blick auf Hans For­mu­lie­rung lau­te­te (vereinfacht/verkürzt be­tref­fend In­for­ma­ti­ons­ge­halt):

    E = A

    mit

    E . . . . . . . . evo­zier­te Emo­ti­on
    A . . . . . . . . Aus­druck (ein­schließ­lich Aus­sa­ge)

    wo­bei

    Aus­druck . . . Satz[folge]
    Satz . . . . . . . Wort­fol­ge in kor­rekt an­ge­wand­ter Gram­ma­tik
    Wort . . . . . . Be­deu­tung, als Funk­ti­on des Kon­tex­tes

    Sie lä­gen falsch mit Ih­rer Ein­schät­zung, dass ich beim Aus­tausch von Text­seg­men­ten die Ver­än­de­rung des Er­geb­nis­ses E aus den Au­gen ver­lö­re. Denn ge­nau dar­um ging es mir bei der Kri­tik an Hans For­mu­lie­rung, weil ich die­se als un­an­ge­mes­sen und ma­ni­pu­la­tiv er­ach­te­te. Als Sen­si­ti­vi­täts­ana­ly­se wird ein ent­fernt ana­lo­ges Ver­fah­ren im wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Be­reich be­zeich­net. Dass Han le­dig­lich un­re­flek­tiert dem Sprach­ge­brauch des me­dia­len Main­streams ge­folgt sein könn­te, steht auf ei­nem ge­son­der­ten Blatt Pa­pier; um­so mehr muss dies aber ins Be­wusst­sein ge­ho­ben wer­den. Da ich Hans Text mitt­ler­wei­le ken­ne, nei­ge ich Letz­te­rem zu. Viel­leicht ha­ben Sie in­zwi­schen eben­falls be­ob­ach­tet, dass so­wohl in Me­di­en, als auch in Po­li­ti­ker­re­den ver­mehrt der Aus­druck »phy­si­cal di­stan­cing« auf­taucht.

    Auch zu­tiefst be­ein­drucken­de, bil­dungs­sprach­lich her­aus­ra­gen­de Satz­ge­bir­ge sind nicht ge­feit da­vor, auf In­for­ma­ti­ons­ge­halt ab­ge­klopft zu wer­den. Das ge­nau aber ist zu­wei­len die Ab­sicht des Spre­chers: Adres­sa­ten sol­len in über­mä­ßig ela­bo­rier­tem Sprach­ge­we­be der­ma­ßen ge­fan­gen sich wie­der­fin­den, dass sie von an­ge­zeig­ter In­for­ma­ti­ons­pro­ben­ent­nah­me ein­ge­schüch­tert Ab­stand neh­men. Da­mit wä­re der Schritt zur Herr­schafts­spra­che per­fekt ge­lun­gen. Herr­schafts­spra­che und de­mo­kra­ti­scher Dis­kurs in­des ver­tra­gen sich nur sehr, sehr schlecht.

    Die ver­ächt­li­che Be­zeich­nung für ei­ne Sprach­auf­fas­sung, wie ich sie ver­tre­te, ist mir selbst­ver­ständ­lich eben­falls ge­läu­fig: »Sprach­po­li­zei«. Wann im­mer ich da­mit be­wor­fen wer­de (vor­nehm­lich in Kom­men­tar-Fo­ren im derstandard.at), ent­geg­ne ich ge­wöhn­lich, dass ich nicht be­reit bin, mei­ne Zeit auf Recht­fer­ti­gun­gen ge­gen­über Leu­ten zu ver­schwen­den, die sich des se­man­ti­schen und/oder fak­ti­schen Un­sinns erst gar nicht be­wusst sind, den sie un­be­schwer­ten Gei­stes da­her­quat­schen und neh­me die Be­zeich­nung ein­fach hin.

    Der er­ste Ab­satz in #24 ent­hält die sub­li­me Bot­schaft: »ich hal­te Ih­ren Sprach­ge­brauch für un­äs­the­tisch.« Dass Sie mir mei­nen Sprach­ge­brauch nicht vor­hal­ten, weil dies ei­nem An­griff auf mei­ne Per­son gleich­kä­me, steht aus­drück­lich da – was an­dern­falls, mit Ver­laub, Aus­weis er­staun­li­cher Dumm­heit wä­re. Dass ich aus mei­ner in­halt­li­chen Kri­tik an Tex­ten der ge­bo­te­nen Sach­lich­keit ge­schul­det ei­ne zu­nächst vor­han­de­ne Ex­pres­si­vi­tät, wel­che stel­len­wei­se als po­le­mi­sche For­mu­lie­rung miss­ver­stan­den wer­den könn­te, be­wusst und ge­wis­sen­haft her­aus­bür­ste, ent­geht da­bei lei­der voll­stän­dig Ih­rer Auf­merk­sam­keit. Dies bin ich näm­lich ganz all­ge­mein dem Au­tor ei­nes ana­ly­sier­ten Tex­tes schul­dig und es kon­su­miert den größ­ten Teil des Zeit­auf­wan­des. So pfle­ge ich das auch wei­ter­hin zu hal­ten – ein der­ar­ti­ges Ver­fah­ren als äs­the­tisch oder un­äs­the­tisch zu be­zeich­nen, hat die Qua­li­tät ei­nes Ka­te­go­rien­feh­lers.

    Zum En­de kom­mend neh­me ich Ih­ren no­tier­ten Satz auf: »Un­be­herrsch­te Zeit, be­frei­te, freie, ist was al­lem Aus­druck zu Grun­de liegt.« Dem kann ich voll­stän­dig nach­füh­len; um­so mehr, so­bald er in ei­nem po­li­ti­schen Kon­text fällt. Wo­bei dann nicht of­fen blei­ben kann, wel­che In­ter­es­sen­sei­te den Satz spricht und mit wel­cher Sei­te des Satz­schwer­tes da­her der Schnitt ge­führt wird. Im ka­pi­ta­lis­mus­kri­ti­schen Zu­sam­men­hang ent­zün­de­te sich dar­an die De­bat­te, wel­chen Aus­druck Lohn­ab­hän­gi­ge denn über­haupt fin­den kön­nen, de­ren Zeit durch­wegs von Ka­pi­tal­in­ter­es­sen und der Not­wen­dig­keit des un­mensch­li­chen Wett­be­werbs um aus­kömm­li­che Le­bens­mög­lich­kei­ten be­herrscht wird – ganz zu schwei­gen von den mehr oder we­ni­ger dau­er­haft »Still­ge­leg­ten«. In ei­ner Eli­ten­de­mo­kra­tie fällt sol­cher Aus­druck der Be­herrsch­ten au­ßer­or­dent­lich lä­stig und wird da­her sehr sub­til un­ter­bun­den, um kei­ne noch lä­sti­ge­ren Auf­stän­de sich or­ga­ni­sie­ren zu las­sen.

    Ih­rem Ei­ni­gungs­vor­schlag will ich nicht brüsk ab­leh­nen. Nur muss klar sein, dass da­mit im Er­geb­nis für den de­mo­kra­ti­schen Dis­kurs rein gar nichts ge­won­nen ist. Wir stel­len ihn bloß ein; wo­mit mir leid ist um sämt­li­chen Auf­wand und all die Auf­merk­sam­keit, die ge­ra­de Ih­ren Ein­las­sun­gen ich an­ge­dei­hen ließ. Da ich kei­ne in #28 er­be­te­ne Auf­klä­rung be­kom­me, ha­be ich mich ent­schlos­sen, zu die­sem Aus­tausch nichts mehr bei­zu­tra­gen.

  31. Ich glau­be, Sie ver­grei­fen sich im Ton, lie­ber h. z. Erst recht ver­grei­fen Sie sich bei ih­ren Ar­gu­men­ten. Be­zeich­nen­der­wei­se ge­hen Sie näm­lich auf mein zen­tra­les Ar­gu­ment, das der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit, nicht ein. Da­bei ha­be ich ex­pli­zit dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ich den Fall »nach deut­schem Recht« be­trach­te, in der An­nah­me, dass es ei­nen ähn­li­chen Mas­stab für Grund­rechts­ein­grif­fe auch im öster­rei­chi­schen Recht gibt. Nach deut­schem Recht ha­ben das Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­prin­zip auch die Ver­wal­tung und die In­stanz­ge­rich­te an­zu­wen­den.

    Dass Sie mich so­dann über das Straf­ver­fah­ren und die Ver­wer­fungs­kom­pe­tenz des VfGH be­leh­ren, ist in­ter­es­sant. Ich ver­ste­he al­ler­dings nicht, wor­auf Sie da­mit hin­aus wol­len.

    Wor­auf ich hin­aus will: Händ­chen-Hal­ten und der­glei­chen sind spon­ta­ne Ge­fühls­äu­sse­run­gen. Wenn die­je­ni­gen erst ih­ren Wohn­sitz um­mel­den müs­sen, ist es nicht mehr spon­tan; un­ab­hän­gig da­von ist mir je­doch un­ver­ständ­lich, wie Sie sol­che mas­si­ven Ein­grif­fe recht­fer­ti­gen wol­len.

    Der Hin­weis auf al­te Men­schen be­zog sich wie­der­um auf Deutsch­land, wo mir sol­che trau­ri­gen Fäl­le be­kannt ge­wor­den sind. Wenn dies in Öster­reich nicht pas­siert ist, dann kön­nen Sie ja froh sein.

  32. Chri­sti­an Backes, was Sie glau­ben, in­ter­es­siert mich nicht. Sie ha­ben ge­zeigt, dass Sie oh­ne Kennt­nis der Ver­hält­nis­se, das Ge­setz sieht ei­ne Höchst­stra­fe von 3.600 EUR je Ver­wal­tungs­über­tre­tung vor, Ihr per­sön­li­ches Emp­fin­den aus­stel­len. Um ein Wort Ge­org Schramms im »Schei­ben­wi­scher« (2003) zu ent­leh­nen: Das hier ist kei­ne emo­tio­na­le Piss­rin­ne. Kommt als näch­stes ein Hin­weis auf Spa­ni­en oder die Nie­der­lan­de? (da­bei han­delt sich’s um ei­ne rhe­to­ri­sche Fra­ge, de­ren Be­ant­wor­tung nicht vor­ge­se­hen ist)

  33. @metepsilomena
    Ich kann dem, was Sie schrei­ben, gut fol­gen, weil sich mir, glau­be ich, ähn­li­che Fra­gen stel­len. Ed­gar Reitz hat vor ein paar Ta­gen ge­sagt: »Das ist ein Zei­chen für Angst. Die Men­schen ha­ben ei­ne Sehn­sucht da­nach, dass ih­nen je­mand sagt, was sie tun sol­len. Ganz of­fen­sicht­lich gibt es auch un­ab­hän­gig von der Pan­de­mie ein Ge­fühl der Un­si­cher­heit in der Ge­sell­schaft.« Ich ver­ste­he Sie so, dass Ih­re Über­le­gun­gen in ei­ne ähn­li­che Rich­tung ge­hen. Aus die­ser Per­spek­ti­ve ist es nicht das Vi­rus, das die Angst ver­ur­sacht, son­dern die be­reits vor­han­de­ne Angst hängt sich an das Vi­rus, um sich zu ob­jek­ti­vie­ren, es dient ihm als Sym­bol oder Pro­jek­ti­ons­flä­che. Hier­für scheint das Vi­rus gut ge­eig­net, weil es ei­ner­seits wis­sen­schaft­lich be­stä­tigt ist, ob­jek­ti­ve Rea­li­tät be­sitzt, an­de­rer­seits neu­ar­tig ist, un­be­kann­te Ge­fah­ren birgt. »Aus die­ser Per­spek­ti­ve« heisst, dass es nur ei­ne von vie­len ist, da­ne­ben be­stehen an­de­re, und da­mit will ich be­to­nen, dass es auch wei­ter­hin un­ter­schied­li­che Per­spek­ti­ven gibt. Das Vi­rus selbst wirkt sich ja ganz un­ter­schied­lich aus – und trotz­dem dient es da­zu, dass Kol­lek­tiv auf EINE Per­spek­ti­ve ein­zu­schwö­ren.

    Ih­re Ge­gen­über­stel­lung oder Un­ter­schei­dung von Funk­tio­na­li­tät und Le­ben (oder In­ten­si­tät, die sich mei­ner Er­fah­rung nach dar­aus speist, dass man Wag­nis­se ein­geht er­scheint mir eben­falls un­ter­be­lich­tet; viel­leicht spä­ter oder an an­de­rer Stel­le da­zu mehr.

  34. Um das La­ger­feu­er der Dis­ku­tan­ten viel­leicht noch ein we­nig zum Glü­hen zu brin­gen, sei mir der Ein­wurf des In­ter­views des deut­schen Bun­des­tags­prä­si­den­ten Wolf­gang Schäub­le (CDU) er­laubt. Für die öster­rei­chi­schen Dis­ku­tan­ten sei er­wähnt, dass der Bun­des­tags­prä­si­dent in der Po­li­ti­ker­hier­ar­chie in Deutsch­land an zwei­ter Po­si­ti­on nach dem Bun­des­prä­si­den­ten, aber un­be­dingt vor dem Bun­des­kanz­ler steht. Den Grund für die­se pri­vi­le­gier­te Po­si­ti­on ha­be ich nie ver­stan­den, was nichts hei­ßen muss; es ist mög­lich, dass es hier­für hin­rei­chen­de for­mal­ju­ri­sti­sche Grün­de gibt.

    Der zwei­te Mann des Staa­tes tä­tigt al­so in ei­nem In­ter­view fol­gen­de Äu­ße­rung:

    Aber wenn ich hö­re, al­les an­de­re ha­be vor dem Schutz von Le­ben zu­rück­zu­tre­ten, dann muss ich sa­gen: Das ist in die­ser Ab­so­lut­heit nicht rich­tig. Grund­rech­te be­schrän­ken sich ge­gen­sei­tig. Wenn es über­haupt ei­nen ab­so­lu­ten Wert in un­se­rem Grund­ge­setz gibt, dann ist das die Wür­de des Men­schen. Die ist un­an­tast­bar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir ster­ben müs­sen.

    Die Nach­fra­ge der Jour­na­li­sten (»Man muss in Kauf neh­men, dass Men­schen an Co­ro­na ster­ben?«) be­ant­wor­tet er:

    Der Staat muss für al­le die best­mög­li­che ge­sund­heit­li­che Ver­sor­gung ge­währ­lei­sten. Aber Men­schen wer­den wei­ter auch an Co­ro­na ster­ben.

    Schäub­le er­gänzt sei­ne Aus­sa­ge, in dem er auf sich selbst als Hoch­ri­si­ko­pa­ti­ent hin­weist.

    Es braucht nicht er­wähnt zu wer­den, dass Schäubles Ab­ge­sang an den Le­bens­schutz (der im üb­ri­gen – so­weit hät­te er ei­gent­lich le­sen kön­nen – in Ar­ti­kel des GG noch ein­mal ex­pli­zit aus­ge­drückt ist: »Je­der hat das Recht auf Le­ben und kör­per­li­che Un­ver­sehrt­heit.«) bei al­len Locke­rungs­ar­ti­sten auf gro­ßen Bei­fall stößt.

    Lei­der scheint man die Kon­se­quenz in an­de­ren Le­bens­be­rei­chen nicht durch­dacht zu ha­ben. War­um soll­te man bei­spiels­wei­se noch ein bren­nen­des Haus lö­schen? Oder ei­nen Mör­der mit Hil­fe der Po­li­zei su­chen? War­um gibt es ei­ne An­schnall­pflicht im Au­to? War­um gibt es über­haupt Ge­schwin­dig­keits­be­gren­zun­gen im Au­to­ver­kehr? (Ein Lieb­lings­feld li­ber­tä­rer Den­ker – ähn­lich dem des Waf­fen­rechts in den USA.)

    Im üb­ri­gen hat nie­mand be­haup­tet, dass das Grund­ge­setz da­für zu­stän­dig sei, dass man nicht mehr stirbt. Die­ser Ein­schub von Schäub­le ist lä­cher­lich und ver­klei­stert be­wusst die Di­men­si­on sei­nes Dik­tums. Kon­kret stel­le ich mir jetzt bei­spiels­wei­se die Fra­ge, wie die »Wür­de des Men­schen« über sein Recht auf Le­ben ver­or­tet wer­den kann? Wird das ein »wür­de­vol­les Ster­ben« über die Hin­ter­tür ein­ge­for­dert? Im­mer­hin hat­te der deut­sche Ge­sund­heits­mi­ni­ster En­de letz­ten Jah­res ei­nen Ge­setz­ent­wurf über das Ver­bot der ge­schäfts­mä­ßi­gen Ster­be­hil­fe ein­ge­bracht. Nach­dem die­ser durch das Par­la­ment ver­ab­schie­det wur­de, gab es Kla­gen vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Und tat­säch­lich ent­schied das Ge­richt, dass das Ge­setz ver­fas­sungs­wid­rig sei. Be­grün­det wur­de dies mit dem Recht auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben, für das man auch die Hil­fe Drit­ter in An­spruch neh­men dür­fe. Spahn legt sich noch quer; der Aus­gang dürf­te klar sein.

    Die Sa­che ist in­so­fern in­ter­es­sant – und ragt weit über das Apho­ri­sti­sche hin­aus – in­wie­fern die Wür­de auf ein »selbst­be­stimm­tes Ster­ben« auch die Un­ter­las­sungs­lei­stung des Staa­tes im Fal­le ei­ner Pan­de­mie ein­schließt. Längst kur­sie­ren Do­ku­men­te un­ter Ärz­ten, was im Fal­le ei­ner Über­la­stung des Ge­sund­heits­sy­stems zu tun ist – Stich­wort: Tria­ge.

    Schäubles Äu­ße­run­gen grei­fen frü­her: Sie stel­len den ord­nungs­ge­mä­ssen Ab­lauf ei­nes All­tags­le­bens über das po­ten­ti­el­le Recht des Ein­zel­nen auf Le­ben. Es ist al­so wich­ti­ger, dass Ki­tas und Schu­len ge­öff­net sind, dass Re­stau­rants und Shop­ping-Mei­len Um­sät­ze tä­ti­gen als die aus die­sen Hand­lun­gen im Rah­men ei­ner Pan­de­mie re­sul­tie­ren­den Kon­se­quen­zen zu be­den­ken.

    Die so oft (auch hier) be­schwo­re­nen »Grund­rech­te« ex­klu­die­ren al­so das Recht auf Le­ben, selbst wenn man weiß, wel­che Kon­se­quen­zen es ha­ben kann (das ist der Un­ter­schied zum All­tags­le­ben ge­ne­rell, in dem es tat­säch­lich durch Un­fäl­le im­mer wie­der zu To­ten kommt). Zu En­de ge­dacht be­deu­tet dies nichts an­de­res als das Pri­mat ei­nes markt­wirt­schaft­li­chen ge­präg­ten All­tags über das In­di­vi­du­al­recht. To­te wäh­rend ei­ner Pan­de­mie wä­ren dem­nach hin­zu­neh­men­de Kol­la­te­ral­schä­den.

    Lt. Stu­die des deut­schen Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­ri­ums wür­den oh­ne ent­spre­chen­de Maß­nah­men bis zu 1 Mio. To­te mög­lich sein. Soll­te es, wie bei der Spa­ni­schen Grip­pe 1918/19 zu ei­ner zwei­ten In­fek­ti­ons­wel­le kom­men, ist die­ses Sze­na­rio durch­aus mög­lich (die zwei­te Wel­le da­mals war sehr viel stär­ker). Aber laut Herrn Schäub­le, der im üb­ri­gen als zwei­ter Mann im Staat im­mer si­cher auf ent­spre­chen­de me­di­zi­ni­sche Be­treu­ung set­zen kann, blie­be da­mit die Wür­de je ge­wahrt.

    .-.-.-

    Dies ist ein kur­zer Ein­wurf mei­ner­seits. Be­dingt durch an­de­re Tä­tig­kei­ten wer­de ich ei­ner Dis­kus­si­on nicht oder nur sehr be­grenzt fol­gen kön­nen. Ich wün­sche in den Kom­men­ta­ren die Be­ach­tung der Höf­lich­keit. Un­ter­stel­lun­gen, sich im Ton zu ver­grei­fen, bit­te ich zu­künf­tig ent­we­der zu un­ter­las­sen oder zu be­le­gen. Mer­ci.

  35. @h.z.
    Ich war die letz­ten Ta­ge pri­vat in An­spruch ge­nom­men. Falls Sie noch In­ter­es­se ha­ben (#28), kann ich Ih­nen den zen­tra­len Punkt nen­nen, der mich be­schäf­tigt (be­zo­gen auf das Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment in #24). Ich ha­be die nach­fol­gen­den Kom­men­ta­re noch nicht ge­le­sen, mei­ne Nach­fra­ge aus #25 hat­te ich schnell ab­ge­tippt, ich woll­te Ih­nen nichts un­ter­stel­len, ich bit­te das nicht krumm zu neh­men.

  36. @Christian Backes
    In­ten­si­tät kann ein Wag­nis be­deu­ten, ist aber kei­nes­wegs dar­an ge­bun­den.

    Ich wur­de heu­te um ein Ge­spräch ge­be­ten, das sich um die po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen dreh­te, die aus Angst ent­ste­hen könn­ten (mich hat das nach­denk­lich ge­macht, da das je­mand war, der über­haupt nicht leicht zu be­un­ru­hi­gen ist). Aber wir ha­ben ei­nen Kon­sens, den­ke ich, dass Angst po­li­tisch miss­braucht wer­den kann.

    @Gregor
    Wenn ein »Lock­down« ei­ne über Wo­chen an­dau­ern­de Lö­sung sein soll, dann muss (soll­te) die Po­li­tik die Fol­gen kon­se­quent be­ob­ach­ten, al­so lau­fend eva­lu­ie­ren in­wie­weit Fol­ge­schä­den und ‑to­te aus z.B. den ein­ge­schränk­ten Lei­stun­gen der Spi­tä­ler re­sul­tie­ren. To­te darf man ge­gen To­te ab­wie­gen und Schä­den ge­gen Schä­den. Sind Schutz und Locke­rung gleich­zei­tig mög­lich, oh­ne mo­ra­li­sche oder dis­kri­mi­nie­ren­de Be­schrän­kun­gen, oh­ne je­mand un­ver­hält­nis­mä­ßig zu ge­fähr­den, spricht m.E. nichts da­ge­gen.

  37. @h.z.
    Ich freue mich, dass Sie sich noch ein­mal mel­den, weil ich Ih­re Ein­las­sung – sie­he #31 – sehr schön fin­de. Ich ge­he ei­nen Um­weg über #31 und kom­me dann wie­der auf das Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment zu­rück.

    Zu #31: Ich emp­fin­de Ih­re Kom­men­ta­re kei­nes­wegs als Be­lä­sti­gung, ich ge­ste­he aber, dass die­se mich emo­tio­nal mit­neh­men, deut­lich mehr, als das in der Re­gel der Fall ist (das liegt nicht am In­halt und ich mei­ne da­mit auch nicht, dass Sie mich per­sön­lich an­grei­fen).

    Mei­ne Schwie­rig­keit be­züg­lich der Satz­um­stel­lun­gen ist nicht das Er­geb­nis der Ana­ly­se und ich ge­he mit Ih­nen völ­lig kon­form dar­in, dass auch bil­dungs­sprach­li­che Sät­ze ab­ge­klopft wer­den müs­sen, ja ge­ra­de die­se. Aber Sie ver­än­dern durch die Um­stel­lun­gen den Re­de­cha­rak­ter des Sat­zes und zu­min­dest mich ir­ri­tiert das und zwar kei­nes­wegs nur bei mei­nen ei­ge­nen Sät­zen. Ein klas­si­sches Zi­tat und dar­un­ter die Ana­ly­se, tä­te das nicht. Aus de­mo­kra­ti­scher Sicht, wie Sie schrei­ben, ist die in­halt­li­che De­bat­te un­be­dingt zu füh­ren und ich will kei­nes­falls auf ei­ne Ein­stel­lung hin­aus (ich möch­te mich auch nicht im­mu­ni­sie­ren).

    Die Emo­ti­on, die die Re­de trägt, wird in ihr sicht­bar und zeigt, dass die Re­de un­se­re ei­ge­ne ist; sie ist de­mo­kra­tisch, weil sie auf ein be­stimm­tes Sub­jekt ver­weist. Be­stimmt die Emo­ti­on an­stel­le von Ar­gu­men­ten ei­nen Sach­ver­halt, dann spre­chen wir von Mei­nung. Ver­sucht die Emo­ti­on ei­ne Per­son zu be­stim­men, dann liegt ein un­sach­li­cher An­griff vor; hier ver­liert sie ih­re de­mo­kra­ti­sche Recht­fer­ti­gung.

    [Ei­ne An­mer­kung: Nein, Ih­re Spra­che ist nicht un­äs­the­tisch, das ist gar nicht mög­lich. Ich emp­fin­de sie als sehr ge­pflegt, sie ver­weist auf ei­nen Spre­cher mit ho­hem Sprach­be­wusst­sein. Ich hör­te sei­ne wei­chen La­gen ger­ne häu­fi­ger, aber ei­ne Stim­me ist eben ei­ne, weil sie ist und bleibt, was sie ist.]

    Wenn ich das auf un­ser Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment be­zie­he und die Ebe­ne des Pär­chens be­trach­te, dann ist je­der sich ein­stel­len­de Ge­fühls­zu­stand, je­de emo­tio­na­le Re­gung als Re­ak­ti­on auf die Po­li­zei­kon­trol­le in ih­rer Exi­stenz eh­rens­wert. Was nicht be­deu­tet, dass je­de Hand­lung, die sie aus­lö­sen kön­nen, dies wä­re. Et­wa: Ver­hal­ten sich die Be­am­ten höf­lich und ih­rem dienst­li­chen Auf­trag an­ge­mes­sen, dann gibt es kei­nen Grund un­flä­tig zu sein. Die Stra­fe muss be­zahlt wer­den, au­ßer es be­steht ei­ne recht­li­che Mög­lich­keit dies nicht zu tun. Was ich her­aus­strei­chen möch­te, ist, dass das Pär­chen – ge­mein­sam oder al­lein – sich mit der Si­tua­ti­on red­lich aus­ein­an­der­set­zen soll­te: Ist Zorn vor­han­den, muss er ak­zep­tiert und dann be­fragt wer­den. Er ist le­gi­tim, darf aber die recht­li­chen Gren­zen nicht über­schrei­ten; er­kennt das Pär­chen, die von Ih­nen oben ge­schil­der­te recht­li­che Si­tua­ti­on, dann soll­te das zu sei­nem Ab­schwel­len bei­tra­gen. Bleibt er vor­han­den, muss ihm wei­ter nach­ge­gan­gen wer­den; er kann auch zur Trieb­fe­der zi­vi­len Wi­der­stands wer­den, wie von Ih­nen be­schrie­ben (nicht je­doch als Äu­ße­rung).

    Emo­tio­na­le Ei­gen­wil­lig­keit soll­te je­der­zeit ge­stat­tet sein, die Über­tra­gung von Emo­tio­nen kennt als Gren­ze zu­min­dest die Höf­lich­keit, ei­gen­wil­li­ges Han­deln hat sei­ne Gren­ze spä­te­stens in den Schran­ken die Recht und Ge­setz auf­er­le­gen. Ich glau­be, dass die ka­pi­ta­li­sti­sche Le­bens­welt Ei­gen­wil­lig­keit stets in Dienst neh­men möch­te, auch des­we­gen soll­ten wir sie schät­zen.

  38. Ku­rio­ser­wei­se se­he ich mich der­zeit selbst mit der Not­wen­dig­keit ei­ner Maß­nah­men­be­schwer­de ge­gen ei­ne po­li­zei­li­che Amts­hand­lung kon­fron­tiert. Dies als In­for­ma­ti­on, da ich ei­ni­ge Ta­ge lang mei­ne Kon­zen­tra­ti­on von der Dis­kus­si­on ab­zie­he.

    Wäh­rend ei­ner er­sten Ein­ar­bei­tung in die Vor­schrif­ten des Ver­wal­tungs­straf­ge­set­zes stieß ich üb­ri­gens auf den Grund da­für, wes­halb Straf­aus­sprü­che we­gen Ab­stands­ver­let­zun­gen im Kon­text der CO­VID-Kri­se ge­ra­de EUR 500 aus­ma­chen. Dies ist der höch­ste Straf­be­trag, der in ei­nem be­schleu­nig­ten Straf­ver­fah­ren im We­ge ei­ner Straf­ver­fü­gung ver­hängt wer­den kann.

    Auf G.Ks. An­mer­kun­gen in #36 ist vor dem Hin­ter­grund des bis­he­ri­gen Dis­kus­si­ons­ver­laufs (Be­deu­tung der Angst) und der ak­tu­el­len Ent­wick­lung hier­zu­lan­de (ver­mu­te­te »Pa­nik­ma­che« der Re­gie­rung) un­be­dingt noch ein­zu­ge­hen. Die ver­link­ten Tex­te (dan­ke da­für!) sind aus mei­ner Sicht für je­den an der De­bat­te In­ter­es­sier­ten ge­ra­de­zu Pflicht­lek­tü­re.

  39. Ich ha­be mich bis­her nicht so ge­nau mit den Buß­gel­dern für Ver­stö­sse zu den Co­ro­na-Re­geln bzw ‑Ge­set­zen be­schäf­tigt. Ich glau­be, in Bay­ern muss man 150 Eu­ro bei ei­nem Ver­stoss ge­gen das »all­ge­mei­ne Ab­stands­ge­bot« be­zah­len. 500 Eu­ro sind fäl­lig, wenn man bspw. ein Al­ten­heim be­tritt. (Auch das hal­te ich für voll­kom­men über­zo­gen.)

    500 Eu­ro fin­de ich voll­kom­men un­an­ge­mes­sen. Ich wür­de die­sen Be­scheid nicht be­zah­len.

  40. In­ter­es­sant die An­mer­kung zum Straf­be­trag, dan­ke. Und viel Er­folg mit Ih­rer Be­schwer­de!

    Ich bin nur in­so­fern ein we­nig ver­wun­dert, da das deut­sche Pa­pier ja schon lan­ge be­kannt ist. Mich ha­ben des­halb die Hin­wei­se, die bei uns nun auf­ge­taucht sind, nicht son­der­lich über­rascht.

  41. Was Herr Schäub­le sagt, ent­spricht m. W. noch im­mer der herr­schen­den Ver­fas­sungs­leh­re. Das Grund­recht auf Le­ben und kör­per­li­che Un­ver­sehrt­heit kennt – an­ders als die Men­schen­wür­de – ei­nen Ge­set­zes­vor­be­halt und gilt des­halb nicht ab­so­lut. Die Grund­rech­te schüt­zen in er­ster Li­nie vor di­rek­ten staat­li­chen Ein­grif­fen, die zu un­ter­las­sen sind, wenn sie Grund­rech­te ver­let­zen.. Da­ne­ben sind die Grund­rech­te nach Recht­spre­chung des BVerfG auch als Schutz­pflich­ten kon­zi­piert, d. h. der Staat muss die grund­recht­lich ge­schütz­ten Gü­ter ak­tiv schüt­zen. Bei die­sen Mass­nah­men ist der Staat re­la­tiv frei, muss aber die Gren­zen an­de­rer Grund­rech­te be­ach­ten. So ist es ihm z. B. nicht er­laubt, Fol­ter an­zu­wen­den, um Le­ben zu schüt­zen, weil Fol­ter als Ver­let­zung der Men­schen­wür­de gilt – viel­leicht er­in­nern Sie sich an den Fall Gäff­gen? Viel­leicht är­gert Sie, Herr Keu­sch­nig, aber nur der Zeit­punkt, zu dem Herr Schäub­le dar­auf hin­weist.

    Die Ana­lo­gien, die Sie bil­den, leuch­ten mir nun eben­falls nicht ein. Im Ge­gen­teil: Wür­de der Staat han­deln wie in der Kri­se jetzt, müss­te er ja den Au­to­ver­kehr kom­plett lahm­le­gen bzw. auf »sy­stem­re­le­van­te« Fahr­ten be­gren­zen. Wür­de Ge­sund­heits- und Le­bens­schutz ab­so­lut gel­ten, müss­te der Staat kon­se­quent zu En­de ge­dacht auch das le­bens­ret­ten­de Ver­hal­ten von Ärz­ten, Pfle­gern, Feu­er­wehr­leu­ten etc. ver­bie­ten, so­weit die­se sich da­mit in Le­bens- und Ge­sund­heits­ge­fahr be­ge­ben.

    M. E. steht auch nicht das in­di­vi­du­el­le Recht auf Leben/Gesundheit ge­gen die Markt­wirt­schaft. Denn die Mass­nah­men soll­ten in er­ster Li­nie ei­ne be­fürch­te­te Über­la­stung der Ge­sund­heits­ver­sor­gung ver­hin­dern und so­mit nur mit­tel­bar dem in­di­vi­du­el­len Schutz die­nen. Für mich er­gibt sich vor­läu­fig das Bild, dass der shut­down nichts ge­bracht hat – d. h. nicht ein­mal not­wen­dig war. Die vom RKI zu­letzt ver­öf­fent­lich­te R‑Kurve legt dies je­den­falls na­he.

    Wie­so wird jetzt Angst vor ei­ner 2. Wel­le ge­schürt? Wel­che be­last­ba­ren Anhaltspunkte/ Da­ten gibt es da­für? (Auf te­le­po­lis las ich ge­ra­de, dass die WHO selbst die har­ten Mass­nah­men für we­nig ef­fi­zi­ent hält.)

    So­weit mir be­kannt, gilt in Not­fäl­len, ge­ra­de kei­ne Pa­nik zu ver­brei­ten. Wie­so weicht das von Ih­nen ver­link­te Stra­te­gie­pa­pier da­von ab und rät da­zu, die Leu­te in Pa­nik zu ver­set­zen? Was soll das denn bit­te sehr?

    Ich ha­be mich be­wusst kurz ge­fasst, ein­mal man­gels Zeit, dann um den Kom­men­tar nicht aus­ufern zu las­sen. Des­halb be­to­ne ich noch­mals die Vor­läu­fig­keit.

    Eben­so will ich be­to­nen, dass Sie ein ern­stes The­ma – die me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung / das Ster­ben al­ter Men­schen – an­spre­chen, das uns in den näch­sten Jah­ren auf­grund der de­mo­gra­phi­schen Ent­wick­lung be­schäf­ti­gen wird, erst recht, wenn die Wirt­schaft in ei­ne län­ger­fri­sti­ge Kri­se ge­rät. Auch hier soll­te man dif­fe­ren­zie­ren, Leit­ge­dan­ke aber sein, den Be­trof­fe­nen ei­ne freie Wahl zu er­mög­li­chen, wel­che Mass­nah­men sie wol­len oder nicht. Auch un­ter die­sem Ge­sichts­punkt se­he ich das exe­ku­ti­ve Han­deln jetzt nicht als »hilf­reich« an.

  42. @Gregor Keu­sch­nig
    Zur Zeit stu­die­re ich aus er­wähn­tem An­lass (hat nichts mit »Co­ro­na« zu tun) Un­men­gen an Ent­schei­dun­gen der Ver­wal­tungs­ge­rich­te. Ei­ne Beschwerde/Berufung ge­gen die Straf­hö­he ist zwar mög­lich, aber mit enor­mem Ko­sten­ri­si­ko ver­bun­den. Falls die Be­schwer­de ab­ge­wie­sen wird, kön­nen die Ko­sten des Rechts­mit­tel­ver­fah­rens je nach Ver­fah­rens­gang rasch die Hö­he der be­kämpf­ten Stra­fe er­rei­chen bzw. deut­lich über­stei­gen.

    Das Ri­si­ko der Ab­wei­sung ist so hoch, da neu­ar­ti­ge Rechts­ma­te­rie an­ge­wen­det wird. Ei­ne weit­rei­chen­de Klä­rung kann na­tür­lich durch An­ru­fung der Höchst­ge­rich­te her­bei­ge­führt wer­den. Doch bis zur de­ren Ent­schei­dung sind die bis­her auf­ge­lau­fe­nen Ko­sten (Stra­fe + Ver­fah­rens­ko­sten) zu be­zah­len. Ein ne­ga­ti­ves Ver­fah­ren vor ei­nem Höchst­ge­richt kann eben­falls die ur­sprüng­li­che Straf­hö­he er­heb­lich über­stei­gen, sei noch an­ge­merkt.

    Mitt­ler­wei­le gibt es für Exe­ku­tiv­or­ga­ne die Mög­lich­keit, so­ge­nann­te Or­gan­man­da­te an Ort und Stel­le aus­zu­stel­len (ver­gleich­bar mit den Buß­gel­dern in D?), die sich in der Hö­he von € 25 – 50 be­we­gen. Da­zu wird aber all­ge­mein nicht ge­wusst, dass Vor­aus­set­zung für ein Or­gan­man­dat ein vor­lie­gen­des Ge­ständ­nis ist. Aus die­sem Grund sind Or­gan­man­da­te auch recht­lich nicht be­kämpf­bar. Im Zwei­fels­fall da­her im­mer auf ei­ner An­zei­ge be­stehen we­gen der Ver­fah­rens­rech­te und dem Rechts­schutz!

    Prin­zi­pi­ell ist nicht nur zu­läs­sig, son­dern ge­sell­schaft­lich auch not­wen­dig, un­ter­schied­li­che Rechts­auf­fas­sun­gen hin­sicht­lich der Straf­hö­hen bis zum En­de aus­zu­fech­ten. Lei­sten muss man sich’s eben kön­nen.

    @metepsilonema, in die­sem Fall schei­ne ich »spät dran« zu sein. Das mag viel­leicht ei­nen Teil der ver­spür­ten Dif­fe­ren­zen er­klä­ren.

  43. Was mich är­gert, ist un­in­ter­es­sant. Ih­re rhe­to­ri­schen Fra­gen sind Kau­gum­mi­bla­sen und von gro­ßer Igno­ranz, in ei­nem Fall so­gar von Un­kennt­nis, ge­prägt. Wenn Sie wis­sen möch­ten, was die Stu­die des BMI be­zwecken soll, müs­sen Sie das BMI fra­gen. Den Dum­men­spruch »Freie Fahrt für freie Bür­ger« mit der die Au­to­bahn­ra­se­rei einst (und jetzt) in Deutsch­land un­ter­malt wird, va­ri­ie­ren Sie zu »Freie An­steckung für freie Bür­ger«. Und da Sie sug­ge­rie­ren, dass Markt­wirt­schaft (bzw. das, was Sie da­für hal­ten) über das Recht auf Le­ben steht, ha­ben Sie die Ba­sis ver­las­sen, mit der ich zu dis­ku­tie­ren be­reit bin.

  44. Lie­ber Herr Keu­sch­nig, ich re­spek­tie­re Ih­ren Wunsch, und dies wird mein letz­ter Kom­men­tar hier sein. Ich selbst ha­be auch kei­ne Lust mehr. Sie ha­ben in Be­zug auf das In­ter­view von Herrn Schäub­le Ih­re ver­fas­sungs­recht­li­che Un­kennt­nis ge­zeigt. Dar­auf ha­be ich Sie hin­ge­wie­sen, und nach mei­nem Emp­fin­den: oh­ne Sie zu schul­mei­stern. Was die epi­do­mo­lo­gi­sche Si­tua­ti­on an­geht, ha­be ich mei­ne Aus­füh­run­gen ex­pli­zit als vor­läu­fig, fal­libel hin­ge­stellt – Sie hät­ten mir al­so ger­ne mei­nen Irr­tum auf­zei­gen kön­nen. Das ist mir aber noch egal.

    Nicht egal ist mir, wenn Sie mir Po­si­tio­nen un­ter­stel­len, die ich nicht ver­tre­te. Ich ha­be nicht sug­ge­riert, dass für mich die »Markt­wirt­schaft« über dem Schutz des Le­bens steht. Das ge­naue Ge­gen­teil ist der Fall. Ich ha­be le­dig­lich pro­phe­zeit, dass uns (= als Ge­sell­schaft) sol­che Dis­kus­sio­nen in­fol­ge der de­mo­gra­phi­schen Ent­wick­lung be­vor­ste­hen, d. h. sie ha­ben be­reits be­gon­nen und wer­den sich ver­schär­fen – so könn­te un­ter­schwel­lig Druck auf al­te Men­schen ent­ste­hen, sich sol­cher Ster­be­hil­fe­mög­lich­kei­ten zu be­die­nen. Das se­he ich ne­ga­tiv – und zeigt, dass es mir zu­gleich auch da­bei um die in­di­vi­du­el­le Frei­heit geht. Die­se kommt in ih­rem Den­ken aber nicht vor – al­len­falls als Miss­brauch (»Au­to­bahn­ra­se­rei«).