Die Krise weist auf den Scheideweg hin: Die Künste lieben, über Ästhetik reden, vielleicht sogar Gedichte empfehlen und seine Existenz an die Mathematik delegieren, das kann man nicht. Freilich: Man kann, zeigt damit aber auch, wie ernst einem mit alledem ist.
* * *
Die Rede des Erzählers ist nicht belanglos, weil sie eine Rede ist. Das Gegenteil ist der Fall, die in ihr aufgehobene Intensität ist ihr Grund.
* * *
Der Erzähler bleibt lebendig, weil er erzählt.
* * *
Die Mathematik entkleidet, Zahlenhaftigkeit ist das Dürrste, was von einem Lebewesen oder Ding noch bleiben kann. Ein Datum wird durch Entäußerung und ist als Rede nicht mehr zu fassen.
* * *
Spring ruhig, meinte der lustige Mensch, ich wähle in der Not noch meine Stimme und als Gefährten den Humor.
* * *
Während der Krise kehrten einige Zugvögel zurück. Darunter: Die Wendehälse.
* * *
Der potenzielle Irgendwer ist dingfest zu machen!, rief die Vernunft. Der lustige Mensch aber trieb weiter seine Scherze. Sein Lachen sollte ihm bald vergehen.
* * *
Am sprichwörtlichen Detail, das zur Welt werden kann, am sinnlichen Residuum, wird der Verrat am Augenscheinlichsten: Durch ein Kunstwerk wird es sichtbar, durch eine Gleichung unsichtbar.
* * *
Die Mathematik entkleidet das Individuum. So und nur so, fügt es sich in die Rechnung. Der lustige Mensch bemerkte dazu: Auch eine Gleichung ist ein Symbolsystem, sich ihr zu unterwerfen bedeutet jedoch nicht, dass man davon kommt.
* * *
Die Krise ist die äußere, gesellschaftsumgreifende Spiegelung vom Ursprung künstlerischer, nicht: Begabung, sondern: Stimme. In ihr schwingt mit, was an Verletzungen blieb, was nicht geheilt werden konnte, sondern der symbolischen Linderung bedarf.
* * *
Seine Seele wird einem Individuum sichtbar dort, wo es nicht funktionieren muss.
* * *
Ein Datum ist entkleidete Wirklichkeit.
* * *
In der Krise beginnt das sich selbst abstrakt gewordene Leben zu wimmern, auf die Mathematik zu hören und die Technik zu hoffen.
* * *
Es gibt manch einen, stellte der lustige Mensch fest, der in die Wüste geht, um seinen Durst zu stillen.
* * *
Die das Individuum beim Betrachten oder Hören erfassende Intensität, lässt ihm die eigene Existenz bewusst werden, es kommt wieder zu sich, erkennt, dass das Dasein etwas bedeutet; dies ist die heilende Kraft, die den Kunstwerken innewohnt. Sie schenken Lebendigkeit. Die Kunst darüber zu einer Religion zu machen oder einer Heilslehre, bedeutet zu vergessen, dass diese Möglichkeit im ästhetischen Vermögen des Menschen begründet liegt, sie sollte sich nicht anrechnen, was zu anderem auch gehört. Allerdings überschreitet die Kunst alles bloß in seiner individuellen Funktionalität Ästhetische als Werk. – Empfindung und Empfinden sind durch den Vorgang des Machens, der seine Anleihen an der technischen Fertigung nimmt, nicht zu ersetzen. Der Kitsch bezeugt ebendies; er zeigt in seinem Scheitern, dass Empfindung in ihrem Ursprung kein Wollen ist und nicht hergestellt werden kann. Er täuscht, anstatt zu heilen.
* * *
Der Vorgang des Werdens erhält die individuelle Lebendigkeit, der des Machens übergeht sie.
* * *
Statistik ist der Versuch dem Variablen und Variierenden Herr zu werden. Das Eindeutige soll über seine Wahrscheinlichkeit gerettet werden. Das ist ab und zu notwendig.
* * *
Das Abstrakte erlöst nicht von den Zumutungen der Realität. Warum dann, betet man es an? Fühlt man sich dort zu Hause und selbst wie ein Datum? Vielleicht, meinte der lustige Mensch, wird es mit der göttlichen Vernunft verwechselt. Sie aber liege im Humor, er mache fröhlich, es aber herrsche.
* * *
Eine Rechnung ist präzise, sie bringt etwas auf den Punkt, engt ein. Sie hat ihren Ort und ihre Berechtigung. Etwas ausdrücken meint eine Bewegung von innen nach außen, Weitung, Raumgebung, die einen benennenden und einen zeigenden Anteil besitzt. Über dem Lebendigen eine Rechnung aufzumachen, ihm ausschließlich mit Präzision zu begegnen, heißt das Wie, die Lebensäußerung, einzudampfen, ja zum Verstummen zu bringen.
* * *
Der ästhetischen Wahrnehmung erscheint die Welt disparat, Stimmen, Reden, Blicke, Melodien und Gestalten; sie zu beherrschen heißt ihre Intensität zu dämpfen, sie zu unterdrücken.
* * *
Auf die Bürokratie wie die Mathematik ist Verlass. Der lustige Mensch bemerkte dazu, dass das mit der Unnachgiebigkeit zusammenhinge, die sie auszuüben bereit seien.
* * *
Nun, sagte der lustige Mensch über die Wendehälse vor seinem Fenster, es ist wie in einem Kabarett, gestern noch erhoben sie beschwörend ihre Stimme, heute rufen sie: Ins Schneckenhaus, ins Schneckenhaus! Abends hielten sie einen Lorbeerzweig in Händen, den sie morgens leichtfertig fortwarfen. So sind sie gezwungen, Zuflucht im Schatten einer Geraden zu suchen.
* * *
Vor dem, das sie nicht beherrschen kann, – dem Uneindeutigen, dem Unsicheren, dem Ungewissen, dem Unberechenbaren –, steigert sich der Zorn der Vernunft ins Unermessliche. Sie sieht sich selbst im Mangel und als einzige Medizin an. Am Ende wird auch das Eigenwillige mit Entrechtung bedroht werden. Dabei übersieht sie, dass sie nicht die einzige Kraft der Einschätzung ist und die Gelassenheit, die sie benötigt, kommt aus dem Bezirk des Nichtvernünftigen. Womit aber nicht: unvernünftig gemeint ist.
* * *
Zur Vernunft kommen, gewinnt in der Krise eine neue Bedeutung. Aber es wird eine ganze Weile dauern, bis der vernünftige und auf Sicherheit bauende Zorn verflacht.
* * *
Aus einer Rechnung gibt es kein Entkommen. Darum rechnet man auch, bemerkte der lustige Mensch und lachte.
* * *
Ästhetisches Bewusstsein verwahrt vor der Verehrung der Mathematik. Und umgekehrt bedeutet ihre Verehrung, den Verlust desselben.
* * *
Worin liegt der Mangel, der eine falsche Zuflucht nehmen lässt? Ist es Schwäche? Oder mangelnde Erkenntnis? Oder beides? Keines von beiden ist eine Schande und gegen beide kann etwas unternommen werden.
* * *
Mir wird hier zu negativ von der Vernunft gesprochen.Sie würde wütend im ANGESICHT DES Unsicheren Unberchenbaren. Sie wird wütend? Ich würde sagen Sie wird herausgefordert.
@Wolfgang Hanspach
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Herausforderung und Zorn (bzw. Wut).
Pingback: Aphorismen, Notate und Uneinsichtigkeiten V | Makulatur
Die Reihe der »Aphorismen, Notate und Uneinsichtigkeiten« geht weiter. Folge VI ist hier zu lesen.