Apho­ris­men, No­ta­te und Un­ein­sich­tig­kei­ten V

Die Kri­se weist auf den Schei­de­weg hin: Die Kün­ste lie­ben, über Äs­the­tik re­den, viel­leicht so­gar Ge­dich­te emp­feh­len und sei­ne Exi­stenz an die Ma­the­ma­tik de­le­gie­ren, das kann man nicht. Frei­lich: Man kann, zeigt da­mit aber auch, wie ernst ei­nem mit al­le­dem ist.

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Die Re­de des Er­zäh­lers ist nicht be­lang­los, weil sie ei­ne Re­de ist. Das Ge­gen­teil ist der Fall, die in ihr auf­ge­ho­be­ne In­ten­si­tät ist ihr Grund.

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Der Er­zäh­ler bleibt le­ben­dig, weil er er­zählt.

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Die Ma­the­ma­tik ent­klei­det, Zah­len­haf­tig­keit ist das Dürr­ste, was von ei­nem Le­be­we­sen oder Ding noch blei­ben kann. Ein Da­tum wird durch Ent­äu­ße­rung und ist als Re­de nicht mehr zu fas­sen.

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Spring ru­hig, mein­te der lu­sti­ge Mensch, ich wäh­le in der Not noch mei­ne Stim­me und als Ge­fähr­ten den Hu­mor.

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Wäh­rend der Kri­se kehr­ten ei­ni­ge Zug­vö­gel zu­rück. Dar­un­ter: Die Wen­de­häl­se.

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Der po­ten­zi­el­le Ir­gend­wer ist ding­fest zu ma­chen!, rief die Ver­nunft. Der lu­sti­ge Mensch aber trieb wei­ter sei­ne Scher­ze. Sein La­chen soll­te ihm bald ver­ge­hen.

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Am sprich­wört­li­chen De­tail, das zur Welt wer­den kann, am sinn­li­chen Re­si­du­um, wird der Ver­rat am Au­gen­schein­lich­sten: Durch ein Kunst­werk wird es sicht­bar, durch ei­ne Glei­chung un­sicht­bar.

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Die Ma­the­ma­tik ent­klei­det das In­di­vi­du­um. So und nur so, fügt es sich in die Rech­nung. Der lu­sti­ge Mensch be­merk­te da­zu: Auch ei­ne Glei­chung ist ein Sym­bol­sy­stem, sich ihr zu un­ter­wer­fen be­deu­tet je­doch nicht, dass man da­von kommt.

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Die Kri­se ist die äu­ße­re, ge­sell­schafts­um­grei­fen­de Spie­ge­lung vom Ur­sprung künst­le­ri­scher, nicht: Be­ga­bung, son­dern: Stim­me. In ihr schwingt mit, was an Ver­let­zun­gen blieb, was nicht ge­heilt wer­den konn­te, son­dern der sym­bo­li­schen Lin­de­rung be­darf.

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Sei­ne See­le wird ei­nem In­di­vi­du­um sicht­bar dort, wo es nicht funk­tio­nie­ren muss.

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Ein Da­tum ist ent­klei­de­te Wirk­lich­keit.

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In der Kri­se be­ginnt das sich selbst ab­strakt ge­wor­de­ne Le­ben zu wim­mern, auf die Ma­the­ma­tik zu hö­ren und die Tech­nik zu hof­fen.

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Es gibt manch ei­nen, stell­te der lu­sti­ge Mensch fest, der in die Wü­ste geht, um sei­nen Durst zu stil­len.

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Die das In­di­vi­du­um beim Be­trach­ten oder Hö­ren er­fas­sen­de In­ten­si­tät, lässt ihm die ei­ge­ne Exi­stenz be­wusst wer­den, es kommt wie­der zu sich, er­kennt, dass das Da­sein et­was be­deu­tet; dies ist die hei­len­de Kraft, die den Kunst­wer­ken in­ne­wohnt. Sie schen­ken Le­ben­dig­keit. Die Kunst dar­über zu ei­ner Re­li­gi­on zu ma­chen oder ei­ner Heils­leh­re, be­deu­tet zu ver­ges­sen, dass die­se Mög­lich­keit im äs­the­ti­schen Ver­mö­gen des Men­schen be­grün­det liegt, sie soll­te sich nicht an­rech­nen, was zu an­de­rem auch ge­hört. Al­ler­dings über­schrei­tet die Kunst al­les bloß in sei­ner in­di­vi­du­el­len Funk­tio­na­li­tät Äs­the­ti­sche als Werk. – Emp­fin­dung und Emp­fin­den sind durch den Vor­gang des Ma­chens, der sei­ne An­lei­hen an der tech­ni­schen Fer­ti­gung nimmt, nicht zu er­set­zen. Der Kitsch be­zeugt eben­dies; er zeigt in sei­nem Schei­tern, dass Emp­fin­dung in ih­rem Ur­sprung kein Wol­len ist und nicht her­ge­stellt wer­den kann. Er täuscht, an­statt zu hei­len.

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Der Vor­gang des Wer­dens er­hält die in­di­vi­du­el­le Le­ben­dig­keit, der des Ma­chens über­geht sie.

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Sta­ti­stik ist der Ver­such dem Va­ria­blen und Va­ri­ie­ren­den Herr zu wer­den. Das Ein­deu­ti­ge soll über sei­ne Wahr­schein­lich­keit ge­ret­tet wer­den. Das ist ab und zu not­wen­dig.

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Das Ab­strak­te er­löst nicht von den Zu­mu­tun­gen der Rea­li­tät. War­um dann, be­tet man es an? Fühlt man sich dort zu Hau­se und selbst wie ein Da­tum? Viel­leicht, mein­te der lu­sti­ge Mensch, wird es mit der gött­li­chen Ver­nunft ver­wech­selt. Sie aber lie­ge im Hu­mor, er ma­che fröh­lich, es aber herr­sche.

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Ei­ne Rech­nung ist prä­zi­se, sie bringt et­was auf den Punkt, engt ein. Sie hat ih­ren Ort und ih­re Be­rech­ti­gung. Et­was aus­drücken meint ei­ne Be­we­gung von in­nen nach au­ßen, Wei­tung, Raum­ge­bung, die ei­nen be­nen­nen­den und ei­nen zei­gen­den An­teil be­sitzt. Über dem Le­ben­di­gen ei­ne Rech­nung auf­zu­ma­chen, ihm aus­schließ­lich mit Prä­zi­si­on zu be­geg­nen, heißt das Wie, die Le­bens­äu­ße­rung, ein­zu­damp­fen, ja zum Ver­stum­men zu brin­gen.

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Der äs­the­ti­schen Wahr­neh­mung er­scheint die Welt dis­pa­rat, Stim­men, Re­den, Blicke, Me­lo­dien und Ge­stal­ten; sie zu be­herr­schen heißt ih­re In­ten­si­tät zu dämp­fen, sie zu un­ter­drücken.

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Auf die Bü­ro­kra­tie wie die Ma­the­ma­tik ist Ver­lass. Der lu­sti­ge Mensch be­merk­te da­zu, dass das mit der Un­nach­gie­big­keit zu­sam­men­hin­ge, die sie aus­zu­üben be­reit sei­en.

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Nun, sag­te der lu­sti­ge Mensch über die Wen­de­häl­se vor sei­nem Fen­ster, es ist wie in ei­nem Ka­ba­rett, ge­stern noch er­ho­ben sie be­schwö­rend ih­re Stim­me, heu­te ru­fen sie: Ins Schnecken­haus, ins Schnecken­haus! Abends hiel­ten sie ei­nen Lor­beer­zweig in Hän­den, den sie mor­gens leicht­fer­tig fort­war­fen. So sind sie ge­zwun­gen, Zu­flucht im Schat­ten ei­ner Ge­ra­den zu su­chen.

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Vor dem, das sie nicht be­herr­schen kann, – dem Un­ein­deu­ti­gen, dem Un­si­che­ren, dem Un­ge­wis­sen, dem Un­be­re­chen­ba­ren –, stei­gert sich der Zorn der Ver­nunft ins Un­er­mess­li­che. Sie sieht sich selbst im Man­gel und als ein­zi­ge Me­di­zin an. Am En­de wird auch das Ei­gen­wil­li­ge mit Ent­rech­tung be­droht wer­den. Da­bei über­sieht sie, dass sie nicht die ein­zi­ge Kraft der Ein­schät­zung ist und die Ge­las­sen­heit, die sie be­nö­tigt, kommt aus dem Be­zirk des Nicht­ver­nünf­ti­gen. Wo­mit aber nicht: un­ver­nünf­tig ge­meint ist.

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Zur Ver­nunft kom­men, ge­winnt in der Kri­se ei­ne neue Be­deu­tung. Aber es wird ei­ne gan­ze Wei­le dau­ern, bis der ver­nünf­ti­ge und auf Si­cher­heit bau­en­de Zorn ver­flacht.

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Aus ei­ner Rech­nung gibt es kein Ent­kom­men. Dar­um rech­net man auch, be­merk­te der lu­sti­ge Mensch und lach­te.

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Äs­the­ti­sches Be­wusst­sein ver­wahrt vor der Ver­eh­rung der Ma­the­ma­tik. Und um­ge­kehrt be­deu­tet ih­re Ver­eh­rung, den Ver­lust des­sel­ben.

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Wor­in liegt der Man­gel, der ei­ne fal­sche Zu­flucht neh­men lässt? Ist es Schwä­che? Oder man­geln­de Er­kennt­nis? Oder bei­des? Kei­nes von bei­den ist ei­ne Schan­de und ge­gen bei­de kann et­was un­ter­nom­men wer­den.

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4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Mir wird hier zu ne­ga­tiv von der Ver­nunft gesprochen.Sie wür­de wü­tend im ANGESICHT DES Un­si­che­ren Un­ber­chen­ba­ren. Sie wird wü­tend? Ich wür­de sa­gen Sie wird her­aus­ge­for­dert.

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