Alex­an­der Tes­ke: In­si­de Ta­ges­schau

Alexander Teske: inside Tagesschau

Alex­an­der Tes­ke:
in­si­de Ta­ges­schau

Ent­hül­lungs­bü­cher ha­ben meist ei­nen schlech­ten Ruf. Man un­ter­stellt den Au­toren ger­ne per­sön­li­che Mo­ti­ve bis hin zur Ra­che für tat­säch­li­che oder ein­ge­bil­de­te In­tri­gen. Man liebt zwar den Ver­rat, aber we­ni­ger den Ver­rä­ter, nicht zu­letzt, weil der Le­ser da­bei zu­wei­len brüsk mit sei­ner ei­ge­nen Des­il­lu­sio­nie­rung lan­ge ge­pfleg­ter Idea­le kon­fron­tiert wird. Die Be­trof­fe­nen re­agie­ren ent­täuscht bis be­lei­digt, manch­mal, aus pu­rer Ver­zweif­lung, zie­hen sie vor Ge­richt. Auch der NDR, so heißt es, prü­fe der­zeit ge­gen Alex­an­der Tes­kes Buch in­si­de Ta­ges­schau ju­ri­sti­sche Schrit­te. Der­weil ver­kauft sich das Buch gut und je­der möch­te es noch ha­ben, be­vor viel­leicht ei­ni­ge Stel­len ge­schwärzt wer­den müs­sen.

Der Le­ser rät­selt, wel­che Stel­len das sein sol­len. Alex­an­der Tes­ke ist ein Jour­na­list, der sein Hand­werk von der Pi­ke auf ge­lernt hat. Er ar­bei­te­te sechs Jah­re (von 2018 bis En­de 2023) in der Re­dak­ti­on der Ta­ges­schau in Ham­burg als »Pla­nungs­re­dak­teur«. Vor­her war er vier­zehn Jah­ren beim MDR, der ARD-An­stalt, die, wie man im Lau­fe des Bu­ches er­fährt, in Ham­burg aus ver­schie­de­nen Grün­den kei­nen gu­ten Ruf ge­nießt. Was ein Pla­nungs­re­dak­teur macht, wird skiz­ziert. Auch die Hier­ar­chien in­ner­halb die­ses Ge­bil­des Ta­ges­schau bzw. ARD-ak­tu­ell be­kommt man er­klärt. Ver­blüf­fend: Der bzw. die Chef­re­dak­teu­re (Mar­cus Born­heim, Hel­ge Fuhst und Ju­lia­ne Leo­pold) ha­ben zwar for­mal das Sa­gen, aber die wah­ren Herr­scher über die Nach­rich­ten sind die »Chefs vom Dienst« (von mir hier »CvD« ab­ge­kürzt), ein nicht öf­fent­lich agie­ren­der Kreis von rund zehn Re­dak­teu­ren.

Wer ein­mal CvD ist, bleibt dort meist bis zur Pen­sio­nie­rung. Män­ner sind über­re­prä­sen­tiert (2/3 von 10 sind, lie­ber Herr Tes­ke, sechs oder sie­ben?). Al­le CvD sind äl­ter als 45. Sie er­hal­ten 11.434 Eu­ro mo­nat­lich. Die mei­sten von ih­nen ha­ben in ih­rer Lauf­bahn eher sel­ten ei­nen Fern­seh­bei­trag sel­ber ver­fasst und wenn, dann vor sehr lan­ger Zeit. Au­ßer­halb von ARD-ak­tu­ell kennt sie nie­mand. Man wird nie er­fah­ren, wer bei wel­cher Sen­dung CvD war. Tes­ke nennt kei­ne Na­men, ver­wen­det Ab­kür­zun­gen (die ver­mut­lich noch ein­mal ver­frem­det sind). Ei­nen al­ler­dings nennt er, »emp­fiehlt« so­gar des­sen Web­sei­te. (Er ist seit kur­zem pen­sio­niert. Viel­leicht reicht es bald noch für ein ju­ri­stisch ein­wand­frei­es Im­pres­sum.) Dass ei­ne sol­che Per­son jah­re­lang be­stimmt hat, wel­che Nach­rich­ten ge­sen­det wer­den und wel­che nicht, lässt fast tie­fer blicken als al­les an­de­re, was Tes­ke so er­zählt.

Chef­re­dak­teur vs. Chef vom Dienst

Um die CvD schwir­ren ins­ge­samt mehr als 300 »Mit­ar­bei­ten­de« (manch­mal be­nutzt Tes­ke die­se Spra­che). Laut KEF ent­fie­len 2021 55,7 Mil­lio­nen Eu­ro Ge­büh­ren­gel­der auf ARD-ak­tu­ell, dem In­for­ma­ti­ons­kom­plex der ARD, da­von 12 Mil­lio­nen Eu­ro auf den Spar­ten­fern­seh­sen­der tagesschau24, ei­nem Sen­der, des­sen Markt­an­teil je nach Al­ters­grup­pe zwi­schen 0,4% und 0,5% liegt und in­zwi­schen ei­ne Art Hob­by von Hel­ge Fuhst zu sein scheint. Be­mer­kens­wert, dass phoe­nix, der »ge­mein­sa­me Er­eig­nis- und Do­ku­men­ta­ti­ons­ka­nal von ARD und ZDF«, im Buch kei­ne re­le­van­te Rol­le spielt, au­ßer, dass die Re­dak­teu­re aus Ham­burg die tagesschau24-Kol­le­gen ein­mal als »Schnarch­na­sen« ti­tu­lie­ren, weil sie bei ei­nem The­ma als letz­ter »auf­ge­sprun­gen« sind. Die­ses Igno­rie­ren könn­te dar­auf zu­rück­zu­füh­ren sein, dass phoe­nix ARD-sei­tig vom WDR be­treut wird – und da­mit nicht un­ter der Zu­stän­dig­keit von ARD-ak­tu­ell fällt. phoe­nix er­hält nach ei­ge­nen An­ga­ben 37 Mil­lio­nen Eu­ro pro Jahr und hat ei­nen Markt­an­teil um die 0,8%.

Die Ta­ges­schau-Re­dak­teu­re re­cher­chie­ren in der Re­gel nicht sel­ber. Sie er­hal­ten über die Au­ßen­stu­di­os der ARD und ihr Kor­re­spon­den­ten­netz »be­stell­te« Be­rich­te. Was be­stellt wird, zeigt sich wäh­rend di­ver­ser Kon­fe­ren­zen, wo­bei oft ge­nug zwi­schen Chef­re­dak­ti­on und CvD Macht­kämp­fe aus­ge­tra­gen wer­den. Der Chef­re­dak­teurs­po­sten ist fast im­mer nur ei­ne Durch­gangs­sta­ti­on. Da­bei geht es auch schon mal bis zu ei­ner In­ten­danz, wie sich an Kai Gniff­ke zeigt, der 2019 SWR-In­ten­dant wur­de. Da­nach, so schreibt Tes­ke, knall­ten in Ham­burg die Sekt­kor­ken. Er war nicht be­son­ders be­liebt, um es freund­lich aus­zu­drücken. Die größ­ten Am­bi­tio­nen sagt Tes­ke der­zeit Hel­ge Fuhst nach, der an­geb­lich mit ei­ner Po­si­ti­on als An­chor­man bei den ta­ges­the­men lieb­äu­gelt.

Was man er­fährt – und was nicht

Der Ton ist rau im Groß­raum­bü­ro, die Kon­fe­renz­dich­te hoch; An­sa­gen streng nach Ge­sin­nung. Die CvD sind »eher links der Mit­te«. Ent­spre­chend fal­len auch die Ge­wich­tun­gen in der Sen­dung aus. Tes­ke führt zahl­rei­che Bei­spie­le an, in de­nen re­le­van­te Ent­wick­lun­gen und Er­eig­nis­se kei­ne oder nur sehr ge­rin­ge Sen­de­zeit er­hal­ten. Ne­ben­ein­künf­te und Pla­gi­ats­af­fä­re Baer­bock – kei­ne Mel­dung. Deut­sche Na­tio­nal­spie­ler sym­pa­thi­sie­ren mit Er­doğan – erst mal kei­ne Mel­dung. Krieg in Berg-Ka­ra­bach – nur kur­ze Mel­dung (Er­öff­nung Lo­ri­ot-Mu­se­um ist wich­ti­ger). Von der Vi­sa-Af­fä­re des Aus­wär­ti­gen Am­tes un­ter An­na­le­na Baer­bock hat wohl nicht ein­mal Tes­ke et­was er­fah­ren – der Ta­ges­schau-Kon­su­ment erst recht nicht.

Der halb­ga­re Cor­rec­tiv-Be­richt zu ei­nem Tref­fen rechts­ra­di­ka­ler und ‑iden­ti­tä­rer Prot­ago­ni­sten wur­de al­ler­dings so­fort kri­tik­los auf­ge­nom­men. Dass der NDR nach­träg­lich ju­ri­stisch zu Än­de­run­gen in sei­nen Be­rich­ten ge­zwun­gen wur­de, er­fuhr der Ta­ges­schau-Zu­schau­er nie. Wenn er­ste Be­richt­erstat­tun­gen nicht in das ideo­lo­gi­sche Welt­bild pas­sen, wer­den an­de­re Sicht­wei­sen »be­stellt«. Um die jour­na­li­sti­sche Neu­tra­li­tät nach au­ßen zu de­mon­strie­ren, wählt man häu­fig »Ex­per­ten«, die dann das »Rich­ti­ge« als Ex­per­ti­se ab­ge­ben dür­fen. Tes­ke bie­tet ei­ni­ge Ein­blicke, war­um im­mer die­sel­ben Ex­per­ten hin­zu­ge­zo­gen wer­den (sie bie­dern sich teil­wei­se mit 24-Stun­den-Ver­füg­bar­keit an; an­de­re leh­nen das Ein­damp­fen kom­ple­xer In­hal­te auf zwan­zig Se­kun­den State­ments schlicht ab). Den Aus­flug ist das Ex­per­ten­ge­we­se in der Sport­be­richt­erstat­tung hät­te er bes­ser weg­ge­las­sen – hier ist es noch schlim­mer, aber es kei­nen Ein­fluss auf po­li­ti­sche Wil­lens­bil­dung, son­dern ko­stet nur Geld.

Im­mer wenn Tes­ke die Schwer­punkt­set­zun­gen aus­führt, wenn er ex­em­pla­risch be­schreibt, wie sich der Mei­nungs­kor­ri­dor un­ter fa­den­schei­ni­gen Grün­den (re­gio­na­les Er­eig­nis et­wa – was dann aber für ein Bus­un­glück in In­di­en nicht gilt), ab­ge­blockt wird, ver­mag man die Hy­bris und den fort­schrei­ten­den Nie­der­gang die­ses ein­sti­gen Hoch­amts der In­for­ma­ti­on (viel­leicht war das im­mer falsch?) nach­spü­ren. Im Fall der Bou­le­var­di­sie­rung ist es noch un­ter­halt­sam, aber wenn die po­li­ti­sche Be­ein­flus­sung droht, wenn re­le­van­te Er­eig­nis­se nicht oder nur in ten­den­ziö­sen Zu­sam­men­hän­gen ge­mel­det und kom­men­tiert wer­den – dann wird es re­le­vant und är­ger­lich.

Tes­ke macht aus sei­ner DDR-So­zia­li­sa­ti­on kei­nen Hehl und be­män­gelt zu recht die Schlag­sei­te gen al­ter Bun­des­re­pu­blik (nicht zu­letzt durch das Per­so­nal von ARD-ak­tu­ell). Das zeigt sich an Klei­nig­kei­ten wie et­wa die Mel­dun­gen bzw. Nicht­mel­dun­gen zum 17. Ju­ni oder wenn dem Un­ter­schied zwi­schen den Nach­ru­fen auf DDR- oder west­deut­sche Pro­mi­nen­te. Al­le Me­di­en, die man in der Re­dak­ti­on abon­niert ha­be, ka­men aus dem We­sten, so Tes­ke. Er setzt schließ­lich durch, dass auch die Leip­zi­ger Volks­zei­tung aus­liegt. Ge­le­sen wird sie al­ler­dings in der Ham­bur­ger Re­dak­ti­on nicht. Er kri­ti­siert, dass die Sor­gen der DDR-Bür­ger um den Ukrai­ne-Krieg, die er in den Le­ser­brie­fen der ost­deut­schen Zei­tun­gen deut­lich wahr­nimmt, zu we­nig Be­rück­sich­ti­gung in den Nach­rich­ten fin­den. In ei­nem be­stimm­ten Zeit­raum sei das Ver­hält­nis zwi­schen Ukrai­ne­krieg und In­fla­ti­on in den Talk­shows bei 46 zu 5 ge­le­gen, so zi­tiert er den So­zio­lo­gie­pro­fes­sor Mi­cha­el Hart­mann, der die Me­di­en für ab­ge­ho­ben und zu we­nig so­zi­al di­vers hält. Et­was, was auch Tes­ke um­treibt.

Fak­ten­er­fin­der

Die Ein­blicke in den All­tags­ge­schäft des Nach­rich­ten­fän­gers, die The­men­fin­dung, die Ab­stim­mun­gen, wer den Mei­nungs-Kom­men­tar zu wel­chem The­ma in den Ta­ges­the­men ab­ge­ben darf, wann der RBB aus Ber­lin be­rich­tet und wann das Haupt­stadt­stu­dio zu­stän­dig ist, die in­ter­nen Kri­ti­ken der gest­ri­gen Sen­dun­gen (die meist zu Lob­hu­de­lei­en wer­den, weil es sich nie­mand ver­scher­zen möch­te), der un­säg­li­che Her­den­trieb von Jour­na­li­sten, der da­zu führt, dass sich fast al­le den glei­chen The­men des Ta­ges zu­wen­den (die­se Web­sei­te dient vie­len als ra­sche Über­sicht) – das al­les ahn­te man längst und wird mit ei­ni­gen Bei­spie­len ganz gut il­lu­striert. Hin­zu kom­men die spe­zi­fi­schen Ei­gen­hei­ten der Ta­ges­schau-Re­dak­ti­on. Es herr­sche ein »Kli­ma der Angst« – und er er­in­nert an den »Kli­ma­be­richt NDR« (Link führt zu pdf).

An Bei­spie­len wird die Ver­höh­nung ge­zeigt, die in Be­griff und Funk­ti­on des so­ge­nann­ten »Fak­ten­fin­ders« stecken. Hier wer­den die zu über­prü­fen­den In­for­ma­tio­nen der­art se­lek­tiert, dass das be­reits im Vor­feld als wün­schens­wert de­fi­nier­te Re­sul­tat er­reicht wird. Stö­ren­des wird aus­ge­blen­det. Zur Hoch­form läuft Tes­ke auf, wenn er das Pen­deln ein­zel­ner Re­dak­teu­re zwi­schen Po­li­tik und Jour­na­lis­mus be­schreibt wie jüngst im Fall von Mi­cha­el Stem­pf­le, der we­ni­ge Ta­ge nach sei­nen Hym­nen auf Bo­ris Pi­sto­ri­us in des­sen Mi­ni­ste­ri­um wech­selt. Da­bei ist es nicht da­mit ge­tan, dass Jour­na­li­sten sich in po­li­ti­sche Ge­fil­de (bspw. Pres­se­spre­cher) be­ge­ben, son­dern nach die­ser Tä­tig­keit pro­blem­los wie­der im Jour­na­lis­mus, meist an bes­se­rer Po­si­ti­on, zu­rück­keh­ren kön­nen. Die Bei­spie­le sind Le­gi­on: Ul­rich Wil­helm, Ul­ri­ke Dem­mer, Ul­la Fie­big, Chri­stia­ne Wirtz, An­na En­gel­ke. Das Zau­ber­wort heißt »Rück­kehr­recht« – im öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funk häu­fig ver­trag­lich ga­ran­tiert. Wie da noch halb­wegs ob­jek­ti­ver Jour­na­lis­mus her­aus­kom­men soll, bleibt ein Ge­heim­nis. In je­dem Fall nährt es die oh­ne­hin schon vi­ru­len­te Skep­sis den Me­di­en ge­gen­über.

Schwä­chen bei grund­sätz­li­chem

Tes­kes Buch schwä­chelt, wenn er ver­sucht, grund­sätz­li­che Fra­gen zu the­ma­ti­sie­ren. Et­wa war­um so we­ni­ge po­li­tisch re­le­van­te In­for­ma­tio­nen über Afri­ka oder Süd­ame­ri­ka in den Nach­rich­ten zu se­hen sind. Aber ist es wirk­lich, wie er die (SPD-na­he) Ot­to-Bren­ner-Stif­tung zi­tiert, »ei­ne Ge­fahr für un­se­re De­mo­kra­tie«, wenn man nicht über die Dik­ta­tur in Äqua­to­ri­al-Gui­nea be­rich­tet? Wenn er kri­ti­siert, dass man Ve­ne­zue­la nur dann im Blick hat, wenn dort re­vo­lu­ti­ons­ähn­li­che Zu­stän­de nach ver­mut­lich ge­fälsch­ten Wah­len dro­hen – wie sä­he die Al­ter­na­ti­ve aus? Soll man täg­lich mel­den, dass Ma­du­ro noch im­mer an der Macht ist, ent­ge­gen all der Vor­wür­fe? Das dürf­te eher ein Fall für die Aus­lands­be­richt­erstat­tung sein, die je­doch auch im­mer mehr ins »men­scheln­de« und seich­te ab­zu­drif­ten scheint, aber das wä­re ein an­de­res The­ma.

Ist es wirk­lich in ei­ner Nach­rich­ten­sen­dung ge­bo­ten, dass man bei­spiels­wei­se FIFA oder IOC je­weils als »kor­rupt« oder zu­min­dest »um­strit­ten« apo­stro­phiert? Dass man bei der In­thro­ni­sie­rung des eng­li­schen Kö­nigs Hin­wei­se an die ko­lo­nia­len Ver­bre­chen Groß­bri­tan­ni­ens an­brin­gen soll­te? Si­cher­lich, die lä­cher­li­chen O‑Töne all’ der »Vox Pops« (Stra­ßen­be­fra­gun­gen), mit de­nen der Zu­schau­er über­schwemmt wird, sind eher ab­sto­ßend, aber wenn je­de Mel­dung jetzt noch mit mo­ra­li­schen Kräu­tern gar­niert wird, dürf­te das Ge­richt ir­gend­wann un­ge­nieß­bar sein. Zu­mal sich Tes­ke bei­spiels­wei­se in Be­zug auf die AfD ge­gen stan­dar­di­sier­te At­tri­bu­te, die den Re­zi­pi­en­ten len­ken sol­len, di­stan­ziert. Er ar­gu­men­tiert hier nicht strin­gent.

Un­klar bleibt Tes­ke auch dar­in, wel­cher Art nun die Nach­rich­ten sein sol­len. Zu recht be­klagt er die dau­er­haft ne­ga­ti­ven Mel­dun­gen von Krie­gen, Na­tur­ka­ta­stro­phen oder An­schlä­gen. Bei­spie­le gibt es en mas­se. Muss man, fragt er, je­den Wald­brand im Som­mer oder je­des Hoch­was­ser mit Kor­re­spon­den­ten und ei­nem Brenn­punkt flan­kie­ren, Pe­gel­stän­de und Bo­dy-coun­ting be­trei­ben? Wor­in liegt der jour­na­li­sti­sche Wert sol­cher Nach­rich­ten? Die Not­wen­dig­keit für Son­der­sen­dun­gen bei­spiels­wei­se beim Brand von Not­re Da­me sieht Tes­ke auch nicht und ver­tei­digt, dass man nicht »live« auf tagesschau24 das In­fer­no ge­zeigt hat­te. Man wis­se zu we­nig und sol­le war­ten. Hät­te man, so fragt man sich, et­wa auch da­mals am 11. Sep­tem­ber 2001 war­ten und das Pro­gramm fort­set­zen sol­len? Viel­leicht statt­des­sen ei­ne Tier­do­ku auf phoe­nix?

Dann wie­der­um kri­ti­siert er die seich­ten Nach­rich­ten, li­stet akri­bisch die Om­ni­prä­senz roya­ler Mel­dun­gen in der Ta­ges­schau auf, die häu­fig an pro­mi­nen­ter Stel­le und in ziem­li­cher Aus­führ­lich­keit ste­hen. Ein­sam an der Spit­ze das Kö­nigs­haus in Groß­bri­tan­ni­en, 70. Thron­ju­bi­lä­um der Queen, Jah­re spä­ter ihr Tod, über den in »An­net­te-Dit­tert-Fest­spie­len« un­end­lich be­rich­tet wird. Schließ­lich der neue Kö­nig, die Krank­hei­ten der Roy­als. Über die wer­de be­rich­tet, Mer­kels Zit­tern da­mals wur­de un­ter­drückt. Mal ist et­was Pri­vat­sa­che, mal nicht.

Kein »Staats­funk«

Oder die Tra­di­ti­ons­be­rich­te, oh­ne be­son­de­ren In­for­ma­ti­ons- und Neu­ig­keits­wert. Jahr für Jahr wird da vom Kar­ne­val be­rich­tet, mi­nu­ten­lang. Tes­ke ver­steht nicht, war­um man Zi­ta­te vom Stamm­tisch des »po­li­ti­schen Ascher­mitt­woch« ab­spielt. Oder der Sport, der zu­meist Fuß­ball ist. In der Tat ist es nicht er­klär­lich, war­um zum Bei­spiel sams­tags in der 20-Uhr-Sen­dung mi­nu­ten­lang Fuß­ball ge­zeigt wird, der kurz zu­vor schon in der Sport­schau lief. Tes­ke mo­kiert sich über die zu­neh­mend »mo­de­ra­ti­ve Spra­che«, die dem Ver­kün­dungs­duk­tus suk­zes­si­ve weicht und macht hier ein Teil der Bou­le­var­di­sie­rung aus. Mir fie­le noch die Be­trof­fen­heits­be­richt­erstat­tung be­stimm­ter Sach­ver­hal­te ein, et­wa wenn man das Ein­zel­schick­sal ei­ner Rent­ne­rin, die ei­ne ex­or­bi­tan­te Miet- oder Ne­ben­ko­sten­er­hö­hung er­hält pars pro to­to nimmt, oh­ne die öko­no­mi­schen Grün­de für die Er­hö­hun­gen an­zu­füh­ren.

Wer jetzt von »Staats­funk« spricht, ern­tet ve­he­men­ten Wi­der­spruch von Tes­ke. Er ver­tei­digt den öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funk wie ein Lö­we, fin­det so­gar wohl­wol­len­de Wor­te für die ehe­ma­li­ge RBB-In­ten­dan­tin Schle­sin­ger (die sei ja nicht ver­ur­teilt). Und tat­säch­lich dik­tiert kei­ne staat­li­che In­sti­tu­ti­on der Re­dak­ti­on die Nach­rich­ten. Aber, und das ver­gisst er ein we­nig, hat die Be­richt­erstat­tung rund um die Flücht­lings­kri­se 2015/2016 und vor al­lem die Co­ro­na-Be­richt­erstat­tung ge­zeigt, dass man auch schon ein­mal Mel­dun­gen un­ter­drückt, die, wie es ein­mal ein Mi­ni­ster in ei­nem an­de­ren Zu­sam­men­hang for­mu­lier­te, »die Be­völ­ke­rung ver­un­si­chern könn­ten.« Über die se­xu­el­len Über­grif­fe in der so­ge­nann­ten »Köl­ner Sil­ve­ster­nacht« be­rich­te­te man erst, als die an­de­ren Me­di­en es schon als Schlag­zei­le hat­ten. Si­cher­lich wähnt man sich da in ei­ner dif­fu­sen Ver­ant­wor­tung und/oder der Furcht, es könn­te »den Fal­schen« in die Hän­de spie­len. Und häu­fi­ger fehl­ten auch schon mal wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie die Gra­fi­ken mit sin­ken­den Sie­ben-Ta­ge-In­zi­den­zen oder man woll­te zu­nächst nicht mel­den, dass ein Impf­stoff doch nicht ganz so si­cher war und da­her in Groß­bri­tan­ni­en nicht mehr ein­ge­setzt wur­de – die bei­den letz­ten Aspek­te bringt Tes­ke sel­ber. Von der kri­tik­lo­sen Über­nah­me von Pres­se­mel­dun­gen di­ver­ser NGOs, die bis­wei­len von Re­gie­run­gen oder re­gie­rungs­na­hen Stif­tun­gen un­ter­stützt wer­den, ganz zu schwei­gen.

Gret­chen­fra­ge

Statt zu zäh­len, wie oft Unions‑, SPD- oder Grü­nen­po­li­ti­ker im Bild sind und zi­tiert wer­den und war­um be­stimm­te Par­tei­en über- bzw. un­ter­re­prä­sen­tiert sind, hät­te Tes­ke bes­ser die In­hal­te der Mel­dun­gen ana­ly­siert. Dass ei­ne Re­gie­rung und de­ren Re­prä­sen­tan­ten mehr im Fo­kus ste­hen als die Op­po­si­ti­on, dürf­te kaum ver­wun­dern. Am größ­ten ist die Dis­kre­panz nach Tes­kes Be­ob­ach­tun­gen bei der AfD. Die sei, ge­mes­sen an ih­rem ak­tu­el­len Wäh­ler­po­ten­ti­al, in der Ta­ges­schau un­ter­re­prä­sen­tiert. Al­lein die Be­grün­dun­gen sind in­ter­es­sant. Es ge­be, so Tes­ke, grob ge­sagt drei Mög­lich­kei­ten, wie man mit der AfD um­ge­he. Zu­nächst die Va­ri­an­te, neu­tral zu be­rich­ten, oh­ne At­tri­bu­te wie »rechts­extrem« und sie auch in State­ments ge­mäß ih­rem Re­prä­sen­ta­ti­ons­grad vor­kom­men zu las­sen. Dies schloss man ins­be­son­de­re beim WDR so­fort aus. Die zwei­te Mög­lich­keit wä­re, sie so weit wie mög­lich zu igno­rie­ren. Sie wür­de nur her­an­ge­zo­gen, wenn et­was skan­da­li­sier­ba­res vor­lä­ge. Die drit­te Va­ri­an­te ist für ei­ne Nach­rich­ten­sen­dung in­ter­es­sant: Tes­ke spricht von der Ent­zau­be­rung der AfD. Die sieht er als ge­schei­tert an.

Die Schuss­fol­ge­rung stimmt, aber es kann doch nicht Auf­ga­be ei­ner Nach­rich­ten­sen­dung sein, po­li­ti­sche Par­tei­en und de­ren Pro­gram­ma­tik zu »ent­zau­bern«. Dies ist nur durch ei­ne de­zi­dier­te in­halt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung und Kon­fron­ta­ti­on der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger der Par­tei mit Fak­ten und Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen mög­lich. Hier­für hat man – un­ter an­de­rem – das For­mat der Talk­show er­fun­den. Hier dis­ku­tie­ren je­doch fast im­mer die glei­chen rund zwei Dut­zend Prot­ago­ni­sten und re­den über die AfD statt mit ihr. Tie­fe Ana­ly­sen sind weit­ge­hend Fehl­an­zei­ge, die Mo­de­ra­to­rin­nen (es sind über­wie­gend Frau­en in die­ser Funk­ti­on) wür­gen sie rasch ob der Kom­ple­xi­tät ab. Soll­te sich ein­mal ein Re­prä­sen­tant der AfD dort be­fin­den, muss er sich mit meh­re­ren Geg­nern auf ein­mal aus­ein­an­der­set­zen. Zu­dem glaubt man im­mer noch, der AfD durch vor­aus­ei­len­de Em­pö­rungs­rhe­to­rik und ‑ge­sten be­reits bei der Fra­ge­stel­lung bei­kom­men zu kön­nen. Das Ge­gen­teil wird da­mit er­reicht. Wer al­ler­dings neu­lich das Ge­spräch zwi­schen Elon Musk und Ali­ce Wei­del auf »X« ver­folgt hat, wur­de Zeu­ge ei­ner un­frei­wil­li­gen Ent­zau­be­rung gleich bei­der Prot­ago­ni­sten, die sich ei­nen Wett­be­werb der Ba­na­li­tä­ten und lee­ren Phra­sen lie­fer­ten. Zehn Mi­nu­ten In­ter­view­zeit für AfD-Po­li­ti­ker mit ge­le­gent­li­chen, sach­be­zo­ge­nen Nach­fra­gen (der Fra­ge­stel­ler soll­te al­ler­dings mehr als nur Grund­kennt­nis­se von der The­ma­tik be­sit­zen) wür­de de­ren Pro­gram­ma­tik mehr bloß­stel­len, als die­ses mit­un­ter krampf­haf­te Auf­ge­regt­sein der Jour­na­li­sten, nur um sich auch ganz si­cher ab­zu­gren­zen.

Ver­schlimm­bes­se­run­gen

Das Buch war­tet mit ei­ni­gen In­ter­es­san­ten De­tails auf. Man er­fährt end­lich, war­um man von gro­ßen Sport­er­eig­nis­sen wie Fuß­ball-WM oder Olym­pi­schen Spie­len in der Me­dia­thek kei­ne Bil­der auf den ARD-ak­tu­ell-Sei­ten zu se­hen be­kommt. Oder es gibt ei­nen Ein­blick in den gru­se­li­gen Tik­Tok-Ka­nal der Ta­ges­schau. Wie man der­art jun­ge Leu­te für se­riö­se Nach­rich­ten ge­win­nen will, bleibt ein Ge­heim­nis. Das In­ter­es­san­te: Tes­ke ist der­art Jour­na­list, dass er à la longue fürch­tet, die Deu­tungs­ho­heit der Me­di­en zu ver­lie­ren und dem ent­ge­gen­steu­ern möch­te. Im­mer noch hält er die Ta­ges­schau für ei­ne se­riö­se Nach­rich­ten­sen­dung. Si­cher, es schau­en zwi­schen neun und zehn Mil­lio­nen Men­schen je­den Tag die »Twen­ty« und ein Chan­nel­crossing um 20 Uhr zeigt, dass man das un­ter an­de­rem da­durch er­reicht, dass man sie in drei­zehn Sen­dern gleich­zei­tig über­trägt.

Ich ha­be ent­ge­gen mei­nen son­sti­gen Ge­wohn­hei­ten ei­ni­ge Ta­ge wie­der ein­mal die ARD-Nach­rich­ten­sen­dun­gen ge­schaut. Nach der Lek­tü­re die­ses Bu­ches kann man sich ein biss­chen vor­stel­len, wie und war­um die­ses oder je­nes The­ma der­art be­han­delt wur­de. So be­rich­tet man am 25.1. aus­führ­lich über De­mon­stra­tio­nen ge­gen Rechts­extre­mis­mus, u. a. in Ber­lin, mit Ori­gi­nal­tö­nen von Jour­na­li­sten und Ge­werk­schaft­lern. Dass 700 Me­ter da­von ent­fernt ei­ne pro-Ha­mas-De­mon­stra­ti­on mit der Pa­ro­le »Tod den Ju­den« statt­fand, wur­de nicht ge­mel­det. Die Po­li­zei war mit dem Hass per­so­nell über­for­dert, weil sie die mo­ral­be­sof­fe­nen Po­li­ti­ker, die bei der De­mo ge­gen Rechts Sel­fies mach­ten, be­schüt­zen muss­ten.

Nicht aus­zu­den­ken, wel­chen Jour­na­lis­mus man mit die­sem üp­pi­gen Bud­get ma­chen könn­te. Tes­kes Buch ist ein Mo­sa­ik­stein­chen, wie sich der öf­fent­lich-recht­li­che Rund­funk suk­zes­si­ve sel­ber ab­schafft. Ich wer­de ihn bis auf ei­ni­ge ar­te-Do­ku­men­ta­tio­nen nicht ver­mis­sen, weil auch das Gros des Fern­seh­pro­gramms au­ßer­halb der In­for­ma­ti­ons­sen­dun­gen in­zwi­schen nur noch mit ba­na­len Kri­mis, lä­cher­li­chen Quiz­sen­dun­gen und quä­len­dem Ma­ga­zin­schwach­sinn be­stückt ist. Der selbst­ver­schul­de­te Be­deu­tungs­ver­lust des Jour­na­lis­mus schrei­tet vor­an. Man will ihn noch mit »Hal­tung«, der rich­ti­gen Ge­sin­nung, auf­hal­ten, weil man ins­ge­heim den Re­zi­pi­en­ten für un­mün­dig hält. Das führt nur noch mehr zu Ab­sto­ßungs­ten­den­zen. Am En­de stößt Tes­ke auch noch in die­ses Horn, wenn er mit ei­nem »kon­struk­ti­ven Jour­na­lis­mus« lieb­äu­gelt, der »Lö­sun­gen auf­zei­gen« soll. Da­mit ver­treibt man den Teu­fel mit dem Beel­ze­bub.

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  1. Hat­te ei­nen ganz gu­ten Ein­druck von Tes­ke, bei ei­nem In­ter­view auf You­tube, Apol­lo News. Er lei­stet ei­nen brei­ten kri­ti­schen Bei­trag, und hat nicht die ge­ring­ste Nei­gung zur Po­le­mik. Mit viel Ge­duld ver­sucht er, die Sub­ti­li­tät der Macht­pro­zes­se auf­zu­decken, was al­lein schon vom Be­ob­ach­ter-Stand­punkt ei­nes »In­si­ders« aus schwie­rig ist. Das scheint mir ge­lun­gen. Er fin­det: frei­hän­di­ge Ent­schei­dun­gen vom CvD, flot­te Be­grün­dun­gen bei der Aus­wahl, ge­fall­süch­ti­ge Ex­per­ten, und die vie­len klei­nen Codes in den Be­rich­ten... Wenn es sich um ei­ne Wie­der­kehr des Bö­sen han­delt, dann hat es sich hübsch klein ge­macht, gut ge­tarnt, und ei­ne viel­köp­fi­ge Zahl von Würm­chen am Start... – - Ih­re Kri­tik ist frei­lich hart: Ist die­ses Pro­dukt über­haupt noch zu ret­ten?! Nach al­lem, was man weiß, ist das Ide­al zu hoch ge­steckt, als dass noch gro­ße Chan­cen be­stün­den. Tes­ke bringt ei­nen alt­backe­nen Idea­lis­mus ein, den die ur­ba­nen spät­mo­der­nen Kar­rie­ri­sten wohl drol­lig fin­den wür­den. Idea­lis­mus aus dem Osten, fast schon sen­ti­men­tal! Das fin­de ich sehr sym­pa­thisch, weil ich nicht zu­letzt an mir selbst fest­stel­le, wie sehr ein (lan­ges) Le­ben im We­sten den Zy­nis­mus auf­trai­niert. Lei­der, lei­der!

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