Glaubwürdigkeit sei ihr Erfolgsgeheimnis, hat Elke Heidenreich mal stolz behauptet. Wenn es ihr damit wirklich ernst war, hätte sie mit ihrer Literatursendung Lesen! auch ohne das Rauswurf-Tamtam der letzten Tage am 1. Januar 2009 aufhören müssen. Denn im neuen Jahr wird aus der Moderatorin die Verlegerin Elke Heidenreich; unter dem Dach der Verlagsgruppe Random House wird sie im Elke-Heidenreich-Verlag Bücher zum Thema Musik herausbringen. Wie wollte sie da noch unabhängig andere Bücher empfehlen?
Wenn man in den letzten Wochen die Berichterstattung verfolgt hat, dann kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Da ist von einer Krise der Automobilindustrie die Rede, die angeblich alles bisher Gesehene in den Schatten stellt. Ein ähnliches Vokabular hatte man zwar im vergangenen Jahr schon angestimmt – freilich aus anderen Gründen (damals war es die Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland). Ein »Rekordjahr« war es dann doch irgendwie.
Merkmal solch alarmistischer Prosa ist in der Regel, dass die Bestätigung mit Fakten bzw. eine halbwegs neutrale Einordnung des Phänomens unterbleibt. Wenn behauptet wird, die Nachfrage nach Automobilen breche drastisch ein, bleibt unberücksichtigt, aufgrund welcher (falscher) Prognosen über die Abnahme die Produktion beruhte und welches Niveau als Basis für den »Einbruch« gilt. Tatsächlich war man Anfang des Jahres von einem unveränderten Nachfrageboom in Europa ausgegangen. Das hat zu teilweise aberwitzigen Überkapazitäten geführt.
Der Schock saß sichtbar tief. Tränen flossen an diesem 17. März 2005. Heide Simonis war zum vierten Mal in der Wahl zum schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten gescheitert. Mindestens eine Stimme aus der fragilen Koalition SPD/Grüne/SSW hatte gefehlt. Zum vierten Mal.
Was für eine Empörungsmaschinerie da losgetreten wurde! Der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Hay bezeichnete den/die »Abweichler/in« öffentlich als »Schwein«. Eine Rüge oder Zurechtweisung für diese Entgleisung gab es natürlich nicht.
Zum 9. November eine Erzählung von Durs Grünbein in der aktuellen Zeit; angeblich autobiografisch. Man wundert sich über die doch sehr hölzerne, uninspirierte und bleierne Sprache. Und so voller Klischees. Eine merkwürdige Blässe schlägt einem da entgegen, die auch nicht mit Lakonie verwechselt werden kann. Selbst die anfangs so penetrante Selbstinszenierung des Widerständigen ist nur hohles Wortgeklingel. Ich muss an ‘Schulaufsatz’ denken.
Der Titel klingt eigentlich harmlos: »Der Knacks«. Und obwohl Roger Willemsen gleich am Anfang vom Sterben und Tod seines Vaters erzählt (er ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt), entsteht zunächst der Eindruck einer Art feuilletonistisch-aphoristischen Phänomenologie. Die Sentenzen sind klingend, manchmal sogar luzide; gelegentlich fast zu schön. Aber immer weiter wird man in den ...
Horst Seehofer gab das Amt Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf, weil er Ministerpräsident in Bayern wurde. Zur Neubesetzung des Ministeriums in Berlin ein paar Zitate aus unseren Qualitätsmedien aus den letzten Tagen:
DIE ZEIT: Aigner ist über die Anfrage von Horst Seehofer, ob sie seine Nachfolge in Berlin antreten wolle, nach eigenem Bekunden zunächst »zusammengezuckt«. Sie habe »erst mal schlucken und nachdenken« müssen, sagte sie am Freitag im ARD-»Morgenmagazin«. »Aber mich freut das natürlich wahnsinnig, dass Horst Seehofer in mich das Vertrauen setzt.«
In den 70er Jahren wurde im deutschen Fernsehen die Serie »Catweazle« ausgestrahlt. Ein Zauberer – eben jener Catweazle – wurde vom 11. Jahrhundert in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts »versetzt«. Die Komik bestand darin, dass er all die uns selbstverständlich gewordenen Errungenschaften der Technik (Strom, Telefon, Autos) anfangs für Teufelszeug hielt, versuchte mit Zaubersprüchen zu bannen und später dann zur Magie erklärte.
Marcel Reich-Ranicki muss sich am Samstag bei der Gala zum Deutschen Fernsehpreis wie Catweazle gefühlt haben. Was dort für preiswürdig befunden wurde, hat ihm vermutlich einen Kulturschock grösseren Ausmasses beschert. Wie es heisst, wollte der für sein Lebenswerk preiswürdig empfundene Reich-Ranicki irgendwann einfach gehen. Damit er nicht zu sehr leiden musste, zog man seine Preisvergabe vor. Der Rest ist bekannt.
Günter Grass: Die Box
Den Ausweg, Günter Grass’ neues Buch »Die Box« in vorauseilender Milde mit den Werken der Vergangenheit des Schriftstellers zu verrechnen, hat die »ZEIT« dahingehend verpasst, dass sie mit Andreas Maier einen Rezensenten beauftragte, der nach eigener Aussage vorher noch kein Buch von Grass gelesen hatte. »Der Umblätterer« vermutet hier nicht zu Unrecht ein taktisches Vorgehen. In dem Maier offen mit seinem Nichtwissen kokettiert, sogar suggeriert, die Ahnungslosigkeit sei vorteilhaft für die Rezeption dieses Buches, wird dem Leser eine Art neuer, naiver, ja: unschuldiger Rezensentenblick vorgespielt. Was auf den ersten Blick originell erscheint, muss aber bei einer Person wie Grass und einem Buch wie die »Die Box« scheitern.
Denn (1.) ist Grass auch (und vor allem) eine politische Person und wird als solche in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen als über seine schriftstellerischen Werke. Die Urteile über Grass resultieren in den seltensten Fällen über das literarische Oeuvre, wie die Rezeption seines »Zwiebel«-Buches exemplarisch gezeigt hat. Und (2.) ist das Buch »Die Box« ohne Vorkenntnisse wenigstens einiger Bücher von Grass sehr viel schwieriger verstehbar. Schliesslich handelt es sich nicht um eine linear erzählte (Auto-)Biografie, sondern um ein dezidiert literarisches Projekt.