In­ge­borg Bach­mann: Die Ra­dio­fa­mi­lie

Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie

In­ge­borg Bach­mann:
Die Ra­dio­fa­mi­lie

Im Rah­men ih­rer Tä­tig­keit als »Script Edi­tor« beim öster­rei­chi­schen Sen­der »Rot-Weiß-Rot« (RWR) ver­fass­te In­ge­borg Bach­mann – ne­ben an­de­ren Hör­spiel­be­ar­bei­tun­gen und –über­set­zun­gen – zwi­schen Fe­bru­ar 1952 und Ju­li 1953 ins­ge­samt 15 Fol­gen der sei­fen­oper­ähn­li­chen Se­rie »Die Ra­dio­fa­mi­lie«, die zu­nächst 14tätig, bald je­doch wö­chent­lich aus­ge­strahlt wur­de (mit Aus­nah­me ei­ner Som­mer­pau­se); im­mer ge­nau 30 Mi­nu­ten. In­ge­borg Bach­mann kann zu­sammen mit den bei­den an­de­ren Au­toren Jörg Mau­the und Pe­ter Wei­ser als Schöp­fe­rin der »Ra­dio­fa­mi­lie« gel­ten. Die letz­te von ihr ge­schrie­be­ne Fol­ge war Nr. 63 und wur­de im Sep­tem­ber 1953 aus­ge­strahlt. »Die Ra­dio­fa­mi­lie« wur­de 1955 nach 153 Fol­gen im Sen­der RWR auf­grund ih­rer Be­liebt­heit im ORF wei­ter­ge­führt. Erst im Ju­ni 1960, mit der 351. Fol­ge, wur­de die Se­rie ein­ge­stellt.

Zu den In­ten­tio­nen der Se­rie durch die Ame­ri­ka­ner zi­tiert Jo­seph Mc­V­eigh, der als »Ent­decker« der Ty­po­skrip­te be­zeich­net wer­den kann, Jörg Mau­the, der ih­ren »mehr­schichtigen Cha­rak­ter« zu Be­ginn wie folgt zu­sam­men­fass­te: »Es wird ei­ne po­li­ti­sche Sen­de­rei­he wer­den, oh­ne dass der Hö­rer ka­piert, dass sie es ist, es wird ei­ne er­zie­he­ri­sche Sen­de­rei­he wer­den, oh­ne dass der Hö­rer ka­piert, dass sie es ist, es wird ei­ne gesellschafts­prägende Sen­de­rei­he wer­den, oh­ne dass der Hö­rer ka­piert, dass sie es ist, und es wird ei­ne lu­sti­ge Sen­de­rei­he wer­den, und das wird das ein­zi­ge sein, was der Hö­rer ka­piert.« Der Sen­der »RWR« war der ame­ri­ka­ni­sche Be­sat­zungs­sen­der in Öster­reich. Der Ge­gen­part hieß »RAVAG« – der Sen­der der so­wje­ti­schen Ad­mi­ni­stra­ti­on. Der Hö­rer soll­te mo­ra­lisch ge­formt wer­den. Der Kal­te Krieg und da­mit das Wett­ren­nen, das Pu­bli­kum für das je­weils ei­ge­ne La­ger ge­win­nen zu kön­nen, war voll ent­brannt.

Bei vier der 15 Bach­mann zu­ge­schrie­be­nen Fol­gen gab es ei­nen Ko-Au­tor – je zwei­mal Mau­the und Wei­ser. Al­le 15 Bach­mann-Fol­gen sind im vor­lie­gen­den Band ab­ge­druckt; even­tu­el­le Strei­chun­gen in den Ty­po­skrip­ten wer­den im An­hang auf­ge­führt. In Be­zug auf Ent­ste­hung, Kon­zep­ti­on und Aus­füh­run­gen der »Ra­dio­fa­mi­lie« beim Sen­der »RWR« stützt sich Mc­V­eigh in sei­nem Nach­wort vor al­lem auf die Auf­zeich­nun­gen und Er­in­ne­run­gen von Pe­ter Wei­ser, der al­ler­dings ge­le­gent­lich Bach­manns Rol­le in der Rück­schau arg idea­li­siert (bei­spiels­wei­se: »Sie hat­te die Ga­be, die nur Ge­nies eig­net: Ideen sich nicht nur multi­plizieren, son­dern po­ten­zie­ren zu las­sen«). Bach­mann ver­ließ den Sen­der nach knapp zwei Jah­ren im Ju­li 1953. Sie be­gann von da an ihr Le­ben als freie Schrift­stel­le­rin mit dem Ge­dicht­band »Die ge­stun­de­te Zeit«. Es ist zu­nächst schwer vor­stell­bar: Hier die Au­torin ei­ner hei­ter-päd­ago­gi­schen Fa­mi­li­en­se­rie – und dort die »se­riö­se« Au­torin, die in der vi­ri­len »Grup­pe 47« re­üs­sier­te. Aber es funk­tio­nier­te – we­nig­stens ei­ne kur­ze Zeit.

Tau­ben­gas­se

Viel­leicht wür­de die »Ra­dio­fa­mi­lie« heu­te »Tau­ben­gas­se« hei­ßen. Im 8. Wie­ner Be­zirk, in der Tau­ben­gas­se 18 wohn­ten sie näm­lich, die Flo­ria­nis. Hans, Ober­lan­des­ge­richts­rat, sei­ne Frau Val­mi, die zu Be­ginn der Se­rie 16jährige Hel­li (die in den er­sten Fol­gen Han­ni hieß) und der 12jährige Wol­ferl (an­fangs Pe­ter). Hans’ Halb­bru­der Gui­do hat mit sei­ner Frau Liesl (an­fangs Jet­te; die un­ter­schied­li­chen Na­men re­sul­tie­ren dar­aus, dass die Vor­na­men der Spre­cher den Na­men der Fi­gu­ren ent­spra­chen) ei­ne Hüh­ner­farm in Pur­kers­dorf. Trotz der fi­nan­zi­ell zu­wei­len schwie­ri­gen Si­tua­ti­on der Fa­mi­lie lei­sten sich die Flo­ria­nis das Haus­mädchen Ma­rie. Ir­gend­wann be­kom­men Hans und Vil­ma noch ei­nen »Nach­züg­ler«, das Ba­by An­dre­as Jo­han­nes. Mc­V­eigh misst die­sem dra­ma­tur­gi­schen Ef­fekt of­fen­sicht­lich kei­ne Be­deu­tung bei; in sei­nem Nach­wort geht er dar­auf nicht ein. Es wä­re in­ter­es­siert ge­we­sen, die Mo­ti­va­ti­on der Au­toren für die­ses eher zeit­un­ty­pi­sche Phä­no­men des Spät­ge­bo­re­nen zu un­ter­su­chen.

Ge­le­gent­lich blit­zen zwar ein­zel­ne heu­te als re­ak­tio­när ein­ge­stuf­te An­sich­ten von Hans her­vor. Da wer­den – na­tür­lich – »kei­ne Schul­den« ge­macht. Die Schul­pro­ble­me mit Wol­ferl be­spricht er oh­ne sei­ne Frau »von Mann zu Mann«. Und ein­mal wird der pu­ber­tie­ren­den Toch­ter kul­tur­pes­si­mi­stisch ein »seltsame[r] Aus­druck sen­ti­men­ta­ler Ver­blö­dung« at­te­stiert. Den­noch ist die Fa­mi­lie das, was man als bür­ger­lich-li­be­ral be­zeich­nen könn­te, ins­be­son­de­re, wenn man be­denkt, dass man in den 50er Jah­ren ist. Die Au­to­ri­tät des Va­ters wird nicht mehr hier­ar­chisch ab­ge­lei­tet, son­dern ent­steht eher dis­kur­siv (Hans: »Die pa­tri­ar­cha­li­schen Zei­ten sind vor­über«). Zwar ist die Rol­le der Frau noch zeit­ty­pisch (auch für Hel­li, die sich ein­mal als »Haus­frau« be­zeich­net), aber bei­de Kin­der ge­hen auf das Gym­na­si­um. Hans ist zwar »do­zie­rend« und ge­le­gent­lich recht­haberisch, aber er ist für­sorg­lich, ehr­lich und un­be­stech­lich (ein­mal un­ter­nahm man den Ver­such, ihn zu be­stechen, was na­tür­lich aus­sichts­los war). Vil­ma, Hans’ Frau, darf für da­ma­li­ge Ver­hält­nis­se durch­aus als eman­zi­piert gel­ten. Wei­sers Fi­gu­ren­zeich­nung der »Ge­ne­rals­toch­ter aus dem Er­sten Weltkrieg…sehr ge­bil­det, sehr fraulich…keine Wie­ne­rin, son­dern aus Kroa­ti­en« spielt al­ler­dings kaum ei­ne Rol­le in den vor­lie­gen­den Fol­gen.

Die Bür­ger­lich­keit die­ser Vor­zei­ge­fa­mi­lie wird von den Au­toren – al­so auch von Bach­mann – af­fir­ma­tiv dar­ge­stellt. Der Ge­gen­part hier­zu ist Hans’ Halb­bru­der Gui­do (Hans be­steht auf die­se Dif­fe­renz zum »nor­ma­len« Bru­der). Mit sei­ner Aus­sa­ge »Bes­ser Kri­sen als ein ver­fehl­tes Le­ben« könn­te man sein Le­ben be­schrei­ben. Er sei, so Hans, das »trau­ri­ges Ka­pi­tel« in der Fa­mi­lie. Ne­ben sei­ner no­to­ri­schen Geld­knapp­heit ist da­mit auch sei­ne vor­über­ge­hen­de Ge­folg­schaft dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­gen­über ge­meint, die in den Fol­gen 2 und 4 – bei­des Bach­mann-Fol­gen – am Ran­de the­ma­ti­siert wird. Gui­dos Recht­fertigung: »…ich hab halt zu­erst ge­glaubt, daß die so­zu­sa­gen den Ni­hi­lis­mus des 20. Jahr­hunderts über­win­den wer­den. Auf­rich­tig ge­sagt, wie hät­test du denn re­agiert, wenn sie dich nicht gleich hin­aus­ge­schmis­sen hät­ten im ’38er Jahr. Du musst doch zu­ge­ben, daß man da­mals sehr – wie drücke ich mich aus – emp­fäng­lich war, und war ich dann nicht un­ter den er­sten, die sich be­tont di­stan­ziert ha­ben, was? Und hab ich euch ei­nen Augen­blick im Stich ge­las­sen?«.

Es bleibt un­klar, war­um Hans »hin­aus­ge­schmis­sen« wur­de – und wel­che Kon­se­quen­zen hier­aus folg­ten. Mc­V­eigh stützt aus die­ser Text­stel­le die The­se, Hans sym­bo­li­sier­te des »red­li­chen ‘Vor­kriegs­cha­rak­ter’ « je­nes Öster­rei­chers, der »1938 beim Ein­marsch der Na­zis nicht ju­belnd auf der Stra­ße stand« und über­sieht da­bei, dass man durch­aus den »red­li­chen Vor­kriegs­cha­rak­ter« un­ter­stel­len muss­te, um mit ei­ner sol­chen Se­rie zu re­üs­sie­ren. Wo­mög­lich rührt Hans’ Nach­ge­ben bei Gui­dos Es­ka­pa­den auch dar­auf, dass die­ser wäh­rend der Na­zi-Zeit Hans’ Fa­mi­lie un­ter­stütz­te. Denn Gui­do war – min­de­stens was die Bach­mann-Fol­gen an­geht – po­li­tisch re­ha­bi­li­tiert, wie Mc­V­eigh rich­tig an­merkt. Da­für wird er als schwar­zes Schaf mit skur­ri­len Zü­gen ge­zeich­net, die zu­wei­len ins lä­cher­lich-de­nun­zia­to­ri­sche ab­glei­ten: Er ist ein Auf­schnei­der (sieht sich bei­spiels­wei­se ein­mal als Kunst­ex­per­te, dann als Psy­cho­lo­ge), ent­wickelt dau­ernd neue, ver­rückt an­mu­ten­de Er­fin­dun­gen (die al­le­samt schei­tern – wo­bei sein »Was­ser­se­gell­auf­ge­rät« rück­blickend wie ein Vor­läu­fer des Surf­bretts wirkt; die­ses wur­de 1964 erst­mals in den USA er­wähnt) und ist für mo­di­sche Zeit­strö­mun­gen schnell zu be­gei­stern.

Die ge­le­gent­li­che »Moral-von-der-Geschicht«-Zusammenfassung durch den Spre­cher soll am En­de der je­wei­li­gen Fol­gen den Zu­hö­rern noch ein­mal ge­nau die In­ten­ti­on des Stückes er­klä­ren. So wird der auf­dring­li­che Schür­zen­jä­ger durch Freund­lich­keit ver­trie­ben; der lä­sti­ge Bes­ser­wis­ser mit sei­ner Ver­lob­ten ist als Be­such zu er­tra­gen; die mo­der­nen Künst­ler sind auch ganz net­te Men­schen und die Kla­gen des ser­bi­schen Stoff­ver­käu­fers über die Herz­lo­sig­keit der Wie­ner wird von dem Ge­richts­die­ner, der zu­fäl­lig zu Be­such kommt, Lü­gen ge­straft. Das brecht­sche Pa­thos ist das na­tur­ge­mäß (und glück­li­cher­wei­se) nicht. Die mo­ra­li­schen Bot­schaf­ten wer­den sub­til, hu­mo­rig und mit ei­ner Spur Iro­nie vor­ge­bracht. Manch­mal fühlt man sich an den frü­her so be­lieb­ten Schul­funk er­in­nert. Im Ge­gen­satz zu klas­si­schen So­aps gibt es kei­nen Cliff­han­ger; die Fol­gen sind in sich abge­schlossen. Teil­wei­se wi­der­spre­chen sich die Er­eig­nis­se fol­gen­über­grei­fend – ein­mal heißt es bei­spiels­wei­se, die Fa­mi­lie ha­be kein Geld für den Ur­laub (Fol­ge 54; im Ju­ni 1953), um dann spä­ter (Fol­ge 63; Sep­tem­ber 1953) von den Er­leb­nis­sen in Ita­li­en bei der Rück­kehr zu be­rich­ten.

Die zeit­ge­schicht­li­che Di­men­si­on die­ser Fol­gen spielt im Nach­wort von Mc­V­eigh merk­wür­di­ger­wei­se kaum ei­ne Rol­le. Tat­säch­lich er­fährt man so ei­ni­ges über die 50er Jah­re und ist zu­wei­len ob der Ak­tua­li­tät er­staunt. Die Re­zep­ti­on von mo­der­ner Kunst, die Be­deu­tung von Ur­lau­ben für den so­zia­len Sta­tus, die Kla­gen der Un­ter­neh­mer ob ih­rer Ar­beits­fül­le und Steu­er­la­sten, die Sen­sa­tio­na­li­sie­run­gen in der Pres­se, um Aufmerksam­keit zu er­zeu­gen, die merk­wür­di­ge Zeit­not vor Thea­ter­be­su­chen – all dies ist schein­bar un­ver­än­dert. Nur wenn es um Ko­edu­ka­ti­on oder Ma­nie­ren geht, er­kennt man die Un­ter­schie­de zu den 60 Jah­re al­ten Hör­spie­len noch. Auf all das geht Mc­V­eigh nicht ein. Auch auf die even­tu­el­len Un­ter­schie­de zwi­schen den Au­toren be­lässt er es bei zwei spar­sa­men An­mer­kun­gen. So bleibt un­klar, wor­in sich die be­schwo­re­ne Hand­schrift der Bach­mann ge­nau zei­gen soll. In­dem das Buch zu sehr auf die Schrift­stel­le­rin fi­xiert ist, be­schäf­tigt man sich zu we­nig mit der ei­gent­li­chen Se­rie. Da­bei wä­re ein um­fas­sen­de­rer Ver­gleich (auch nach Ab­gang Bach­manns) viel­leicht auf­schluss­reich ge­we­sen.

Ver­klä­rung ge­hört zum Hand­werk

Mc­V­eigh sieht die Ty­po­skrip­te als sehr be­deu­tend in­ner­halb des Wer­kes von In­ge­borg Bach­mann an. Sie wür­de sich hier der »re­la­ti­ven An­ony­mi­tät des Me­di­ums Ra­dio« be­die­nen, »um auf dis­kre­te Wei­se auch per­sön­li­che Dä­mo­nen zu ban­nen.« Bei­spiels­wei­se näh­me die Bach­mann in der Fi­gur des Gui­do »Aspek­te der Va­ter-Fi­gur in ‘Ma­li­na’ vor­weg, al­ler­dings mit po­si­ti­vem Vor­zei­chen.« Mit der Ver­öf­fent­li­chung der Ra­dio­fa­mi­lie-Skrip­te wä­re ein »er­ster Schritt zu ei­nem neu­en Ver­ständ­nis der Dich­te­rin und ih­res Wer­kes in den frü­hen fünf­zi­ger Jah­ren« zu se­hen. Mc­V­eigh sieht die­se Schaf­fens­pe­ri­ode »zu Un­recht« als ver­nach­läs­sigt an. Mit der »grund­sätz­lich po­si­ti­ven Be­wer­tung des bür­ger­li­chen All­tags« ha­be die Bach­mann hier ei­ne Art »An­ti-Werk« zu ih­rem an­de­ren schrift­stellerischen Schaf­fen vor­ge­legt. Dass sie die­se Fol­gen im­mer ver­schwie­gen hat, er­klärt er mit dem Hin­ter­grund, dass die Bach­mann ihr Ar­bei­ten für den Sen­der der ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zungs­macht nicht be­kannt ma­chen woll­te. Rei­ne öko­no­mi­sche Grün­de für die Mit­ar­beit lässt Mc­V­eigh nicht gel­ten. Am En­de schluss­fol­gert er dann, dass die­se Tex­te von der Bach­mann wohl doch nur »als ei­ne Art Ex­pe­ri­ment mit The­men und Mo­ti­ven« zu be­trach­ten sei. Wo­bei es auf­grund des Kon­zep­tes der Ma­cher der Se­rie schwie­rig ge­we­sen sein dürf­te, be­son­ders ex­pe­ri­men­tell zu ar­bei­ten.

Die Zeit­rei­se in die 50er Jah­re ist teil­wei­se amü­sant, manch­mal auf­schluss­reich und nur am En­de ein biss­chen red­un­dant. Auf die Schwä­chen des Nach­worts von Jo­seph Mc­V­eigh wur­de schon ein­ge­gan­gen; sei­ne Be­deu­tungs­hu­be­rei ist zu­wei­len fast pein­lich. Nach­träg­lich (v)erklärt er die Bach­mann zum »krea­ti­ven Her­zen« des Au­toren­teams. Auch die Glie­de­rung des Bu­ches ist ge­wöh­nungs­be­dürf­tig. Auf Sei­te 402 ent­deckt man schließ­lich auch noch die Er­schei­nungs­da­ten der ein­zel­nen Fol­gen, wäh­rend­des­sen man sich im­mer ge­fragt hat­te, war­um dies auf den je­wei­li­gen Deck­blät­tern zur Fol­ge nicht ver­zeich­net ist.

Wür­de nicht der Na­me In­ge­borg Bach­mann als Au­torin auf den Deckeln der Ma­nu­skrip­te pran­gen – au­ßer ei­ni­gen Zeit­hi­sto­ri­kern, die hier die Welt der 50er Jah­re stu­die­ren könn­ten wür­de sich nie­mand da­für in­ter­es­sie­ren. Ver­mut­lich zu recht. Die hy­per­tro­phen Hym­nen ei­ni­ger Re­zen­sen­ten mu­ten reich­lich über­trie­ben an. Und so er­in­nert der Hype um die­se Ty­po­skrip­te an das so­ge­nann­te »Kriegs­ta­ge­buch« von In­ge­borg Bach­mann – 15 Sei­ten, die der Suhr­kamp Ver­lag im ver­gan­ge­nen Jahr eben­falls mit ei­ni­gem Bom­bast ver­öf­fent­lich­te. Dem Ger­ma­ni­sten­be­trieb ist da­mit auf lan­ge Zeit in punk­to Bach­mann-Ex­ege­se wie­der ei­ne neue Quel­le schier un­end­li­cher In­ter­pre­ta­tio­nen und Ana­ly­sen er­öff­net. Im­mer­hin.

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  1. Täu­sche ich mich oder ist im Zu­ge des Frisch-Ju­bi­lä­ums fast ei­ne Bach­mann-De­kon­struk­ti­on fest­zu­stel­len? Nicht das ich dies be­daue­re, Bach­mann ha­be ich als Frisch-Ver­eh­rer nur im Kon­text ge­le­sen, aber wie pas­sen die­se letz­ten bei­den auf­ge­bret­zel­ten Frag­men­te in die­ses Bild. Das Kriegs­ta­ge­buch ha­be ich ge­ra­de­zu als pein­lich emp­fun­den.

    Ich ha­be ge­ra­de mal ver­sucht an­de­re Bei­spie­le re­nom­mier­ter Au­toren zu fin­den, die Se­ri­en für Main­stream-Me­di­en ge­schrie­ben ha­ben. Wal­ser mit sei­nem Tas­si­lo fiel mir ein, auch Süskind mit Kir Roy­al und Mo­na­co Fran­ze. Gibt es noch an­de­re, die sich des­sen gar schäm­ten und die Ur­he­ber­schaft ge­heim hiel­ten? In den USA hat das Se­ri­en­for­mat im Ge­gen­satz zu Deutsch­land in den letz­ten Jah­ren ei­nen enor­men Qua­li­täts­sprung ge­macht, so­dass auch gro­ße Na­men kei­ne Be­rüh­rungs­äng­ste mehr ha­ben.

  2. Viel­leicht ist die­se De­kon­struk­ti­on Bach­manns schon län­ger im Gan­ge. Hier wird so­was ja an­ge­deu­tet.

    »Kriegs­ta­ge­buch« und »Ra­dio­fa­mi­lie« dürf­ten von den Bach­mann-Apo­lo­ge­ten nicht als sol­che emp­fun­den wer­den. Phi­lo­lo­gen trach­ten nach Voll­stän­dig­keit. Was nicht in das seit Jah­ren ge­pfleg­te Bild passt, wird pas­send ge­macht. Bach­manns Tod, ihr Po­sie­ren, ihr Vor­trag – all dies hat bis weit in die 90er Jah­re hin­ein ei­ne be­stimm­te Fi­gur ent­ste­hen las­sen; ei­ne Iko­ne der Ver­letz­lich­keit und Ver­letzt­heit am Le­ben. Dass man den Sockel durch die letz­ten bei­den Pu­bli­ka­tio­nen ein biss­chen an­kratzt, kommt den­je­ni­gen, die an des­sen Er­rich­tung be­tei­ligt wa­ren bzw. sind, nicht un­be­dingt in den Sinn, weil sie ih­re In­ter­pre­ta­tio­nen vom En­de her ent­wickeln.

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    Die ame­ri­ka­ni­schen Se­ri­en ver­mag ich nicht zu be­ur­tei­len; ich hö­re nur im­mer die­se Lo­bes­hym­nen. Schein­bar wird dort »Welt« um­fas­send und poly­perspektivisch »ab­ge­bil­det«. Und dies mit an­de­ren künst­le­ri­schen (äs­the­ti­schen Mit­teln) als der ei­ner Soap.

    Süskinds (und auch Walsers) Aus­flü­ge ins Fern­seh­me­di­um hat­ten die­sen An­spruch m. E. nicht. Sie woll­ten Ge­schich­ten von be­stimm­ten Fi­gu­ren er­zäh­len. Es wä­re in der Tat in­ter­es­sant, ob ein »pro­mi­nen­ter« deut­scher Dich­ter mal ei­ne Fol­ge der »Lin­den­stra­ße« ge­schrie­ben hat. Viel­leicht un­ter Pseud­onym?!

  3. Die künst­le­ri­sche Wei­ter­ent­wick­lung des Ki­nos fin­det – so muß man wohl sa­gen – in der Tat im US-ame­ri­ka­ni­schen Fern­se­hen statt, na­ment­lich und ex­em­pla­risch in den selbst­pro­du­zier­ten Se­ri­en des Sen­ders HBO. Aus ei­ge­ner An­schau­ung ken­ne ich zwar erst »Band of Brot­hers – Wir wa­ren wie Brü­der« und »Six Feet Un­der – Ge­stor­ben wird im­mer«, kom­me aber nicht um­hin, bei­den Se­ri­en außerordent­liche, ja nach­ge­ra­de li­te­ra­ri­sche Qua­li­tä­ten zu at­te­stie­ren, die so ziem­lich al­les weit weit hin­ter sich las­sen, was man als heu­te Fünf­zig­jäh­ri­ger in den Jahr­zehn­ten sei­ner TV-So­zia­li­sa­ti­on aus dem Land der be­grenz­ten Un­mög­lich­kei­ten zu se­hen be­kom­men hat. Gro­ße Klas­se!

    Six Feet Un­der hat mich im In­ner­sten be­rührt wie nie ei­ne TV-Se­rie (oder ein Buch) zu­vor, ich war von der er­sten Fol­ge an der­ma­ßen fas­zi­niert, daß ich die mir ur­sprüng­lich ge­gen mei­nen Wil­len leih­hal­ber auf­ge­nö­tig­te DVD-Kol­lek­ti­on in kür­ze­ster Zeit kom­plett durch­ar­bei­ten muß­te. Ein ech­tes Mei­ster­werk (die Box mit der er­sten Staf­fel wird ei­nem mitt­ler­wei­le al­ler­or­ten bil­ligst nach­ge­wor­fen, ein Selbst­ver­such ko­stet al­so nicht viel).

  4. Es hät­te nichts da­ge­gen ge­spro­chen die doch dürf­ti­gen Sei­ten bei ei­nem Phi­lo­lo­gen-Kon­gress zur Kennt­nis zu neh­men. Was mir auf­ge­sto­ßen war, ist das auf­pim­pen von acht hand­ge­schrie­be­nen Di­nA4-Sei­ten ei­ner Acht­zehn­jäh­ri­gen und elf Brie­fen zu ei­ner Art Werk (mit ent­spre­chen­dem Preis). Bach­mann ver­kommt da­bei zu ei­nem Wer­be­la­bel wie je­de an­de­re han­del­ba­re Wa­re. Das eben­falls schma­le und zeit­ge­schicht­lich wich­ti­ge­re Heft In­di­gnez-Vous! ist da­ge­gen re­gel­recht ver­ramscht wor­den.

    Hat es in West-Deutsch­land ei­gent­lich ähn­li­che päd­ago­gi­sche Ver­su­che wie Die Ra­dio­fa­mi­lie ge­ge­ben? Ich ken­ne erst den pas­si­ven Kul­tur­im­pe­ria­lis­mus a là Flip­per und Be­zau­bern­de Jean­nie. Die Hes­sel­bachs wa­ren es ja wohl nicht und vom Ra­dio der Zeit fehlt mir jeg­li­che Kennt­nis.

  5. @Ralph
    Es liegt – ei­gent­lich wie so oft – nicht nur am Geld, son­dern schlicht­weg an der Zeit. Das ist aber auch wie­der falsch: Es sind Prio­ri­tä­ten. Viel­leicht wer­de ich mich ir­gend­wann ein­mal – ge­sät­tigt von der Li­te­ra­tur – den so hoch­ge­lob­ten Se­ri­en »hin­ge­ben«...

    @Peter
    Ich glau­be, dass ei­ne Se­rie wie die »Hes­sel­bachs« (die je­mand wie An­dre­as Mai­er sehr schätzt!) auf ih­re Art auch päd­ago­gisch agi(ti)erte. In der »Lin­den­stra­ße« ist das bis heu­te der Fall; der rot-grün-po­li­tisch-kor­rek­te Un­ter­ton ist zu­wei­len arg ener­vie­rend. Aber das sind Fern­seh­for­ma­te. Zu Ra­dio­sen­dun­gen ha­be ich lei­der auch kei­nen Be­zug.