Strategieänderung bei der NZZ: Seit einiger Zeit sind im Netz nur noch 20 Artikel pro Monat frei, wer darüber hinaus gehen will, muss ein kostenpflichtiges Abo beziehen. War diese Entscheidung, vor allem hinsichtlich der sich Gewohnheiten der Leser, richtig?
Veränderungen
Guter Journalismus bedeutet Aufwand und kostet in unserer Gesellschaft damit Geld, auch online, und es war richtig und mutig, dass mit der NZZ endlich jemand andere Konsequenzen gezogen und einen Schritt weg von einem völlig kostenlosen Angebot im Netz getan hat. Reflektiere ich allerdings meine eigenen Lesegewohnheiten, dann lautet die Antwort: Man hätte das anders gestalten müssen.
Ein Onlineabo, das man sich nur für eine oder wenige Zeitungen leisten wird, widerspricht meinen eigenen Gewohnheiten und ich glaube, in gewisser Hinsicht den Prinzipien des Netzes. Das hat auch damit zu tun, dass ich mittlerweile keine gedruckten Zeitungen mehr lese, von Ausnahmen einmal abgesehen. Warum? Selbst wenn nicht alles, was in den Printausgaben erscheint, online veröffentlicht oder erst später und anders gewichtet wird, sind im Netz Vielfalt, Widerspruch und Informationsmenge größer; hinzu kommen die Interaktionen mit Lesern in Form von Kommentaren oder Blogeinträgen (in durchaus aufklärerischem Sinn) und mittlerweile auch Artikel von Lesern auf den Seiten der Zeitungen (»Leserkommentare«); und: online stehen viele andere, auch über das geschriebene Wort hinausgehende, Medien zur Verfügung: Blogs, Videokanäle, Audio-on-demand, soziale Netzwerke, Twitter, das alles in anderen Sprachen und aus allen Ländern: Es kann umfangreich und ohne Umschweife verglichen werden.
Selbst wenn man hinzunimmt, dass es durch die Tätigkeit von Werbeagenturen, durch wirtschaftliche Verflechtungen und journalistische Schwächen, zu eingeschränkter, verzerrter oder ähnlicher Berichterstattung kommt, ist man im Netz noch immer besser beraten, als mit einer einzelnen Zeitung, allein der Vielfalt und Breite wegen.
Die klassische Zeitung gewichtet, filtert und liefert ein »fertiges« Bild. Im Netz muss man diese Dinge selbst erledigen, was selbstverständlich Sinn der Sache ist, wobei es Aggregatoren gibt, die die Tätigkeit der Sammlung übernehmen und wieder eine Auswahl treffen (allerdings ganz anders als Zeitungen).
Obwohl ich Zeitungen schätze, kenne ich keine Heimstätte (mehr), also eine Zeitung der ich ausschließlich vertraue, und die ich im Abo beziehen möchte. Die relativ glatte und geschlossene Welt einer Zeitung als Quelle, brach und bricht, durch die Digitalisierung und weltweite Vernetzung immer weiter auf, verbunden mit allen Vor- und Nachteilen. Wenn die Welt in ihrer Vielfalt, sozusagen ins Wohnzimmer fällt, kann man sie nicht mehr ignorieren oder zurück stutzen. Im Netz existiert alles nebeneinander, eine Art Postmoderne der Information, der man begegnet und begegnen muss. Hier zeigen sich, ganz ohne Wertung, zwei Welten, alter und neuer Art. Das neue Leseverhalten wirkt reicher, vielfältiger, freier, offener, dabei aber eklektizistisch, unübersichtlicher, weniger systematisiert und geordnet. Als pars pro toto mögen die Hyperlinks stehen.
Die zeitgerechte, rasche Belieferung und bisweilen Überflutung mit Informationen haben Radio, Fernsehen und Internet übernommen, Papier zahlt sich nur noch für dauerhaftere Qualität (Analysen, etwa) aus, die man ruhig ein paar Tage später lesen kann (das Phänomen Boulevard lasse ich einmal außen vor).
Qualitätsjournalismus
Aus dem oben dargelegten ergibt sich die Frage, ob ein anderes Bezahlmodell, ähnliche verbreitete und in der Tendenz steigende Lesegewohnheiten, vorausgesetzt, nicht klüger und angemessener gewesen wäre.
Wäre es nicht, zuzüglich der Möglichkeit eines Onlineabos, grundsätzlich unbedingt notwendig, dass der Leser für einzelne Artikel bezahlen kann oder soll? Ist das nicht ein Gebot der Stunde und wäre es nicht im selben Atemzug die Rettung der Qualitätszeitungslandschaft?
Selbstverständlich wäre ein »völlig« freier Zugang zu den Informationen der Medien im Netz zu präferieren, allerdings handelt man sich damit das Problem ein, dass jene die nicht ausschließlich, aber wesentlich, Informationen zur Verfügung stellen, nachhaltig geschädigt werden. Man kann den Faden noch weiter spinnen: Die Bereitschaft auch online zu bezahlen – am schönsten wäre das in einem Akt von Freiwilligkeit – fördert die Unabhängigkeit von Journalisten und Medien und möglicherweise auch die Verbundenheit mit und die Partizipation der Leser.
Ein anderes Bezahlsystem
Setzen wir voraus, dass es keine technischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung gibt, so könnte ein Bezahlsystem für einzelne Artikel freiwillig (etwa nach dem Lesen des Artikels) oder gezwungener Maßen erfolgen (man kann den ersten Absatz lesen und wer mehr will, muss dafür bezahlen). Das erstere wäre zugleich ein Gratmesser für die Qualität des Artikels, bzw., noch eher, dessen Ankunft beim »Publikum«. Fraglich wäre, ob die meisten Leser sich überhaupt die Mühe machen, wenn es mit ein, zwei Klicks weniger auch geht. Realistischer ist daher die erst genannte Variante, man bezahlt nach einem kurzen Einstieg im Voraus und vertraut, sozusagen der Qualität des Artikels und der Institution.
Wie könnte so etwas aussehen? Ein Artikel der gelesen werden soll, kostet ein geringes Entgelt, sagen wir 5 oder 10 Cent (man kann das staffeln, der Artikellänge nach, die für den Leser aber vorab nachvollziehbar sein muss und dem Aufwand der dahinter steckt, zuzüglich eines Rabatts für fleißige Leser). Man klickt auf einen Menüpunkt, z.B. »weiterlesen«, überweist von einem Nutzerkonto den entsprechenden Betrag und erhält Zugang zum Text.
Allerdings ist ein solches System nur sinnvoll, wenn es überregional verwirklicht wird, kein Leser hat Lust, sich für jede Zeitung ein eigenes Artikelkonto anzulegen. Möglich wäre etwa, für den deutschen Sprachraum eine zentrale Seite zu schaffen auf der jeder ein Artikelkonto erstellen kann (der Betrag wird von einem Girokonto aus überwiesen). Mit diesem Konto kann er bei allen beteiligten Zeitungen lesen. Im Idealfall reicht dazu ein Mausklick (die Überweisung erfolgt automatisch und der Betrag wird der Zeitung und/oder dem Autor gutgeschrieben, ähnlich der ein-Klick-Bestellung bei Amazon).
Schwierigkeiten könnten sich hinsichtlich der technischen Umsetzung ergeben und wohl auch dabei, alle in ein Boot zu bekommen, obwohl, plakativ gesprochen, ein solches, beinahe existenzsicherndes Unternehmen im Interesse aller sein müsste. Hinsichtlich der Hyperlinks könnte man sogenannte Bezahllinks legen, in einer eigenen Farbe oder Kennzeichnung. So bleibt, von meiner Seite, vor allem die Frage: Wie denken andere darüber?
Zunächst würde mich interessieren, woran die NZZ weiss, dass ich 20 Artikel abgerufen bzw. gelesen habe (und nicht etwa 19 oder 21). Die »Welt« will ja auch ab nächstem Jahr alles bezahlen lassen. Und Bezahlsysteme gibt es ja im Netz schon (z. B. »flattr«). Ich zweifle, dass den Verantwortlichen 5 oder 10 ct/Beitrag reichen. Gehen die Beträge aber wesentlich höher, kann man ja fast die Zeitung nachschicken lassen.
Ich sehe das als Versuch von Verlagen, die Schmerzgrenzen auszuloten. Ich glaube nicht, dass dies dauerhaft von Erfolg gekrönt sein wird. Man muss m. E. dazu übergehen, bei Tageszeitungen unterschiedliche Redaktionen zu fahren. Einiges aus dem Blatt stellt man online; anderes nicht. Und ein oder zwei Online-Artikel gibt es dann im Blatt. Der Rest bleibt getrennt. Bei Wochenzeitungen ist das ja schon teilweise der Fall. Wer einen Artikel aus Print haben will, muss eben bezahlen (max. 1 Euro).
Hier noch eine aktuelle Ergänzung.
Ich hatte vor 2 Jahren, damals noch im PDF Format, ein Online Abo der Zeit, aber keine Zeit zum Lesen. Dann bei der FAZ ein Abo für Artikeln aus dem Archiv, online. Auch da stellte ich fest, dass ich es nur zu einem Prozent nutzte. Da ich aber die Abos nur innerhalb der Jahresfrist kündigen konnte, liefen die weiter. Aufgrund dieser Erfahrungen nehme ich kein Abo mehr. Wenn mich ein Artikel interessiert kaufe ich ihn. Magazine wie brand eins, Wespennest oder Sterz lese ich in gedruckter Form.
Wenn mich etwas interessiert google ich den Begriff, lerne mit Wolfram Alpha und finde dabei interessante Seiten wie beispielsweise diesen Blog.
Ich besitze keinen Fernseher, nutze meinen PC um Österreich 1 online zu hören. Dokumentationen schaue ich mir via 3sat an. Radio Liberty reduziert mehr und mehr die Radio Angebote und stellt um auf Multi Media. Die Zeit hat einen online shop, in dem Produkte wie Wein, Reisen und andere Produkte online gekauft werden. Der Gurdian und die Huffington Post bauen auf dem Multia Media Konzept auf. Grenzen und Kategorien schwinden.
Ich lasse mir von der Bücherverwaltungs-Software »calibre« täglich die freien Feeds von Süddeutsche.de, FAZ.NET, Zeit Online, FTD und meinem heimischen nordbayern.de zu virtuellen Zeitungen aufbereiten und diese dann drahtlos auf mein Lesebrettchen beamen. Da habe ich dann – im Gegensatz zu sperrigen Papier-Gazetten – ein auch im täglichen Pendlerzug sozialkompatibel benutzbares Kompakt-Medium in der Hand, mit dem ich zudem meiner Interessenlage weit gezielter gerecht werde als mit dem Kauf einer »normalen« Zeitung (5x Politik, 5x Feuilleton, 0x Sport).
Natürlich ist mir klar, daß die Feeds längst nicht alle Artikel des kostenpflichtigen Angebots enthalten, die Premium-Artikel schon gar nicht, nur: mein zur täglichen Nachrichten-Lektüre verfügliches Zeit-Budget ist in aller Regel schon mit der mir zugänglichen »Freeware« ausgeschöpft...
An jedem Monatsersten – so auch heute – lasse ich mir solcherart die (hier von mir wärmstens empfohlene) brand eins automatisch aufbereiten. Während nämlich deren aktuelle Ausgabe nur am Kiosk erhältlich ist, sind im Verlagsarchiv alle älteren Ausgaben im Volltext virtuell verfügbar. Wenn das für den Verlag in Ordnung geht, warum dann nicht auch für den sparsamen Leser mit etwas Geduld?
Ach ja, die FTD hat ein schlaues Bezahl-Modell entwickelt: Da sind die interessantesten Artikel zwar anzulesen, aber sobald Neugier und das Interesse auf mehr geweckt sind, kommt der Hinweis auf den kostenpflichtigen Inhalt und die Möglichkeit zum Weiterlesen gegen Bares. Das Erwecken von Appetit per kostenloser Kostprobe scheint mir auch jenseits von Käse und Wurst der erfolgversprechendste Weg zu sein, dem Kunden Qualität anzudienen...
@Gregor
Ich kenne mich da technisch zu wenig aus, aber man könnte das wohl über die IP Adressen ermitteln. — Ob die Zahlen hundertprozentig korrekt sind, weiß ich nicht.
An »flattr« habe ich beim Schreiben seltsamer Weise gar nicht gedacht, allerdings basiert das auf Freiwilligkeit, soweit ich weiß. Grundsätzlich aber eine Möglichkeit.
Wenn die Beträge deutlich höher liegen, würde kaum jemand bezahlen, so weit sehen das hoffentlich auch die Verantwortlichen.
Bei der NZZ waren die Redaktionen bis vor kurzem getrennt, beim Standard sind sie es meines Wissens nach. Mir ist aber nicht ganz klar, warum die Redaktionen überhaupt getrennt sind, ein guter Artikel bleibt es, print wie online. Klar: Online kommen andere Aspekte und Möglichkeiten dazu, aber warum soll ein qualitativ gutes Produkt, sozusagen, geteilt bzw. parallel angeboten werden, das bindet doch unnötig Ressourcen.
Zu dem verlinkten Artikel: Ob das mediale Mittelsegment tatsächlich wegbrechen wird, ist vielleicht voreilig gedacht, weil man durchaus nicht immer Zeit für ausführliche Analysen hat oder einfach nur rasch und in gebotener Kürze wissen möchte, was es neues gibt, und dann braucht es genau dieses. Wenn ich dem Job-Gedanken folge, komme ich für meine Person, zuerst auf den Nutzen (also: Qualität), danach folgt alles andere (ob die Zeitung praktisch zu lesen ist oder was auch immer).
@Milena Findeis
Ich habe mit Abos ähnliche Erfahrungen gemacht: Ich hatte regelmäßig ein gutes Produkt, das viel (manchmal zuviel) Zeit benötigte, die nicht immer vorhanden war. Vielleicht auch ein Zuviel an Bindung.
Ich sehe alle Nebengeschäfte und Verflechtungen der Zeitungsverlage mit weinenden Augen, weil ich befürchte, dass sie über kurz oder lang das Kerngeschäft schwächen oder gar korrumpieren.
Fernseher habe ich auch keinen (was die Folge hat, dass man sich bewusst und seltener für Filme und Videos entscheidet und sich weniger [nicht] berieseln lässt).
@Ralph Stenzel
Die Sache mit vollständigen Archiven ist natürlich schön und qualitativ gute Artikel verfallen weniger rasch oder gar nicht (für Tageszeitungen aber kein brauchbares Konzept). Ich würde ja, wie geschrieben, den Zugang zu allen Artikeln gerne prinzipiell offen halten, wenn sich das nicht kontraproduktiv im Sinne der Produkte auswirkt.
Natürlich ist auch mein Zeitbudget mit der »Freeware« ausgefüllt, läge allerdings ein anderes Angebot vor, würde ich womöglich anders wählen.
[Eine Frage am Rande: Haben Sie mit anderen Lesegeräten als dem Kindle Erfahrungen gemacht?]
Nein, ich kenne aus eigener Erfahrung nur den Kindle 3 aka Kindle Keyboard, der von der Hardware her für mich den »good enough«Level weit übersteigt und mir bis zu seinem oder meinem Ableben (whichever comes first) allemal taugt, und der im Verein mit der oben verlinkten Freeware »calibre« keinerlei Wünsche offenläßt: Selbst die Befreiung aus dem umzäunten Amazon-Garten ist damit problemlos möglich, und was wollte man mehr?
P.S.: Halt, ich muß mich korrigieren: Schon früher habe ich auf meinem immer noch im täglichen Einsatz befindlichen Zauberkästchen Zeitungen gelesen, das sah dann so aus. Ging auch, aber so ein eInk-Display eines Kindle spielt natürlich in einer ganz anderen Liga...
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@metepsilonema
Der Zugriff über die IP-Nummer kann trügen; es gibt Web-washer, Internet-Cafés und anderes, mit dem man das unterlaufen kann. Vermutlich wird man sich demnächst dann anmelden müssen und dann gibt es fünf Artikel im Monat kostenlos...
Dass die Online-Redaktionen separat waren bzw. sind liegt daran, dass man eine höhere Taktfrequenz für Nachrichten Online braucht. Manchmal wird das ja gemischt. Bei der Wochenzeitung DIE ZEIT finde ich bspw. problematisch, dass man dort ein richtiges Nachrichtenportal mit praktisch stündlich neuen Beiträgen betreibt, während es sich ja eigentlich um eine Wochenzeitung handelt. Man könnte online ja zu Print ergänzende Beiträge posten – unabhängig von der aktuellen Nachrichtenlage. Aber das kommt wohl nicht an.
Von allen einmal gehabten Online-Abos habe ich nur noch das FAZ-Archiv für 30 Euro im Jahr (5 Beiträge im Kalendermonat frei).
Ergänzung: Hier steht etwas zu Online-/»Papier«-Journalisten bei der NZZ.