Sabine M. Gruber: Beziehungsreise Sophia kauert in einem Hotel nachts im Badezimmer und liest »Der Förster vom Silberwald«. Das Buch gibt ihr auf eine seltsame Weise einen Halt; sie ist verstört, denn Marcus, ihr – ja, was? – Freund? Mann? Bekannter?, noch weiss man es nicht – hat ihr »Gewalt angetan«. Zwei Mal wird der Akt der Vergewaltigung in stakkato- und bildhaften Sätzen rekonstruiert – ohne Drastik und doch mit einer eindringlichen Intensität. »Achtlos zur Seite gerollt. Kein Wort, bis zuletzt«. Vorher »dumpf schmerzend erniedrigt«. »Zehntes Jahr« ist dieses Kapitel zu Beginn des Buches überschrieben. Das nächste heißt dann »Neuntes Jahr«. Es beginnt vom Ende her. Nach der Lektüre wird man nicht genau wissen, ob es das Ende war, weil in den zehn Jahren zuvor schon so oft vom Ende die Rede war. Und immer wieder kam es anders.
Ich gestehe, dass ich des Titels des Buches von Sabine M. Gruber wegen Probleme hatte, es vorurteilsfrei aufzuschlagen. Das Buch heißt »Beziehungsreise« und es geht um das Wort »Beziehung« darin. In einer Zeit, in der 12jährige in Facebook bekennen »in einer Beziehung« zu sein, fällt es mir schwer, dieses Wort Ernst zu nehmen, so ausgehöhlt erscheint es mir inzwischen. Und hier interagieren erwachsene Menschen; Sophia ist am Ende 44, Marcus 51. Aber auf eine besonders perfide Art charakterisiert das technokratische Wort »Beziehung« diese Bindung kongenialer als das schöne, altertümliche »Liebschaft«, die aristokratische Bezeichnung »Liaison« oder das verrucht konnotierte Wort von der »Affäre«.