Zwei Bücher über Alarmismus und Konformität deutscher Intellektueller nach 1945 Immer wenn politische, soziale oder ökonomische Krisen ein Gemeinwesen erschüttern, werden sie gerufen, um Stellung zu beziehen: Die Intellektuellen. In der allgemeinen Meinungskakophonie sollen sie Halt bieten, Auswege aufzeigen, die Unübersichtlichkeit ordnen und repräsentativ für die kritische Masse ihr Wort erheben. Wo früher Pfarrer die ...
Uwe Kolbe: Die LügeNeulich strahlte das ZDF einen zweiteiligen Film über den Alltag des »normalen« Bürgers in der DDR aus. Es war der inzwischen längst übliche Mix aus historischen, teilweise privaten Filmaufnahmen und Prominenten, die in den Zeugenstand gerufen wurden. Sie erzählten vom Mangel, vom Zusammenhalt, von ihren Idealen, die sich sukzessive pulverisierten. Überraschender als die Tatsache eines solchen Films an sich war der Titel: »Nicht alles war schlecht«. Adaption eines Liedtitels der »Prinzen« von 2010? Möglich. Aber sofort kamen mir die Erzählungen von Verwandten und Bekannten aus meiner Kindheit in den Kopf. Man hörte den Satz bis weit in die 70er Jahre hinein: Damals, beim Hitler, sei nicht alles schlecht gewesen. Einen Film im Jahr 1970 mit einem solchen Titel über den Alltag im Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1939 gibt es meines Wissens nicht; er hätte einen veritablen Skandal ausgelöst.
Jetzt ist es sicherlich nicht opportun, Nazideutschland mit der DDR zu vergleichen. Das Grass-Wort von der »kommoden Diktatur« war ja so ganz falsch nicht. Aber dass man einen derart kontaminierten Titel genommen hatte, befremdete mich doch. Merkwürdig dann, dass ich mich während der Lektüre von Uwe Kolbes neuem Buch »Die Lüge« an dieses »Nicht alles war schlecht« erinnerte. Im Roman erzählt der Komponist Hadubrand Einzweck, genannt Harry, von den ersten rund dreißig Jahren seines Lebens in der DDR. Untrennbar ist dies verbunden mit dem Verhältnis zu seinem Vater Hildebrand, genannt Hinrich, der Anfang der 1950er Jahre mit seiner damaligen Frau Karla als überzeugter Kommunist von Hamburg in die sich formierende, sozialistische deutsche Republik, »dem Morgenrot entgegen«, übersiedelte.