Transversale Reisen durch die Welt der Romane
Die kargen Romane Patrick Modianos, aber auch die opulenteren von Kazuo Ishiguro, unterscheiden sich wesentlich von denen der Generation Flauberts, aber auch von Joyce oder Döblin, indem sie stets einen Hof des Ungesagten um das Erzählte oder Angedeutete mitführen, d. h. »konstruieren« (das aber oft ganz unmerklich). »Much is left unsaid«. Ich weiß nicht, woher mir der der englische Satz zufliegt, denke aber nicht unbedingt an Hemingway und seine Spitze-des-Eisbergs-Theorie. Es ist ein starkes Bild, das der sichtbaren Spitzen, doch passender scheint mir das einer Aura, eines »halo« (wie die Franzosen sagen). Celans »Lichthof Bedeutung«, also wie in der Lyrik. Immer nur kleine Erhellungen, dazwischen Dunkelheit. Das alles nicht im altromantischen Sinn, sondern, wenn man so sagen kann, in erzähltechnisch Hinsicht. Wie funktioniert ein Roman? Indem mit Worten ein Raum ohne Worte geschaffen wird, gleichsam sein Unbewußtes, das der Autor weiß und uns aus strategischen Gründen nicht verrät. Wir, die Leser, können, wenn wir wollen, selber herumrätseln.
Weiß er es wirklich? Sind solche Autoren »allwissend«? Verschweigen sie etwas (vieles)? Für die Autoren, die ich hier im Auge habe, gilt das eher nicht. Sie arbeiten vielmehr mit ihrer Unwissenheit. Sie gehen aus vom Nichtverstehen, wollen den Bereich des Nichtverstehens womöglich reduzieren, wissen aber auch, daß das nie vollständig gelingen wird. Sie arbeiten mit Ahnungen. Vielleicht sind sie nicht einmal wissender als der Leser. Vielleicht ist manch ein Leser wissender als der Autor des Buchs, das er liest.
Kafka ist das Nonplusultra des erzählenden Schreibens im 20., vielleicht noch im 21. Jahrhundert. An diese These glauben viele, aber selten wird die Frage gestellt, was Kafka denn bewirkt hat, ob er Breschen geöffnet hat in der Literatur, oder besser: im Bereich literarischer, poetischer, imaginativer Sensibilität (an dem genauso der Leser teilhat). Eher wirkt Kafkas Werk monolithisch, seine ganze Schriftstellerexistenz ist ein besonderes, herausragendes, aber abgeschlossenes Kapitel. Bei Joyce ist das ganz anders, auf ihn kann man sich einlassen, mit seinem Werk mitgehen, wachsen, zum Fan werden, zum Spezialisten. In der New York Times stand unlängst ein Bericht über einen Lesekreis zum (prinzipiell unverständlichen) Finnegans Wake, der über Jahrzehnte ging und kürzlich zu einem glücklichen (?) Ende kam.