Phil­ipp Sa­ra­sin: 1977 – Ei­ne kur­ze Ge­schich­te der Ge­gen­wart

Philipp Sarasin: 1977 - Eine kurze Geschichte der Gegenwart
Phil­ipp Sa­ra­sin: 1977 – Ei­ne kur­ze Ge­schich­te der Ge­gen­wart

Vor ei­ni­gen Jah­ren er­schien ein Buch mit dem Ti­tel »1976 – Die DDR in der Kri­se«. Der Au­tor Kar­sten Kram­pitz er­in­ner­te an Er­eig­nis­se, die ins­ge­samt (und rück­wir­kend) be­trach­tet ei­ne in­ter­es­san­te Ten­denz ein­läu­te­ten. Ne­ben der Aus­bür­ge­rung Wolf Bier­manns und dem Ar­rest des Re­gime­kri­ti­kers Ro­bert Ha­ve­mann, die auch im We­sten Deutsch­land aus­gie­big re­zi­piert wur­den, wa­ren es auch an­de­re Ent­wick­lun­gen, wie die Selbst­ver­bren­nung des Pa­stors Os­kar Brü­se­witz oder die sich in Frank­reich, Spa­ni­en und ins­be­son­de­re Ita­li­en im­mer stär­ke­re Rol­le der sich par­la­men­ta­risch or­ga­ni­sier­ten so­ge­nann­ten »eu­ro­kom­mu­ni­sti­schen« Par­tei­en, die mit dem Vor­rang der so­wje­ti­schen KPdSU bra­chen und da­mit die SED vor Pro­ble­men stell­ten. Be­ant­wor­tet wur­de dies, in dem Erich Hon­ecker auch noch Staats­rats­vor­sit­zen­der wur­de und nun, wie einst Ulb­richt, bei­de Macht­po­si­tio­nen be­klei­de­te. Kram­pitz ver­lei­tet den Le­ser mit den Vor­gän­gen des Jah­res 1976 in­ne zu hal­ten und sie in ei­nen hi­sto­ri­schen Kon­text zu stel­len. Die Ab­sicht war zwar, die DDR nicht vom En­de her zu den­ken, aber es ist un­wei­ger­lich – und auch der Te­nor des Bu­ches – dass sich 1976 erst­mals ei­ner brei­ten Öf­fent­lich­keit zeig­te, dass die­ser Staat kri­sen­haf­te Sym­pto­me aus­bil­de­te.

Die Ver­su­chung, hi­sto­ri­sche Wen­de­punk­te mit fe­sten Da­ten zu ver­knüp­fen und da­mit ei­ne Fol­ge­rich­tig­keit zu ent­wickeln, ist ver­füh­re­risch. So er­schien im letz­ten Jahr von dem Hi­sto­ri­ker Frank Bösch »Zei­ten­wen­de 1979: Als die Welt von heu­te be­gann«, in dem welt­po­li­ti­sche Er­eig­nis­se des Jah­res 1979 als epo­chen- und zu­kunfts­bil­dend auf­ge­li­stet wur­den. Es ist tat­säch­lich leicht, in die­sem Jahr fün­dig zu wer­den: Die ira­ni­sche Re­vo­lu­ti­on, Mar­ga­ret That­cher wird bri­ti­sche Pre­mier­mi­ni­ste­rin, der Papst be­sucht sein Hei­mat­land Po­len, die So­wjet­uni­on mar­schiert in Af­gha­ni­stan ein, die kom­mu­ni­sti­schen San­di­ni­sten über­neh­men die Macht in Ni­ca­ra­gua, das Camp-Da­vid-Frie­dens­ab­kom­men zwi­schen Is­ra­el und Ägyp­ten wur­de von der Knes­set ge­bil­ligt, die Ver­ab­schie­dung des NA­TO-Dop­pel­be­schlus­ses und ein ge­wis­ser Deng Xiao­ping be­gann mit der Pla­nung für die öko­no­mi­schen Öff­nung Chi­nas.

Mit ei­ner ähn­li­chen Häu­fung nach­träg­lich als hi­sto­risch ein­ge­schätz­ter Ge­scheh­nis­se ver­mag das kürz­lich er­schie­ne­ne Buch von Phil­ipp Sa­ra­sin, »1977- Ei­ne kur­ze Ge­schich­te der Ge­gen­wart«, nicht auf­zu­war­ten. Sa­ra­sin, der Böschs Buch er­wähnt, ver­sucht, die »tie­fen ge­sell­schaft­li­chen, po­li­ti­schen, kul­tu­rel­len, wis­sen­schaft­li­chen und tech­no­lo­gi­schen Ver­schie­bun­gen und Brü­che in West­eu­ro­pa und den USA, die sich…auf ei­ne er­staun­li­che Wei­se im Jahr 1977 bün­deln las­sen« zu il­lu­strie­ren. Be­reits im Vor­wort lässt er sich und dem Le­ser ein biss­chen Lei­ne, in dem er das ge­sam­te Jahr­zehnt der 1970er Jah­re als »Schwel­len­jahr­zehnt« aus­macht. Wie es im wei­te­ren Ver­lauf des Bu­ches Usus sein wird, lässt er al­len mög­li­chen Be­fun­den frei­en Lauf, so dass auch To­ny Judts – freund­lich aus­ge­drückt – merk­wür­di­ges Ur­teil zi­tiert wird, die Sieb­zi­ger sei­en das »de­pri­mie­rend­ste Jahr­zehnt« des 20. Jahr­hun­derts ge­we­sen.

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Fuß­ball-WM mit Gün­ter Grass

Nein, nicht die ak­tu­el­le. Die von 1990. [2.7.90] Das Dau­men­hal­ten für die Tsche­chen wäh­rend des gest­ri­gen Spiels oder die Hoff­nung bis zum Ver­län­ge­rungs­schluss­pfiff, es mö­ge Ka­me­run ge­lin­gen, die Eng­län­der zu schla­gen, wor­auf sie im Halb­fi­na­le den Deut­schen zei­gen, was ei­ne ehe­ma­li­ge Ko­lo­nie auf die Bei­ne zu stel­len ver­mag. (Das Gan­ze na­t­rü­lich nicht oh­ne Rück­fäl­le: Klins­mann ...

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S. U. Bart: Good­bye Bis­marck

»Die über­grei­fen­de Ver­bin­dungs­li­nie von 1871 und 1990, al­so von na­tio­na­ler Ver­ei­ni­gung und Wie­der­ver­ei­ni­gung, fand schließ­lich in Ham­burg ih­ren sinn­fäl­li­gen Aus­druck in Form ei­nes eph­eme­ren Denk­mals be­son­de­rer Art: Ein ‘Kom­man­do Hei­ner Geiß­ler’ aus der au­to­nom-al­ter­na­ti­ven Sze­ne hat­te des Nachts dem Bis­marck-Denk­mal von Le­de­rer ei­nen Hel­mut Kohl-Kopf über­ge­stülpt und so die deut­schen Ei­ni­gungs­kanz­ler zur hi­sto­ri­scher Ein­heit ver­schmol­zen.« Die­ses Zi­tat stammt aus dem Auf­satz »Trup­pen­tri­umph und Kai­ser­kult – Eph­eme­re In­sze­nie­run­gen in Ham­burg« von Ro­land Jae­ger aus dem Buch »Mo(nu)mente« (her­aus­ge­ge­ben von Mi­cha­el Diers). Jae­ger nimmt Be­zug auf ein wah­res Er­eig­nis: tat­säch­lich wur­de an­läss­lich der Ver­ei­ni­gungs­fei­ern am 3. Ok­to­ber 1990 dem Kopf Bis­marcks ei­ne Hel­mut Kohl-Mas­ke über­ge­stülpt.

S. U. Bart: Goodbye Bismarck
S. U. Bart: Good­bye Bis­marck
Zwei­fel­los ein Hu­sa­ren­stück (das Denk­mal ist über 30 Me­ter hoch!), hier ver­stan­den als kurz­le­bi­ges Kunst­ob­jekt mit po­li­ti­scher In­ten­ti­on. Es ist die Grund­la­ge für Ste­pha­nie Barts Ro­man »Good­bye Bis­marck« (nun ja, der Nach­klang zu »Good­bye Le­nin« ist wohl durch­aus ge­wollt). Klu­ger­wei­se weist die Au­torin (die S. U. Bart ge­nannt wer­den möch­te) am An­fang dar­auf hin, dass es sich zwar um »nack­te, sau­ber re­cher­chier­te Tat­sa­chen« han­de­le von de­nen sie je­doch »man­che mit Macht und Be­dacht ver­dreht ha­be«. Und glück­li­cher­wei­se sind wohl ei­ni­ge »Er­fin­dun­gen« dar­un­ter, »die we­der mit den Wahr­hei­ten noch mit den Wirk­lich­kei­ten von da­mals ir­gend­et­was zu tun ha­ben«.

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Fab­jan Haf­ner: Pe­ter Hand­ke – Un­ter­wegs ins Neun­te Land

Fabjan Hafner: Peter Handke - Unterwegs ins Neunte Land
Fab­jan Haf­ner: Pe­ter Hand­ke –
Un­ter­wegs ins Neun­te Land

Mit sei­nem Buch »Pe­ter Hand­ke – Un­ter­wegs ins Neun­te Land« möch­te Fab­jan Haf­ner auf­zei­gen, dass das Slo­we­ni­sche bei Pe­ter Hand­ke mehr als nur ei­ne Be­schäf­ti­gung mit sei­nen Ah­nen ist, son­dern nichts we­ni­ger als ein Le­bens­the­ma , ja der Ge­ne­ral­baß im Ge­samt­werk des Dich­ters. Slo­we­ni­en ist Sehn­suchts­ort, (s)ein Uto­pia sui ge­ne­ris und bu­ko­li­sches Traum­land. Die ge­sam­te müt­ter­li­che Ver­wandt­schaft Hand­kes ge­hör­te der Min­der­heit der Kärnt­ner Slo­we­nen an. Be­son­ders der Gross­va­ter, Gre­gor Si­utz (slo­we­nisch: Sivec) und des­sen gleich­na­mi­ger Sohn sind Licht­gestalten in Hand­kes Kind­heit und Ju­gend und blei­ben dar­über hin­aus prä­gend.

Haf­ner be­tont zwar wie­der­holt, dass Hand­ke sel­ber ei­ne bio­gra­fi­sche Deu­tung sei­ner Er­zählungen (ins­be­son­de­re sei­ner Slo­we­ni­en-Re­kur­se) ab­lehnt, kon­zi­diert dann je­doch, dass die le­bens­ge­schicht­li­che Lesart…ergiebiger sei als die in­ter­tex­tu­el­le. 1942 wur­de Pe­ter Hand­ke in Al­ten­markt (bei Grif­fen) in Süd­kärn­ten ge­bo­ren. 1944 geht die Fa­mi­lie nach Ber­lin (in den Ost­teil der Stadt); Hand­kes Stief­va­ter (es stell­te sich für Hand­ke erst spä­ter erst her­aus, dass es sein Stief­va­ter war) kam aus Ber­lin. 1948 zu­rück, hat der klei­ne Hand­ke das Slo­we­ni­sche voll­kom­men ver­ges­sen und spricht »hoch­deutsch«, was im Dorf als ab­ge­ho­ben emp­fun­den wird. Er kann sich mit den Ein­hei­mi­schen, wie auch dem Gross­va­ter nur schlecht ver­stän­di­gen; ih­ren Dia­lekt ver­steht er nicht. Hier­aus rührt – so Haf­ner – Hand­kes ge­ne­rel­le Ab­leh­nung des Dia­lekts ge­gen­über. Die Fa­mi­lie ist in mehr­fa­cher Hin­sicht »am Rand«, der jun­ge Hand­ke dop­pelt un­zu­hau­se: Geo­gra­fisch be­wohnt die Fa­mi­lie ei­nen Hof am Dorf­rand; es sind »ein­fa­che Ver­hält­nis­se«. Ge­sell­schaft­lich sind sie Kärnt­ner Slo­we­nen, al­so ei­ne Min­der­heit, an­de­rer­seits stammt der Mann der Mut­ter aus Deutsch­land. In der Fa­mi­lie dient (wie auch un­ter den »öster­rei­chi­schen Kärnt­nern«) das Slo­we­ni­sche als ei­ne Art Ge­heim­spra­che.

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Von Zwie­beln und Ur­he­ber­rech­ten

Gün­ter Grass hat die Dis­kus­si­on um sei­ne SS-Zu­ge­hö­rig­keit ver­mut­lich mehr ge­trof­fen, als an­fangs an­ge­nom­men. Er hat je­den­falls ei­ne Un­ter­las­sungs­kla­ge ge­gen die FAZ er­wirkt, die Brie­fe von ihm an Karl Schil­ler in Gän­ze ver­öf­fent­licht hat­te. Grass sah das Ur­he­ber­recht bei sich. Ich bin kein Ju­rist, aber es gibt hier Zwei­fel. Die einst­wei­li­ge Ver­fü­gung, die er er­wirkt hat, sagt ja nichts über ein even­tu­el­les Ur­teil aus.

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