In seinen Anfängen war das Projekt Moderne1 noch der Suche nach Wahrheit verbunden; aber das Wahre begann zu verblassen, als man das Projekt rückhaltlos dem Neuen verschrieb, es mit der Wahrheit in eins setzte, warf, verwechselte und mischte: Das Wahre wurde abstrakt und die Suchbewegungen der Moderne hilflos: Aber man trieb das Projekt voran und überantwortete Mensch und Natur diesen oszillierenden Bewegungen: Im Leerlauf verbrauchten, zerrieben und überhitzten sich die Körper: Die Reste verbrannten Treibstoffs und der Ruß erloschener Flammen [markieren] die Flugbahnen des Fortschritts2.
Existentialismus
Albert Camus: Hochzeit des Lichts

Das vom Arche-Verlag jüngst herausgebrachte Buch »Hochzeit des Lichts« von Albert Camus umfasst genaugenommen zwei Bücher. Zum einen vier Erzählungen, die 1938 in Frankreich unter dem Titel »Noces« (»Hochzeit«; in Deutschland erstmals 1954 unter »Hochzeit des Lichts«) erschienen. Sie entstanden, wie der Verlag in einer editorischen Notiz erklärt, in den Jahren 1936–1937. Camus war damals also ungefähr 23 Jahre alt. Zum anderen gibt es acht Erzählungen, die 1954 in Frankreich unter dem Titel »L’été« (»Sommer«) erschienen waren und zwischen 1939 und 1953 entstanden. Der deutsche Titel lautet »Heimkehr nach Tipasa«. Die deutschen Übersetzungen der beiden Bücher von 1954 und 1957 wurden für dieses Buch teilweise überarbeitet.
Es ist nun mehr als ein Fauxpas, wenn der Verlag sowohl im Klappentext als auch in der Pressemitteilung schreibt, dass alle »in diesem Band versammelten Texte« zwischen 1936 und 1938 »erstmals erschienen« seien. Die hier abgedruckten Erzählungen, die mit der Zeit essayistischer und philosophischer werden (Camus hätte letzteres vielleicht bestritten), sind, wie oben ausgeführt, keinesfalls dieser eng umrissenen Zeitspanne zuzuordnen.
Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern

Du mußt dein Leben ändern
So wie der Torso Apollos im Louvre von Paris im Jahr 1908 zum Dichter Rainer Maria Rilke mit seiner durchlichtende[n] Äußerung des Seins in einem anthropomorphen Akt zu sprechen beginnt und ihn aufruft »Du mußt dein Leben ändern«, so möchte auch Peter Sloterdijk den Leser mitreissen und affizieren. Begeistert ob dieser (säkularistischen) Inspiration weist er in seiner höchst originellen Lesart des Rilke-Gedichts en passant auf die beiden wichtigsten Worte dieses absoluten Imperativs hin: Zum einen das »Müssen« – zum anderen das Possessivpronomen: hier sind weder Ausflüchte noch Delegationen erlaubt und die Konsequenzen könnten einschneidend sein.
Und so nimmt Sloterdijk Fahrt auf zur Lebensänderungs-Expedition. Dabei soll (in Paraphrase zu Wittgenstein) der Teil der ethischen Diskussion, der kein Geschwätz ist, in anthropotechnischen Ausdrücken reformuliert werden. So wird der Übende, der Akrobat, zur Galionsfigur des Sich-Ändern-Wollenden installiert und bekommt dabei fast zwangsläufig das Attribut »asketisch«, denn der größte Teil allen Übungsverhaltens vollzieht sich in der Form von nicht-deklarierten Askesen. Kein Ziel kann da hoch genug sein (und das im wörtlichen Sinn). Rilkes Vollkommenheits-Epiphanie als unumkehrbares Aufbruchsmoment, als Vorbild für den heutigen Trägheitsmenschen. Sloterdijk als Trainer (das ist derjenige, der will, daß ich will oder doch eher eine Re-Inkarnation Zarathustras, denn kein Zweifel kommt auf, daß hier Nietzsche der grosse Motivator ist, sozusagen der »Über-Trainer«.
Oscar Peer: Akkord

Nach drei Jahren Gefängnis kommt Simon, jetzt 65 Jahre alt, in sein Dorf zurück – Schweizer Engadin; um 1935 (man muss die Zeit aus dem Erzählten rekonstruieren). Ein Jagdunfall, fahrlässige Tötung; viele Dörfler halten es für Mord. Und das ein Jahr nach der Auseinandersetzung im Dorf um die Jenischen, als sich Simon mit der Dorfnomenklatura angelegt hatte, die sie lieber heute als morgen aus dem Dorf wieder vertrieben hätten. Seine Frau ist während des Gefängnisaufenthalts verstorben – man hat es ihm nach der Beerdigung mitgeteilt.
Simon findet Unterkunft und Tagelohnarbeit; das Dorf ist hinsichtlich seiner Person gespalten. Seinen (unausgesprochenen) Wunsch, man möge diesen Unfall vergessen und sich an das erinnern, was er vorher für das Dorf geleistet hat, wird nicht erfüllt. Trotz der teilweise feindlichen Stimmung möchte er im Dorf – seiner Heimat – bleiben; eine (kurze) Beschäftigung im Hotel der nahegelegenen Stadt befriedigt ihn nicht. Er, Waldarbeiter Simon, der Einzelgänger, sucht das Dorf, die Gemeinschaft – und lehnt sie gleichzeitig ab. Hin- und hergerissen freundet er sich mit Vera an, die für sich und ihren Mann „sein“ Haus gekauft hat. Die dicke Theresa, die alles vom Dorf weiss, stört ihn aber bereits mit ihren Gewissheiten und Fakten.