Spra­che und Macht

Es ge­hört zur rai­son d’être ei­nes Schrift­stel­lers, auf die Spra­che zu ach­ten. Die all­ge­mein im Ge­brauch ste­hen­de eben­so wie sei­ne per­sön­li­che Spra­che liegt ihm am Her­zen. Zu­min­dest mir geht es so, ich will die Spra­che nicht zer­stö­ren (wie einst ei­ni­ge Da­da­isten) oder ver­wahr­lo­sen se­hen, ich will sie er­wei­tern, aus ih­ren Mög­lich­kei­ten schöp­fen, sie not­falls auch schüt­zen. Wohl des­halb bin ich emp­find­lich, wenn aus ideo­lo­gi­schen oder bü­ro­kra­ti­schen Er­wä­gun­gen an ihr ge­mä­kelt, ge­zerrt und ge­rüt­telt wird.

»Sprecher*innen« und »Schreiber*innen« wür­de ich schrei­ben, woll­te ich mich po­li­tisch-mo­ra­lisch kor­rekt ver­hal­ten. Oder »Spre­chen­de und Schrei­ben­de«. Bei­des nicht schön. Zu die­sem The­ma ist schon viel Tin­te ge­flos­sen, ich will nicht mehr als ein paar Trop­fen hin­zu­zu­fü­gen, die deut­sche und die ro­ma­ni­schen Spra­chen be­tref­fend vor al­lem den Hin­weis, dass in so­ge­nann­ter in­klu­si­ver Spra­che auch die Ar­ti­kel und Ad­jek­ti­ve syn­chro­ni­siert und im Ge­nus-Be­zug plu­ra­li­siert wer­den müss­ten, was oft un­ter­bleibt oder in­kon­se­quent durch­ge­führt wird. Wenn aber strikt syn­chro­ni­siert wird, steigt in man­chen Wort­fol­gen die Um­ständ­lich­keit der Äu­ße­rung noch ein­mal an. Kürz­lich war ich bei ei­nem Se­mi­nar li­te­ra­ri­scher Über­set­zer. Der Groß­teil der Teil­neh­mer weib­lich, die Vor­tra­gen­den weib­lich, ab­ge­se­hen vom jun­gen Ein­füh­rungs­red­ner. Er be­gann mit dem Satz: »Ich bin kein stu­dier­ter Literaturwissenschaftler…in.« Das Suf­fix kam erst nach ei­ner kur­zen Pau­se, das Ad­jek­tiv und die Ne­ga­ti­on hät­te er ei­gent­lich an­pas­sen müs­sen, was im Münd­li­chen schwie­rig ist, aber auch schrift­lich: »kein*e studierte*r Literaturwissenschaftler*in«, oder was im­mer man an Schrift­zei­chen auf­bie­ten will.

Ich ha­be fast täg­lich mit Tex­ten in fünf bis sechs Spra­chen Um­gang. Die gen­der­be­wuss­ten Än­de­rungs­wel­len fal­len mir in den mei­sten von ih­nen auf; in ei­ni­gen, be­dingt durch die Struk­tur der Spra­che, mehr, in an­de­ren we­ni­ger. Be­son­ders stö­rend und de­struk­tiv emp­fin­de ich der­lei Än­de­run­gen im Fran­zö­si­schen und im Spa­ni­schen. Im Fran­zö­si­schen kom­men sie mir nur in der On­line-Zei­tung Me­dia­part un­ter, dort aber so mas­siv, dass die Les­bar­keit der Ar­ti­kel im­mer wie­der in Ge­fahr steht. Le Mon­de, sprach­lich kon­ser­va­tiv, brach­te letz­tes Jahr ei­nen Be­richt über ei­nen Ge­set­zes­vor­schlag des fran­zö­si­schen Se­nats, so­ge­nann­te »in­klu­si­ve Spra­che« in of­fi­zi­el­len Do­ku­men­ten zu ver­bie­ten. Der Ar­ti­kel be­gann leicht iro­nisch mit der Be­mer­kung, man kön­ne an die­ser Stel­le von »sé­na­teurs« und »sé­na­tri­ces« spre­chen, aber nicht von »sé­na­teu­rices« – wo­bei die kon­se­quen­te in­klu­si­ve Schreib­wei­se ei­gent­lich »sénat(eur)ices« lau­ten müss­te. Der Se­nat möch­te nicht zu­letzt so­ge­nann­te non-bi­nä­re, in Wör­ter­bü­chern bis­her nicht ent­hal­te­ne For­men wie das pro­no­mi­na­le »iel« (Ver­bin­dung von »il« und »el­le«), »cel­leux« oder »tou­stes« ver­ban­nen, die für mein Ohr tat­säch­lich gro­tesk klin­gen. Das Bil­dungs­mi­ni­ste­ri­um hat­te schon 2021 ei­nen Er­lass aus­ge­sandt, der sol­chen Sprach­ge­brauch an Schu­len un­ter­sagt.

Aber vor sol­chen Gro­tes­ken scheu­en die Ideolog*innen nicht zu­rück. In Spa­ni­en und noch mehr in ei­ni­gen la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern prä­gen sie For­men wie »to­des«, um Per­so­nen zu in­klu­die­ren, die sich we­der als männ­li­che »to­dos« noch als weib­li­che »to­das« er­ken­nen kön­nen. Das er­gibt dann For­men wie »chi­ques« für non-bi­nä­re Jungs/Mädels/X (auch das X kommt mitt­ler­wei­le zu gram­ma­ti­schen Eh­ren), so­dass man sich im Plu­ral nicht nur an »querido.a.s chico.a.s« wen­den wird, son­dern auch an »quer­ides chi­ques«, am be­sten viel­leicht so: »querido.a.e.s chic(qu).a.e.s«. Dass sich so et­was dann nicht mehr le­sen lässt, ver­ste­hen wohl auch je­ne Le­ser, die des Spa­ni­schen nicht mäch­tig sind. In Ar­gen­ti­ni­en ver­sucht die Re­gie­rung von Staats­prä­si­dent Ja­vier Mi­lei in­zwi­schen, in­klu­si­ve Spra­che in den Äm­tern zu ver­bie­ten; das­sel­be tut seit letz­tem Jahr die Lan­des­re­gie­rung in Nie­der­öster­reich. Zwi­schen Kon­ser­va­ti­ven und Pro­gres­si­ven ist in vie­len Tei­len der Welt ein Ping-Pong-Kampf um die Spra­che im Gang. Der Schrift­stel­ler steht am Netz und be­wegt den Kopf hin und her. Schrei­ben wird er wei­ter­hin so, wie er es für gut hält. Wenn ihm nicht sen­si­ti­ve Lektor*innen im Ver­lag dicke Stri­che ins Ma­nu­skript set­zen.

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Han­no Rau­ter­berg: Wie frei ist die Kunst?

Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst?
Han­no Rau­ter­berg:
Wie frei ist die Kunst?

Kunst, die als Ver­un­glimp­fung, Her­ab­set­zung oder Dis­kri­mi­nie­rung ei­ner Per­son oder Per­so­nen­grup­pe oder ge­sell­schaft­li­chen Grup­pie­rung auf­grund von Haut­far­be, Glau­ben, Ge­schlecht, kör­per­li­cher Ver­fas­sung, Al­ter oder na­tio­na­ler Her­kunft ver­stan­den wer­den könn­te soll­te grund­sätz­lich von staat­li­chen För­der­mit­teln ausge­schlossen wer­den.

Die­se For­de­rung könn­te durch­aus als Im­pe­ra­tiv im Rah­men ei­nes zeit­ge­nös­si­schen Dis­kur­ses um ei­nen sich neu for­mie­ren­den Kunst- und Kul­tur­be­griff ste­hen. For­mu­liert wur­de er aber nicht von ei­nem AStA, ei­ner Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten oder ver­meint­lich pro­gressiven Kunst­kri­ti­kern son­dern be­reits im Jahr 1989 vom 2008 ver­stor­be­nen re­pu­bli­ka­ni­schen US-Se­na­tor Jes­se Helms im Rah­men des­sen, was man post fe­stum »Cul­tu­re wars« nann­te. Helms woll­te un­ter an­de­rem die­se Richt­li­nie als Zu­satz zur ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung im­ple­men­tie­ren. Die Poin­te: Er war ul­tra-kon­ser­va­tiv, ho­mo­phob und trat ve­he­ment ge­gen die Gleich­be­rech­ti­gung von Wei­ßen und Schwar­zen ein. Sein Vor­stoß galt den da­mals »un­züch­ti­gen« und »blas­phe­mi­schen« Kunst­pro­duk­ten bei­spiels­wei­se ei­nes Fo­to­gra­fen wie Ro­bert Mapp­le­thor­pe, der Sän­ge­rin Ma­don­na oder Mar­tin Scor­se­ses »Die letz­te Ver­su­chung Chri­sti«.

Helms’ Zi­tat ist aus Wie frei ist die Kunst?, dem neue­sten Buch des ZEIT-Feuil­le­ton­­re­dak­teurs Han­no Rau­ter­berg. Es trägt den Un­ter­ti­tel Der neue Kul­tur­kampf und die Kri­se des Li­be­ra­lis­mus. Aus vier Sicht­wei­sen – Pro­duk­ti­on (Künst­ler), Dis­tri­bu­ti­on (Mu­se­en), Re­zep­ti­on und In­te­gra­ti­on – un­ter­sucht Rau­ter­berg das ge­wan­del­te Ver­ständ­nis von Kunst von der Mo­der­ne über die Post­mo­der­ne hin zur Ge­gen­wart, die im Buch Di­gi­tal­mo­der­ne ge­nannt wird.

In der Ein­lei­tung be­nennt Rau­ter­berg an ei­ni­gen Bei­spie­len der letz­ten Zeit die sich strikt an »Wer­te« ori­en­tie­ren­den An­sprü­che an Kunst. Da wer­den Per­so­nen aus Fil­men her­aus­ge­schnit­ten, die we­gen se­xu­el­ler Über­grif­fe an­ge­zeigt wur­den. Da wird ein Ge­dicht an ei­ner Häu­ser­fas­sa­de über­malt, weil es frau­en­ver­ach­tend und se­xi­stisch sein soll. Als dis­kri­mi­nie­rend emp­fun­de­ne Wör­ter sol­len aus Bü­chern ge­tilgt wer­den. Werk­schau­en wer­den auf­grund von Se­xis­mus-Vor­wür­fen an den Künst­ler ab­ge­sagt oder als an­stö­ßig emp­fun­de­ne Kunst­wer­ke aus Aus­stel­lun­gen ent­fernt. Ka­ri­ka­tu­ren blei­ben un­ge­zeigt, weil sie re­li­giö­se Ge­füh­le ver­let­zen könn­ten.

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Po­si­ti­ve Dis­kri­mi­nie­rung

Wie der bri­ti­sche »Guar­di­an« be­rich­tet, sol­len ab 2008 Neu­stu­den­ten in Gross­bri­tan­ni­en bei ih­rer An­mel­dung un­ter an­de­rem nach dem Bil­dungs­grad ih­rer El­tern be­fragt wer­den. Auch Fra­gen, die ei­nen un­mit­tel­ba­ren Schluss zu ih­rer »so­zia­len Schicht« zu­las­sen, sol­len ge­stellt wer­den. Sinn der Mass­nah­me ist es, auch An­ge­hö­ri­gen von un­te­ren Schich­ten die Mög­lich­keit ei­nes Stu­di­ums ein­zu­räu­men und die­se even­tu­ell zu för­dern.

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