Zwölf Aufsätze, Berichte (manchmal sind es auch Reportagen) und zwei Vorworte von acht Autoren – »Die Taschenspieler« versammelt Belege über die zunehmende Entfremdung zwischen Staat bzw. Regierungsmacht und dem »normalen« Bürger. Und das sehr aktuell – Redaktionsschluss war Anfang September 2010. Schwerpunkt dieser Betrachtungen ist Baden-Württemberg – das ist bei Klöpfer & Meyer, wo dieses Buch erschienen ist, kein Wunder. Es gibt allerdings auch drei Ausreisser: einen Beitrag über einen italienischen Giftmüllskandal, der über jahrzehntelange Versenkungen von Giftmüllschiffen in der italienischen Adria berichtet, ein Lehrstück in Sachen Atommüllentsorgung am Beispiel der Deponie Asse (interessant hier die Attribute: von Versuchseinlagerungen über »Forschungsbergwerk« bis zur Endlagerstätte reich[t]en die offiziösen Zuordnungen ) und am Ende einen sehr informativen Beitrag von Markus Köhler über die Problematik des fliegenden Gerichtsstands im Presserecht, welcher dazu dient, unliebsame Presseartikel durch einstweilige Verfügungen von Presserechtsaktivisten, die an jeder Ecke das Persönlichkeitsrecht von Mandanten verletzt sehen (Stichwort: Haarfarbe des Ex-Bundeskanzlers und andere Kleinigkeiten), vor allem vor dem Hamburger Landgericht zu beklagen – was auch zumeist gelingt.
Baden-Württemberg
Joachim Zelter: Der Ministerpräsident

Dann fällt ihm noch der Mondtag ein. Fast richtig sagte die Ärztin, Frau Doktor Wolkenbauer. Nein, er kennt keinen dieser Tage. Er lernt sie auswendig. Er hat Lücken im Kopf. Namenslücken, Freundeslücken, Familienlücken, Berufslücken, Landschaftslücken, Erinnerungslücken, Wortlücken. Er weiß nur, dass er Ministerpräsident ist. Der Ministerpräsident bekommt von der Ärztin ein Notizheft. Hier soll er hineinschreiben, was er nicht versteht. Er schreibt auch seinen Namen hinein: Claus Urspring. Schreiben kann er immerhin. Und er weiß, dass der Mann, der immer zu Besuch kommt, Julius März heißt.
Der Ministerpräsident hatte einen Autounfall und lag mehrere Tage im Koma. Er ist nun in einer Klinik. Julius März besucht ihn regelmässig, denn schließlich ist Wahlkampf. Urspring, so will es die Ärztin, soll sich erinnern, an die Kindheit, an schöne Erlebnisse. März will, dass er sich an die Landesverfassung und die Kompetenzen der Staatssekretäre erinnert. Er paukt das mit ihm. Aber irgendwie interessiert es Urspring nicht.
Der furchtbare Politiker
Da zeigt die CDU wieder ihre alte, hässliche 50er-Jahre-Fratze – und das während sich in Berlin Merkel, von der Leyen & Co. um eine moderne CDU bemühen.
Bei der Beerdigung des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, belässt es der amtierende Ministerpräsident Günther Oettinger nicht bei allgemeinen, floskelhaften Reden, sondern verklärt denjenigen, der kaum wie ein anderer als Prototyp des »furchtbaren Juristen« gilt. Die Zitate, die seit gestern Nachmittag in den Agenturen zu lesen sind, sprechen eine deutliche Sprache.