Nach­ge­tra­gen

»Wenn je­mand ei­ne Rei­se tut, so kann er was er­zäh­len…«, so lau­tet ein Volks­lied von Mat­thi­as Clau­di­us. Mi­cha­el Mar­tens kann auch et­was er­zäh­len, wenn er kei­ne Rei­se »tut«.

Und so »be­rich­tet« er al­so von Pe­ter Hand­kes Rei­sen nach Ser­bi­en und zur Re­pu­bli­ka Srps­ka im Mai 2021. Der Nicht-Oh­ren-und-Au­gen­zeu­ge Mar­tens weiß er­staun­li­cher­wei­se al­les. Gleich zu Be­ginn wird deut­lich, dass Hand­ke nicht ein­fach nur ei­ne Rei­se un­ter­nom­men hat, son­dern ei­ne »Ju­bel­tour­nee«. Und dass er die Or­den in Ban­ja Lu­ka, die er be­kam, mit dem Wor­ten »Dies ist ein gro­ßer Au­gen­blick für mich« kom­men­tiert hat­te. Er weiß mit wem sich Hand­ke ei­nig war, was man be­spro­chen hat, dass er ein Fuß­ball­tri­kot von Par­tizan Bel­grad »stolz« ge­tra­gen hat (so wie einst das von »Ro­ter Stern Bel­grad«? – bit­te, Herr Mar­tens, ich bren­ne auf die Ant­wort). Wenn Hand­ke von »Volk« re­de, so er­in­ne­re dies an den »Höcke-Flü­gel« der AfD. Was er nicht weiß, ist wie Hand­ke den Be­griff »Volk« ver­wen­det1. Wie soll­te er auch, denn da­für hät­te man sich mit dem Werk aus­ein­an­der­set­zen müs­sen.

Aus der Hand­ke-Re­de in Više­grad an­läss­lich des Ivo-An­drić-Prei­ses2 zi­tiert Mar­tens zwei Stel­len – und lässt den ent­schei­den­den Satz weg. Mei­nes Wis­sens er­wähn­te ihn nur Mla­den Gla­dić in sei­ner Be­richt­erstat­tung für die »Welt« – im In­ter­net hin­ter ei­ner Be­zahl­schran­ke sorg­sam ver­wahrt. Da­her soll – mit aus­drück­li­cher Ge­neh­mi­gung der Be­tei­lig­ten – Pe­ter Hand­kes spon­ta­ne Re­de vom 7. Mai 2021 in Više­grad in ei­ner Tran­skrip­ti­on von Žar­ko Rad­ako­vić hier ab­ge­druckt wer­den3:

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  1. Darüber gibt es seit den 1980er Jahren vielschichtige literaturwissenschaftliche Studien. Meine Gedanken dazu findet man hier: https://mirabilis-verlag.de/produkt/lothar-struck-erzaehler-leser-traeumer-begleitschreiben-zum-werk-von-peter-handke/ 

  2. Anlass war die serbische Übersetzung von "Das zweite Schwert. Eine Maigeschichte“ von Žarko Radaković "Drugi mač. Majska povest". Es wurde als Buch des Jahres 2020 in Serbien und Republika Srpska mit dem "Ivo Andrić Preis" ausgezeichnet. Peter Handke reiste am 7. Mai 2021 nach Višegrad, um den Preis persönlich entgegenzunehmen. Der andere Laureat, der serbische Schriftsteller Milovan Danojlić, war aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Višegrad gekommen. 

  3. Handke hielt die Rede auf Deutsch; die Original-Aufnahme liegt mir vor 

Pe­ter Hand­ke: Mein Tag im an­de­ren Land

Im letz­ten Ka­pi­tel sei­ner im Som­mer 2020 neu über­ar­bei­te­ten Han­d­ke-Bio­­­gra­­phie »Mei­ster der Däm­me­rung« hat­te Mal­te Her­wig viel­leicht et­was in­dis­kret aus dem Werk­statt­käst­chen des Schrift­stel­lers ge­plau­dert. Pe­ter Hand­ke wol­le »noch« ei­ne »Dä­mo­nen­ge­schich­te« schrei­ben, so schreibt Her­wig. Wo­mög­lich in An­leh­nung an Ge­schich­te des Be­ses­se­nen von Ge­ra­sa aus dem Mar­­kus-Evan­­ge­­li­um (5,1–20), der von Je­sus von sei­nen Dä­mo­nen be­freit ...

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Blei­be schrei­bend im Bild!

Pe­ter Hand­ke zeich­net seit je­her be­glei­tend zu sei­nem Schrei­ben – vor al­lem sei­ne No­tiz­bü­cher sind durch­zo­gen von Zeich­nun­gen, die sich oft so eng an das Ge­schrie­be­ne an­schlie­ßen, als wür­de das Ge­zeich­ne­te mit der Schrift ver­schlun­gen sein. Kürz­lich ist ei­ne Zu­sam­men­stel­lung die­ser Bil­der im Schirm­er und Mo­sel Ver­lag er­schie­nen, in de­nen al­lein ei­ni­ge Ti­tel sei­ner Zeich­nun­gen gan­ze Ge­schich­ten er­zäh­len: »Er­ste hei­le, vol­le Ha­sel­nuss des Jah­res, Frucht noch an der Na­bel­schnur« oder »Auf den Dach­schie­fer­plat­ten die er­sten Trop­fen des Som­mer­re­gens im DO­MI­NO-Mu­ster«.

Hand­ke zeich­net aus­schließ­lich mit Blei­stift und Ku­gel­schrei­ber und oft be­stehen sei­ne Zeich­nun­gen aus vie­len klei­nen an­ein­an­der­ge­reih­ten Krei­sen un­ter­schied­li­cher Far­ben. Auf ei­ner ist ei­ne ver­wun­de­te Wald­maus mit ei­nem ab­ge­spreiz­ten Fuß ist zu se­hen, de­ren Schwanz in das mit grü­ner und ro­ter Tin­te Ge­schrie­be­ne hin­ein­ragt. Ein paar Sei­ten wei­ter ver­steckt Hand­ke dann das da­zu­ge­hö­ri­ge Mau­se­loch; ein tief­schwar­zer Fleck auf sprö­dem Wald­bo­den, auf dem trotz Trocken­heit Blu­men in blau und gelb blü­hen.

Der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph Gi­or­gio Agam­ben ver­gleicht im Vor­wort Hand­kes Zeich­nun­gen mit dem ja­pa­ni­schen Farb­holz­schnitt Su­ri­mo­no, auf dem sich das Ge­schrie­be­ne und das Ge­mal­te ver­ei­nen. Eben­so wie in den Su­ri­mo­nos sieht Agam­ben in Hand­kes Zeich­nun­gen den hart­näcki­gen Ver­such der Wör­ter, sich in die Bil­der hin­ein­zu­schie­ben und »schrei­bend im­mer im Bild zu blei­ben«.

Das passt zu Hand­kes Sicht auf die Welt, in der auch das al­ler­klein­ste De­tail ei­ner Be­rück­sich­ti­gung be­darf; es ist sei­ne be­son­de­re Art des Schau­ens, ein fast kind­li­cher Blick­win­kel, dem das Stau­nen über das noch so Klei­ne in­ne­wohnt – die Ka­sta­ni­en­blät­ter im Ju­ni, Re­gen am Zug­fen­ster im De­zem­ber, ein Mu­ster im Wald­pfad, ei­ne Lö­wen­zahn­spo­ren­ku­gel, ein Amei­sen­hü­gel, ein Abend­him­mel. Aber auch Men­schen schlei­chen sich hin und wie­der in sei­ne Bil­der, die ihm in Zü­gen, Kir­chen oder Bars be­geg­nen.

Hand­ke ge­lingt es in sei­nen Zeich­nun­gen vor al­lem, das »nicht mehr« oder auch das »noch nicht« zu ver­bild­li­chen. Es geht ihm um die Dar­stel­lung von Be­ge­ben­hei­ten, die sich ge­ra­de da­durch aus­zeich­nen, dass sie sich in ei­nem Zwi­schen­zu­stand er­eig­nen, der ei­ne be­son­de­re Lee­re auf­weist. Es scheint, als ob Hand­ke die­se »Nicht-Mo­men­te« zeich­net, um der Lee­re ein Ge­fühl zu ver­lei­hen und um sie da­mit von ih­rer Man­gel­haf­tig­keit zu ent­he­ben. Die Lee­re ist ei­ne Vor­aus­set­zung für die Er­fahr­bar­keit von Stil­le. Hand­ke ver­bild­licht Stil­le.

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Neu­es vom er­zäh­len­den Bio­gra­phen

Malte Herwig: Meister der Dämmerung
Mal­te Her­wig: Mei­ster der Däm­me­rung

Mal­te Her­wig er­gänzt sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung über Pe­ter Hand­ke um die Ge­scheh­nis­se um den Li­te­ra­tur­no­bel­preis 2019

Als Mal­te Her­wig En­de 2010 sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung vor­leg­te, war das Werk von Pe­ter Hand­ke zwar nicht ab­ge­schlos­sen, aber gro­ße Über­ra­schun­gen schie­nen nicht mehr zu er­war­ten. Her­wigs Bio­gra­phie, die in vie­lem Neu­es bot (be­son­ders die Brie­fe Hand­kes an sei­nen leib­li­chen Va­ter und die Er­läu­te­run­gen da­zu), gab ei­nen gu­ten Auf­riss von Vi­ta, Werk und Hand­kes Wir­ken im li­te­ra­ri­schen Be­trieb. Fast en pas­sant gab es bis­wei­len ori­gi­nel­le In­ter­pre­ta­tio­nen. Die ewi­ge wie ei­gent­lich dum­me Fra­ge, ob der Bio­graph sei­nen »Ge­gen­stand« mö­gen muss (wenn dem so wä­re, wie könn­te man Bio­gra­phien bei­spiels­wei­se von Ver­bre­chern schrei­ben), stell­te sich nicht. Her­wig ließ kei­nen Zwei­fel dar­an, dass er das Werk Hand­kes, sei­ne Li­te­ra­tur schätz­te – oh­ne da­bei die mensch­li­chen Schwä­chen des Dich­ters zu ver­schwei­gen.

Es kam dann doch an­ders als er­war­tet. Trotz ei­nes Hand­bruchs, der den Dich­ter an­dert­halb Jah­re stark be­hin­der­te, er­schie­nen seit 2010 sechs wei­te­re Er­zäh­lungs­bän­de Hand­kes, drei Thea­ter­stücke (das jüng­ste über den Tsche­chen Zdeněk Ada­mec erst vor we­ni­gen Ta­gen) und ein Jour­nal­band mit Aus­schnit­ten aus sei­nen Auf­zeich­nun­gen zwi­schen 2006 und 2015. Dies al­lei­ne wä­re aber kaum An­lass ge­we­sen, die Bio­gra­phie zu er­gän­zen. Die un­er­war­te­te Ver­ga­be des Li­te­ra­tur­no­bel­preis nebst der sich zwi­schen Ok­to­ber und De­zem­ber 2019 an­schlie­ßen­den »Dis­kus­si­on« dar­über war dann doch Ge­le­gen­heit zur Ak­tua­li­sie­rung.

Der Bio­gra­phie wur­de ein ach­tes Ka­pi­tel mit dem viel­deu­ti­gen Ti­tel Er­wähl­te nach­ge­stellt. So liegt nun im Pan­the­on Ver­lag (bei DVA war 2010 die Bio­gra­phie er­schie­nen; bei­de Ver­la­ge ge­hö­ren zu Ran­dom Hou­se) ei­ne ak­tua­li­sier­te und er­wei­ter­te Aus­ga­be vor. Ne­ben dem neu­en Ka­pi­tel kor­ri­gier­te Her­wig auch ei­ni­ge klei­ne­re Feh­ler (Ge­burts­da­ten) bzw. er­gänz­te in­zwi­schen Ge­sche­he­nes (wie Ster­be­da­ten). Hier und da wur­den ab­ge­wan­del­te For­mu­lie­run­gen für un­be­tei­lig­te Drit­te ge­fun­den. Der Te­nor der ur­sprüng­li­chen Bio­gra­phie wur­de da­durch nicht ver­än­dert; es dürf­te ei­nem ehe­ma­li­gen Le­ser kaum auf­fal­len.

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Pe­ter Hand­ke: Zdeněk Ada­mec

Mit der Ein­la­dung des »Ex-Au­tors« an sei­ne Gä­ste (al­so sei­ne Le­ser), ei­ne »trau­ri­ge Ge­schich­te« zu hö­ren, en­det Pe­ter Hand­kes 2008 er­schie­ne­ne epi­sche Er­zäh­lung Die mo­ra­wi­sche Nacht. Man ist ge­neigt, dies zu über­le­sen, aber wie so häu­fig nimmt er nicht nur Be­zug auf sei­ne er­schie­ne­nen Wer­ke und Fi­gu­ren, son­dern greift auch bis­wei­len vor. Und jetzt, 2020, ...

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Thor­sten Car­sten­sen (Hg.): Die täg­li­che Schrift

»Nach Eu­ro­pa zu­rück­ge­kehrt, brauch­te ich die täg­li­che Schrift und las vie­les neu.« Den er­sten Satz aus Pe­ter Hand­kes Die Leh­re der Sain­te-Vic­toire hat Thor­sten Car­sten­sen als Grund­la­ge für den Ti­tel sei­nes Sam­mel­ban­des »Die täg­li­che Schrift« über »Pe­ter Hand­ke als Le­ser« ge­nom­men. Der Band er­schien im Herbst 2019 – ei­gent­lich ge­nau zur rich­ti­gen Zeit: Hand­ke hat­te ...

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Pe­ter Hand­ke: Das zwei­te Schwert

Und wie­der so ein »Aben­teu­er­buch« von Pe­ter Hand­ke. In den 1980er Jah­ren be­gan­nen sie, die Er­zäh­lun­gen vom Auf­bruch in ein neu­es Le­ben, das, was man En­t­­wick­­lungs- oder, ge­nau­er: Ver­wand­lungs­ro­ma­ne nen­nen könn­te. Prot­ago­ni­sten ver­lie­ßen wie ei­nem in­ne­ren Zwang ge­hor­chend ihr an­ge­stamm­tes Da­sein, be­reit für Neu­es. Die In­ten­tio­nen wa­ren nur zu er­ah­nen. Al­lei­ne als Ein-Mann- oder Ein-Frau-Ex­­pe­­di­tio­­nen ...

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Pe­ter Hand­ke und der No­bel­preis

Nur ein Link für Le­ser: Mein Text für die öster­rei­chi­sche Wo­chen­zei­tung »DIE FURCHE«: »Kein Be­woh­ner des El­fen­bein­tums« Gro­ßer Dank an Bri­git­te Schwens-Har­rant, die die­sen um­fäng­li­chen Text mög­lich ge­macht hat. Das ist heut­zu­ta­ge sel­ten. .-.-.-.- Ei­ne groß­ar­ti­ge Po­le­mik über die wohl­fei­len bis ag­gres­si­ven Han­d­ke-Kri­ti­ker fin­det sich bei Ber­sa­rin: Pe­ter Hand­ke und die kar­gen Le­mu­ren. Auf Spie­­gel-On­­li­ne ...

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