»Fragment/e über ei­ni­ge po­pu­lä­re Songs« (3)

(Nicht) in Stein ge­hau­en

Und die Mu­sik? Das ist die, die wir auch sonst aus un­se­ren Nacht­fahr­ten hö­ren: 60er. Kei­ne Far­ben mehr, ich will, dass sie al­le zu schwarz wer­den. Als hät­ten wir, auch mu­si­ka­lisch Hei­mat­lo­se, da noch ir­gend­wel­che An­schlüs­se zu schaf­fen. (Da­bei san­gen wir längst laut­hals mit. Es war das ein biss­chen wie mit dem eher we­nig ge­schätz­ten, aber dir ein­zig ver­trau­ten Song in der Juke­box, und wenn ihn dann ei­ner drückt, kannst du sei­ne Ein­gän­gig­keit nicht ver­wei­gern.)

Weit­hin ra­gen­de Turm­auf­bau­ten über der Land­schaft, schwarz. Schwarz ver­wu­cher­te Ve­ge­ta­ti­on der Gleis­an­schlüs­se. Auf den Roll­stahl­tü­ren der Fa­bri­ken ein schwar­zer Auf­trag, der so­gar die Graf­fi­tis ver­schluckt. Noch das Quarz­glas der Ober­lich­ter in den Ma­schi­nen­hal­len war schwarz an­ge­lau­fen ge­we­sen, und je­der ver­irrt in die Au­gen tref­fen­de Licht­strahl wie ein Trä­ger der Idee, er müss­te aus jung­fräu­li­che­ren Wel­ten sein. Mit schwar­zen Fin­ger­rän­dern.

Klar, dass ei­nem auch die Gif­te, dau­ernd ein­ge­speist, zu ho­möo­pa­thi­schen Le­bens­stof­fen wer­den, nach de­nen es ei­nen ver­lan­gen muss, wer­den sie ei­nem dann ent­zo­gen. Und dass ei­ner je­der sei­nem Ver­fall auch sei­ne ei­ge­ne Poe­sie ab­ge­win­nen muss. Ra­di­um ge­win­nen. Bil­der ka­men mir von öl-schlicki­gen Herz­kam­mern mit vor Drang schwarz quel­len­dem Blut, von un­term ko­chend­hei­ßen Was­ser­strahl damp­fen­den Män­nern, die wie­der zu wei­ßen wer­den, wal­speckig wie Mana­tis, ei­ne See­kuh­art. Und zum Schicht­wech­sel ein Glei­ßen wie auf Schwarz­te­er­schin­deln an ei­nem Frost­mor­gen, wie der Glanz auf den Schu­hen, die Ma­ja­kow­ski auf der Rodt­schen­ko-Se­rie von ’24 trägt. – Aber auch das wohl schon zu pre-post re­tro-avant. Ge­sang von der Stra­ße, und dann flo­gen schon Stei­ne in un­se­re Fen­ster ...

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Grin­del­wald

Es war ein der­art ein­schnei­den­der Mo­ment, dass ich et­li­ches, was sich um die­ses Er­eig­nis her­um er­eig­net hat, ver­ges­sen ha­be. Ich ste­he auf ei­ner Ver­kehrs­in­sel in Grin­del­wald und te­le­fo­nie­re mit mei­ner Mut­ter. Kurz vor dem Abend­essen; ein kur­zes Mel­den nach ei­ni­gen Ta­gen. Sie er­zählt von mei­nem Va­ter, der beim Zahn­arzt ge­we­sen war we­gen sei­nes Ge­bis­ses, wel­ches nicht pass­te. Es pass­te schon seit Jah­ren nicht, aber im­mer wie­der hat­te er den Gang zum Arzt hin­aus­ge­zö­gert und statt­des­sen mit Un­men­gen von Ge­biss­kle­bern ver­sucht, ei­ne Fe­stig­keit zu er­zeu­gen. Seit Jah­ren nimmt mein Va­ter die­ses Pul­ver; das klei­ne, ro­te Fläsch­chen ist in zwei, drei Ta­gen leer. Es ist Na­tri­um­al­gi­nat. An­geb­lich harm­los. Aber im­mer wie­der, nach zwei oder drei Mahl­zei­ten fällt ihm das Ge­biss her­aus. Der Arzt hat­te, wie mei­ne Mut­ter sich aus­drück­te, ei­nen »Knub­bel« im Mund fest­ge­stellt. Er kann kein neu­es Ge­biss an­pas­sen, bis die­ses Ding ent­fernt ist. Man nahm ei­ne Pro­be. Ich weiß nicht mehr, ob mei­ne Mut­ter mir schon da­mals sag­te, dass es Krebs war. Oder ob das erst spä­ter war. Aber ich ver­las­se die Te­le­fon­zel­le mit dem Ge­fühl, dass mein Va­ter Krebs hat. Er war jen­seits der 70, star­ker Rau­cher; Spie­ler. Sein plötz­lich fass­li­cher, mög­li­cher Tod ließ mich über ihn nach­den­ken. Ich ging wie in Trance aus der Te­le­fon­zel­le.

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Som­mer­wet­ter

Die Wol­ken hin­gen schwer und in Trau­ben über den oran­ge­ro­ten Dä­chern bei­sam­men: Ju­lia ging ei­nen Schritt vom Fen­ster zu­rück, schlüpf­te in ih­re Turn­schu­he und öff­ne­te die Tür: Sie trat hin­aus auf die Stra­ße, über­quer­te die ge­pfla­ster­te Fahr­bahn, und spa­zier­te ge­mäch­lich da­hin.

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Die ar­chäo­lo­gi­sche Ob­ses­si­on

Ge­fun­den wer­den

        Die ar­chäo­lo­gi­sche Ob­ses­si­on er­klä­re ich mir so: sie ist die Sehn­sucht, end­lich al­les hin­ter sich zu ha­ben, Jahr­tau­sen­de zwi­schen der pein­li­chen, lä­cher­li­chen, nichts­de­sto­trotz un­er­träg­li­chen Mi­se­re des So-zu-Tuns-als-ob-man-leb­te und dem of­fen­sicht­lich uner­wünschten Selbst zu wis­sen. Man wä­re dann un­er­reich­bar für die no­to­ri­schen Lebens­bejaher und die Tu-dir-was-Gu­tes-Mis­sio­na­re, so­gar wenn sie gleich im Grab ne­ben­an lä­gen. Vor al­lem wä­re der Ak­ku ih­rer Han­dies kor­ro­diert und end­lich, end­lich Ru­he.
        Dann wür­de ich viel­leicht aus­ge­gra­ben von je­man­dem, der sich für das in­ter­es­siert, was an mir am we­nig­sten wert­voll war und da­her üb­rig­blieb. Mit Samt­hand­schu­hen wür­de je­ner Je­mand mein Wert­lo­se­stes be­rüh­ren. Er wird. Er wird ein Le­ben für mich er­fin­den, das mein tat­säch­li­ches auch dann noch über­tref­fen wür­de, wenn es ein überdurchschnitt­lich schö­nes ge­we­sen wä­re. Mein Na­me wird zu­min­dest so et­was wie »XX-Prin­zes­sin« ent­hal­ten (der »XX«-Teil ist al­ler­dings un­be­re­chen­bar). Da­für wer­de ich das Glotz­ge­äu­ge an der Mu­se­ums­vi­tri­ne sto­isch über mein Ge­rip­pe er­ge­hen las­sen; im Le­ben gab es durch­aus Blö­de­res zu er­tra­gen.
        Der Ar­chäo­lo­ge wird mich fin­den, wie mich kein Zeit­ge­nos­se je­mals fin­den könn­te. Er wird glück­lich sein über das We­ni­ge, das ich noch sein wer­de, an­statt nur Unzulänglich­keiten zu be­män­geln an dem be­trächt­li­chen Hau­fen di­ver­sen Ma­te­ri­als und Fein­stoffs, der ich le­bend bin.
        Mei­ne ein­zi­ge Ar­beit be­steht dar­in, her­aus­zu­fin­den, wo­hin ich mich le­gen muss, da­mit er mich fin­den wird. Ein paar Jahr­hun­der­te oder Jahr­tau­sen­de kön­nen die To­po­gra­phie ziem­lich ver­än­dern, es kommt al­so dar­auf an, in der rich­ti­gen geo­lo­gi­schen Schicht zu ex­pi­rie­ren. Wenn ich manch­mal ei­nen Zwei­fel schie­be, dann die­sen: ich bin mir nicht ganz si­cher, ob ich ge­fun­den wer­den will. Es soll nur vor­erst ein­mal ein­fach ir­gend­wie auf­hö­ren.

9. Ja­nu­ar 2009

Nein, fin­den

        Sich in ei­ne geo­lo­gi­sche Schicht le­gen, um von ei­nem Ar­chäo­lo­gen des 4. Jahr­tau­sends aus­ge­locht zu wer­den, so ein Quatsch!

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Ber­nards Schrei

Ein Schrei, mein Schrei wird mir brin­gen, was nicht durch das Mei­ne ist. Die­se Wor­te fuh­ren in Ber­nards Kopf her­um, wir­bel­ten durch­ein­an­der, bil­de­ten, mit an­de­ren ge­mein­sam, ver­schie­den­ste Kom­bi­na­tio­nen, of­fen­sicht­lich sinn­lo­se und sol­che die es we­ni­ger wa­ren, setz­ten sich fest und lö­sten sich wie­der, nur um er­neut ih­ren Platz zu be­an­spru­chen. Ber­nard wuss­te nicht wo­her sie ...

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Au­ßer Dienst, auf Jagd

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 18

Von park­lie­gen und na­se­boh­ren kann über­haupt kei­ne Re­de sein. So ein Sti­pen­di­um ist furcht­bar an­stren­gend. Ich ar­bei­te rund um die Uhr, ich ken­ne kein Weekend, nachts träu­me ich da­von. Ich trei­be mich in Bi­blio­the­ken und Ar­chi­ven her­um, re­de mit Leu­ten, sit­ze Stun­den um Stun­den vorm Bild­schirm, schrei­be, lö­sche, kor­ri­gie­re. Die Au­gen wer­den zu­neh­mend schlech­ter, die Schul­ter ist ver­spannt. Ich ver­ges­se zu es­sen, ich le­se, schla­ge et­was nach, Wä­sche und Ge­schirr tür­men sich auf, Frucht­flie­gen meh­ren sich, al­les liegt über­all her­um, nichts wo es hin­ge­hört. Mit ei­ner Aus­nah­me: Von ih­ren Bil­dern an der Kühl­schrank­tür schau­en mich die Ro­man­fi­gu­ren an. Sie sind schon lan­ge tot, aber jetzt zie­ren sie sich, und ich lau­fe ih­nen nach.

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Hän­gen las­sen

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 17

Es ist Frei­tag. Es ist heiß, auf der Kip­pe zu schwül. Die Stadt ist voll. Al­le Rä­der rol­len für das Porte­mon­naie. Die Gä­ste ar­bei­ten das tou­ri­sti­sche Pflicht­pro­gramm ab. Die Ein­heimischen müs­sen mit dem Au­to et­was lie­fern, zur Be­spre­chung, Kun­den be­su­chen. Blin­ker wer­den nicht be­tä­tigt, Stra­ßen oh­ne links und rechts zu schau­en über­quert, We­ge ge­schnit­ten. Man muss hal­ten, an­fah­ren, flu­chen, dan­ken fürs Rein­las­sen, sich durch­kämpfen zwi­schen wü­ten­den Hu­pen. Auf mei­nem Kör­per klebt ei­ne Schicht aus Schweiß und Staub. An mei­nem Mund hän­gen end­los ge­sab­bel­te Stadt­füh­rungs­fran­sen.

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Die­se Sai­son

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 16

Ich fah­re raus zum Event. Völ­lig nor­ma­les Event. Ir­gend­ei­ne Ta­gung, 40 Fahr­gä­ste, 20 Rik­schas, vom ei­nen Ho­tel am Alex­an­der­platz zum an­de­ren Ho­tel in der Stauf­fen­berg­stra­ße, di­rek­ter Weg, Fahr­zeit ei­ne hal­be Stun­de, Eng­lisch­kennt­nis­se er­for­der­lich, Ab­fahrt 15.00 Uhr. Ich bin eu­pho­ri­siert da­von, dass ich die­se Sai­son nicht mehr mit der Rik­scha ar­bei­ten muss. Ich fah­re nur für das Event raus und da­nach gleich wie­der rein.

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