Pro­vo­ka­ti­on oder An­pas­sung?

Be­richt von ei­ner Schrift­stel­ler­ver­samm­lung

Es war vor vier­zig Jah­ren, als ich das er­ste Mal ei­ne Ge­ne­ral­ver­samm­lung der GAV, der wich­tig­sten öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler­ver­ei­ni­gung, be­such­te. Be­son­ders an­zie­hend wa­ren die­se Ver­samm­lun­gen für mich of­fen­bar nicht, denn ich kann mich nicht er­in­nern, ei­ne wei­te­re be­sucht zu ha­ben. Da­bei hat­te ich da­mals, oder tags zu­vor, ich weiß es nicht mehr ge­nau, er­in­ne­re mich aber an die Re­ak­tio­nen von Ernst Jandl, Franz Schuh und Ma­rie-Thé­rè­se Ker­sch­bau­mer – ich hat­te ei­nen klei­nen Vor­trag mit dem Ti­tel »Rea­lis­mus? Avant­gar­de?« (zwei Fra­ge­zei­chen!) ge­hal­ten. Na­tür­lich hat­te mei­ne Ab­we­sen­heit von der GAV auch mit mei­nen lan­gen Aus­lands­auf­ent­hal­ten zu tun.

Vier­zig Jah­re spä­ter, nach mei­ner (pro­vi­so­ri­schen) Rück­kehr, war ich auf al­les neu­gie­rig, so­gar auf die GAV. Wie al­le her­kömm­li­chen kul­tu­rel­len Mi­lieus ist auch das Mi­lieu der GAV über­al­tert. Doch im­mer­hin sah ich ei­ne An­zahl von jün­ge­ren, mir un­be­kann­ten Ge­sich­tern im Kel­ler­raum der Al­ten Schmie­de zu Wien. Ge­ne­ral­ver­samm­lun­gen be­stehen auch un­ter Schrift­stel­lern aus Re­chen­schafts­be­rich­ten und Dis­kus­sio­nen über ir­gend­ein Pro­ce­de­re; hin und wie­der scheint es aber doch zu Ge­sprä­chen zu kom­men, die In­halt­li­ches, d. h. Li­te­ra­ri­sches, be­tref­fen. Dies­mal be­durf­te es da­zu ei­nes Streits. Ei­nes Rich­tungs­streits, so wür­de ich es nen­nen, hin­ter dem sich ein Ge­ne­ra­tio­nen­kon­flikt ver­birgt. Nicht mehr »Rea­lis­mus? Avant­gar­de?« ist die Fra­ge, son­dern »Kor­rekt? In­kor­rekt?« oder »To­le­ranz vs. Re­gu­lie­rung«, »Pro­vo­ka­ti­on vs. An­pas­sung« – ich könn­te hier wei­te­re Ge­gen­satz­paa­re an­füh­ren.

Es ging um die Auf­nah­me ei­nes Au­tors, des­sen Na­me mir nichts sag­te, in die GAV. Wie bei al­len Ver­ei­nen muß der Au­tor, will er auf­ge­nom­men wer­den, da­zu ei­nen An­trag stel­len. Ei­ne Ju­ry wer­tet den An­trag aus und gibt ei­ne Emp­feh­lung; die Ge­ne­ral­ver­samm­lung ent­schei­det. In die­sem Fall war die Ju­ry ge­spal­ten, ei­ne Stim­me pro, zwei con­tra. Der An­trag war nicht sehr ge­schickt ge­stellt, der Au­tor hat­te zwan­zig Sei­ten ei­nes zehn Jah­re al­ten, in Buch­form er­schie­ne­nen Ro­mans ein­ge­schickt, aber kei­nen neue­ren Text. Aber dar­um ging es nicht und soll es auch hier nicht ge­hen. Die Be­grün­dung für das ne­ga­ti­ve Ur­teil war: Ras­sis­mus. Nicht, daß man in dem be­tref­fen­den Au­tor ei­nen Ras­si­sten ge­se­hen hät­te; viel­mehr wur­de von der Ju­ry mehr­heit­lich die An­sicht ver­tre­ten, heut­zu­ta­ge kön­ne man ras­si­sti­sche Äu­ße­run­gen, sei es auch in merk­lich kri­ti­scher Ab­sicht, nicht un­kom­men­tiert in ei­nen Ro­man ein­fü­gen. Als Bei­spiel wur­de un­ter an­de­rem, wenn ich mich recht ent­sin­ne, der im Text vor­kom­men­de, tra­di­ti­ons­rei­che Ga­stro-Be­griff »Mohr im Hemd« ge­bracht. Heut­zu­ta­ge – in der Dis­kus­si­on wur­de da­für­ge­hal­ten, vor zehn Jah­ren sei dies viel­leicht noch ak­zep­ta­bel ge­we­sen; heu­te nicht mehr. Man müs­se sich dem Zeit­geist an­pas­sen: Das wur­de nicht wört­lich ge­sagt, aber dar­auf lief es hin­aus.

Die Ab­stim­mung ging un­ent­schie­den aus, und da sich kei­ne Mehr­heit für den Au­tor er­ge­ben hat­te, wur­de sein An­su­chen ab­ge­lehnt. Wäh­rend der dis­kur­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung fand ei­ne äl­te­re Au­torin (mei­ne Ge­ne­ra­ti­on!) die Ar­gu­men­te der an­ti­ras­si­sti­schen Frak­ti­on »un­glaub­lich«, sprang auf und ver­ließ den Raum. Fünf Mi­nu­ten spä­ter kam sie zu­rück, sie hat­te sich be­ru­higt; da­nach äu­ßer­te sie sich recht be­son­nen zum The­ma. Ich selbst, eher ein Zaun­gast, sag­te nichts, aber wäh­rend der Dis­kus­si­on er­in­ner­te ich mich dar­an, daß ich we­ni­ge Ta­ge zu­vor in ei­nem Re­clam-Heft­chen, Text von In­ge­borg Bach­mann, das Wort »Ne­ger« ge­le­sen hat­te. Und daß man heut­zu­ta­ge El­frie­de Je­li­nek nicht in die GAV auf­neh­men wür­de, weil ih­re Bü­cher voll von ras­si­sti­schen und an­de­ren Kli­schees sind, wenn auch in kri­ti­scher Ab­sicht. (Die Wie­der­ga­be von Kli­schees wur­de von der Ju­ry eben­falls am Text des an­trag­stel­len­den Au­tors be­an­stan­det.) Auch dach­te ich dar­an, daß der Schwar­ze Jim in Mark Twa­ins Huck­le­ber­ry Finn zig­mal das Wort »Nig­ger« ver­wen­det, um sich selbst zu be­zeich­nen. Aber gut, die­ser Ro­man wur­de vor 133 Jah­ren ver­öf­fent­licht, und die Zei­ten än­dern sich…

Bei der Ab­stim­mung hob ich brav mei­ne Hand. Am un­ent­schie­de­nen Aus­gang, al­so an der Ab­leh­nung, än­der­te das nichts. In ei­nem Salz­bur­ger Ca­fé, fiel mir noch ein, hat­te ich un­längst ei­nen »Mohr im Hemd« auf der Spei­se­kar­te ge­se­hen. Aber den soll­te man viel­leicht can­celn.

Der Le­ser hat es be­merkt: Ich bin nicht un­par­tei­isch. Ich will euch mei­ne Aus­wer­tung des Er­leb­ten nicht ver­schwei­gen. Wi­der­spie­ge­lungs­theo­rien sind un­ter Feuil­le­to­ni­sten und Äs­the­ti­kern ver­pönt; trotz­dem scheint mir, daß der ge­schil­der­te GAV-Streit ge­gen­wär­ti­ge Ten­den­zen in der Ge­sell­schaft spie­gelt. Ei­ne der Leh­ren, die mir in den Jah­ren mei­ner Ab­we­sen­heit zu­teil wur­den, stammt von Al­bert Ca­mus: Auf­ga­be des Schrift­stel­lers sei es, dem Zeit­geist zu wi­der­ste­hen. Der Schrift­stel­ler soll­te sich Skep­sis ge­gen­über die­sem Geist oder Un­geist be­wah­ren, even­tu­ell ge­gen ihn ar­bei­ten oder sich von ihm ab­wen­den (was nicht Ca­mus‘ ei­ge­ne Op­ti­on war). Zu Ca­mus’ Zei­ten war das viel­leicht noch et­was ein­fa­cher. Die Hal­tung und For­de­rung po­li­tisch-mo­ra­li­scher Kor­rekt­heit (PMK) ist heu­te nur ei­ne Strö­mung ne­ben an­de­ren, aber ich glau­be, sie ist mitt­ler­wei­le he­ge­mo­ni­al. Die zwei­te gro­ße Strö­mung ist die po­pu­li­sti­sche (Ver­teu­fe­lung der Eli­ten, Ab­schot­tung nach au­ßen…). Mit­un­ter kreu­zen und ver­ei­nen sich die bei­den Main­streams. Für Po­pu­lis­mus sind öster­rei­chi­sche Au­toren kaum an­fäl­lig, wohl aber für die PMK.

Un­ter­wer­fung un­ter po­li­ti­sche oder mo­ra­li­sche Re­geln und Ver­bo­te führt das Schrei­ben und die Kunst als sol­che letzt­lich ad ab­sur­dum; lang­fri­stig ge­se­hen dankt sie auf die­sem Weg ab. Wir ste­hen wie­der ein­mal vor dem von Au­toren selbst her­bei­ge­be­te­ten oder her­bei­ge­führ­ten »Tod des Au­tors«. Das war es ver­mut­lich, was die ei­ne Au­torin da­zu be­wog, den Raum in der Al­ten Schmie­de flucht­ar­tig zu ver­las­sen. Wenn wir uns den Re­geln und Ver­bo­ten der PMK un­ter­wer­fen, sä­gen wir am ei­ge­nen Ast. Ver­jün­gung der kul­tu­rel­len Sze­ne, gut und schön, aber nicht um den Preis der Selbst­auf­ga­be.

Ich ha­be kein so im­pul­si­ves Tem­pe­ra­ment wie die Kol­le­gin und bin sit­zen ge­blie­ben. Ein Au­ßen­sei­ter un­ter Au­ßen­sei­tern, woll­te ich mich nicht ex­po­nie­ren. Ob ich die näch­ste Ge­ne­ral­ver­samm­lung be­su­chen wer­de? Das muß ich mir erst noch über­le­gen.

© Leo­pold Fe­der­mair

14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich bin kei­ne Schrift­stel­le­rin, aber ei­ne Vielle­se­rin, auch mei­ne Schü­le­rIn­nen wur­den auf so­ge­nann­te Un­wör­ter auf­merk­sam ge­macht. Aber das ist ja ei­ne schein­hei­li­ge De­bat­te. War ge­ra­de in Wien und wie­der be­geg­ne­ten mir Stra­ßen und Plät­ze, be­nannt nach Na­zi­grö­ßen etc. Hier wä­re mal an­zu­set­zen und nicht den Mohr im Hemd zu ver­fol­gen. So ei­ne über­trie­be­ne Dis­kus­si­on um Ne­ben­säch­lich­kei­ten. Wer über die Rea­li­tät schreibt, stößt schnell auf die wirk­li­chen Gräss­lich­kei­ten un­se­rer Welt. Dar­über will ich auch le­sen. An­ge­sichts des­sen ent­setzt es mich ge­ra­de­zu, wor­um sich die Autoren*versammlung Ge­dan­ken macht. Ich bin ganz bei Ca­mus! Bit­te um Pro­test ge­gen die Auf­su­che von Un­wör­tern in äl­te­ren Ro­ma­nen etc. Sie ge­hö­ren in den Kon­text der je­wei­li­gen Zeit. Wei­te­re Bit­te: Küm­mert euch/AutorInnen um die drän­gen­den Zeit­pro­ble­me. Al­les an­de­re ist Heu­che­lei und Zeit­ver­schwen­dung!

  2. wo­ke – wa­shing: Re­ge­lung von Sprach-Ge­brauch durch Denk-Vor­schrift. Und das ist es ja wohl, wor­um es heu­te auch of­fen geht. Du sollst auch in der Kunst Dei­ne Mo­ral op­ti­mie­ren! Al­les dar­un­ter wird ob­skur. Es herr­sche heu­te ein ‘or­well­sches Kli­ma’, hat das vor Kur­zem mal je­mand ge­nannt.

    Ich wur­de ge­ra­de durch Um­stän­de an die Dis­kus­si­on er­in­nert, als das stra­te­gisch-ver­harm­lo­sen­de Wört­chen ‘Ent­sor­gung’ ein­ge­führt wur­de zur Aus­blen­dung der Kon­se­quen­zen für die bis Ul­ti­mo strah­len­de Ka­ta­stro­phen­pro­duk­ti­on der Zau­ber­lehr­lin­ge.
    (Es gab da­mals ernst ge­mein­te Vor­schlä­ge, die Ca­sto­ren in Ra­ke­ten zu ver­la­den und zu den Ster­nen zu schicken – als wä­ren nicht von den Tie­fen des Ma­ria­nen­gra­bens bis in den hö­he­ren Or­bit nicht schon ge­nug Ge­gen­den ver­müllt.)

    Heu­te ist ‘Ent­sor­gung’, die­ser schüch­tern-bü­ro­kra­ti­sche Be­ginn des Green­wa­shings, ein gän­gi­ger, al­so durch­ge­setz­ter Be­griff. Hat die Spra­che da das Den­ken ver­bes­sert, gar ge­wan­delt – oder die Ver­hält­nis­se nur ein biss­chen ‘ap­p­la­niert’ (wie ich es mal im Öster­rei­chi­schen ge­hört ha­be, das manch­mal so tref­fend und da­bei auch noch ele­gan­ter als das Deut­sche ist).

    Aber es wird wohl wei­ter­ge­hen, weil auch Ver­la­ge und Mul­ti­pli­ka­to­ren mit­zie­hen, die mit der Zeit und ih­ren Kun­den ge­hen wol­len: Im­mer mehr Li­te­ra­tur aus fai­rem An­bau für die Tik­Tok-Ge­ne­ra­ti­on – aber auch die wird sich aus ih­rer stren­gen Com­pli­ance ir­gend­wann wie­der be­frei­en (müs­sen).

  3. @Herr Je­der­mann
    Das »wo­ke-wa­shing« ist nicht mehr auf­zu­hal­ten. Ei­ne schlag­kräf­ti­ge Min­der­heit wird hier ih­re Schnei­se wei­ter­schla­gen, ähn­lich de­nen, die frü­her (in ent­spre­chen­den Fil­men) mit Ma­che­ten das Ur­wald­ge­strüpp ab­ge­schla­gen ha­ben. Sie rech­nen mit der man­geln­den Ge­gen­wehr der Ein­ge­schüch­ter­ten.

    Vor ein paar Ta­gen schrieb der Stu­dio­lei­ter der ARD in »Kyiv« auf Twitter/X ei­nen gro­ßen Th­read dar­über, dass die Ukrai­ner sich be­kla­gen wür­den, dass in deut­schen Me­di­en die ukrai­ni­sche Haupt­stadt mit »Kiew« be­zeich­net wird. Man sol­le, nein: müs­se (so der Duk­tus) »Kyiv« schrei­ben. Denn »Kiew« sei die rus­si­sche Schreib­wei­se und in­so­fern eben falsch und bö­se und ganz schnell stimm­ten die Gu­ten dem auch zu, ver­teu­fel­ten all die »Kiew«-Schreiber und selbst­ver­ständ­lich »*in­nen« und als ein deut­scher Feuil­le­to­nist dann da­von schrieb, dass es aus­län­di­sche Städ­te mit deut­schen Schreib­wei­sen ge­be, wir »den Ita­lie­nern« auch nicht vor­schrei­ben wür­den, »statt Mo­na­co künf­tig Mün­chen zu sa­gen«, kam die üb­li­che Re­de da­von, dass es die »Be­trof­fe­nen« eben stö­re.

    In­ter­es­sant ist, dass die­se Be­trof­fen­heit so gut wie nie em­pi­risch be­legt, son­dern im­mer nur be­haup­tet wird. Das heißt aber nichts – das deut­sche Stre­ber­tum an­ti­zi­piert die mög­li­chen Dis­kri­mi­nie­run­gen schon im An­satz. Vor­bild­lich, wie im­mer.

    Mir ist schon klar, dass die­ser Wahn aus den USA her­über­schwappt. Ver­mut­lich ste­hen wir erst am An­fang. In 20 oder 30 Jah­ren (al­so ei­ner Zeit, die ich nicht mehr er­le­ben wer­de) wer­den gro­ße Tei­le der heut­zu­ta­ge ka­no­ni­sier­ten Li­te­ra­tur gar nicht mehr re­le­vant sein. Der Mü­he, die dis­kri­mi­nie­ren­den Aus­drücke al­le zu ent­fer­nen, wird man sich nicht un­ter­zie­hen, son­dern lie­ber das gan­ze Kon­vo­lut in den Or­kus schicken bzw., klü­ger!, igno­rie­ren.

  4. Ich schwan­ke da hin und her. Ge­wis­se Din­ge sind für im­mer, sie sind so stark und auf­ge­la­den, dass wir noch ‘ewig’ von ih­nen le­ben wer­den: Schul­tern von Rie­sen. Und von al­lem An­de­ren ist das Al­ler­mei­ste ja ir­gend­wann zu­recht ver­jährt.

    Und wer­den nicht auch die Tik­To­ker ir­gend­wann wei­ter, zu den Quel­len wol­len? Ich sel­ber muss­te erst ein Al­ter er­rei­chen, um – z.B. – zu mei­ner Ver­zückung über Shake­speare zu fin­den. Sie wer­den Ent­deckun­gen ma­chen! Nicht zu­letzt, weil wir heu­te al­le Me­di­en­ar­chäo­lo­gen sind, denn es ist na­he­zu al­les ver­füg­bar. Nur die Les­ar­ten wer­den wohl an­de­re sein.

    Ich ha­be neu­lich mal mei­ne Book­marks (von vor 10 – 20 Jah­ren) zu ‘Netz­li­te­ra­tur’ und ‘Schrei­ben im Netz’ durch­for­stet: Was für hoch­mö­gen­de Theo­rie­ber­ge ha­ben sich da auf­ge­türmt an­ge­sichts des auf­re­gend Neu­en. Aber schaue ich mir die teils am­bi­tio­nier­ten Pri­mär­tex­te an, sind sie nicht nur ir­rele­vant, son­dern oft schon un­les­bar ge­wor­den – oder wa­ren von An­fang an nur blut­ar­mes bzw. aka­de­misch über­höh­tes Zeug.

    ‘Ky­iy’? Nie ge­hört. Ich schrei­be im­mer noch ‘To­kyo’, weil es eben ei­ne Sil­ben­spra­che ist, und ich es in Ja­pan so ge­lernt ha­be. Will ich es bes­ser wis­sen? Ich bin aber auch schon mal an­ge­herrscht wor­den, weil ich in ei­ner Dis­kus­si­on ‘Zucker­berg’ ge­sagt hat­te statt ‘SSacker­börg’ – und ein fran­zö­si­scher Freund spricht bis heu­te wie selbst­ver­ständ­lich von Jean LeNón, und bis heu­te brau­che ich ei­nen Mo­ment, um zu ka­pie­ren, wen er meint. fuck­ing ger­mans mit ih­rer so pa­ter­na­li­sti­schen wie je­der­zeit aus­zu­mer­zen be­rei­ten Folg­sam­keit. Ent­we­der man hat die Deut­schen an der Gur­gel oder zu Fü­ßen (oder so ähn­lich). (Chur­chill)

  5. @Herr Je­der­mann
    Mei­ne The­se geht ja da­hin, dass die über­näch­ste Ge­ne­ra­ti­on der Tik­To­ker Shake­speare nur noch für ei­ne Bier­sor­te hält. Ei­ne Rück­be­sin­nung im­pli­ziert die Kennt­nis des­sen, wor­auf man zu­rück­ge­hen will. Wenn ich Schrift­stel­ler X oder Ma­le­rin Y nicht ken­ne, kann ich schwer­lich dar­auf zu­rück­grei­fen. Die Fo­li­an­ten, die mir de­ren Be­deu­tung er­klä­ren (das Netz folgt der Auf­merksakeits­öko­no­mie), sind dann längst ent­sorgt oder fri­sten ihr trost­lo­ses So-Sein in Bi­blio­theks­ar­chi­ven. Und die »Me­di­en­ar­chäo­lo­gen« su­chen dann eher nach den er­sten Tik­To­kern und kra­men de­ren dann un­ge­lenk er­stell­te Vi­de­os als Kul­tur­schät­ze her­aus.

    Dass die Re­le­vanz-Halb­wert­zeit ei­ner Schreib- und Le­se-Ge­ne­ra­ti­on kurz zu ver­an­schla­gen ist, er­scheint mir nor­mal. Ich möch­te nicht wis­sen, wel­che Schät­ze und noch mehr Grau­sam­kei­ten längst sanft ent­schlum­mert sind. Aber man glaubt eben im­mer noch, dass sich am En­de Qua­li­tät durch­setzt. Der Vor­teil: Man wird in den mei­sten Fäl­len nicht mehr er­le­ben, ob man rich­tig (oder falsch) lag. Ge­ne­ra­tio­nen von bra­ven Ger­ma­ni­sten ha­ben zum Bei­spiel nie et­was von Kaf­ka ge­hört oder ge­le­sen; die Hö­hen er­reich­te er erst ab den 1950er Jah­ren, dann je­doch mit Wucht. Ob die heu­te ge­hyp­ten Au­toren be­stehen wer­den? Man be­kommt manch­mal ei­ne Ah­nung, wie schnell das Ver­ges­sen geht – et­wa so man­cher 47er er­scheint heu­te be­reits wie ein Exot.

    Wo­ke Ein­grif­fe kön­nen durch das Ver­drän­gen das Ver­ges­sen be­schleu­ni­gen bzw. ver­tie­fen. Heu­te dürf­te üb­ri­gens der »Kauf­mann von Ve­ne­dig« kaum noch oh­ne di­ver­se Ver­än­de­run­gen auf­ge­führt wer­den. Ähn­li­ches bei »Othel­lo«.

    .-.-.-

    Der Spruch über die Deut­schen ist wirk­lich gran­di­os.

  6. ‘Lie­ber Bier als Shake­speare’ – das war mal ein Kam­pa­gnen­spruch der ehe­ma­li­gen LTU für ih­re Spa­ni­en­flü­ge in den 80ern. Viel­leicht ist sie auch da­für zu Recht bank­rott ge­gan­gen.

    Mein Va­ter, gro­ßer Thea­ter­gän­ger (ich sel­ber war seit ... ich weiß nicht mehr wann in kei­nem Thea­ter) hat­te früh mal ver­sucht mir Shake­speare na­he zu brin­gen, aber da funk­te nichts. Ich kann es nicht mehr mit Si­cher­heit sa­gen, aber ich mei­ne, ich bin durch Zi­ta­te, die mir wäh­rend der fol­gen­den Le­se­jah­re im­mer wie­der un­ter­ka­men, und zwar an den un­wahr­schein­lich­sten Or­ten, bei den un­wahr­schein­lich­sten Au­toren, dann zu Shake­speare kom­men, und brauch­te auch kei­ner­lei Se­kun­där­li­te­ra­tur. (Ich ha­be wohl kei­ner­lei Ta­lent ir­gend­et­was zu per­for­men, aber le­se bis heu­te sehr gern im­mer wie­der ein paar Dia­lo­ge zwi­schen­durch laut, der­art packt es mich.)

    Aber wenn der Fun­ke nicht über­springt, nut­zen na­tür­lich auch al­le Me­di­en nichts. Doch glau­be ich, dass es nicht un­be­dingt Vor­kennt­nis­se braucht, sich be­rüh­ren zu las­sen. Ich weiß al­so von mei­ner ei­ge­nen Igno­ranz ge­gen­über den Din­gen, und wie dann ein­mal ei­ne Be­geg­nung zur Be­gei­ste­rung füh­ren kann. Üb­ri­gens eben­falls bis heu­te, da ich we­gen der Na­men äl­te­rer mei­ner Fa­vo­ri­ten öf­ter mal als Nost­al­gi­ker gel­te, bloß weil ich mehr und mehr auf dem Be­währ­ten be­har­re.

    An die­ser Stel­le er­in­ne­re ich mich an et­was, das ich, eben­falls in den 80ern, mal hör­te – ich glau­be, es kam aus der ame­ri­ka­ni­schen Avant-Punk-Be­we­gung, Red Crayo­la und Pe­re Ubu und sol­chen Bands/Leuten, die pro­kla­mier­ten, dass je­der auch für das un­ge­ho­be­ne krea­ti­ve Po­ten­zi­al in den Leu­ten sei­ner Um­ge­bung ver­ant­wort­lich sei. Letzt­lich al­so auch für de­ren Dumm­heit. – Wä­re das ei­ne po­si­ti­ve­re Hal­tung? Auf all den zu­neh­mend pro­fa­nen Ka­nä­len Shake­speare (oder, oder ...) zu sen­den? Wo­mög­lich wird es ja längst ge­macht?

    Dass al­le, die un­auf­hör­lich ein­an­der ‘an­stup­sen’ und ih­re klei­nen Il­lu­mi­na­tio­nen po­sten letzt­lich auch ein Be­wusst­sein die­ser ei­ge­nen Sen­dung und der Be­weg­grün­de da­zu ha­ben bzw. es ge­win­nen. Muss man nicht dar­auf hof­fen? So sind es zu­letzt eben Be­GEI­STe­run­gen mit­tels des­sen auch die Tik­To­ker le­ben und ih­re Trends sich in­iti­ie­ren. Es bleibt wohl nicht viel mehr, als dar­auf zu set­zen. Und dass der Geist wei­ter macht, was er will. Und dass er über uns al­len sei. Amen. (Aber viel­leicht bin ich auch ge­ra­de ein biss­chen zu sonn­täg­lich ge­stimmt.)

    Ja, die Auf­füh­run­gen und Auf­füh­rungs­prak­ti­ken än­dern sich, aber der Ur­text bleibt.
    Und er ist da für al­le.

  7. Wie der be­ob­ach­ten­de Au­tor auf der GAV-Ver­samm­lung zwi­schen den Stüh­len saß oder ge­wis­ser­ma­ßen aus dem Bild fiel, kann ich nach­füh­len. -
    Al­ler­dings pas­siert es mir hier mit die­sem Bei­trag oder der De­bat­te bei­na­he auch. In die­sem Für-Wi­der der »Can­cel-Cul­tu­re«, der al­ten »po­li­ti­cal cor­rect­ness« und der neu­en »wo­ke­ness« ist mir nicht wohl. Un­mög­lich mich auf ei­ne Sei­te set­zen zu wol­len. Selbst der Ver­weis auf den Kul­tur­kampf, die ka­put­te De­bat­ten­kul­tur mag mir nicht hel­fen: lie­ber kei­ne La­bel, kei­ne schon po­la­ri­sie­ren­den Schlag­wor­te, die un­se­re Reiz-Re­ak­ti­ons­sche­ma­ta trig­gern, dass wir Auf­sprin­gen wie Du­racell-Häs­chen.

    Da­bei muss ich mich ja auch ir­gend­wie da­zu ver­hal­ten. Das Gen­dern z.B. fin­de ich im­mer noch un­ge­lenk bis häss­lich. Im Ge­spro­che­nen holp­rig als glot­tal stop mit­ten im Wort, und vorm in­ne­ren Ohr auch im Ge­schrie­be­nen. Könn­te auch ein­fach Sa­che der Ge­wöh­nung sein. Als mein Sohn im Deutsch­un­ter­richt bei ei­nem Brief wie na­tür­lich gen­der­te, da war bei mir bei­na­he Er­leich­te­rung und Schul­ter­zucken. Zei­ten än­dern sich. Auch zum Glück.

    Da mö­gen wir in den Blog­kom­men­tar­spal­ten in Vie­lem den gei­sti­gen Un­ter­gang wit­tern, das mensch­li­che Be­wusst­sein muss sich aber än­dern und ent­wickeln. He­gel hät­te sich für den Welt­geist si­cher­lich et­was an­de­res ge­wünscht als Kat­zen­vi­de­os, und... ich bin bei vie­lem auch nur noch be- oder ent­frem­det. Bei Tik-Tok, In­sta und Twitch bin ich raus. Hier und da ver­such ich’s mal, aber ins­ge­samt ist mir mei­ne Le­bens­zeit da­für zu scha­de und ich kill mir mei­ne letz­ten Ge­hirn­zel­len eben wei­ter mit You­Tube. – Hof­fe aber im­mer noch of­fen zu sein wie @Herr je­der­mann, al­so von Kunst, in wel­chem Me­di­um und wel­cher Form auch im­mer sie mir dann über den Weg lau­fen mag, noch be­rührt wer­den zu kön­nen.

  8. Al­bert Ca­mus, Auf­ga­be des Schrift­stel­lers sei es, dem Zeit­geist zu wi­der­ste­hen... Tat­säch­lich denkt man oft, es wird frü­her leich­ter ge­we­sen sein. Aber das kommt nur, weil man sich an den Früch­ten des Wi­der­stands er­freut, und die An­stren­gung nicht be­merkt, die sol­chem Schaf­fen zu­grun­de liegt. Ich ha­be die­se Sät­ze im­mer zwei­mal ge­le­sen, berg­auf und berg­ab so­zu­sa­gen. Was ist der Zeit­geist schon, ver­mut­lich nur ei­ne Ein­la­dung zur Be­quem­lich­keit, die auf Ko­sten der Wahr­heit und Ge­nau­ig­keit geht... Faul­heit. Ich ha­be ei­nen sehr un­gün­sti­gen Ein­druck ge­won­nen, von al­len Funk­tio­nä­ren und mo­ra­li­schen Groß­grund­be­sit­zern, die die Spra­che ins­ge­samt (nicht die Mei­nung im Ein­zel­nen) ei­ner Kon­trol­le un­ter­zie­hen zu wol­len. Es ist ein to­ta­li­tä­rer An­satz, der vor­al­lem das We­sen der Spra­che als Pro­dukt, al­so im Fal­le der Li­te­ra­tur als best­mög­li­chen Text im Rah­men des Ge­stal­tungs­pro­zes­ses leug­net. Rot­stift.

  9. @Phorkyas
    Wenn man die heu­ti­ge Ju­gend auf den Glot­tis­schlag hin aus­rich­tet, so mag dies als Mar­gi­na­lie und/oder als zeit(geist)gemäß durch­ge­hen. Mir graust vor sol­chen Phä­no­me­nen im­mer et­was, zu­mal sie An­sprü­che stel­len, zum Bei­spiel an Li­te­ra­tur. Rasch sol­len ir­gend­wel­che Wor­te oder Hand­lungs­strän­ge ver­bannt wer­den. Das ist nie frei von po­li­tisch-ge­sell­schaft­lich mo­ti­vier­ten Ein­flüs­sen, die auf die Li­te­ra­tur über­ge­stülpt wer­den soll. Na­he­zu al­le Rund­schrei­ben und Pro­gram­me der Ver­la­ge bei­spiels­wei­se frö­nen dem Gen­der­stern oder an­de­ren Häss­lich­kei­ten. So­gar in den Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen über­nimmt man so et­was in­zwi­schen. Dass man heut­zu­ta­ge nicht mehr im Duk­tus der 1920er Jah­re schreibt – ge­schenkt.

    Ich weiß, dass man rasch als Kul­tur­pes­si­mist ab­ge­tan wird, wenn ei­nem so et­was nicht ge­fällt. Das ist wo­mög­lich zwin­gend, um das Ge­gen­über nicht ab­stru­sen Re­stau­ra­ti­ons­wün­schen zu über­las­sen. Letz­te­res droht bei mir eher nicht. Da­für hat man schon zu vie­le Trends ster­ben se­hen. Den­noch ist der Ab­fall kul­tu­rel­ler Bil­dung mit Hän­den zu grei­fen. Die Leu­te sind auch noch stolz dar­auf. Auch das ist kein Pro­blem; Li­te­ra­tur (und Kunst) wird wie­der auf das re­du­ziert, was es einst war: ei­ne Ni­sche.

    Aber ich kann die­sem Hoff­nungs­sprech lei­der nicht fol­gen. Als man in den 1980er Jah­ren das Pri­vat­fern­se­hen ein­führ­te, hat dies das Ge­samt­pro­gramm nicht ver­bes­sert. Von der so­ge­nann­ten »Netz­re­vo­lu­ti­on«, die hier und da aus­ge­ru­fen wur­de, will ich lie­ber erst gar nicht an­fan­gen. An ei­nen bes­se­ren Ge­schmack ei­nes Wei­nes durch Zu­ga­be von Was­ser glau­ben nur Ho­möo­pa­then.

    Nur da­mit mich nie­mand falsch ver­steht: Ich hal­te es für voll­kom­men ver­rückt, ei­ne Mit­glied­schaft in ei­ner Au­toren­ver­ei­ni­gung durch ei­ne Ju­ry an­zu­stre­ben. Die­se Art von Ex­klu­si­vi­tät ist na­tür­lich groß­bür­ger­lich und er­in­nert an eng­li­sche Clubs. Muss man sich um die­je­ni­gen, die auf der Mit­glie­der­li­ste feh­len, Sor­gen ma­chen? Der Un­ter­schied bei der GAV liegt dar­in, dass aus der »Gra­zer Au­toren­ver­samm­lung« in­zwi­schen ei­ne »Gra­zer Au­torin­nen Au­toren­ver­samm­lung« ge­wor­den ist – mit Sitz in Wien! Al­lei­ne we­gen des Wort­un­ge­tüms wür­de ich je­de Mit­glied­schaft ab­leh­nen.

    .-.-.

    You­Tube ist üb­ri­gens ei­ne sehr an­re­gen­de Platt­form. Hier ha­be ich bei­spiels­wei­se neu­lich et­li­che der Ge­sprä­che von Gün­ter Gaus mit Schrift­stel­lern, Phi­lo­so­phen und Po­li­ti­kern ent­deckt. Die­se Rei­he wird ja nicht mehr im li­nea­ren Fern­se­hen wie­der­holt. Und an­de­res »Bil­dungs­fern­se­hen« fin­det sich dort auch zahl­reich.

    @die_kalte_Sophie
    Ca­mus wi­der­stand ja dem Zeit­geist (Sart­re) und nahm die Kom­pli­ka­tio­nen, die sich hier­aus er­ga­ben, in Kauf. Auch da­mals heul­ten sie mit den Wöl­fen, um bei den Al­pha­tie­ren am Tisch sit­zen zu dür­fen. Heu­te ist der Li­te­ra­tur­be­trieb durch­mo­ne­ta­ri­siert, es gibt Prei­se, Sti­pen­di­en und För­der­gel­der, die man nach be­stimm­ten Sche­ma­ta und vor al­lem mit ei­ner ge­hö­ri­gen Por­ti­on »Vit­amin B« ab­ru­fen kann. Hier­in liegt ei­ne der tie­fe­ren Ur­sa­chen für die sin­ken­de Be­deu­tung von Li­te­ra­tur im öf­fent­li­chen Raum.

    @Herr Je­der­mann
    Ich er­in­ne­re mich an ein Ge­spräch mit dem gro­ßen Ge­or­ge Ta­bo­ri. Er wur­de nach der Zu­kunft des Thea­ters ge­fragt. Ta­bo­ri war da­mals be­reits Mit­te oder En­de 80 und blick­te den Fra­ger fast lä­chelnd an. Sinn­ge­mäss sag­te er dann, dass, wenn al­le Thea­ter ge­schlos­sen wä­ren und nie­mand mehr die al­ten Stücke ken­nen wür­de – dann kä­me es doch wie­der ir­gend­wann da­zu, dass sich Men­schen auf ei­ner Büh­ne tref­fen und be­gin­nen wür­den, et­was zu spie­len. Das ist we­ni­ger Hoff­nung denn Trost.

  10. @Gregor K.
    Nur kurz zur GAV: Die­ser Ver­ein hat ei­ne in­zwi­schen schon ziem­lich lan­ge Ge­schich­te. Er wur­de in Graz ge­grün­det, die Stadt galt da­mals, An­fang der sieb­zi­ger Jah­re, als Haupt­stadt der dt.sprachigen Li­te­ra­tur. Seit ich mit der GAV in Be­rüh­rung kam, fin­de ich es pro­ble­ma­tisch, zu­gleich ge­werk­schaft­li­che (In­ter­es­sens­ver­ei­ni­gung mög­lichst al­ler Au­toren), li­te­ra­risch-qua­li­ta­ti­ve und auch po­li­ti­sche An­sprü­che zu ver­tre­ten. Das hat im­mer wie­der zu Span­nun­gen ge­führt. Li­te­ra­ten­ver­ei­ne wur­den im­mer wie­der mal ge­grün­det, in Deutsch­land das be­kann­te­ste Bei­spiel ist die Grup­pe 47, de­ren Ge­schich­te eben­falls frik­ti­ons­ge­la­den war. Den PEN-Club will ich gar nicht er­wäh­nen – die GAV ver­stand sich einst als Ge­gen­grup­pe da­zu. Ich glau­be, in der GAV hat man sich frü­her mehr mit der Li­te­ra­tur selbst be­schäf­tigt. In­zwi­schen ist das aus­ge­la­gert, ein­zel­ne Mit­glie­der las­sen sich im­mer wie­der »Pro­jek­te« fi­nan­zie­ren, zu de­nen dann GAV-Au­toren ein­ge­la­den wer­den.

  11. @Leopold Fe­der­mair
    Die Grup­pe 47 war, wenn über­haupt, ei­ne Art in­for­mel­le Zu­sam­men­kunft; nie ein Ver­ein. Hier gab es nur ei­nen »Herr­scher«, das war Hans Wer­ner Rich­ter. Der ver­schick­te ein­mal, spä­ter mehr­mals im Jahr Post­kar­ten und lud Au­toren ein, ih­re im stil­len Käm­mer­lein ver­fass­ten Tex­te vor­zu­le­sen. Spä­te­stens En­de der 1950er Jah­re ka­per­ten Ver­la­ge und Kri­ti­ker die Ver­an­stal­tun­gen. Die Ver­la­ge gin­gen auf Ta­lent­su­che (Rich­ter ließ sich von ih­nen »brie­fen«, wen er ein­la­den soll­te), die Kri­ti­ker ent­deck­ten das ur­sprüng­lich als Werk­statt­ge­spräch kon­zi­pier­te Am­bi­en­te als Büh­ne.

    In Deutsch­land gibt es ja seit 2022 so­gar ei­nen Ge­gen-PEN. Der »klas­si­sche« PEN wur­de da­mals von ei­nem der Grün­der als »Brat­wurst­bu­de« be­zeich­net. In­zwi­schen gibt es im neu­en PEN – um im Bild zu blei­ben – eben­falls ei­ne Men­ge hei­ße Würst­chen.

  12. @G.K.
    Wenn ich an ge­wis­se ge­nia­le und auf­wüh­len­de Auf­füh­run­gen den­ke – ich ha­be, z.B., noch Mi­net­ti in »Macht der Ge­wohn­heit« ge­se­hen – und al­so weiß, welch Ge­winn ein Thea­ter­abend sein kann, muss es wohl an mir selbst lie­gen. An­de­rer­seits: Kann ein Tho­mas Bern­hard-Stück auch heu­te noch ein Bern­hard-Stück sein – oder wä­re es ein wei­te­res von Zeit und Be­trieb ni­vel­lier­tes un­ter vie­len? Gern hät­te ich manch­mal mei­ne un­ver­bil­de­te Freu­de zu­rück. Denn Ent­deckun­gen in solch ei­nem reich­lich vor­han­de­nen und ali­men­tier­ten Be­reich müss­ten un­be­dingt mög­lich sein.

    Hier wur­de ge­ra­de, nach sei­ner Re­no­vie­rung, ein wun­der­ba­res klei­nes Ki­no, da­zu prak­tisch bei mir um die Ecke, neu er­öff­net, und ich hat­te mir in Ge­dan­ken ei­nen Be­such auch schon vor­ge­nom­men ... als der TV-Be­richt ex­tra die kin­der­ei­mer­gro­ßen Por­tio­nen Pop­corn her­aus­strich und ei­ne be­stimm­te Sor­te Tor­til­la-Chips im An­ge­bot. Mit der Aus­sicht, mir das Ver­til­gen die­ser Men­gen durch ein se­mi-re­gres­si­ves Pu­bli­kum an­hö­ren zu müs­sen, das beim Schau­en kau­en und ver­schlin­gen muss und ver­lernt hat 90 Mi­nu­ten ru­hig zu sit­zen, ha­be ich mein Vor­ha­ben wie­der auf­ge­ge­ben.

    Ich be­mü­he mich, die­sen Aspekt – mei­ne Er­schöp­fung an den Din­gen – bei mei­nen Ur­tei­len über sie im­mer mit­zu­be­den­ken, fürch­te aber, sie flie­ßen mit ein. Es gibt Sät­ti­gungs­gra­de (no pun in­ten­ded but wel­co­me). Ab da muss man sich die Lust an dem, was man ein­mal lieb­te wohl sel­ber zu­rück­er­obern.

  13. Gern hät­te ich manch­mal mei­ne un­ver­bil­de­te Freu­de zu­rück.
    Ich glau­be, das trifft ins Schwar­ze. Noch ein­mal Kaf­ka wie beim er­sten Mal le­sen. Oder die Lust, den »Thea­ter­ma­cher« von Bern­hard im Stadt­thea­ter von Mön­chen­glad­bach ge­se­hen zu ha­ben (und da­nach nie mehr das glei­che emp­fun­den). Viel­leicht wis­sen die Re­gis­seu­re in­stink­tiv, dass sie die gro­ßen In­sze­nie­run­gen der Klas­si­ker äs­the­tisch nie er­rei­chen wer­den. Da­her zer­trüm­mern sie suk­zes­si­ve die Stücke (die ko­pu­lie­ren­den Schau­spie­ler bei »Woy­zeck« in den 2000er Jah­ren [?] in Düs­sel­dorf ha­be ich, glau­be ich, mehr­mals er­wähnt) und streu­en reich­lich ih­re Ge­wür­ze über die Rui­nen, die sie da er­zeugt ha­ben.

    Si­cher, ich ha­be auf VHS noch wun­der­ba­re Thea­ter­in­sze­nie­run­gen, die einst im öf­fent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen noch ge­zeigt wur­den (Pey­mann, Lang­hoff, Bon­dy, Zadek [»Kauf­mann von Ve­ne­dig«]). Das Vi­deoab­spiel­ge­rät ha­be ich neu­lich wie­der­be­lebt, als es um ei­nen Film ging. Die Qua­li­tät ist al­ters­ge­mäss (teil­wei­se 25 Jah­re alt), aber noch ver­tret­bar. Dies als Re­ser­ve, wenn die Li­te­ra­tur nicht mehr greift.

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