Wie­der­spruch

»In­ani­ma­te I know I am and I will re­main« Lloyd Co­le: Pe­ri­od Pie­ce Die Fra­ge ist wie im­mer, wer spricht. Der Sän­ger, ja, aber er spricht im Na­men der Mau­er, von der nichts üb­rig ist als mi­ne­ra­li­sche, al­so un­be­leb­te, er­fun­de­ne, mit Zucker ver­zier­te Sou­ve­nirs. Wie einst die bit­te­ren, an­geb­lich heil­sa­men, je­den­falls not­wen­di­gen Pil­len, die man ...

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Die Schach­tel

Seit zehn Jah­ren steht sie un­ter der Ab­wasch, hört das Was­ser über sich und dem Topf und der Pfan­ne rö­cheln und schwap­pen. Ent­schlos­sen um­funk­tio­niert, da­mals, von ei­ner Frau, die sich als Ord­ne­rin bei Um­zü­gen ein Zu­brot zur schma­len Ren­te ver­dien­te. Ob sie noch lebt? Si­cher! Die Schach­tel dient wei­ter, sie schafft und ge­stal­tet Raum und ...

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Di­na Sik­irić: Was den Fluss be­wegt

Dina Sikirić: Was den Fluss bewegt
Di­na Sik­irić: Was den Fluss be­wegt

Im De­zem­ber 1960 fährt ei­ne Mut­ter mit ih­rer fünf­ein­halb­jäh­ri­gen Toch­ter mit dem Zug von Ju­go­sla­wi­en in die Schweiz. Sie flüch­tet nicht vor Ar­mut oder Krieg. Es ist Lie­bes­kum­mer; die Mut­ter trennt sich von ih­rem Mann, dem Va­ter des Kin­des. Tat­säch­lich war mit ei­ner Freun­din der Mut­ter, ei­ner Lands­frau, die mit ei­nem Schwei­zer ver­hei­ra­tet ist, al­les ge­plant. Woh­nung und Ar­beit (in ei­ner Apo­the­ke) sind si­cher. Für das Mäd­chen, die Ich-Er­zäh­le­rin in Di­na Sik­irićs »Was den Fluss be­wegt«, ist dies ei­ne über­ra­schen­de aber auch sinn­li­che Rei­se, mit »Ver­hei­ßun­gen« und Glücks­ver­spre­chen er­füllt. An­fangs neu­gie­rig, »ver­zückt« und »glü­hend vor Glück« die neu­en Ein­drücke ge­ra­de­zu auf­sau­gend, kommt nach we­ni­gen Ta­gen die Er­nüch­te­rung: Sie wird in ein Kin­der­heim ge­bracht, in dem Schwe­stern mit re­li­giö­ser In­brunst das Kind in ei­ne häss­li­che Kluft und ei­nen stren­gen Ta­ges­ab­lauf stecken. Nur sonn­tags geht es für ein paar Stun­den zur Mut­ter.

Al­les ist furcht­erre­gend – ihr Fremd­sein, die un­ver­ständ­li­che Spra­che, die (auch mensch­lich) kal­te Um­ge­bung, die merk­wür­di­ge Klei­dung der Be­treue­rin­nen (die sie »Rie­sen­krä­hen« nennt). Sie hat das Ge­fühl »stets fehl am Platz zu sein«. Nur die 10jährige Do­me­ni­ca aus Ita­li­en, wie sie ei­ne Frem­de, wird ih­re Freun­din. Drei Mo­na­te bleibt sie stumm, ei­ne »Sprach­lo­sig­keit der Trau­er«, und flüch­tet sich in ei­ne my­thi­sche Traum­welt in der auch die im Heim an­ge­lern­te christ­li­che Sym­bo­lik ei­nen Platz fin­det. So wird der Got­tes­dienst zu ei­nem Fest, hier spricht sie in der ihr frem­den Spra­che die Ge­be­te nach und Gott wird zur Pro­jek­ti­on, denn er ist wie sie ein Frem­der. Schließ­lich be­ginnt sie die neue Spra­che zu ler­nen, was noch ein­mal ih­re Au­ßen­sei­ter­rol­le ver­stärkt. Die von ihr so fie­ber­haft er­war­te­te und er­sehn­te Tau­fe, das Da­zu­ge­hö­ren und Auf­ge­nom­men­wer­den in die Ge­mein­schaft der Kin­der, wird nie­mals statt­fin­den, denn sie ist, wie sie er­fah­ren muss, ein »Hei­den­kind« (weil sie aus ei­ner mus­li­mi­schen Fa­mi­lie stammt).

Als sie nach schier end­lo­sen an­dert­halb Jah­ren in den Som­mer­fe­ri­en in ihr Hei­mat­land Ju­go­sla­wi­en zu­rück­reist blüht sie wie­der auf, ge­rät in ei­nen »Glück­s­tau­mel«. Plötz­lich steht sie im Mit­tel­punkt, ge­nießt ein ge­wis­ses An­se­hen, trifft auf ih­re Fa­mi­lie und vor al­lem den Va­ter, den sie so sehr ver­misst hat­te. Der führt sie aus in die Stadt und in ein Fo­to­stu­dio und lässt von nun an in je­dem Som­mer dort Fo­to­gra­fien von ihr und sich ma­chen und so ent­steht in den vie­len Jah­ren ih­res som­mer­li­chen Zu­sam­men­seins ein »ernst­schö­nes Va­ter-Toch­ter-Paar« und das Er­zäh­len über die­se so kost­ba­ren Au­gen­blicke des Ein­ver­stan­den-Seins mit der Welt ge­hö­ren zu den schön­stens Stel­len die­ses Bu­ches.

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Hand­werk statt Ge­sin­nung

Ein Be­richt über ei­nen Fund

Al­so wie­der so ein Buch über Mas­sen­me­di­en und »wie sie uns in die Ir­re füh­ren«. Und es gibt so­fort har­ten To­bak:

»Wir wer­den nicht rich­tig in­for­miert. Wir le­ben mit der Des­in­for­ma­ti­on. […] Des­in­for­ma­ti­on wird von ei­nem Kar­tell aus Po­li­ti­kern, Funk­tio­nä­ren, Öf­fent­lich­keits­ar­bei­tern und Presse­sprechern be­trie­ben. Sie tun das ih­nen Mög­li­che, die Pres­se in ih­ren Dienst zu neh­men und sie nur in­so­weit mit der Wahr­heit zu be­die­nen, als sie dem je­wei­li­gen Mit­glied des Kar­tells nicht schäd­lich ist.«

Der Au­tor skiz­ziert die Se­lek­ti­on in den Nach­rich­ten­re­dak­tio­nen und kri­ti­siert sie:

»Die Mei­nung ist frei, doch wor­über die Bür­ger über­haupt Mei­nun­gen ha­ben kön­nen, das ha­ben zu­vor zu ei­nem er­heb­li­chen Teil die Jour­na­li­sten per agen­da-set­ting ent­schie­den.«

Und dann wen­det er sich die­sen Jour­na­li­sten zu:

»Sie lü­gen, weil sie un­ter Er­folgs­zwang ste­hen und von ih­ren Chefs oder Auf­trag­ge­bern un­ter Druck ge­setzt wer­den, in­ter­es­san­ter zu schrei­ben als die Kon­kur­renz. Sie lü­gen, weil sie nur In­for­ma­tio­nen ver­kau­fen kön­nen, die an­de­re nicht ha­ben. Sie lü­gen, weil sie in der Re­dak­ti­ons­hier­ar­chie auf­stei­gen wol­len, weil sie mit ih­rer Ge­schich­te auf der er­sten Sei­te oder weil sie den Pu­lit­zer­preis be­kom­men wol­len. Und sie schlit­tern in die Lü­ge hin­ein, weil sie mit Über­trei­bun­gen be­gon­nen ha­ben und das Über­trie­be­ne im­mer noch wei­ter ge­stei­gert wer­den muß, da­mit es in­ter­es­sant bleibt.«

Im­mer­hin wird kon­ze­diert:

»[D]ie drei­ste Lü­ge ist frei­lich selten…Häufiger liest man…die Le­gie­rung aus Dich­tung und Wahr­heit.«

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Neu­jahrs­lied

Die Son­ne ist auf­ge­gan­gen, der Mond steht ir­gend­wo. Die Vö­gel hocken auf den Schnü­ren. Asphalt ver­eist, be­vor die La­ster kom­men. Viel wei­ßer Rauh­reif ziert die Fel­der mit star­ren Sta­lak­ti­ten, die in den Him­mel rei­chen, auf­flie­gen wer­den, den­ken sie. Ab­wei­send glänzt der Him­mel mit sei­nen Hie­ro­gly­phen, dem Kom­men­den ein Schild. Dem Kom­men­den ein Schild. © Leo­pold ...

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Klin­gel­beu­te

Der Klin­gel­beu­tel war ein läng­li­cher Beu­tel aus ro­tem Samt, mit ei­nem gol­de­nen Glöck­chen an sei­nem un­te­ren En­de, das sich wie ei­ne Wurst zu­sam­men­zog. Er hing vom En­de ei­ner lan­gen höl­zer­nen Stan­ge und schau­kel­te ein we­nig, wenn er sich durch die Kirchen­bankreihen bis zur in der Mit­te sit­zen­den, dort zu­sam­me­ge­kau­er­ten Per­son (das war ich) vor­an­ta­ste­te, wo­bei ...

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Drei klei­ne Hin­wei­se...

...falls noch Le­se­stoff be­nö­tigt wer­den soll­te.

Zum ei­nen auf Frank Ja­kub­ziks Er­zäh­lun­gen »In der mitt­le­ren Ebe­ne«. Statt des dä­mo­ni­schen oder geld­gie­ri­gen Bank­sters und/oder CEO steht hier die mitt­le­re An­ge­stell­ten­ebe­ne im Mit­tel­punkt, die Ver­trieb­ler und Kun­den­dienst­ler in ei­nem (fik­ti­ven) mit­tel­stän­di­schen (aber glo­ba­li­sier­ten) Un­ter­neh­men. Ja­kub­zik ge­lingt es den Fal­len der Iro­nie und des Rea­lis­mus zu ent­kom­men. Er be­schreibt nicht, er er­zählt. Viel­leicht ist es auch fast schon ein Ab­ge­sang auf ei­ne Welt, die es in die­ser Form bald nicht mehr ge­ben wird (Stich­wort: »In­du­strie 4.0«). Und so be­kom­men man­che Ge­schich­ten auch ei­ne leich­te Me­lan­cho­lie. An­de­re hin­ge­gen sind fast (alp-)traumhaft. Ja­kub­zik ver­fügt über ei­ne ve­ri­ta­ble sti­li­sti­sche Spann­brei­te. Mehr dar­über hier.

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Bo­tho Strauß: Oni­rit­ti

Botho Strauß: Oniritti - Höhenbilder
Bo­tho Strauß:
Oni­rit­ti – Hö­hen­bil­der

Un­längst konn­te man le­sen, dass bei der Be­sied­lung des Mars durch Erd­be­woh­ner (op­ti­mi­sti­sche Pla­nun­gen se­hen dies ab 2025 vor) auf Häu­ser ver­zich­tet wer­den muss. Me­teo­ri­ten­schau­er, Sand­stür­me, Temperaturschwan­kungen und Welt­raum­strah­lun­gen ma­chen dies un­mög­lich. Statt­des­sen müss­ten die Erd­lin­ge in La­va­höh­len und ‑kra­tern le­ben, die es auf dem ro­ten Pla­ne­ten auch in grö­sse­rer An­zahl zu ge­ben scheint. Ein be­rühm­ter Ar­chi­tekt hat hier­zu be­reits ent­spre­chen­de Ent­wür­fe vor­ge­legt. Am En­de des ver­mut­lich größ­ten tech­no­lo­gisch-zi­vi­li­sa­to­ri­schen Ak­tes der Mensch­heit wä­re der Ho­mo sa­pi­ens wie­der ein Höh­len­be­woh­ner.

Es ist eher un­wahr­schein­lich, das Bo­tho Strauß beim Schrei­ben sei­nes neu­en Bu­ches »Oni­rit­ti – Höh­len­bil­der« die­ses Bild vor Au­gen hat­te. Er de­fi­niert Oni­rit­ti als »Bild­schrif­ten auf der Höh­len­wand der Nacht«, er­wähnt ei­nen Ge­dan­ken von An­dré Le­roi-Gour­han über die Höh­len­bil­der von Las­caux, schickt den Le­ser gleich zu Be­ginn in das »Un­ter­ir­di­sche Reich Agh­ar­ti« und da­nach nach »Id­le Ci­ty«, dem »Mär­chen­reich der ge­brech­li­chen See­len«, phan­tas­ma­go­riert von »ge­hei­men Grot­ten« und ent­deckt ein »Ha­des­äqui­va­lent«.

Die Höh­le, bei Pla­ton einst Sinn­bild für das un­freie In­di­vi­du­um, ist hier nicht mehr der Ort der Ma­ni­pu­la­ti­on und des (fal­schen) Scheins, son­dern wird zum Exil der letz­ten (den­ken­den) Men­schen um­ge­wer­tet. Er­klomm Za­ra­thu­stra den Berg so haust Strauß in der Höh­le. Die Schat­ten- und Trug­bil­der fin­det er in ei­ner an­de­ren, ei­ner vir­tu­el­len Welt, die die rea­le Welt zu usur­pie­ren droht oder be­reits usur­piert hat. »Schon ver­strickt oder nur ver­netzt« lau­tet denn auch leicht süf­fi­sant ein­mal die Fra­ge. Der Ver­netz­te ist der Ge­fan­ge­ne des 21. Jahr­hun­derts und Rück­zug die neue Bür­ger­pflicht.

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