Gun­nar Hein­sohn: Söh­ne und Welt­macht

Die be­reits in 2003 von Gun­nar Hein­sohn ent­wickel­ten The­sen zur Bevölkerungs­entwicklung und de­ren emi­nen­te Be­deu­tung wur­den En­de Ok­to­ber 2006 im »Phi­lo­so­phi­schen Quar­tett« des ZDF vor­ge­stellt. Die an­son­sten recht struk­tu­riert und sta­tisch von Pe­ter Slo­ter­di­jk und Rü­di­ger Sa­fran­ski mo­de­rier­te Sen­dung ge­riet ein biss­chen aus den Fu­gen, da Hein­sohn, schlag­fer­tig, iro­nisch und ge­le­gent­lich ein biss­chen rau­nend Wi­der­spruch pro­vo­zie­rend, die Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer in den Bann zog und im Lau­fe der 60 Mi­nu­ten dann al­le sei­nen Schluss­fol­ge­run­gen er­la­gen.

Gunnar Heinsohn: Söhne und Weltmacht
Gun­nar Hein­sohn: Söh­ne und Welt­macht

Die Kern­the­se Hein­sohns ist ziem­lich ein­fach: In Ge­sell­schaf­ten mit über­zäh­li­gen jun­gen Män­nern be­steht die gro­sse Ge­fahr, dass die­se jun­gen, wü­ten­den [zor­ni­gen] und oh­ne Karriere­aussichten Zweit‑, Dritt- und Viertsöh­ne (der er­ste, äl­te­ste Sohn ist durch Erb­fol­ge ab­ge­si­chert) ih­re Per­spek­ti­ve an­ders­wo su­chen und es zu blu­ti­gen Ex­pan­sio­nen und zur Schaf­fung und Zer­stö­rung von Rei­chen kommt.

Hein­sohn führt den Be­griff des child­ren bul­ge und des youth bul­ge* ein. Un­ter child­ren bul­ge ver­steht er den Über­schuss in ei­nem pro­zen­tua­len Ver­hält­nis der Kin­der un­ter 15 Jah­ren in ei­ner Ge­sell­schaft (bzw. ei­ner Na­ti­on oder Re­gi­on oder der Welt­be­völ­ke­rung). Aus dem child­ren bul­ge ent­steht dann der so­ge­nann­te youth bul­ge; so nennt er die 15–24 jäh­ri­gen (in vie­len Ge­sell­schaf­ten be­ginnt das Krie­ger­al­ter bei 15 Jah­ren). Aus dem child­ren bul­ge lässt sich das »Re­kru­tie­rungs­po­ten­ti­al« der »Zor­ni­gen« ab­le­sen.

Wei­ter­le­sen ...

Sön­ke Wort­mann: Deutsch­land – Ein Som­mer­mär­chen (ARD)

Nein, Sön­ke Wort­manns »Deutsch­land – Ein Som­mer­mär­chen« ist kein Do­ku­men­tar­film. Er ist ein Schlüs­sel­loch­film, der Ein­blicke gibt, die sonst ver­bor­gen blei­ben. Wort­mann war wo­chen­lang mit Ka­me­ra und Ton Be­glei­ter der deut­schen Fuss­ball­na­tio­nal­mann­schaft. Er hat al­les brav ge­filmt und ei­nen Cock­tail zu­sam­men­ge­stellt, der die Neu­gier der Fans und Zu­schau­er be­frie­digt.

Nie­mals gibt es ei­ne ru­hi­ge, ein­zel­ne Ein­stel­lung. Stän­dig ist die Ka­me­ra in Be­we­gung. Man will im­mer gleich­zei­tig al­les zei­gen. Die Hö­he­punk­te des Films sind die »Ka­bi­nen­an­spra­chen« von Jür­gen Klins­mann vor, wäh­rend und auch nach dem Spiel. Klins­mann wird als Mo­ti­va­tor ge­zeigt – Löw der ru­hi­ge Tak­ti­ker – Bier­hoff ir­gend­et­was an­de­res. Mehr nicht.

Wei­ter­le­sen ...

Pé­ter Ná­das: Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung

Péter Nádas: Behutsame Ortsbestimmung
Pé­ter Ná­das: Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung

Pé­ter Ná­das’ hoch­ge­lob­tes, klei­nes Büch­lein »Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung« ent­hält zwei klei­ne Ge­schich­ten. Die er­ste, die dem Buch den Ti­tel gab, er­zählt (?) von ei­nem klei­nen Dorf im länd­li­chen Un­garn, in das sich der be­kann­te Schrift­stel­ler ge­mein­hin be­gibt; dort (über­wie­gend?) lebt. Ná­das, der »Aus­stei­ger« ge­nannt wer­den kann (hier­in vie­len an­de­ren Schrift­stel­lern wie et­wa John Ber­ger oder An­drzej Sta­si­uk ähn­lich), ver­sucht hier ei­ne Er­zäh­lung über »sei­nen« Ort, »sein« Dorf und des­sen Struk­tu­ren und »funk­tio­nie­ren«. Man ist je­doch früh ge­neigt, hin­ter dem Be­griff des Er­zäh­lens ei­ne Fra­ge­zei­chen zu set­zen – denn so rich­tig ist es dann doch kei­ne Er­zäh­lung (Ná­das nennt bei­de dann auch tref­fend »Zwei Be­rich­te«). All­zu oft gibt es es­say­isti­sche Zü­ge und wer ei­ne bu­ko­li­sche, em­pha­ti­sche Hym­ne auf das »na­tür­li­che Le­ben«, auf den (von Ná­das an­der­wei­tig so her­vor­ge­ho­be­nen) Wald­bir­nen­baum er­war­tet, wird ent­täuscht wer­den; in­so­fern ist der Un­ter­ti­tel »Die ein­ge­hen­de Be­trach­tung ei­nes ein­sa­men Wald­bir­nen­baums« ein biss­chen ir­re­füh­rend.

Aus­ge­hend von die­sem Ort phan­ta­siert sich Ná­das durch die Jahr­hun­der­te und die Ge­schich­te, die von der frü­hen Be­sied­lung bis heu­te re­ka­pi­tu­lier­bar ist (die rö­mi­schen Ton­scher­ben sind fast all­ge­gen­wär­tig) und be­rich­tet da­bei (ja: be­rich­tet!) über die­ses Dorf und sein So­zi­al­we­sen. Al­les dich­te­risch und oh­ne Po­se; erst recht oh­ne Her­ab­las­sung (oder – was fast noch schlim­mer wä­re – stil­ler oder gar of­fe­ner Be­wun­de­rung).

Wei­ter­le­sen ...

Ver­fall des Feuil­le­tons?

Wie­der ein in­ter­es­san­ter Ar­ti­kel in der taz. Dies­mal von Da­ni­el Bax: »Kampf der Kultur­banausen«. Bax greift dort fron­tal das deutsch­spra­chi­ge Feuil­le­ton an – und ganz spe­zi­ell das Feuil­le­ton der FAZ.

Bax’ Auf­satz kon­sta­tiert zu­nächst rich­tig, dass das Feuil­le­ton gro­sser Zei­tun­gen nicht mehr bloss Re­zen­si­ons­feuil­le­ton ist, son­dern ei­ne Art in­ter­dis­zi­pli­nä­rer De­bat­ten­ort, der zu ak­tu­el­len Dis­kur­sen in Kunst, Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Wirt­schaft und Na­tur­wis­sen­schaf­ten Stel­lung be­zieht. Die­se Ent­wick­lung ist je­doch nicht neu; so hat bei­spiels­wei­se Al­fred Kerr be­reits um 1900 »mo­der­ne« Feuil­le­tons mit um­fas­sen­der ge­sell­schaft­li­cher Di­men­si­on ver­fasst, die weit über das bloss be­schrei­ben­de der Ber­li­ner Kul­tur­sze­ne hin­aus­gin­gen. Wer sei­ne Feuil­le­tons aus Ber­lin nach­liest, die er für die Bres­lau­er Zei­tung wö­chent­lich ver­fass­te, wird dies ent­decken und – so­gar heu­te noch! – ge­nie­ssen kön­nen. In der Wei­marer Re­pu­blik folg­ten vie­le; ei­ni­ge Feuil­le­to­ni­sten wa­ren oder wur­den Schrift­stel­ler (man er­in­ne­re sich nur an Jo­seph Roth oder Wal­ter Ben­ja­min).

Wei­ter­le­sen ...

Zwei­mal »Ich nicht« oder: War­um er­regt sich Jür­gen Ha­ber­mas ei­gent­lich?

In sei­ner Au­to­bio­gra­fie »Ich nicht« kol­por­tiert Joa­chim Fest ge­gen En­de ei­ne An­ek­do­te: Auf ei­ner Ge­burts­tags­fei­er in den 80er Jah­ren ha­be ein ehe­dem Un­ter­ge­be­ner ihm als sei­nem frü­he­ren HJ-Vor­­­ge­­set­z­ten ein von die­sem im Früh­jahr 1945 ver­faß­tes Schrei­ben über den Tisch ge­reicht, das ein lei­den­schaft­li­ches Be­kennt­nis zum Füh­rer und die un­er­schüt­ter­li­che Er­war­tung des End­sie­ges ent­hielt. Oh­ne ei­nen ...

Wei­ter­le­sen ...

Sa­sa Sta­ni­sic: Wie der Sol­dat das Gram­mo­fon re­pa­riert

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Saša Sta­nišić: Wie der Sol­dat das Gram­mo­fon re­pa­riert

Na­tür­lich muss­ten die »kri­ti­schen« Ju­ro­ren des In­ge­borg-Bach­mann-Prei­ses 2004 »Was wir im Kel­ler spie­len…« aus­ein­an­der­neh­men. Ei­ner­seits die Blut­lee­re und Er­eig­nis­lo­sig­keit in der jun­gen, deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur be­kla­gend, an­de­rer­seits stets das ar­ti­fi­zi­el­le lo­bend – da wird dann ganz ger­ne das kri­ti­siert, was man ei­gent­lich bei den an­de­ren ver­misst (schon, weil es Rei­bungs­flä­che bie­tet). Das »pral­le« Le­ben war noch nie Sa­che der Kri­tik – sie zieht im Zwei­fel im­mer intro­spektive Be­lang­lo­sig­kei­ten dem epi­schen Er­zäh­len vor. So war es kein Wun­der, dass vor zwei Jah­ren Saša Sta­nišić’ Text im Wett­be­werb nicht re­üs­sier­te – beim Pu­bli­kum dar­um um­so mehr: er ge­wann den Pub­likumspreis, der aus ei­ner Ab­stim­mung im In­ter­net her­aus ver­ge­ben wur­de.

Ei­ne Ohr­fei­ge für die Ju­ry, die ih­ren ei­ge­nen Kri­te­ri­en miss­trau­te und ei­nen Bei­trag mit klein­li­cher At­ti­tü­de nie­der­mach­te, der ih­nen ver­mut­lich auch nicht po­li­tisch kor­rekt ge­nug er­schien und statt ei­nes Kla­ge­lie­des ob ei­ner Kind­heit in Ju­go­sla­wi­en (als es noch ein Ju­go­sla­wi­en war) ei­ne le­bens­fro­he Kind­heits­be­schwö­rung las (»ge­zwun­gen« war, zu le­sen), in der der jun­ge Al­eksand­ar zwar von den Schreck­lich­kei­ten des Krie­ges er­zähl­te (in et­wa im Ton ei­nes 12–14 jäh­ri­gen – hier hat­te man dann auch li­te­ra­tur­kri­tisch den He­bel an­ge­setzt), aber nicht im gän­gi­gen Be­trof­fen­heits­jar­gon des heu­tig Wis­sen­den, son­dern in ei­ner far­ben­fro­hen, hei­te­ren, ge­le­gent­lich al­ber­nen, dann aber durch­aus auch tief­grün­di­gen Art (da weiss der Er­zäh­ler dann doch et­was mehr als der jun­ge Al­eksand­ar: war­um auch nicht, denn Li­te­ra­tur ist kei­ne Do­ku­men­ta­ti­on).

Wei­ter­le­sen ...

»Werk­treue, nicht Wer­kni­be­lun­gen­treue«

In der ak­tu­el­len Aus­ga­be der ZEIT wird die seit ei­ni­gen Wo­chen dort an­ge­sto­sse­ne De­bat­te über den Stel­len­wert der Re­gie / des Re­gis­seurs im mo­der­nen Mu­sik­thea­ter durch ei­nen Bei­trag des Di­ri­gen­ten Chri­sti­an Thie­le­mann mit dem Ti­tel »Schoe­nes-Bett-der-Par­ti­tur« fort­ge­schrie­ben: Werk­treue, nicht Wer­kni­be­lun­gen­treue

Auch wenn die Dis­kus­si­on (üb­ri­gens vor der Ab­set­zung der Neu­en­fels-In­sze­nie­rung der Oper »Ido­me­neo« be­gon­nen) schwer­punkt­mä­ssig auf das Mu­sik­thea­ter fo­kus­siert ist, so kann doch auch für das Sprech­thea­ter et­li­ches über­nom­men wer­den.

Wei­ter­le­sen ...

Von Zwie­beln und Ur­he­ber­rech­ten

Gün­ter Grass hat die Dis­kus­si­on um sei­ne SS-Zu­ge­hö­rig­keit ver­mut­lich mehr ge­trof­fen, als an­fangs an­ge­nom­men. Er hat je­den­falls ei­ne Un­ter­las­sungs­kla­ge ge­gen die FAZ er­wirkt, die Brie­fe von ihm an Karl Schil­ler in Gän­ze ver­öf­fent­licht hat­te. Grass sah das Ur­he­ber­recht bei sich. Ich bin kein Ju­rist, aber es gibt hier Zwei­fel. Die einst­wei­li­ge Ver­fü­gung, die er er­wirkt hat, sagt ja nichts über ein even­tu­el­les Ur­teil aus.

Wei­ter­le­sen ...