In Zeiten fast blinden Wissenschaftsglaubens scheint der neue Versuch, einen Beweis für die Existenz Gottes zu führen, fast schon rührend. Dies in einer Welt, in der Neurowissenschaftler mit ihren Erkenntnissen gleich mehrere lästige Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen. Der grösste Brummer ist dabei die Leugnung des freien Willens. Den entdecken sie nämlich (genau wie die »Seele«) auf ihren Kinderbildchen nicht mehr und glauben damit, etwas Neues oder Anderes zu erkennen. Die nur im Schafspelz getarnten Wölfe überbieten sich derzeit mit den abstrusen »Sensationen«, die in Wirklichkeit nur effekthascherische Belanglosigkeiten sind, die ihre philosophische Impotenz nur verschleiern. Da ist von einer »Matrix-Existenz« die Rede oder es werden Luftbuchungen wie »phänomenale Selbstmodelle« in die Welt gesetzt – grosses Getöse in einem hohlen Körper. Der Dekonstruktionsfuror hat, ist er erst einmal aus seinem Bedeutung simulierenden Jargon herausgelöst, den Charme eines verwelkten Blumenstrausses.
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Blut und Doping
Am 8. und 15. August 2007 brachte die ARD um 22.45 Uhr eine zweiteilige Dokumentation mit dem etwas martialischen Titel »Blut und Spiele«. Die drei Autoren (neben Freddie Röckenhaus auch Petra Höfer und Francesca D’Amicis) führten dort auf beeindruckende Weise vor, wie auch der Sport im »westlichen Lager« mit Doping durchdrungen war (und vermutlich noch ist).
Die Aufrüstung der USA
Im ersten Teil beschäftigte sich der Film ausführlich mit der US-amerikanischen Leichtathletik, die seit Mitte der 80er Jahre mit dem staatlichen osteuropäischen Doping aufgeschlossen hatte. Es werden Dokumente gezeigt, die belegen, dass mehrere Wochen vor den Olympischen Spielen 1988 in Seoul zahlreiche US-Athleten bei den »Trails« positiv gedopt waren. Die eiligst vorgenommene Amnestie (»Exucse«) hatte auch zur Folge, dass diese Resultate verschwanden. Die Athleten nahmen an den Olympischen Spielen teil; zahlreiche Olympiasieger und Medaillengewinner unter ihnen. Weiterlesen
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft
Im Gegensatz zu den klassischen Menschheitskatastrophen der Vergangenheit (Naturkatastrophen; Seuchen) stehen heute als Resultate bewusster Entscheidungen die Risiken, die von industriellen Grosstechniken ausgehen. Sie brechen nicht schicksalhaft über uns herein, sie sind vielmehr von uns selbst geschaffen…hervorgegangen aus der Verbindung von technischem Nutzen und ökonomischen Nutzenkalkül. Diese Risiken, die nicht an den Grenzen von menschlich geschaffenen, also künstlichen Nationalstaaten Halt machen, sondern globale Auswirkungen haben können, untersucht Ulrich Beck in seinem Buch über die Weltrisikogesellschaft.
Beck lässt keinen Zweifel: Die moderne Gesellschaft krankt nicht an ihren Niederlagen, sondern an ihren Siegen. Die Probleme der von ihm sukzessive entwickelten Weltrisikogesellschaft sind demzufolge nicht Produkte fehlerhaften Handelns, sondern immanent im Handeln in modernen Gesellschaften angelegt. Die Lösung der Probleme der Welt hat wieder neue Probleme geschaffen. Diese Probleme nennt er Risiko:
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Risiko ist nicht gleichbedeutend mit Katastrophe. Risiko bedeutet die Antizipation der Katastrophe. Risiken handeln von der Möglichkeit künftiger Ereignisse und Entwicklungen, sie vergegenwärtigen einen Weltzustand, den es (noch) nicht gibt. Während die Katastrophe räumlich, zeitlich und sozial bestimmt ist, kennt die Antizipation der Katastrophe keine raum-zeitliche oder soziale Konkretion. […] In dem Augenblick, in dem Risiken Realität werden – wenn ein Atomkraftwerk explodiert, ein terroristischer Angriff stattfindet – verwandeln sie sich in Katastrophen. Risiken sind immer zukünftige Ereignisse, die uns möglicherweise bevorstehen, uns bedrohen. Aber da diese ständige Bedrohung unsere Erwartungen bestimmt, unsere Köpfe besetzt und unser Handeln leitet, wird sie zu einer politischen Kraft, die die Welt verändert.
Alles Käse
Seit einigen Tagen wird der zu erwartende Anstieg bei Milch und Milchprodukten unter anderem auch eine erhöhte Nachfrage für diese Produkte aus Asien – speziell aus China – angeführt.
Soeben meldete immer noch die ZDF-»heute«-Sendung davon (»Andererseits steigt die Milchnachfrage in Schwellenländern wie China.«) – und auch die Tagesschau schloss sich dem Tenor der Meldung an. Von der »Bild«-Zeitung ist man ja nichts anders gewöhnt. Und die »FTD« erklärt, dass Chinesen mit Käse keine Probleme hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Weiterlesen
Die neue Inquisition
Die Inquisitoren der Gesinnungsmafia machen, das zeigt die Diskussion um den Schauspieler Tom Cruise und dessen Stauffenberg-Film, inzwischen auch nicht vor den reproduzierenden Künstlern halt.
So abstrus und überflüssig die Einzelheiten des hoch emotional behandelten Themas auch sein mögen – es ist ein weiteres Mosaiksteinchen für eine zunehmend gesinnungsästhetisch urteilende Meinungslobby.
Die Produktion eines Kunstwerkes genügt dabei nicht mehr nur rein ästhetischen Kriterien, die dann von der Kulturkritik entsprechend besprochen werden. Stattdessen wird ein Gesinnungskonsens eingefordert, dessen immanente Kriterien werkfremd sind. Vom Künstler wird quasi eine Präambel verlangt; eine Art »Zulassung« zum Kulturbetrieb. Weiterlesen
Wieder eine(r) weniger
Ich habe Alice Schwarzer nie besonders »gemocht«. Sie war mir oft zu militant, zu laut, zu polemisch. Aber vielleicht musste man das sein, um ihr Thema – die Emanzipation der Frauen in unserer Gesellschaft – erfolgreich anzupacken und dauerhaft in den Köpfen der breiten Masse zu verankern. Rückwirkend erscheint es dabei, dass Alice Schwarzer alleine gestanden hätte, was nachweislich falsch ist (auch wenn es immer wieder behauptet wird – und neulich sogar durch einen eigentlich renommierter Historiker wie Hans-Ulrich Wehler). Es ist inzwischen vieles Legende geworden, was das Wirken von Alice Schwarzer angeht. Dennoch sind ihre Verdienste nicht zu leugnen. Und die Versuche, sie in diversen Kampagnen zu denunzieren, haben mich immer angewidert. Man kann sagen, ich habe Alice Schwarzer respektiert.
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Die Abschreiber
Am Sonntag wurde in Klagenfurt im Rahmen der »31. Tage der deutschsprachigen Literatur« der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben. Die neun Juroren benennen denjenigen, dem sie den Ingeborg-Bachmann-Preis geben wollen. Jeder liefert eine kurze Begründung. Gibt es beim ersten Mal keine Mehrheit, dann finden Stichwahlen statt.
Im Gegensatz zu den späteren Preisen (sozusagen dem 2. bis 4. Preis) war die Kürung des Hauptpreisträgers in diesem Jahr schnell erledigt. Im ersten Wahlgang erreichte Lutz Seiler 6 von 9 Stimmen. Weiterlesen
Klage über den abgeholzten Wald
Kleine Wegzehrung für Klagenfurt.
Ein fast mysteriöser Artikel des »Alfred-Kerr-Preisträgers« 2007, dem Literaturkritiker Hubert Winkels im »Tagesspiegel«: Der Kritiker als dritter Gott.
In der Beschwörung der guten, alten (Kerr-)Zeit (die es – wie immer bei solchen Rückblenden – nie gegeben hat) und der Auslobung des grössenwahnsinnigen, apodiktischen Kritikers mag ja ein gewisser Phantomschmerz eines 68er-Verfechters auszumachen sein. Winkels’ eigene Kritiken sind übrigens oft genug – gut formulierte, aber eher spröde – Inhaltsangaben, die irgendwann dann in einen routiniert-germanistischen Jargon münden, den Leser jedoch mehr oder weniger indifferent zurücklassen. Ihm einen Preis zu verleihen, der einen der grössten Polemiker deutscher Sprache als Namenspatron hat, verblüfft schon. (Aber dieses Problem ist generell virulent – ein »gekaufter« Namenspatron, der sich nicht mehr wehren kann.) Der Unart vieler seiner Kollegen, dass rezensierte Werk gar nicht oder nur angelesen zu haben, verfällt Winkels offensichtlich nicht. Immerhin das.
Vor einigen Jahren moderierte er im Fernsehen einmal monatlich eine einstündige Literatursendung, die an der »Bestenliste« des SWR angelehnt war, auf 3sat Sonntag früh um 10 Uhr ausgestrahlt wurde und die Bücher dieser »Bestenliste« vorstellte. Die Sendung war sehr vielseitig konzipiert: mal gab es eine kurze filmische Vorstellung eines Buches, mal ein Gespräch mit dem Autor, mal ein Gespräch mit einem Kritiker und manchmal ein Kritikerstreitgespräch. Aus Lyrikbänden wurde auch schon einmal vorgelesen. Die Sendung wurde nach rund zwei Jahren eingestellt – man mag schnell erraten, warum. Das »Format« (man nennt die Art der Sendung wohl so) war wenig fernsehkompartibel; was kein Wunder ist, da Winkels unter anderem Radioredakteur beim Deutschlandfunk ist. Da Qualität grundsätzlich unter »Format«- und Quotenregelungen im Fernsehen rangieren, war die Einstellung nur logisch. Als Alternative hat man seitdem die Sendung »Literatur im Foyer« teilweise trivialisiert, in dem die bemühte, aber weitgehend ahnungslose Thea Dorn über gängige Mainstreambestseller mit Autoren spricht – naja, das was man im Fernsehen so »talken« nennt – in der Regel belangloser Smalltalk.
Winkels, dessen Anspruch also unbestreitbar ist, vermisst in seinem Artikel den weltbewegende[n], ekstatisch-grandiose[n], größenwahnsinnige[n] Anspruch der Kritik. Anschliessend lässt er rund einhundert Jahre Kunst- und Kulturkritik Revue passieren, benennt kenntnisreich die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Kunst – um dann in einem seltsamen Umkehrschluss das Fehlen der pointierten Kritik eben der Kunst bzw. Literatur selber anzukreiden.
Da klingt dann in kriegsveteranenhafter Weise eine »Früher war alles besser«-Klagerhetorik an, die auch noch nonchalant die aktuellen Protagonisten als Schimären pauschal denunziert ( das Reaktionäre bei Botho Strauß und neuerdings bei Martin Mosebach, ein bisschen Katholizismus bei Arnold Stadler und Patrick Roth und eine politisch-mediale Totalverirrung bei Peter Handke). Auch Grass und Walser sind Winkels nicht mehr Widmung wert. Es fehlen ihm die gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte, um ethische und ästhetische Auflehnungen vom Zaun zu brechen. Man kann sich den Propheten förmlich im Sessel bei einer Tasse Kaffee vorstellen, wie er sein gegenüber fragt Was geht uns triftig, schmerzlich wirklich an – ausser wir uns selbst?
Natürlich liegt er mit dieser Diagnose nicht ganz falsch. Aber Winkels kommt wie ein Förster daher, der den Wald abgeholzt hat und jetzt beklagt, dass es keinen Schatten mehr gibt. Die Produkte dessen, was er (und nicht nur er) beklagen, sind für das breite Publikum alljährlich beispielsweise im Bachmannpreis zu sehen: Grösstenteils blutleere Prosa, die mit germanistischen Kniffen manchmal noch gerettet werden kann. Das Urteil der Kritiker erscheint dabei häufig genug tagesformabhängig.
Texte von Autoren, die etwas »riskiert« haben, die dem gängigen Mainstream etwas entgegensetzen wollen, haben in den letzten zehn Jahren in Klagenfurt einen schweren Stand gehabt. Die von Winkels bemühten postmodernen Zitatenspieler reüssierten; sie entfachten jedoch nur ephemere Strohfeuer (und meistens einen veritablen Kater).
Natürlich ist Kerrs Ideal vom dritten Gott, den die Kritik zu sein habe, in vielerlei Hinsicht weder praktikabel noch wünschenswert. Den Göttern, die in der deutschen Kritik in den letzten 50 Jahren den Wald sukzessive abgeholzt haben, muss man allerdings attestieren, dass sie eine »gute Arbeit« geleistet haben. Fairerweise muss man jedoch anmerken, dass sie vor allem von einer eigentlich unwissenden Schickeria zu Päpsten und/oder Göttern gemacht wurden: Mit ihnen liess sich dann ein ästhetisches Programm vermitteln, was dem potentiellen Leser dann zum Frass vorgeworfen wurde.
Ich rede nicht nur vom Fernsehen. In den 70er Jahren gab es – auch und gerade dort – zahlreiche Experimente, zeitgenössische Literatur nicht nur kritisch zu beleuchten, sondern – zunächst einmal – überhaupt in den Fokus der Betrachtung zu rücken. Dieser aufklärerische Furor pervertiere Jahrzehnte später vollends in tribunalähnlichen Veranstaltungen wie das »Literarische Quartett«. Dass es auch anders ging, konnte man parallel im schweizer »Literaturclub« der Nach-Heidenreich-Ära sehen. Und dass es noch schlimmer geht, zeigt das ZDF im Moment just mit jener Heroine Elke Heidenreich, die sich auch schon mal nicht entblödet, Bücher und deren Autoren, die sie, wie sie selber zugibt, gar nicht gelesen hat, pauschal zu verunglimpfen.
Das sind die »Götter« der Kritik der Gegenwart, Herr Winkels. Und in diesem Sinne haben Sie natürlich mit ihrem Aufschrei recht: Wie tief ist dieser Beruf gesunken, der sich in grossen Teilen zum Trendsetter des Massengeschmacks einfach konsumierbarer Literatur gemacht hat.
Geradezu eine Verkehrung der Wahrheit ist Winkels’ Feststellung (und Diktum), man habe umgeschaltet von ideologischer, auch stil-ideologischer Außensteuerung auf immanente Textsteuerung. Das pure Gegenteil ist der Fall: der »Text« (andere Vokabeln fallen den Kritikern nicht ein) wird nur im jeweiligen gesellschaftlich-politisch-literarisch korrekten Umfeld als satisfaktionsfähig angesehen. Das schränkt – naturgemäss – nicht nur den Kreis der kritischen Rezeptionsmöglichkeiten (also »Texte«) enorm ein – sondern lässt auch jenen anfangs so emphatisch vermissten Grössenwahn der Kritik nicht einmal theoretisch aufkommen. Das zu rezensierende ist bereits vorher einem Domestizierungsakt unterworfen worden, der fast zwangsläufig in eine Dressur des Autors aufs stromlinienförmige hinausläuft.
Und wenn das von Winkels so pauschal mit dem Etikett Schimäre versehene, genau das ist, wessen es sich derzeit lohnt zu streiten? Konkret: Ist nicht in Zeiten der fortschreitenden Banalisierung gerade eine Kritik sowohl der medialen Vermittlung (bzw. auch der literarischen Umsetzung dieser medialen Vermittlung) als auch der kanonisierten Betrachtungsweisen, das neue Thema? Sind da nicht Autoren wie beispielsweise Handke und Walser exakt jene vermissten Auflehner (bei aller vereinzelt vielleicht störenden Schrulligkeit)? »Störenfriede«, die freilich nur ob ihres Oeuvres überhaupt gehört werden; ein »junger« Autor mit ähnlichen Thesen wäre niemals zur Teestunde (nebst anschliessendem Rausschmiss) im »Grossfeuilleton« geladen worden.
Ist nicht Winkels’ Rückgriff auf den bellizistischen Ernst Jünger in Anbetracht der aktuellen Gemengelage geradezu eine obszön anmutende Geste? Ernsthaft: Was kann einen Literaturkritiker des 21. Jahrhunderts zu dieser Flucht treiben – ausser die Kapitulation vor einer zeitgenössischen Blümchenliteratur, die aber letztlich nur brav den Imperativen des Literaturbetriebs folgt?
Es ist ja nicht so, dass die so schmerzlich vermisste Literatur (oder auch Kunst) nicht existiert. Sie ist freilich im inzüchtigen Treibhaus des Feuilletons eine vernachlässigte Pflanze, die nur gelegentlich zu Repräsentationszwecken mühsam aufgepeppelt ans Licht gezerrt wird. Das Grossfeuilleton bespricht in einem Jahr vielleicht einhundert belletristische Bücher – mehr Auswahl existiert selten (da täuschen auch die pompösen „Sonderausgaben“ nur Quantität vor). Schnell werden die Kritiken zu Meta-Kritiken über Kritiken. Die Namen der Autoren sind über die Jahre immer die gleichen. Amerikanische Writingschool-Aktivisten geben immer mehr den Ton an. Verständlich, dass da die Emphase in der Rezeption fehlt.
Was der Kritik fehlt, ist schlichtweg der Mut. Mut zur Selbstreflexion, Mut zur Kritik, die vor allem auch an den eigenen bis zur Arroganz überzeichneten Grundfesten rüttelt und zunächst einmal den abgeholzten Wald aufforstet. Das ist ein eher langfristiges Projekt in einer auch in der Literatur immer schnelllebigeren Zeit. Aber gerade dies wäre notwendig; auch um neue Schichten langfristig an Literatur (an Literatur und nicht an »Schmöker«) zu binden. Hierfür war Winkels’ Aufsatz aber leider keine grosse Hilfe.