Wal­ter van Ros­sum: Die Ta­ges­show

Walter van Rossum: Die Tagesshow

Wal­ter van Ros­sum: Die Ta­ges­show

Wer ein Buch mit dem Un­ter­ti­tel Wie man in 15 Mi­nu­ten die Welt un­be­greif­lich macht schreibt, soll­te min­de­stens in der La­ge sein, die­se Be­haup­tung ar­gu­men­ta­tiv zu be­le­gen. Oder meint der Au­tor – was auch zi­tiert wird -, dass die Nach­rich­ten­sen­dun­gen für den »nor­ma­len Zu­schau­er« schlicht­weg nicht mehr zu ver­ste­hen sind? Wenn ja: Was hat das dann mit der Sen­de­dau­er zu tun? Hat es viel­leicht et­was mit der in den Sen­dun­gen ver­wand­ten Spra­che zu tun (viel­leicht zu vie­le Fremd­wör­ter?) oder mit der Rezeptions­fähigkeit des Pu­bli­kums? Fra­gen über Fra­gen.

Wal­ter van Ros­sum macht zu­nächst neu­gie­rig. Aber manch­mal ist das so ei­ne Sa­che mit dem An­spruch und der Wirk­lich­keit. Früh merkt der Le­ser: Da hat ei­gent­lich je­mand über­haupt kein In­ter­es­se an ei­ner auch nur halb­wegs se­riö­sen me­di­en­kri­ti­schen Ana­ly­se der Nach­rich­ten­sen­dun­gen, spe­zi­ell und über­wie­gend der »Ta­ges­schau« und den »Ta­ges­the­men«. Statt­des­sen ge­fällt sich der Au­tor in der Po­se des All­wis­sen­den, der dem Re­dak­ti­ons­team von »ARD-ak­tu­ell« mal so rich­tig die Mei­nung sagt. Das ge­schieht in ei­ner Mi­schung zwi­schen Über­le­gen­heits­ge­stus ei­nes Mi­cha­el Moo­re-Adep­ten und der Wut ei­nes ab­ge­blitz­ten Tanz­stun­den-Ver­eh­rers. Wei­ter­le­sen

Mit Scheu­klap­pen

Der er­ste Ap­pe­tit scheint ge­stillt. Die Po­stil­len wen­den sich vor­über­ge­hend wie­der an­de­ren The­men zu. Min­de­stens ei­ne ent­blö­de­te sich nicht vom »In­zest-Mon­ster« zu spre­chen. Aus­ge­rech­net sie, die ei­nen gan­zen Schwarm von Lü­gen­mon­stern be­schäf­ti­gen, mit ih­rem Men­tor Kai Diek­mann. Ich spre­che von Deutsch­land; das öster­rei­chi­sche Me­di­en­ge­wit­ter ha­be ich nicht mit­be­kom­men. Viel­leicht ist das gut so.

Ich stel­le die The­se auf: Sie ha­ben Jo­sef F. ge­braucht. Nein: Sie brau­chen ihn. Im­mer noch. Sie ver­zeh­ren sich nach ihm. Wenn es ihn nicht gä­be – so ver­rückt und lüg­ne­risch kön­nen sie gar nicht sein, ihn zu er­fin­den. Sie freu­en sich, dass je­mand ein noch schlim­me­rer Mensch ist, als ih­re Phan­ta­sie es hät­te er­fin­den kön­nen. Sie suh­len sich im Elend sei­ner Op­fer. Sie wei­den sich an ih­nen und ver­brä­men dies mit ei­nem schmie­ri­gen Be­trof­fen­heits­thea­ter.

Ein öster­rei­chi­sches Ge­richt be­ging ei­nen Lap­sus. Es nann­te Jo­sef F.s Frau in ei­nem öf­fent­li­chen Do­ku­ment nicht Ro­se­ma­rie, son­dern »Ma­ria«. Welch’ ein Witz: Jo­sef und Ma­ria in Am­stet­ten. Ihr Kind hat nun ge­lit­ten. Es hat für uns ge­lit­ten. Für un­se­re Sen­sa­ti­ons­gier. Zu un­se­rem Plai­sir. »Thrill« nennt man das im Eng­li­schen. Und jetzt müs­sen sie al­le noch ein­mal lei­den. Mit dem At­tri­but­ge­wit­ter der üb­li­chen Ver­däch­ti­gen. Wei­ter­le­sen

Xa­ver Bay­er: Heu­te könn­te ein glück­li­cher Tag sein / Die Alas­ka­stra­ße

Xaver Bayer: Heute könnte ein glücklicher Tag sein

Xa­ver Bay­er: Heu­te könn­te ein glück­li­cher Tag sein

Der Ich-Er­zäh­ler in »Heu­te könn­te ein glück­li­cher Tag sein« bleibt na­men­los. Er ist Stu­dent, wohnt in Wien (was ist de­pri­mie­ren­der als Wien?), aber man er­fährt nicht, was er stu­diert. Da ziem­lich viel von Li­te­ra­tur die Re­de ist und ei­ne me­lan­cho­li­sche Fas­zi­na­ti­on für das Bild des to­ten Ro­bert Wal­ser im Schnee be­steht, ver­mu­tet man ir­gend­wann, dass es Li­te­ra­tur oder Ger­ma­ni­stik ist. Die Vor­le­sun­gen be­sucht er so gut wie nie. Sein Lern­plan ist chao­tisch; selbst­ge­steck­te Zie­le hält er nicht ein. Trotz­dem macht der die »Schei­ne« und ist ir­gend­wann fer­tig. Er be­ginnt sei­ne Di­plom­ar­beit, die je­doch von sei­nem »Be­treu­er« als es­say­istisch und nicht wis­sen­schaft­lich ge­nug ab­ge­lehnt wird. Wie es dann wei­ter­geht, bleibt un­aus­ge­spro­chen.

Zwar nimmt er spo­ra­disch mo­nats­wei­se Jobs an, aber die öko­no­mi­sche Ver­sor­gung ist ne­bu­lös. Er geht sehr oft aus, kon­su­miert Al­ko­hol und Dro­gen in be­trächt­li­chem Aus­mass; un­ter­hält ein Au­to und reist ge­le­gent­lich. Es bleibt un­klar, wie er die­sen Le­bens­wan­del fi­nan­ziert.
Wei­ter­le­sen

Von Ver­deut­schun­gen und sprach­li­chem Frem­den­hass

Hier äu­sser­te ich am Ran­de ei­ne Kri­tik an dem (wie ich fin­de gräss­li­chen) An­gli­zis­mus »Re­a­ding Room«, den die FAZ für ih­ren neu ge­schaf­fe­nes Bü­cher­fo­rum ver­wen­det. Nun, es in­ter­es­siert die FAZ na­tür­lich nicht, wenn sich un­ser­ei­ner von die­sem Be­griff ge­ra­de­zu an­ge­ekelt fühlt.


Nach Jo­na­than Lit­tel­ls »Die Wohl­ge­sinn­ten« und Mar­tins Walsers »Ein lie­ben­der Mann« wird nun Jut­ta Lim­bachs Buch »Hat Deutsch ei­ne Zu­kunft« (mit der em­pha­tisch über­schrie­be­nen Ein­füh­rung »Mehr Deutsch wa­gen«) vor­ge­stellt und die The­sen der Au­torin dis­ku­tiert. Fast lo­gisch, dass sich ir­gend­wann die Fra­ge stellt, war­um man den eng­li­schen Aus­druck »Re­a­ding Room« ver­wen­det und kein deut­sches Wort fin­den woll­te. Löb­lich, dass die FAZ dies nun seit dem 02. Mai mit Le­sern dis­ku­tiert – mit dem merk­wür­di­gen Un­ter­ti­tel in der Fra­ge­stel­lung: »Darf die­ses Fo­rum ‘Re­a­ding Room’ hei­ssen?«

Merk­wür­dig des­halb, weil es kaum um ein »dür­fen« geht – eher um ein »müs­sen«. Im­mer­hin, es darf dis­ku­tiert wer­den. Wie schon vor­her ist der Auf­wand be­trächt­lich, die Soft­ware sehr gut. Die Bei­trä­ge wer­den mo­de­riert – das ist bei der FAZ üb­lich. Bis zum 10. Mai will man Stim­men sam­meln.
Wei­ter­le­sen

Schlech­te Ver­lie­rer

Bay­ern Mün­chen hat ge­stern das UEFA-Po­kal Halb­fi­nal­spiel ge­gen Ze­nit St. Pe­ters­burg mit 4:0 ver­lo­ren. Ein de­sa­strö­ses Er­geb­nis – ge­ra­de, wenn man das Spiel ge­se­hen hat und die Art und Wei­se, wie man vor­ge­führt wur­de. Den »Ta­ges­the­men« war die­se Nie­der­la­ge der Auf­ma­cher wert. Die An­mo­de­ra­ti­on von Ca­ren Mios­ga kann man al­ler­dings als reich­lich ten­den­zi­ös be­zeich­nen: Bay­ern Mün­chen ha­be auch noch ge­gen Ze­nit St. Pe­ters­burg ver­lo­ren, ein Ver­ein, der bis vor kur­zer Zeit noch kei­nen wirk­li­chen Na­men ge­habt ha­be und von höch­ster staat­li­cher Stel­le viel raus­ge­spon­sert wer­de, und zwar vom rei­chen Gas­pro­du­zen­ten »Gaz­prom« (üb­ri­gens auch Spon­sor von Schal­ke 04). Ze­nit sei ein Ver­ein von Pu­tins Gna­den und der neue Prä­si­dent Med­we­dew sei noch ein viel grö­sse­rer Fan (wow). Frau Mios­ga kann die Pe­jo­ra­tio­nen kaum noch zü­geln.
Wei­ter­le­sen

Ret­tungs­ver­such

Ge­dan­ken zu Kom­men­ta­ren in Blogs am Bei­spiel und mit Hil­fe von Ste­fan Nig­ge­mei­er

War­um kom­men­tiert man auf Blogs? Was sind die Be­weg­grün­de de­rer, sich in teil­wei­se zä­hen Wort­ge­fech­ten mit Leu­ten strei­ten, die sie (in der Re­gel) nicht ken­nen und ver­mutlich auch nie­mals ken­nen­ler­nen wer­den? Mit­te März stell­te Ste­fan Nig­ge­mei­er die­se Fra­ge auf sei­nem Blog – viel­leicht um her­aus­zu­fin­den, wie die Leu­te »ge­strickt« sind, aber auch, um Ma­te­ri­al für sei­nen Ar­ti­kel in der FASZ zu er­hal­ten.

Sehr wohl war mir auf­ge­fal­len, dass Nig­ge­mei­er die Kom­men­ta­re auf sei­nem Blog mit ei­ner of­fen­bar zu­neh­men­den Am­bi­va­lenz be­trach­te­te. Seit ei­ni­ger Zeit kann man die­se so­gar »ab­schal­ten«.
Wei­ter­le­sen

Pe­ter Hand­ke / Al­fred Kol­le­rit­sch: Schön­heit ist die er­ste Bür­ger­pflicht

Die Phi­lo­lo­gi­sie­rung des Wer­kes von Pe­ter Hand­ke schrei­tet vor­an. Nach der Ver­öf­fent­li­chung des Brief­wech­sels mit Ni­co­las Born im Jahr 2005 und – ein Jahr spä­ter – Her­mann Lenz nun die Pu­bli­ka­ti­on der Kor­re­spon­denz zwi­schen Freun­den, die noch am Le­ben sind (Al­fred Kol­le­rit­sch).

Peter Handke / Alfred Kolleritsch: Schönheit ist die erste Bürgerpflicht

Pe­ter Hand­ke / Al­fred Kol­le­rit­sch: Schön­heit ist die er­ste Bür­ger­pflicht

Die­se ist zu­nächst ein­mal für den werk­in­ter­es­sier­ten und ein biss­chen kun­di­gen Le­ser von Be­deu­tung, aber oben­drein für den durch E‑Mail oder SMS in­zwi­schen dem Brief­schrei­ben ent­wöhn­ten Zeit­ge­nos­sen. So ist die­ser Brief­wech­sel zwi­schen Al­fred Kol­le­rit­sch (ge­bo­ren 1931) und dem elf Jah­re jün­ge­ren Hand­ke zu­sätz­lich ein Do­ku­ment ei­ner schwin­den­den Kul­tur­tech­nik – ei­ner Kul­tur­tech­nik des Wor­tes, der Nu­an­ce, der Al­bern­heit, der Ernst­haf­tig­keit, der Schwer­mut (und auch des Nach­schau­ens im Brief­ka­sten ob der sehn­suchts­voll er­war­te­ten Ant­wort).

Vie­le der – man ahnt es im Ver­lauf des Bu­ches – schö­nen, ja: rei­chen Brie­fe Kol­le­rit­schs sind nicht mehr da (der Ver­lust wohl Hand­kes zahl­rei­chen Um­zü­gen ge­schul­det), so dass die Kor­re­spon­denz von Pe­ter Hand­ke ei­ne Über­zahl bil­den. Manch­mal kann man auf­grund der Ant­wor­ten ein biss­chen er­ah­nen, was wohl im Brief ge­stan­den ha­ben mag – spä­ter, wenn dann auch Kol­le­rit­sch-Brie­fe ab­ge­druckt sind, merkt man, dass man die­sen Stil dann ver­misst.
Wei­ter­le­sen

Jo­na­than Lit­tell: Die Wohl­ge­sinn­ten

I. Mocku­men­ta­ry
II. Ernst Nol­te als Spi­ri­tus rec­tor
III. Die Buch­ver­ste­her

Ein Buch mit ei­nem ge­ra­de­zu ka­the­dra­len Über­bau: »Re­a­ding-Room« der FAZ (ein häss­li­cher An­gli­zis­mus – den­noch: hö­rens­wert das Le­sen von Chri­sti­an Ber­kel), Mar­gi­na­li­en­band mit In­ter­views, Gra­phi­ken und text­in­ter­pre­ta­to­ri­schem Rüst­zeug, ei­ge­ne Web­sei­te (noch aus­führ­li­che­re Do­ku­men­te als im Mar­gi­na­li­en­band), und fast je­des Feuil­le­ton äu­ssert sich. Und wenn man das Buch mit sei­nen fast 1.400 Sei­ten vor sich lie­gen hat und in den Hän­den wiegt, dann fragt man sich, ob die Er­war­tun­gen ob die­ses Mo­nu­men­ta­lis­mus über­haupt ein­ge­löst wer­den kön­nen. Oder ob da nicht ein Au­tor Op­fer sei­ner ei­ge­nen Hy­bris wird.

Jonathan Littell: Die Wohlgesinnten

Jo­na­than Lit­tell: Die Wohl­ge­sinn­ten

»Die Wohl­ge­sinn­ten« sind die fik­ti­ven Me­moi­ren von Dr. Ma­xi­mil­li­an Aue, Jahr­gang 1913, deutsch-fran­zö­si­scher Her­kunft, pro­mo­vier­ter Ju­rist und am En­de, 1945, SS-Ober­sturm­bann­füh­rer. Aue ist Ich-Er­zäh­ler, was als »neu« in Be­zug auf die »Tä­ter­per­spek­ti­ve« hin­ge­stellt wird. Das stimmt in die­ser Ab­so­lut­heit na­tür­lich nicht und wird nicht bes­ser, in dem man es dau­ernd wie­der­holt. Je­der zwei­te Kri­mi schiebt heut­zu­ta­ge den Tä­ter und des­sen Mo­ti­va­ti­on in den Vor­der­grund – meist als Bre­chung zum All­tag des Kom­mis­sars. Hin­sicht­lich der Shoa stimmt das auch nicht. Man kann nicht so tun, als sei die »Spra­che der Tä­ter« zu er­fin­den. Es gibt sie längst – so­wohl im Ori­gi­nal, als auch in zahl­rei­chen Fik­tio­nen, die längst in die Welt­li­te­ra­tur und ‑dra­ma­tik ein­ge­flos­sen sind.

Wei­ter­le­sen