Der trau­ern­de Af­fe

Da un­ser Rück­flug sich ver­zö­ger­te, hat­ten wir, Va­ter und Sohn, un­ver­hofft ein paar Stun­den Zeit und gin­gen in den Ber­li­ner Zoo. Wäh­rend Noam um die Ha­bi­ta­te exo­ti­scher Tie­re strolch­te, saß ich da und schau­te den ge­fan­ge­nen Af­fen zu. Al­le spran­gen leb­haft und ver­spielt von ei­nem Ast zum an­de­ren. Mit ei­ner Hand hiel­ten sie sich fest, streck­ten die an­de­re nach dem näch­sten Ast aus und han­gel­ten sich wei­ter. Ein Af­fe saß al­lein ab­seits und misch­te sich nicht un­ter die an­de­ren. Ich er­kun­dig­te mich bei ei­nem vor­bei­ge­hen­den Tier­pfle­ger, was das hier ha­be. »Er ist an­ders«, ant­wor­te­te er. »Er kann nicht klet­tern, weil er Angst hat, den Ast los­zu­las­sen. Wenn man sich mit bei­den Hän­den an dem Ast fest­hält, kann man nicht klet­tern. Das ist sein Schick­sal. Er sitzt den gan­zen Tag auf dem Bo­den wie ein Trau­ern­der, der vom Le­ben um ihn her­um iso­liert ist.«

Aus »Hit­ler be­sie­gen« von Av­ra­ham Burg [Sei­te 28] &#8211.

Wolf­gang Her­mann: Kon­struk­ti­on ei­ner Stadt

Wolfgang Hermann: Konstruktion einer Stadt

Wolf­gang Her­mann: Kon­struk­ti­on ei­ner Stadt

Viel­leicht steht es ein­fach zu früh dort – in die­ser kur­zen, kur­siv ge­setz­ten Ein­lei­tung: Die­ses Buch sei im Bauch von Ber­lin ge­schrie­ben wor­den als die Stadt noch ein um­mau­er­tes, ge­fes­sel­tes Tier war. Es han­de­le sich um Pro­to­kol­le des Ver­lusts, so der Au­tor. Viel­leicht hät­te aber dem Le­ser der Un­ter­ti­tel »Ver­su­che« zu die­sen »Kon­struk­ti­on ei­ner Stadt« zu­nächst ein­mal ge­nügt; die Spu­ren, dass hier aus ei­ner ver­gan­ge­nen Zeit er­zählt wird (ab­ge­se­hen von zwei Ex­kur­sen: ei­nem fast re­stau­ra­tiv an­mu­ten­den Idyl­len­sze­na­rio, stark er­in­nernd an die Em­ma­nu­el Bo­ve-Welt beispiels­weise aus »Mei­ne Freun­de« oder »Ar­mand«, und, ziem­lich am An­fang, ei­ner kru­den Welt­apo­ka­lyp­se) hät­ten sich wenn nicht so­fort, so doch im Er­zähl­ten lang­sam er­ge­ben. So lehnt man sich zu­rück und staunt ob die­ser so un­end­lich fern lie­gen­den ein­und­zwan­zig (?) Jah­re, in der hier noch ein­mal ei­ne Groß­stadt auf­scheint (viel mehr als die­se Groß­stadt dann die­se Zeit). Wie fast nied­lich die­ses mo­bil­funk­lo­se Trei­ben da plötz­lich er­scheint, ob­wohl die »Pro­to­kol­le« des Er­zäh­lers auch da­mals schon kein Glück in den Ge­sich­tern der Fuß­gän­ger, Nacht­schwär­mer, Nach­mit­tags­spa­zier­gän­ger, Voy­eu­re, Bar­män­ner, Trai­nings­ho­sen­trä­ger, Be­trun­ke­nen und/oder Be­schäf­ti­gungs­lo­sen ent­decken.

Her­mann schreibt in ei­ner ex­pres­si­ven Ein­lei­tung vom wel­ken und stum­men Le­ben der Städ­ter (und setzt da­bei Städ­ter un­ter­schwel­lig als syn­onym für den [post-?]modernen Men­schen), de­ren Po­ren ver­stopft sind. Sie wa­gen sich nicht aus ih­ren klei­nen Häu­sern, denn Ster­ben vor Angst, das ist Ge­setz. Lie­ber Maus sein als ein­mal frei­en Wind at­men. Und sie fra­gen ‘War­um bin ich hier’, sie ver­ste­hen nicht, aber es muss et­was mit Gott zu tun ha­ben, dem na­men­los Bei­spiel­ge­ben­den. Und sie über­trei­ben, um das Maß wieder­zufinden. Wei­ter­le­sen

Rai­nald Goetz: los­la­bern

Rainald Goetz: loslabern

Rai­nald Goetz: los­la­bern

LOSLABERN: Trak­tat, Trak­tat über den Tod, über Wahn, Sex und Text, und, er­hei­tert von die­sem so­eben durch ihn hindurch­gefahrenen Ex­pres­si­vi­täts­er­eig­nis: Be­richt!, der Herbst 2008!... Ei­ne gro­sse (groß­spu­ri­ge?) Er­öff­nung. Dann: »los­la­bern« als ethi­scher Akt. Als neue Dis­kurs­form im Ha­ber­ma­si­en der Nuller­jah­re? Und na­tür­lich auch gleich die »pas­sen­de« li­te­ra­tur­hi­sto­ri­sche Selbst­ein­stu­fung: Ein rich­tig los­ge­la­ber­ter Text wür­de sei­ne, dass man aber dann, oh­ne sich da­bei zu un­ter; Fin­ster­nis: Steu­er, Er­wach­se­nen­le­ben, Ver­ant­wor­tung, Ein­sicht, Ver­nunft; ENDHÖLLE. Ver­stan­den? Nein? Macht nichts. »los­la­bern« ist eben auch zwang­lo­ses bzw. ‑haf­tes Ab­son­dern. (Das aber glück­li­cher­wei­se eher sel­ten.)

Vom Grö­ßen­wahn wech­selt Rai­nald Goetz dann bis­wei­len ins thea­tra­li­sche und ge­riert sich auch schon mal als der Ge­fan­ge­ne. Aber trö­stend für den Le­ser: Er meint we­nig in die­sem Buch wirk­lich Ernst. Hin­ter die­sen Text­kas­ka­den steckt (zu) oft (zu) we­nig. Nur ab und an ist das an­ders, et­wa wenn er Schirr­ma­cher vor­hält, die Se­rio­si­tät des (FAZ-)Feuilletons dro­he nach­zu­las­sen. Dann blitzt die Angst des Kin­des her­vor, sei­ne Spiel­wie­se zu ver­lie­ren. Denn Goetz weiß sehr wohl, was er an sei­ner Spiel­wie­se hat. Wei­ter­le­sen

Die un­zäh­li­gen Pfa­de des Ster­bens

Wie kann man die Fra­ge über die Recht­fer­ti­gung von Ster­be­hil­fe be­ant­wor­ten? Wie kann man ak­zep­tie­ren, dass auch schon Kin­der manch­mal ster­ben müs­sen? Wie kann man ver­ste­hen, dass je­mand noch in der Blü­te­zeit des Le­bens den so­ge­nann­ten Schnit­ter trifft?

Kei­ner kann Ant­wor­ten dar­auf ge­ben. Man kann nur ver­mu­ten, denn die Wahr­heit liegt, falls es über­haupt ei­ne gibt, hin­ter vie­len Fas­sa­den und Trug­bil­dern ver­bor­gen, und der größ­te Schlei­er vor un­se­ren Au­gen ist der der Un­wis­sen­heit und des ewi­gen Schwei­gens. Je­de Spe­ku­la­ti­on in die­se Rich­tung, je­de noch so be­grün­de­te An­nah­me ist, wie, wenn man in ei­nem gro­ßen kreis­för­mi­gen Saal steht, und von die­sem in al­le Rich­tun­gen Gän­ge ab­ge­hen, und die­se mit Vor­hän­gen ver­deckt sind. Schiebt man ei­nen Vor­hang bei­sei­te, so sieht man nichts als Dun­kel­heit und setzt man auch nur ei­nen Fuß hin­ter die Schwel­le der Fin­ster­nis, so geht man da­mit be­reits das Ri­si­ko ein, in die Schluch­ten des Irr­tums zu fal­len. Man kann war­ten, bis sich die Vor­hän­ge von sel­ber öff­nen, man den rich­ti­gen Weg ge­weist be­kommt, doch dann ist es mei­stens be­reits zu spät, noch aus ei­ge­ner Kraft um­zu­keh­ren. Ein frei­wil­li­ges Ge­hen, in zwei­er­lei Hin­sicht, kann dann nicht mehr er­war­tet wer­den. Schwer­wie­gen­des Weh­kla­gen und Jam­mern sind dann der Preis für ei­ne ge­rin­ge Ri­si­ko­freu­dig­keit. Soll­ten wir dann nicht lie­ber selbst den Weg der Wahr­heit su­chen? Je eher wir wis­sen, wel­chen Pfad wir spä­ter ein­schla­gen müs­sen, de­sto bes­ser kön­nen wir uns auf die Rei­se vor­be­rei­ten. Wir ha­ben im­mer­hin das Licht un­se­rer Ver­nunft, wel­ches uns we­nig­stens ei­nen klei­nen Teil der Dun­kel­heit hin­ter den Vor­hän­gen of­fen­bart. Wei­ter­le­sen

Er­bärm­li­che Fi­gu­ren

Nach der Ent­schei­dung der Grü­nen an der Saar, mit CDU und FDP in Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen zu ge­hen, kann man an den Re­ak­tio­nen von SPD und der Lin­ken er­ken­nen, war­um sich die Leu­te in Scha­ren von der Po­li­tik ab­wen­den.

Eben noch um­wor­ben pol­tert La­fon­taine ge­gen den Grü­nen-Chef Ul­rich, dass der wohl mit 5,9% ver­ges­sen ha­be, dass dies kei­ne 59% sei­en. Man fragt sich, ob er ihm dies in den Vor­ge­sprä­chen auch so ge­sagt hat. Wei­ter­le­sen

Ro­ber­to Bo­la­ño: 2666

Roberto Bolaño: 2666

Ro­ber­to Bo­la­ño: 2666


Das Buch be­ginnt so harm­los. Drei Li­te­ra­tur­pro­fes­so­ren (Jean-Clau­de Pel­le­tier aus Frank­reich, Ma­nu­el Es­pi­no­za aus Spa­ni­en und Pie­ro Mo­ri­ni aus Ita­li­en) und die eng­li­sche Li­te­ra­tur­do­zen­tin Liz Nor­ton (spä­ter hei­ßen sie nur noch die Kri­ti­ker) ent­wickeln über die Jah­re ei­ne Af­fi­ni­tät zum Werk des deut­schen Schrift­stel­lers Ben­no von Ar­chim­bol­di. An­fangs ein Ge­heim­tip, for­cie­ren nicht zu­letzt die vier die Re­zep­ti­on Ar­chim­bol­dis in der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft; un­ter an­de­rem auch durch Über­set­zun­gen. Auf Kon­gres­sen, Col­lo­qui­en und an­de­re Zu­sam­men­tref­fen (die es of­fen­sicht­lich reich­lich gibt) ler­nen sie sich per­sön­lich ken­nen und ver­tie­fen nicht nur ih­re fach­li­chen Kennt­nis­se. Durch Liz Nor­ton kommt es zu al­ler­lei Lie­bes­ver­wick­lun­gen; die Da­me hat zu­nächst Pel­le­tier als Ge­lieb­ten, et­was spä­ter dann Es­pi­no­za, län­ge­re Zeit bei­de par­al­lel und min­de­stens ein­mal auch gleich­zei­tig. Die kör­per­li­chen Geb­re­sten Mo­r­in­is (er ist im All­tag auf ei­nen Roll­stuhl an­ge­wie­sen) schei­nen da Bar­rie­ren zu bil­den, wo­bei es am En­de die­ses er­sten Teils dann doch noch ei­ne Über­ra­schung gibt.

Ne­ben die­sen In­ter­ak­tio­nen un­ter den vier Kri­ti­kern (Telefon‑, Mail‑, Gesprächs­austausch), dem ge­le­gent­li­chen Be­äu­gen, den Idio­syn­kra­si­en, den Ver­let­zun­gen, den Merk­wür­dig­kei­ten, den Se­xu­al­stel­lun­gen und –fre­quen­zen – al­les in ei­ner Mi­schung zwi­schen Pro­to­koll und Re­por­ta­ge auf­be­rei­tet – geht es na­tür­lich auch um Li­te­ra­tur. Das Ge­schrie­be­ne bleibt die ein­zi­ge Re­fe­renz für die Adep­ten, denn Ar­chim­bol­di ist so phan­tom­haft wie im rea­len Le­ben sonst nur Tho­mas Pyn­chon. Wei­ter­le­sen

heu­te ./. ta­ges­schau

Erd­be­ben in Pa­dang. Pe­ter Kunz be­rich­tet für das ZDF in »heu­te«. »95% der Groß­stadt sind in­takt«; die Zer­stö­run­gen der Stadt sei­en lo­kal auf ein­zel­ne Häu­ser bzw. Vier­tel be­grenzt. Die Bil­der, so Kunz vor­sich­tig, wür­den leicht ei­nen an­de­ren Ein­druck ver­mit­teln (»ZDF«-Mediathek; 19 Uhr-Sen­dung vom 01.10.09 ab ca. 03:15).

In der »ta­ges­schau« um 20 Uhr der Kor­re­spon­dent Phil­ipp Ab­resch live via Sa­tel­li­ten­te­le­fon: Pa­dang lie­ge »in Trüm­mern« (ab 02:16).
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Des­in­for­ma­ti­on bei der »ta­ges­schau«

Die »ta­ges­schau« ist auch nicht mehr das, was sie frü­her war. So­eben konn­te man dies deut­lich fest­stel­len, hieß es doch in ei­nem an pro­mi­nen­ter Stel­le plat­zier­ten Bei­trag von Pia Biersch­bach in der Sen­dung von 20 Uhr, dass das Wahl­recht kurz vor der Bun­des­tags­wahl in der Dis­kus­si­on ge­kom­men sei. Es ge­he, so der Film, um die Re­ge­lung der Über­hang­man­da­te. De­tail­liert wur­de er­klärt, wie Über­hang­man­da­te zu­stan­de kom­men. Da­bei wur­de er­läu­tert, dass ei­ne Par­tei un­ter be­stimm­ten Um­stän­den mehr Man­da­te be­kom­men kann, als ihr ge­mäss der ab­ge­ge­be­nen Stim­men zu­ste­hen. Dann wird be­haup­tet, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ei­ne Re­ge­lung bis 2011 ver­ord­net ha­be, dies ab­zu­stel­len.

Die­ser Schluss ist nach­weis­lich falsch. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat kei­nes­falls die Re­ge­lung der Über­hang­man­da­te be­an­stan­det, wie dies im Bei­trag der »ta­ges­schau« sug­ge­riert wur­de. Zwar ist im Bei­trag ver­steckt an ei­ner Stel­le von »Tei­len der Über­hang­man­dats­re­ge­lung« die re­de, die be­an­stan­det wur­de, aber wel­cher Teil das ist, bleibt un­deut­lich. Der Zu­schau­er muß an­neh­men, es be­tref­fe ge­ne­rell die Über­hang­man­da­te. Wei­ter­le­sen