Ma­ja Ha­der­lap: Nacht­frau­en

Maja Haderlap: Nachtfrauen
Ma­ja Ha­der­lap:
Nacht­frau­en

2012 glänz­te Ma­ja Ha­der­lap mit En­gel des Ver­ges­sens Le­ser und Kri­tik. Hier er­schrieb ei­ne Au­torin mit Leich­tig­keit und Stren­ge ein im­mer­gül­ti­ges Denk­mal über ih­ren Va­ter, der Groß­mutter und zu­gleich den Kärnt­ner Slo­we­nen, die­sen »viel­fach Ver­sehr­ten«. Das Buch be­ein­druck­te in sei­ner Viel­schich­tig­keit als Dorf- und Land­schafts­er­zäh­lung, Bil­dungs­ro­man, Ge­schichts­be­schrei­bung und spann­te ei­nen epi­schen Bo­gen in die Fa­mi­lie der Er­zäh­le­rin. Und nun al­so, viel­fach er­war­tet, ja er­sehnt, nach mehr als zehn Jah­ren Nacht­frau­en, der neue Ro­man.

Nacht­frau­en ist in zwei Tei­le ge­glie­dert. Der er­ste Teil, der ziem­lich ge­nau zwei Drit­tel des Bu­ches ein­nimmt, er­zählt aus per­so­na­ler Sicht von Mi­ra, die in heik­ler Mis­si­on zu ih­rer Mut­ter nach Kärn­ten fährt. Mi­ra ist Kärnt­ner Slo­we­nin, lebt aber seit ih­rem Stu­di­um in Wien, wur­de wi­der­wil­lig zu ei­nem »Stadt­men­schen«. Sie ar­bei­tet als Fach­re­fe­ren­tin im Kul­tur­be­trieb und ist ver­hei­ra­tet mit Mar­tin, ei­nem Leh­rer. Das Paar ist kin­der­los, die Ehe ist nicht span­nungs­frei. Spo­ra­disch be­sucht sie ih­re Mut­ter. Ihr Va­ter, ein Wald­ar­bei­ter, kam bei der Ar­beit ums Le­ben. Mi­ra wur­de hier­für ei­ne Mit­schuld ge­ge­ben. Der Tod des Va­ters bzw. Ehe­manns hat das Le­ben der Fa­mi­lie kom­plett ver­än­dert.

An­ni, die Mut­ter, kör­per­lich leicht ge­brech­lich, soll aus ih­rem Haus in ein Heim um­zie­hen, da­mit Franz, Mi­ras Cou­sin, das Ge­bäu­de zu ei­ner Tisch­ler­werk­statt um­bau­en kann. So wur­de es be­schlos­sen. An­ni wehrt sich, for­mu­liert Be­din­gun­gen, et­wa, dass ih­re Samm­lung von Bau­ern­werk­zeug vor­her in ein Mu­se­um ver­bracht wer­den soll. Stan­ko, Mi­ras Bru­der, ist mit der Si­tua­ti­on über­for­dert. Mi­ras Be­such ist auf zwei Wo­chen an­ge­setzt; es ist Früh­ling und bis En­de des Jah­res soll der Aus­zug An­nis statt­ge­fun­den ha­ben. Es geht um Bau­ge­neh­mi­gun­gen und Fri­sten.

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Der Mann mit dem Kas­set­ten­re­kor­der

Malte Herwig: Austrian Psycho
Mal­te Her­wig:
Au­stri­an Psy­cho

Au­stri­an Psy­cho ist ein Ver­such, das in­tel­lek­tu­el­le Öster­reich von Jack Un­ter­we­ger zu ex­or­zie­ren.

»Al­les ist Ver­wand­lung.« So be­ginnt der Jour­na­list und Pu­bli­zist Mal­te Her­wig sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung über den Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke. Und er fügt hin­zu: »Wer die Bio­gra­phie ei­nes Künst­lers schreibt […], soll­te sich ei­ne Neu­gier auf die Me­ta­mor­pho­sen be­wah­ren, die zwi­schen Kunst und Welt hin- und her­füh­ren.« Her­wigs Neu­gier be­schränkt sich nicht nur auf Künst­ler wie Hand­ke. Das The­ma der »Ver­wand­lung« ist der ro­te Fa­den in all den bis­he­ri­gen grö­ße­ren Re­cher­che­ar­bei­ten Her­wigs. Da sind die Flak­hel­fer, 17, 18jährige, die 1944/45 Mit­glied in der NSDAP ge­wor­den wa­ren, und dies, so das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen, mit ih­rem aus­drück­li­chem Wunsch, da es kei­ne »au­to­ma­ti­schen« Par­tei­mit­glied­schaf­ten gab. Aber die­se Men­schen wur­den nach 1945 zu Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bun­des­re­pu­blik. Her­wig woll­te nicht die Le­bens­lei­stung die­ser Leu­te dif­fa­mie­ren. Es ging um die Su­che nach der Er­klä­rung der Ver­wand­lung von ver­blen­de­ten Na­zi-An­hän­gern zu De­mo­kra­ten. Ei­ne an­de­re Me­ta­mor­pho­se er­leb­te er bei der Pi­cas­so-Ge­lieb­ten Fran­çoi­se Gi­lot, die sich ir­gend­wann dem ver­meint­li­chen Ge­nie als blo­ße Ge­spie­lin ver­wei­gert hat­te, ih­ren ei­ge­nen Weg ging und ei­ne an­ge­se­he­ne Ma­le­rin wur­de – trotz al­ler An­fech­tun­gen und Ran­kü­ne aus dem Be­trieb. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter kon­zi­pier­te Her­wig ei­nen wun­der­ba­ren Pod­cast über die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher. Der Ver­wand­lungs­künst­ler hieß dies­mal Kon­rad Ku­jau, der sich als ima­gi­nä­rer Adolf Hit­ler in ei­ne Art Rausch ge­schrie­ben hat­te. Auf­klä­re­risch woll­te die­ser Be­trü­ger nicht wir­ken, son­dern nur sein Ver­mö­gen auf­bes­sern. 2021 ent­deck­te Her­wig die Ver­zau­be­run­gen des »Gro­ßen Ka­l­a­nag« ali­as Hel­mut Schrei­ber, ei­nes Ma­gi­ers, der nicht nur die Va­rie­tés in Eu­ro­pa und Ame­ri­ka, son­dern auch sei­ne Na­zi-Sym­pa­thie als Al­lein­un­ter­hal­ter bei der Fa­mi­lie Gö­ring Weih­nach­ten 1938 »ver­wan­del­te«.

Nun al­so der Frau­ense­ri­en­mör­der Jack Un­ter­we­ger. 2022 re­cher­chier­te Her­wig für den ins­ge­samt sechs­stün­di­gen Pod­cast »Jack. Gier frisst Schön­hei­ten«. Auch hier be­ließ er es nicht bei den üb­li­chen Er­klä­run­gen, die man in je­der True-Crime-Do­ku zu hö­ren be­kommt. Her­wig be­such­te die Hei­mat­keu­sche Un­ter­we­gers in Kärn­ten, fand Zeu­gin­nen, die ihn kann­ten, mit ihm als Kind zu­sam­men­leb­ten. Er zi­tiert aus Brie­fen, Ta­ge­buch­auf­zeich­nun­gen, Un­ter­we­gers »Ge­dich­ten« (die zu­meist Pla­gia­te sind), sei­nem ge­fei­er­ten Ro­man Fe­ge­feu­er und den an­de­ren, we­ni­ger bril­lan­ten Bü­chern, die da­nach ent­stan­den. Es gibt Ori­gi­nal­mit­schnit­te aus In­ter­views mit Un­ter­we­ger, den Re­por­ta­gen und sei­nen Te­le­fon­ge­sprä­chen mit der Ex-Ver­lob­ten. Er be­frag­te ehe­ma­li­ge Ge­lieb­te, Er­mitt­ler, den stell­ver­tre­ten­den Ge­fäng­nis­di­rek­tor, der Un­ter­we­ger im­mer durch­schau­te, des­sen Ur­teil je­doch nie­mand hö­ren woll­te. Bei al­ler Fas­zi­na­ti­on über die Ver­wand­lungs­fä­hig­keit Un­ter­we­gers, wer­den die Ta­ten und de­ren Op­fer nie ver­ges­sen. Vie­les war neu, wie auch El­frie­de Je­lin­eks Sprach­nach­richt, in der sie fast fehlt, her­aus­zu­be­kom­men, wer Fe­ge­feu­er wirk­lich ge­schrie­ben hat.

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An­drea Gio­ve­ne: Der letz­te San­se­vero

Andrea Giovene: Der letzte Sansevero
An­drea Gio­ve­ne:
Der letz­te San­se­vero

Mit Der letz­te San­se­vero liegt jetzt der fünf­te und letz­te Band der fik­ti­ven Au­to­bio­gra­phie des Giu­lia­no di San­ser­vo des 1995 ver­stor­be­nen ita­lie­ni­schen Au­tors An­drea Gio­ve­ne vor. Es ist der In­itia­ti­ve des Über­set­zers Mos­he Kahn zu ver­dan­ken, dass die­ses be­mer­kens­wer­te li­te­ra­ri­sche Werk im Ga­lia­ni Ver­lag wie­der­auf­ge­legt wur­de.

Der fik­ti­ve Her­zog San­se­vero, 1903 ge­bo­ren, Spross ei­ner nea­po­li­ta­ni­schen Fa­mi­lie, wächst zu­sam­men mit sei­nen Ge­schwi­stern in groß­bür­ger­li­cher At­mo­sphä­re auf. Ei­ne Wand im El­tern­haus zeig­te den im­po­san­ten Stamm­baum des San­se­vero-Ge­schlechts, der bis ins 11. Jahr­hun­dert zu­rück­reich­te. Be­reits im er­sten Band er­in­nert sich der Ich-Er­zäh­ler Giu­lia­no rück­wir­kend an die klei­nen Flecken und Ab­plat­zun­gen am Stamm­baum – sanf­te An­deu­tung für den schlei­chen­den Zer­fall. Mit zehn Jah­ren en­de­te Giu­lia­nos Kind­heit (so der pa­the­ti­sche Be­fund) und er wird in ei­ne Klo­ster­schu­le ver­bracht. Un­nah­bar­keit und Käl­te der El­tern be­stim­men den Le­bens­weg des Jun­gen. Hin­zu kommt, dass sich der Va­ter mit sei­nen Bau­pro­jek­ten mut­maß­lich ver­kal­ku­liert hat­te. Ir­gend­wann müs­sen die so stolz aus­ge­stell­ten An­ti­qui­tä­ten ver­kauft wer­den; es droht der Bank­rott. Ein­zig On­kel Ge­de­one, Staats­an­walt in Nea­pel, wird zum ste­ti­gen mo­ra­li­schen An­ker, Rat­ge­ber und Halt in Giu­lia­nos Le­ben.

Der letz­te Band be­ginnt 1945 und en­det mit dem letz­ten Ein­trag Giu­lia­nos im Sep­tem­ber 1957, we­ni­ge Ta­ge vor sei­nem Tod. In ei­nem kur­zen An­hang wird der Le­ser durch be­hörd­li­che Brie­fe über ei­ni­ge of­fe­ne Fra­gen auf­ge­klärt. So er­fährt man, dass der sechs Jah­re äl­te­re Bru­der Giu­lia­nos, Ferran­te, kurz zu­vor ver­stor­ben war. Da bei­de männ­li­chen Nach­kom­men wie auch die Schwe­stern for­mal kin­der­los blie­ben, ist die Fa­mi­lie nach 900 Jah­ren aus­ge­stor­ben. Die Kin­der­lo­sig­keit wird im Lau­fe des Ro­mans noch ein­mal be­fragt wer­den, frei­lich oh­ne end­gül­ti­gen Be­fund.

Nach den Wir­ren des Krie­ges, die aus­gie­big im vier­ten Band er­zählt wer­den, kommt Giu­lia­no wie fast im­mer eher zu­fäl­lig in ei­ne Po­si­ti­on. Er wird Be­am­ter in ei­nem Mi­ni­ste­ri­um und küm­mert sich um die gro­ße Zahl der Kriegs­flücht­lin­ge im Land. Die Be­hör­de steht un­ter kom­mu­ni­sti­scher Ägi­de, was ir­gend­wann zu Pro­ble­men führt, da Giu­lia­no nicht Mit­glied der Par­tei wer­den möch­te. Hin­zu kommt, dass sei­ne Vor­ge­setz­ten die von ihm er­folg­reich im­ple­men­tier­ten Maß­nah­men für sich be­an­spru­chen. Ge­nau so plötz­lich, wie die­ses Mi­ni­ste­ri­um ent­stand wur­de es auch auf­ge­löst. Giu­lia­no kehrt zum schon ge­brech­li­chen Ge­de­one nach Nea­pel zu­rück und wird dort Re­dak­ti­ons­mit­glied ei­ner neu ge­grün­de­ten Zei­tung. Als im Mai 1949 der ge­lieb­te On­kel stirbt und der Her­aus­ge­ber der Zei­tung in den lo­ka­len Po­lit­sumpf ein­zu­sin­ken droht, ver­lässt er Nea­pel, um in Gua­stal­la so et­was wie sei­ne Me­moi­ren zu ver­fas­sen. Der Le­ser kann sich nun den­ken, dass er die­se Me­moi­ren in den er­sten vier Bän­den ge­le­sen hat.

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An die Dau­er

DER 3. MÄRZ 1992, Ta­ge­buch­ein­trag von Pe­ter Ste­phan Jungk

Er­wa­che am Diens­tag, den 3.3., Mar­di Gras, um 8h, mit ei­nem sanf­ten Han­go­ver. Und kann kaum fas­sen, was ich da ANGEZETTELT ha­be: ich hei­ra­te Lil­li­an.1 Und Lil­li­an hei­ra­tet mich. Wozu ei­gent­lich, den­ke ich, beim Er­wa­chen. Und ha­be zu­gleich das Ge­fühl, daß dies der rich­ti­ge Schritt ist, ein Schritt vor al­lem, der L.’s Angst vor dem Schreck­ge­spenst FAMILIE ab­zu­bau­en mit­hel­fen wird. Oder ver­lie­ren wir durch die HEIRAT un­se­re Un­schuld? Un­ser kind­ähn­li­ches In-den-Tag-hin­ein-Le­ben, mit Au­gen, die dem Wun­der be­geg­nen, Tag für Tag. Neh­men wir uns et­was weg von die­ser Rein­heit? Oder ver­tie­fen wir durch die­se äu­ße­re Tat ei­nen Bund, der oh­ne­hin für’s Le­ben an­dau­ern soll? Ich weiß die Ant­wort noch nicht, schrei­be die­se Zei­len 1 Wo­che nach dem Tag, am 10.3., bin noch recht ver­wirrt, was das Ge­sche­he­ne be­trifft, ver­su­che noch, da­mit zu­recht zu kom­men, zweif­le manch­mal dar­an, das Rich­ti­ge ge­tan zu ha­ben. Und L. scheint ähn­lich zu den­ken. (…)

Wir er­war­ten Syl­via2 zum Früh­stück, die nach halb 10h er­scheint. But­ter­flies in mei­nem Bauch –. Ha­be den El­tern nichts ge­sagt, nur ein­mal an­ge­deu­tet, daß wir die Ehe­schlie­ßung pla­nen, als ich Mut­ter zu ih­rem Ge­burts­tag schrieb, im letz­ten Au­gust. (…) Um Vier­tel 11h dann An­kunft von Han­na3, die uns sehr schö­ne wei­ße Blu­men in ei­nem Erd­topf, so­wie ei­ne in­di­sche Über­decke für’s Bett, für’s Ehe­bett, überreicht…Sehr schön ist sie zu­recht­ge­macht – und in gu­ter Stim­mung. Wir 4 fah­ren mit ei­nem durch­aus vor­neh­men Wa­gen zur Mai­rie4, ich hat­te näm­lich, in An­be­tracht des schlim­men Zu­stands von un­se­rem al­ten Au­to, ge­stern Abend ei­nen Wa­gen ge­mie­tet, Re­nault 25, ei­ne rich­ti­ge Li­mou­si­ne -.

Mein neu­er An­zug paßt mir sen­sa­tio­nell, auch L. ist bild­schön, und der Wa­gen da­zu, die bür­ger­li­che Idyl­le par ex­cel­lence — Im Rat­haus dann mei­ne doch be­trächt­li­che Er­re­gung, vor al­lem, da Pe­ter5, um 10 vor 11h, noch nicht da ist – stamm­le un­ent­wegt: wo ist mein Zeu­ge? Ich hab kei­nen Zeu­gen! Der schö­ne Saal, in dem wir ver­hei­ra­tet wer­den sol­len – und ein Huis­sier6, der uns be­grüßt, uns fragt, ob es un­be­dingt der Bür­ger­mei­ster des 12. Be­zirks sein muß, der die Ze­re­mo­nie durch­führt? Sa­gen nein, kei­nes­wegs — Dann taucht Pe­ter auf, ganz au­ßer Atem, aber be­son­ders mil­de ge­stimmt, sehr über­rascht, als er Han­na sieht, hat­te ihm nichts da­von ge­sagt – als wir auf­ge­fä­delt ne­ben­ein­an­der sit­zen, im Salle de Ma­ria­ge, ge­steht er mir, in H. ver­liebt ge­we­sen zu sein, vor rund 20 Jah­ren. Wir 5 sit­zen da – und war­ten. Und war­ten. Um 11h15 wer­de ich schon et­was un­ru­hig — aber um 11h20 be­tritt ein klei­nes, grau­es Männ­chen (Pe­ter sagt spä­ter: ein von der Stra­ße rasch her­bei­ge­hol­ter Stra­ßen­keh­rer) mit brei­ter, rot­blau­wei­ßer Schär­pe um den Bauch, den Raum, be­glei­tet vom Huis­sier und der jun­gen Schwar­zen, die mei­nen Akt vor al­lem be­treut hat­te. (Als sie Pe­ters Na­men sah, als Zeu­ge, hat­te sie mir er­zählt, daß ihr Deutsch­pro­fes­sor im­mer von PH ge­spro­chen habe…es war näm­lich Ge­or­ges-Ar­thur Gold­schmidt7, den sie als Deutsch­pro­fes­sor hat­te!)

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  1. Lillian Birnbaum, Fotografin und Filmproduzentin. 

  2. Sylvie Liska, Präsidentin der Freunde der Wiener Secession

  3. Hanna Schygulla war Trauzeugin für Lillian Birnbaum. 

  4. Gemeint ist das Rathaus des 12. Arrondissements von Paris. 

  5. Peter Handke war Trauzeuge für PSJ. 

  6. Amtsdiener 

  7. Der Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt ist der wichtigste Übersetzer Peter Handkes ins Französische und unterrichtete Jahrzehnte lang Deutsch an einem Pariser Gymnasium. 

Pro­vo­ka­ti­on oder An­pas­sung?

Be­richt von ei­ner Schrift­stel­ler­ver­samm­lung

Es war vor vier­zig Jah­ren, als ich das er­ste Mal ei­ne Ge­ne­ral­ver­samm­lung der GAV, der wich­tig­sten öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler­ver­ei­ni­gung, be­such­te. Be­son­ders an­zie­hend wa­ren die­se Ver­samm­lun­gen für mich of­fen­bar nicht, denn ich kann mich nicht er­in­nern, ei­ne wei­te­re be­sucht zu ha­ben. Da­bei hat­te ich da­mals, oder tags zu­vor, ich weiß es nicht mehr ge­nau, er­in­ne­re mich aber an die Re­ak­tio­nen von Ernst Jandl, Franz Schuh und Ma­rie-Thé­rè­se Ker­sch­bau­mer – ich hat­te ei­nen klei­nen Vor­trag mit dem Ti­tel »Rea­lis­mus? Avant­gar­de?« (zwei Fra­ge­zei­chen!) ge­hal­ten. Na­tür­lich hat­te mei­ne Ab­we­sen­heit von der GAV auch mit mei­nen lan­gen Aus­lands­auf­ent­hal­ten zu tun.

Vier­zig Jah­re spä­ter, nach mei­ner (pro­vi­so­ri­schen) Rück­kehr, war ich auf al­les neu­gie­rig, so­gar auf die GAV. Wie al­le her­kömm­li­chen kul­tu­rel­len Mi­lieus ist auch das Mi­lieu der GAV über­al­tert. Doch im­mer­hin sah ich ei­ne An­zahl von jün­ge­ren, mir un­be­kann­ten Ge­sich­tern im Kel­ler­raum der Al­ten Schmie­de zu Wien. Ge­ne­ral­ver­samm­lun­gen be­stehen auch un­ter Schrift­stel­lern aus Re­chen­schafts­be­rich­ten und Dis­kus­sio­nen über ir­gend­ein Pro­ce­de­re; hin und wie­der scheint es aber doch zu Ge­sprä­chen zu kom­men, die In­halt­li­ches, d. h. Li­te­ra­ri­sches, be­tref­fen. Dies­mal be­durf­te es da­zu ei­nes Streits. Ei­nes Rich­tungs­streits, so wür­de ich es nen­nen, hin­ter dem sich ein Ge­ne­ra­tio­nen­kon­flikt ver­birgt. Nicht mehr »Rea­lis­mus? Avant­gar­de?« ist die Fra­ge, son­dern »Kor­rekt? In­kor­rekt?« oder »To­le­ranz vs. Re­gu­lie­rung«, »Pro­vo­ka­ti­on vs. An­pas­sung« – ich könn­te hier wei­te­re Ge­gen­satz­paa­re an­füh­ren.

Es ging um die Auf­nah­me ei­nes Au­tors, des­sen Na­me mir nichts sag­te, in die GAV. Wie bei al­len Ver­ei­nen muß der Au­tor, will er auf­ge­nom­men wer­den, da­zu ei­nen An­trag stel­len. Ei­ne Ju­ry wer­tet den An­trag aus und gibt ei­ne Emp­feh­lung; die Ge­ne­ral­ver­samm­lung ent­schei­det. In die­sem Fall war die Ju­ry ge­spal­ten, ei­ne Stim­me pro, zwei con­tra. Der An­trag war nicht sehr ge­schickt ge­stellt, der Au­tor hat­te zwan­zig Sei­ten ei­nes zehn Jah­re al­ten, in Buch­form er­schie­ne­nen Ro­mans ein­ge­schickt, aber kei­nen neue­ren Text. Aber dar­um ging es nicht und soll es auch hier nicht ge­hen. Die Be­grün­dung für das ne­ga­ti­ve Ur­teil war: Ras­sis­mus. Nicht, daß man in dem be­tref­fen­den Au­tor ei­nen Ras­si­sten ge­se­hen hät­te; viel­mehr wur­de von der Ju­ry mehr­heit­lich die An­sicht ver­tre­ten, heut­zu­ta­ge kön­ne man ras­si­sti­sche Äu­ße­run­gen, sei es auch in merk­lich kri­ti­scher Ab­sicht, nicht un­kom­men­tiert in ei­nen Ro­man ein­fü­gen. Als Bei­spiel wur­de un­ter an­de­rem, wenn ich mich recht ent­sin­ne, der im Text vor­kom­men­de, tra­di­ti­ons­rei­che Ga­stro-Be­griff »Mohr im Hemd« ge­bracht. Heut­zu­ta­ge – in der Dis­kus­si­on wur­de da­für­ge­hal­ten, vor zehn Jah­ren sei dies viel­leicht noch ak­zep­ta­bel ge­we­sen; heu­te nicht mehr. Man müs­se sich dem Zeit­geist an­pas­sen: Das wur­de nicht wört­lich ge­sagt, aber dar­auf lief es hin­aus.

Die Ab­stim­mung ging un­ent­schie­den aus, und da sich kei­ne Mehr­heit für den Au­tor er­ge­ben hat­te, wur­de sein An­su­chen ab­ge­lehnt. Wäh­rend der dis­kur­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung fand ei­ne äl­te­re Au­torin (mei­ne Ge­ne­ra­ti­on!) die Ar­gu­men­te der an­ti­ras­si­sti­schen Frak­ti­on »un­glaub­lich«, sprang auf und ver­ließ den Raum. Fünf Mi­nu­ten spä­ter kam sie zu­rück, sie hat­te sich be­ru­higt; da­nach äu­ßer­te sie sich recht be­son­nen zum The­ma. Ich selbst, eher ein Zaun­gast, sag­te nichts, aber wäh­rend der Dis­kus­si­on er­in­ner­te ich mich dar­an, daß ich we­ni­ge Ta­ge zu­vor in ei­nem Re­clam-Heft­chen, Text von In­ge­borg Bach­mann, das Wort »Ne­ger« ge­le­sen hat­te. Und daß man heut­zu­ta­ge El­frie­de Je­li­nek nicht in die GAV auf­neh­men wür­de, weil ih­re Bü­cher voll von ras­si­sti­schen und an­de­ren Kli­schees sind, wenn auch in kri­ti­scher Ab­sicht. (Die Wie­der­ga­be von Kli­schees wur­de von der Ju­ry eben­falls am Text des an­trag­stel­len­den Au­tors be­an­stan­det.) Auch dach­te ich dar­an, daß der Schwar­ze Jim in Mark Twa­ins Huck­le­ber­ry Finn zig­mal das Wort »Nig­ger« ver­wen­det, um sich selbst zu be­zeich­nen. Aber gut, die­ser Ro­man wur­de vor 133 Jah­ren ver­öf­fent­licht, und die Zei­ten än­dern sich…

Bei der Ab­stim­mung hob ich brav mei­ne Hand. Am un­ent­schie­de­nen Aus­gang, al­so an der Ab­leh­nung, än­der­te das nichts. In ei­nem Salz­bur­ger Ca­fé, fiel mir noch ein, hat­te ich un­längst ei­nen »Mohr im Hemd« auf der Spei­se­kar­te ge­se­hen. Aber den soll­te man viel­leicht can­celn.

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Letz­te Aus­fahrt 2023

Lutz Ra­the­now: Trot­zig lä­cheln und das Welt­all strei­cheln Per Leo: Noch nicht mehr Wolf­gang Her­mann: Der Gar­ten der Zeit Pe­ter Hand­ke: Die Bal­la­de des letz­ten Ga­stes En dé­tail: Lutz Ra­the­now: Trot­zig lä­cheln und das Welt­all strei­cheln Im letz­ten Jahr wur­de der in Je­na ge­bo­re­ne und in­zwi­schen in Ber­lin le­ben­de Lutz Ra­the­now 70 Jah­re alt. Da­zu ...

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Flo­ri­an Il­lies: Zau­ber der Stil­le

Florian Illies: Zauber der Stille
Flo­ri­an Il­lies:
Zau­ber der Stil­le

Der 250. Ge­burts­tag von Cas­par Da­vid Fried­rich, dem Ma­ler der Ro­man­tik schlecht­hin, wirft sei­ne Schat­ten vor­aus. Für 2024 sind gro­ße Aus­stel­lun­gen in Ber­lin, Dres­den, Ham­burg und Fried­richs Ge­burts­stadt Greifs­wald ge­plant. Man ahnt schon die Ber­ge von Po­stern, Kaf­fee­tas­sen, Kühl­schran­kauf­kle­bern und Post­kar­ten in den Mu­se­ums­shops. Da will auch Flo­ri­an Il­lies nicht feh­len, der mit Zau­ber der Stil­le ei­nen im ty­pi­schen Il­lies-Duk­tus ver­fass­ten Band vor­legt, an­ge­kün­digt als »Rei­se durch die Zei­ten«. Um es nicht zu ein­fach zu ma­chen, hat Il­lies kei­ne Chro­no­lo­gie ver­fasst, son­dern sor­tiert sei­ne Hi­stör­chen nach den vier Ele­men­ten Feu­er, Was­ser, Er­de und Luft. Je­dem Ele­ment wird ein (je­weils satt­sam be­kann­tes) Ge­mäl­de vor­an­ge­stellt; mehr als die­se vier Bil­der wer­den nicht ge­zeigt, was zu ei­nem ver­mehr­ten Such­ma­schi­nen­kon­sum beim Le­ser führt.

In Feu­er, dem um­fang­reich­sten Ka­pi­tel, er­fährt man, wie Fried­richs Ge­burts­haus ab­brann­te und lernt ei­ni­ges dar­über, wie häu­fig sei­ne Bil­der Op­fer von Flam­men oder Zer­stö­rung wur­den. Es gibt viel Ku­rio­ses (et­wa als je­mand 1943 sei­ne Fried­rich-Bil­der aus Schutz vor Bom­bar­die­rung in ei­nen Mu­se­ums­kel­ler ver­bringt – und die­se dort we­ni­ge Stun­den spä­ter ver­nich­tet wur­den) und der Au­tor kann es auch in die­sem Buch nicht las­sen, die ge­schil­der­ten Er­eig­nis­se mit an­de­ren, in­kom­pa­ti­blen Vor­fäl­len zu kom­bi­nie­ren. Als et­wa 1931 der Münch­ner Glas­pa­last ab­brennt – dar­un­ter auch Fried­rich-Bil­der – rat­tert die Mög­lich­keits­ma­schi­ne auf Hoch­tou­ren. Denn schließ­lich wohn­te da­mals nicht weit ent­fernt Ge­li Rau­bal, Adolf Hit­lers Nich­te, die, wie der Au­tor flei­ßig nach­ge­schla­gen hat, »drei Mo­na­te nach dem schockie­ren­den Brand….im Al­ter von 23 Jah­ren ein töd­li­ches Feu­er auf sich selbst er­öff­nen« wird. Und wie Tho­mas Mann, der auch zu die­ser Zeit in Mün­chen leb­te, die­ses In­fer­no mit­be­kom­men hat – auch das wis­sen wir nicht. Aber schön, dass wir mal über die­ses Nicht­wis­sen ein biss­chen ge­schrie­ben ha­ben.

Es sind die­se Pas­sa­gen ver­bla­se­ner Pseu­do-Ge­lehr­sam­keit, die ei­nem die­ses Buch ver­lei­den. Si­cher, Fried­rich und Ri­chard Wag­ner hät­ten sich tref­fen kön­nen, weil sie ein­mal im glei­chen Gast­hof lo­gier­ten. Ha­ben sie aber nicht – und selbst wenn: was könn­te man dar­aus ab­lei­ten? Als Fried­rich 1813 vor den fran­zö­si­schen Trup­pen von Dres­den in das klei­ne Städt­chen Krip­pen (heu­te Bad Schand­au) flieht, geht aus­ge­rech­net dort der ver­hass­te Na­po­le­on an Land. Il­lies ist be­gei­stert: Er »muss ihn ge­se­hen ha­ben, aus dem Fen­ster sei­ner Woh­nung oder aus den wal­di­gen Hü­geln.« Ein an­der­mal muss der klei­ne Ort Wiek auf der Halb­in­sel Rü­gen für ei­ne irr­wit­zi­ge Ana­lo­gie her­hal­ten. In Wiek ent­stand, so weiß der Au­tor, in Fried­richs Kopf das Bild Auf dem Seg­ler. Ein Mann und ei­ne Frau – wie ge­wohnt in Rücken­an­sicht – se­geln händ­chen­hal­tend auf ei­nem Schiff. Und knapp 200 Jah­re spä­ter star­tet in Wiek die An­dro­me­da, »ei­ne klei­ne Se­gel­yacht«, aufs »of­fe­ne Meer« und »in der Nä­he von Born­holm« zie­hen dann die Be­sat­zungs­mit­glie­der ih­re Tau­cher­an­zü­ge an und kurz dar­auf sind gro­ße Tei­le der Nord Stream-Pipe­lines zer­stört.

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Tom Kri­sten­sen: Ab­sturz

Tom Kristensen: Absturz
Tom Kri­sten­sen: Ab­sturz

Ole Ja­strau ist 34 Jah­re alt, ver­hei­ra­tet mit Jo­han­ne, hat ei­nen drei­jäh­ri­gen Sohn Oluf, lebt in Ko­pen­ha­gen und re­zen­siert dä­nisch­spra­chi­ge Bü­cher beim »Dag­bla­det«. Es ist Früh­jahr 1929, ein Tag vor ei­ner Wahl zum dä­ni­schen Fol­ke­ting. Die Re­zen­si­ons­exem­pla­re sta­peln sich bei ihm in der Woh­nung; er muss le­sen und vor al­lem schrei­ben, kann sich aber nur schwer kon­zen­trie­ren. Plötz­lich klin­gelt es an der Tür. Zu­nächst er­kennt er den »Kom­mu­ni­sten­ben­gel« Bern­hard San­ders nicht, ver­mut­lich, weil er ihn an sei­ne ei­ge­ne po­li­ti­sche Ver­gan­gen­heit er­in­nert. Er ist in Be­glei­tung ei­nes ge­wis­sen Ste­fan Stef­fen­sen, der ei­gent­lich Ste­fa­ni heißt, und der Sohn ei­ner an­ge­se­he­nen Ko­pen­ha­ge­ner Per­sön­lich­keit ist, des Dich­ters und Apo­the­kers H. C. Ste­fa­ni. Auch Stef­fen­sen scheibt Ge­dich­te.

Die bei­den bit­ten um Asyl für ei­ne Nacht, um ei­ne dro­hen­de Haft­stra­fe we­gen Ver­brei­tung ih­rer kom­mu­ni­sti­schen Zeit­schrift nicht ab­sit­zen zu müs­sen. Ih­re Spe­ku­la­ti­on geht da­hin, dass bei ei­nem Wahl­sieg der So­zi­al­de­mo­kra­ten ei­ne all­ge­mei­ne Am­ne­stie für sol­che Fäl­le aus­ge­spro­chen wer­den dürf­te. Die Gä­ste be­die­nen sich ger­ne und las­sen sich noch lie­ber aus­hal­ten. Ja­strau gilt beim blitz­ge­schei­ten San­ders als Re­ne­gat, der sei­ne ein­sti­gen Idea­le ver­ra­ten ha­be und er läßt kei­ne Ge­le­gen­heit aus, ihm dies mit­zu­tei­len. Ne­ben­bei wird das »Dag­bla­det« als »Lü­gen­blatt« be­zeich­net. Jo­han­ne zeigt sich von dem Be­such nicht be­gei­stert. Sie kocht zwar für die bei­den mit, reist dann je­doch mit Oluf zu den El­tern. Ja­strau geht in die Re­dak­ti­on.

Das ist die Aus­gangs­si­tua­ti­on für Ab­sturz, des 1930 erst­mals ver­öf­fent­lich­ten Ro­mans des dä­ni­schen Schrift­stel­lers Tom Kri­sten­sen (1893–1974), den der Gug­golz-Ver­lag in ei­ner neu­en Über­set­zung von Ul­rich Son­nen­berg her­aus­ge­bracht hat. Kri­sten­sen nahm sich auf den 620 Sei­ten Zeit, viel Zeit. Mit gro­ßer Be­hut­sam­keit wird der Le­ser in die Cha­rak­ter­rol­len, Freund- wie Feind­schaf­ten, Rän­ke­spie­le und Ge­heim­nis­se von Jour­na­li­sten und Ko­pen­ha­ge­ner Kul­tur­schicke­ria her­an­ge­führt. Da ist die »Rat­ten­wa­che« zum Bei­spiel, in der nach Fei­er­abend Re­dak­teu­re die Pa­pier­kör­be ih­rer Kol­le­gen aus­lee­ren, zer­ris­se­ne Zet­tel zu­sam­men­set­zen und auf die­se Art zu­erst an In­for­ma­tio­nen über bri­san­te Re­cher­chen kom­men oder Pri­va­tes von ih­ren Kol­le­gen er­fah­ren. Die äl­te­ren Re­dak­teu­re le­ben häu­fig in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen, sind des­il­lu­sio­niert, dem Al­ko­hol ver­fal­len. Ihr Stamm­lo­kal ist die »Bar des Ar­ti­stes« nebst an­lie­gen­dem Ho­tel, ein Kos­mos, der hin­ter ei­ner schwe­ren, dunk­len Por­tie­re ei­ne an­de­re Welt of­fen­bart, in der die gül­ti­gen Hier­ar­chien und Wert­vor­stel­lun­gen au­ßer Kraft ge­setzt sind. Hier sit­zen nur Män­ner, ei­ni­ge von ih­nen tag­aus, nacht­ein.

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