Bericht von einer Schriftstellerversammlung
Es war vor vierzig Jahren, als ich das erste Mal eine Generalversammlung der GAV, der wichtigsten österreichischen Schriftstellervereinigung, besuchte. Besonders anziehend waren diese Versammlungen für mich offenbar nicht, denn ich kann mich nicht erinnern, eine weitere besucht zu haben. Dabei hatte ich damals, oder tags zuvor, ich weiß es nicht mehr genau, erinnere mich aber an die Reaktionen von Ernst Jandl, Franz Schuh und Marie-Thérèse Kerschbaumer – ich hatte einen kleinen Vortrag mit dem Titel »Realismus? Avantgarde?« (zwei Fragezeichen!) gehalten. Natürlich hatte meine Abwesenheit von der GAV auch mit meinen langen Auslandsaufenthalten zu tun.
Vierzig Jahre später, nach meiner (provisorischen) Rückkehr, war ich auf alles neugierig, sogar auf die GAV. Wie alle herkömmlichen kulturellen Milieus ist auch das Milieu der GAV überaltert. Doch immerhin sah ich eine Anzahl von jüngeren, mir unbekannten Gesichtern im Kellerraum der Alten Schmiede zu Wien. Generalversammlungen bestehen auch unter Schriftstellern aus Rechenschaftsberichten und Diskussionen über irgendein Procedere; hin und wieder scheint es aber doch zu Gesprächen zu kommen, die Inhaltliches, d. h. Literarisches, betreffen. Diesmal bedurfte es dazu eines Streits. Eines Richtungsstreits, so würde ich es nennen, hinter dem sich ein Generationenkonflikt verbirgt. Nicht mehr »Realismus? Avantgarde?« ist die Frage, sondern »Korrekt? Inkorrekt?« oder »Toleranz vs. Regulierung«, »Provokation vs. Anpassung« – ich könnte hier weitere Gegensatzpaare anführen.
Es ging um die Aufnahme eines Autors, dessen Name mir nichts sagte, in die GAV. Wie bei allen Vereinen muß der Autor, will er aufgenommen werden, dazu einen Antrag stellen. Eine Jury wertet den Antrag aus und gibt eine Empfehlung; die Generalversammlung entscheidet. In diesem Fall war die Jury gespalten, eine Stimme pro, zwei contra. Der Antrag war nicht sehr geschickt gestellt, der Autor hatte zwanzig Seiten eines zehn Jahre alten, in Buchform erschienenen Romans eingeschickt, aber keinen neueren Text. Aber darum ging es nicht und soll es auch hier nicht gehen. Die Begründung für das negative Urteil war: Rassismus. Nicht, daß man in dem betreffenden Autor einen Rassisten gesehen hätte; vielmehr wurde von der Jury mehrheitlich die Ansicht vertreten, heutzutage könne man rassistische Äußerungen, sei es auch in merklich kritischer Absicht, nicht unkommentiert in einen Roman einfügen. Als Beispiel wurde unter anderem, wenn ich mich recht entsinne, der im Text vorkommende, traditionsreiche Gastro-Begriff »Mohr im Hemd« gebracht. Heutzutage – in der Diskussion wurde dafürgehalten, vor zehn Jahren sei dies vielleicht noch akzeptabel gewesen; heute nicht mehr. Man müsse sich dem Zeitgeist anpassen: Das wurde nicht wörtlich gesagt, aber darauf lief es hinaus.
Die Abstimmung ging unentschieden aus, und da sich keine Mehrheit für den Autor ergeben hatte, wurde sein Ansuchen abgelehnt. Während der diskursiven Auseinandersetzung fand eine ältere Autorin (meine Generation!) die Argumente der antirassistischen Fraktion »unglaublich«, sprang auf und verließ den Raum. Fünf Minuten später kam sie zurück, sie hatte sich beruhigt; danach äußerte sie sich recht besonnen zum Thema. Ich selbst, eher ein Zaungast, sagte nichts, aber während der Diskussion erinnerte ich mich daran, daß ich wenige Tage zuvor in einem Reclam-Heftchen, Text von Ingeborg Bachmann, das Wort »Neger« gelesen hatte. Und daß man heutzutage Elfriede Jelinek nicht in die GAV aufnehmen würde, weil ihre Bücher voll von rassistischen und anderen Klischees sind, wenn auch in kritischer Absicht. (Die Wiedergabe von Klischees wurde von der Jury ebenfalls am Text des antragstellenden Autors beanstandet.) Auch dachte ich daran, daß der Schwarze Jim in Mark Twains Huckleberry Finn zigmal das Wort »Nigger« verwendet, um sich selbst zu bezeichnen. Aber gut, dieser Roman wurde vor 133 Jahren veröffentlicht, und die Zeiten ändern sich…
Bei der Abstimmung hob ich brav meine Hand. Am unentschiedenen Ausgang, also an der Ablehnung, änderte das nichts. In einem Salzburger Café, fiel mir noch ein, hatte ich unlängst einen »Mohr im Hemd« auf der Speisekarte gesehen. Aber den sollte man vielleicht canceln.
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