Lu­zia Schmid: Ich will al­les

Luzia Schmid: Ich will alles

Lu­zia Schmid: Ich will al­les

Es be­ginnt, wie ein Film über die Schau­spie­le­rin, Sän­ge­rin und Buch­au­to­rin Hil­de­gard Knef be­gin­nen muss: 1968, Or­che­ster Kurt Edel­ha­gen, »Für mich soll’s ro­te Ro­sen reg­nen«. Der Text ist, wie fast im­mer, von ihr, die Mu­sik ar­ran­gier­te Hans Ham­mer­schmid. Da ist die­se Au­ra, die­ses Tim­bre, das man so­fort, auch oh­ne Bild, wie­der­erkennt. Ei­ne spe­zi­el­le Ver­bin­dung aus Stolz, Maß­lo­sig­keit und Selbst­iro­nie, la­ko­nisch und wuch­tig zu­gleich, »hem­mungs­los au­to­bio­gra­phisch«, wie sie ih­re Tex­te sel­ber nann­te, ei­ne kom­pri­mier­te Le­bens­bi­lanz mit 43 Jah­ren, da­von mehr als 20 Jah­re in­ter­na­tio­na­le Film- und Büh­nen­er­fah­rung. Ein Blick dann auf die quan­ti­ta­tiv im­po­nie­ren­de Li­ste mit »Co­ver­ver­sio­nen« und man weiß, dass ei­nem kei­ne da­von auch nur ei­ne Se­kun­de in­ter­es­siert, und das gilt auch für die­ses dün­ne Süpp­chen, das Ex­tra­breit 1992 mit der Knef auf­ge­nom­men hat­ten.

Lu­zia Schmid hat gut dar­an ge­tan, die­se Ne­ben­schau­plät­ze für ih­ren Film Ich will al­les aus­zu­blen­den. Über die ge­sam­ten 98 Mi­nu­ten bleibt die Schwei­zer Do­ku­men­tar­fil­me­rin bei Hil­de­gard Knef und lässt sie in den vie­len In­ter­views und Ge­sprä­chen, die sie in vier Jahr­zehn­ten ge­führt hat­te, zu Wort kom­men. Be­kann­te In­ter­view­er sind dar­un­ter, al­les Män­ner, Fried­rich Luft et­wa, Wer­ner Baecker, Hans­jür­gen Ro­sen­bau­er, Rein­hart Hoff­mei­ster und Joa­chim Fuchs­ber­ger und man ist er­staunt, wie di­rekt, ja in­tim da­mals die Fra­gen wa­ren. Nichts wur­de aus­ge­spart, man frug nach Selbst­mord, nach Krank­heit, nach Be­zie­hun­gen und Hil­de­gard Knef gab be­reit­wil­lig und of­fen Aus­kunft. Fast hat man das Ge­fühl, sie ver­lang­te nach die­sen Ge­sprä­chen, um sich selbst ih­rer zu ver­ge­wis­sern; da spiel­te es auch kei­ne Rol­le, wenn die Ge­sprächs­part­ner zu­wei­len über­for­dert wa­ren.

Sie hat(te) et­was zu sa­gen. Et­wa wenn sie über Ver­sa­gens­äng­ste und dann, in ei­nem an­de­ren Ge­spräch, pa­the­tisch vom Göt­ter­ge­schenk der Mög­lich­kei­ten spricht, die sie in ih­ren Be­ru­fen hat. Da ist das Ge­ständ­nis, wäh­rend ih­rer er­sten Hol­ly­wood-Zeit (1948–51) ge­schei­tert zu sein, weil sie in ih­rer »Däm­lich­keit« auf Zu­sa­gen ge­war­tet ha­be. Nach­denk­lich re­sü­miert sie bei Fried­rich Luft, nie ei­ne Mit­tel­la­ge ge­habt zu ha­ben. Ent­we­der ha­be es sehr gro­ßen Er­folg oder »ganz be­deu­ten­den Miss­erfolg« ge­ge­ben. Ih­ren Tri­umph im Broad­way-Mu­si­cal Silk Stockings 1955 schrieb sie Co­le Por­ter zu, der sie zum Sin­gen er­mun­tert ha­be. Dass »Mar­le­ne« kam, um ihr da­nach zu gra­tu­lie­ren, be­deu­te­te ihr viel. Spä­ter ha­be sie mit ex­zel­len­ten Film­re­gis­seu­ren zu­sam­men­ge­ar­bei­tet, die aber lei­der ih­re schlech­te­sten Fil­me ge­dreht hät­ten.

Be­ein­druckend, wie sie da­von er­zählt, vor ih­rer 57. Ope­ra­ti­on zu ste­hen. Im­mer wie­der wird sie ih­re Krank­hei­ten öf­fent­lich ma­chen, be­zeich­net sich als »Ge­gen­stand der Ärz­te«, um sich ei­ni­ge Jah­re spä­ter zu ih­rer Ge­sichts-Ope­ra­ti­on zu be­ken­nen, die not­wen­dig ge­we­sen sei, um die For­de­rung der »Zeit­lo­sig­keit« im Schau­spiel­be­ruf zu er­fül­len. Noch be­ein­drucken­der der Aus­schnitt aus der Dick Ca­vett-Show, als sie in vor­züg­li­chem Eng­lisch von ih­rer Af­fä­re mit dem dop­pelt so al­ten Na­zi und TO­BIS-Film­chef Ewald von De­man­dows­ky be­rich­te­te, der 1946 von den Al­li­ier­ten hin­ge­rich­tet wur­de. Von Ehr­geiz zer­fres­sen, woll­te sie als Acht­zehn­jäh­ri­ge von ihm und durch ihn das Schau­spiel­fach ler­nen. Noch ein Vier­tel Jahr­hun­dert da­nach merkt man ihr das Ent­set­zen über die ihr nach dem Krieg ge­zeig­ten Ver­bre­chen der Na­tio­nal­so­zia­li­sten an. Und auch den Schrecken, dies nicht ge­wusst zu ha­ben.

Die bis auf zwei Ex­kur­se über die 1940er Jah­re weit­ge­hend chro­no­lo­gi­schen Ar­chiv­aus­schnit­te wer­den er­gänzt von Fil­men und Fo­to­gra­fien, die mit Tex­ten aus Hil­de­gard Knefs Bü­chern (Der ge­schenk­te Gaul, Das Ur­teil, So nicht) un­ter­legt wer­den (kon­ge­ni­al ge­le­sen von Ni­na Kun­zen­dorf). Zwei Aus­nah­men macht Lu­zia Schmid von die­sem Ver­fah­ren: Zum ei­nen wer­den im­mer wie­der Ein­drücke und Im­pres­sio­nen von Knefs Toch­ter Chri­sti­na Pa­last­an­ga (*1966) ein­ge­spielt, die von dem Zu­sam­men­le­ben und ‑ar­bei­ten ih­rer Mut­ter mit ih­rem Va­ter Da­vid Ca­me­ron, der Ei­fer­sucht und Ver­letz­bar­keit ih­rer Mut­ter er­zählt und kri­tisch kon­sta­tiert, dass die zahl­rei­chen Krank­hei­ten zu ei­nem Teil des Le­bens­stils von Hil­de­gard Knef wur­den. Und ge­gen En­de kommt Paul von Schell zu Wort, Hil­de­gards Knefs drit­ter Ehe­mann von 1977 bis zu ih­rem Tod 2002, der über die Me­di­ka­men­ten- und Ta­blet­ten­ab­hän­gig­keit und das kom­pli­zier­te Ver­hält­nis zwi­schen den bei­den be­rich­tet.

Auf­nah­men dann vom letz­ten öf­fent­li­chen Kon­zert­auf­tritt 1986, zu­erst back­stage, ein paar Übun­gen mit den Bei­nen, zum Locker­wer­den, ein lan­ges, wei­ßes Kleid. Chan­sons. Der Schluss­ap­plaus, ih­re Rüh­rung, nein: Er­grif­fen­heit. Man schenk­te ihr Ro­sen. Ob ih­re Mut­ter glück­lich ge­we­sen sei, wird Chri­sti­na Pa­last­an­ga ge­fragt. Kurz zu­vor wur­de aus dem »Brief an die Toch­ter« zi­tiert, in der Hil­de­gard Knef ihr Kind vor dem Be­griff des »Glücks« und was an­de­re da­für hal­ten ein­dring­lich warn­te. Und so ant­wor­tet die Toch­ter dann auch klug ab­wä­gend: »Ich hof­fe, sie war zu­frie­den.«

Die Prä­senz von Hil­de­gard Knef in den 60er und 70er Jah­ren war enorm. Der ge­schenk­te Gaul, der 1970 er­schien, und kei­ner­lei Rück­sich­ten mit sich und an­de­ren nahm, elek­tri­sier­te Ge­ne­ra­tio­nen von Frau­en. Lu­zia Schmid spürt dem nach, re­vi­ta­li­siert für ei­nen kur­zen Au­gen­blick die­se Zeit. Sie hat ei­nen sanf­ten, schö­nen, re­spekt­vol­len und zu­gleich un­ge­schön­ten, ei­nen gran­dio­sen Film er­schaf­fen. Er hät­te Hil­de­gard Knef ge­fal­len.

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