Klei­ne Geo­gra­phie­stun­de

Vor ei­ni­gen Ta­gen pu­bli­zier­te ein ge­wis­ser Li­ji­an Zhao ei­nen Tweet, in der ei­ne Kar­te mit den Län­dern ge­zeigt wur­de, die, so heißt es dort, ge­meint sei­en, wenn von der »in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft« die Re­de sei. Der sar­ka­sti­sche Ton ist für ei­nen Chi­ne­sen un­ge­wöhn­lich, zu­mal es sich um den stell­ver­tre­ten­den Ge­ne­ral­di­rek­tor der In­for­ma­ti­ons­ab­tei­lung des chi­ne­si­schen Au­ßen­mi­ni­ste­ri­ums han­delt. Es ist al­so da­von aus­zu­ge­hen, dass dies mit Bil­li­gung und Wis­sen der Re­gie­rungs­stel­len in Chi­na er­folg­te.

It is a truth uni­ver­sal­ly ack­now­led­ged, that when the West talks about the »in­t’l com­mu­ni­ty«, they me­an: pic.twitter.com/RZNOwDymX2

— Li­ji­an Zhao 赵立坚 (@zlj517) March 17, 2022

Die Kar­te ist nicht nur da­hin­ge­hend in­ter­es­sant, wel­che Län­der ge­zeigt wer­den, son­dern auch wel­che Län­der nicht ge­zeigt wer­den.

Zu se­hen sind et­li­che Län­der der NATO, al­ler­dings mit Aus­nah­men: Ru­mä­ni­en, Bul­ga­ri­en, Nord-Ma­ze­do­ni­en, Slo­we­ni­en, Al­ba­ni­en – und, das ist wich­tig, die Tür­kei und Kroa­ti­en. Auf­ge­führt hin­ge­gen sind Schwe­den, Finn­land, Ir­land, die Schweiz und Öster­reich. Für den Kar­ten­er­stel­ler gibt es noch die al­te Tsche­cho­slo­wa­kei. Wei­ter­hin sind Is­ra­el, Ja­pan, Au­stra­li­en und Neu­see­land zu se­hen. Es fehlt – nicht über­ra­schend – Tai­wan, aber auch Süd­ko­rea. Auch die Ukrai­ne ist nicht auf­ge­führt.

Sa­lopp ge­sagt könn­te man die an­ge­zeig­ten Län­der als den »We­sten« be­zeich­nen, was dann kei­ne geo­gra­phi­sche, son­dern ei­ne welt­an­schau­li­che Be­zeich­nung dar­stellt. Es wer­den aus­nahms­los li­be­ra­le De­mo­kra­tien ge­zeigt; pa­the­tisch for­mu­liert: Es ist die »freie Welt« (wenn auch – sie­he oben – un­voll­stän­dig). Da­ge­gen steht – erst ein­mal Nichts, denn Russ­land, Chi­na, ganz Afri­ka und Süd­ame­ri­ka fin­den nicht statt. Als wä­re es Schat­ten­rei­che. Wohl ge­merkt: Der Au­tor stellt die Blöcke nicht farb­lich un­ter­schied­lich dar.

Die Aus­sa­ge des chi­ne­si­schen Spre­chers ist ein­deu­tig: Die auf­ge­führ­ten Län­der sind ei­ne (to­po­gra­phi­sche) Min­der­heit. Las­sen wir ein­mal weg, dass er schlam­pig ge­ar­bei­tet hat. Er möch­te sa­gen, dass sie nicht (mehr) für die »Welt­ge­mein­schaft« ste­hen. Der »We­sten«, so die Bot­schaft, hat als Takt­ge­ber aus­ge­dient. Of­fen bleibt, ob dies po­li­tisch, öko­no­misch oder mo­ra­lisch zu ver­ste­hen ist. Wo­mög­lich meint er, dass es für al­le drei Fel­der gilt.

Man ver­set­ze sich ei­nen Mo­ment in die Wen­de­zeit 1989/90 zu­rück. Die Kar­te hät­te – mit Aus­nah­me der ost­eu­ro­päi­schen Län­der des »War­schau­er Pakts« und der bal­ti­schen Staa­ten – ähn­lich aus­ge­se­hen. To­po­gra­phisch ist der »We­sten« al­so so­gar ge­wach­sen.

Und den­noch hat sich in den letz­ten 30 Jah­ren ent­schei­den­des ge­än­dert. Chi­na war, als der Ei­ser­ne Vor­hang fiel, ganz am An­fang sei­ner Ent­wick­lung zur Wirt­schafts­macht. Die UdSSR als He­ge­mon für Ost­eu­ro­pa war öko­no­misch (und mo­ra­lisch) am En­de. Man er­klär­te sich zum Sie­ger der Ge­schich­te.

Grün­de für den Wan­del gibt es vie­le. Der »We­sten« hat sich mit sei­nen In­ter­ven­tio­nen über­nom­men. Au­ßer in Ku­wait 1991 sind al­le mi­li­tä­risch or­che­strier­ten Ope­ra­tio­nen, die zum »na­ti­on buil­ding« west­li­cher Wer­te füh­ren soll­ten, kra­chend ge­schei­tert. Die Öff­nung der Märk­te hat die li­be­ra­len De­mo­kra­tien mü­de ge­macht. Sie sa­hen sich als Ex­por­teur für ih­re Tech­no­lo­gien und ver­la­ger­ten Pro­duk­tio­nen in an­de­re Län­der, um von den bil­li­gen Löh­nen der Ein­hei­mi­schen zu pro­fi­tie­ren. Sie ver­nach­läs­sig­ten ih­re Wehr­haf­tig­keit, weil der Fe­tisch Glo­ba­li­sie­rung als aus­rei­chend be­trach­tet wur­de, um den »Welt­frie­den« er er­hal­ten. Ein Blick auf 1914 hät­te ge­nügt, um dies als Wunsch­den­ken zu ent­lar­ven.

Für Chi­na scheint nun die Ge­le­gen­heit gün­stig, sich auf der Welt­büh­ne als Su­per­macht zu im­ple­men­tie­ren. Die Sank­tio­nen der west­li­chen Staa­ten ge­gen­über Russ­land kom­men ih­nen ge­le­gen, weil sie nun die Roh­stof­fe der Rus­si­schen Fö­de­ra­ti­on un­ter Welt­markt­preis er­hal­ten kön­nen. Russ­land wird auf lan­ge Zeit ei­ne chi­ne­si­sche Ko­lo­nie wer­den. Gleich­zei­tig ist ins­be­son­de­re Eu­ro­pa auf chi­ne­si­sche Wa­ren an­ge­wie­sen. Eu­ro­pa kann, selbst wenn es woll­te, Chi­na nicht sank­tio­nie­ren – es ist eher um­ge­kehrt.

Das ist die wah­re Bot­schaft die­ser Kar­te.

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