Ho­no­ré de Bal­zac: Von Edel­fe­dern, Phra­sen­dre­schern und Schmier­fin­ken

Honoré de Balzac: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken

Ho­no­ré de Bal­zac:
Von Edel­fe­dern, Phra­sen­dre­schern und Schmier­fin­ken

1977 er­warb der Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, Jour­na­list und Über­set­zer Ru­dolf von Bit­ter in ei­ner Aus­ga­be des Ver­le­gers Jean-Jac­ques Pau­vert für 5,40 FF den Text Mo­no­gra­phie de la pres­se pa­ri­si­en­ne aus dem Jahr 1843 von Ho­no­ré de Bal­zac. Vier­zig Jah­re spä­ter legt er nun erst­ma­lig in deut­scher Spra­che die Ty­pen­leh­re der Pa­ri­ser Pres­se zu­sam­men mit ei­nem klu­gen Nach­wort und ei­nem um­fas­sen­den Per­so­nen- und Pu­bli­ka­ti­ons­ver­zeich­nis vor. Die Schrift bil­det den Kern des Ma­nes­se-Bänd­chens mit dem über­trie­ben rei­ße­ri­schen Ti­tel Von Edel­fe­dern, Phra­sen­dre­schern und Schmier­fin­ken (kei­ne Sor­ge: das Wort »Schmier­fink« kommt gar nicht vor).

Bal­zacs Ty­po­lo­gie des Jour­na­li­sten und Kri­ti­kers ist ein Kon­glo­me­rat aus Po­le­mik, Per­si­fla­ge und Phil­ip­pi­ka. Ob­wohl der Text 173 Jah­re alt ist, er­schei­nen die be­schriebenen Ord­nungs- und Gat­tungs­cha­rak­te­ri­sti­ka von ei­ner je nach Sicht­wei­se be­wun­derns­wer­ten oder nieder­schmetternden Fri­sche. Im­mer­hin scheint er da­mit auch heu­te noch ins Herz zu tref­fen: Di­na Netz, die An­fang des Jah­res für den DLF-»Büchermarkt« Ru­dolf von Bit­ter zu dem Buch be­frag­te, kam bei der Lek­tü­re ein »Ge­schmäck­le« auf und sie schlägt ei­nen Ha­ken zu den ak­tu­el­len »Lügenpresse«-Vorwürfen. Dar­auf muss man erst ein­mal kom­men.

Zu­rück zum Mei­ster. Bal­zac un­ter­schei­det zwei »Ord­nun­gen«: Den Pu­bli­zi­sten (ge­meint ist der po­li­ti­sche Jour­na­list) und den Kri­ti­ker. Den Pu­bli­zi­sten glie­dert er in acht »Gat­tun­gen«: Jour­na­li­sten, Po­li­ti­ker, Pam­phle­tist, Ni­hi­lo­ge, Pu­bli­zist mit ei­ge­nem Res­sort, Mo­no­the­ma­ti­ker, Über­set­zer und den Au­tor mit Über­zeu­gun­gen. Bei der Cha­rak­te­ri­sie­rung des Jour­na­li­sten ent­wickelt Bal­zac ein hier­ar­chi­sches Mo­dell mit fünf Un­ter­grup­pen, ge­nannt »Ar­ten«. Oben in der Rang­fol­ge steht der »ge­schäfts­füh­ren­de Chef­re­dak­teur-Ei­gen­tü­mer-Di­rek­tor« (»Graf Ger­ne­groß«); die Schnitt­men­gen mit dem ad­äqua­ten heu­ti­gen Ty­pus lie­gen na­he bei 100%. Da­ne­ben gibt es den meist an­onym blei­ben­den »Te­nor«, der Auf­ma­cher-Ma­cher, ein »Quark­schlä­ger« mit ei­ner »ge­wis­sen Men­ge von vor­ge­fer­tig­ten Sät­zen«. Schließ­lich den ehr­li­chen »Schrei­ber von Hintergrund­artikeln«, der im Be­trieb we­nig ge­schätzt wird. Kei­ne Zei­tung kommt oh­ne das »Fakto­tum«, dem Chef vom Dienst, aus und ganz un­ten ste­hen dann die »Käm­mer­lin­ge«, die Pro­to­kol­lan­ten der Po­li­ti­ker­re­den, über­tra­gen auf das heu­ti­ge Me­tier sind es die Pres­se­er­klä­rungs­ab­schrei­ber und ‑um­for­mu­lie­rer.

Ähn­li­che Ab­fol­gen gibt es beim Po­li­ti­ker (der für Bal­zac nichts an­de­res als ein Pu­bli­zist war). Vom Staats­mann über den »Par­tei­gän­ger« (der Na­tur nach ein »In­fan­te­rist«), dem »über­par­tei­li­chen Par­tei­gän­ger« bis zum »Bro­schü­ren­po­li­ti­ker« (ein selbst­er­klä­ren­der Be­griff). In Bal­zacs Spra­che wer­den die­se Rol­len zwar fu­ri­os, aber im­mer mit ei­ner Pri­se Mit­leid und Iro­nie und fast nie über­trie­ben de­spek­tier­lich ent­wickelt (was ihn von spä­te­ren Jour­na­li­sten­kri­ti­kern un­ter­schei­det).

Der Fu­ror stei­gert sich noch bei der zwei­ten Ord­nung, dem Kri­ti­ker, der ja – ein To­pos, der da­mals ent­stand – der ver­hin­der­te Schrift­stel­ler sei. Kri­ti­ker hät­scheln und lo­ben ge­ne­rell das Mit­tel­maß – auch die­ser Vor­wurf ist prak­tisch im­mer noch ak­tu­ell. Bal­zac un­ter­schei­det zwi­schen dem Kri­ti­ker »von al­tem Schrot und Korn«, den er iro­nisch ei­nen »Eh­ren­mann« nennt (ei­ne Un­ter­grup­pe stellt der mon­dä­ne Kri­ti­ker dar, der, so Bal­zac, ei­ner an­de­ren Epo­che an­ge­hört und nicht mehr schrei­ben muss [der letz­te, der die­ser Ka­te­go­rie in deut­scher Spra­che ent­sprach, ist 2015 ver­stor­ben]) und den »jun­gen, blon­den Kri­ti­ker«, der im Zwei­fel gar nicht blond sein muss. Er be­schreibt »Weihrauchschwen­ker«, »Scharf­rich­ter«, »Schön­schrei­ber«, »Feuil­le­to­ni­sten« (ein »Pa­pier­ver­schwen­der«) und »Spöt­ter«. Bal­zac tau­melt zu­wei­len, ha­stet von ei­nem Bon­mot zum an­de­ren, manch­mal ver­schwim­men die Ka­te­go­rien und man hat das Ge­fühl, die ein­zel­nen Grup­pen und Un­ter­grup­pen kann man hin- und her­schie­ben denn Lang­wei­ler, Nei­der und Witz­bol­de gibt es über­all. Ir­gend­wann schwimmt der Le­ser mit im Strom, lässt sich trei­ben und der Kopf schmerzt vom vie­len Nicken. Der Text en­det mit ei­ner »syn­op­ti­schen Ta­fel«, in der die Ty­pi­sie­run­gen zu­sam­men­ge­fasst wer­den.

Die Bei­spie­le, die Bal­zac als Be­leg für sei­ne Ka­te­go­ri­sie­run­gen auf­führt, sind na­tür­lich eng an das Per­so­nal des Frank­reichs des 19. Jahr­hun­derts ge­bun­den, aber wenn man von Bit­ters Er­läu­te­run­gen her­an­zieht wer­den die Zu­sam­men­hän­ge deut­lich. Gleich­wohl fun­kelt die­ses Be­stia­ri­um auch oh­ne ver­tie­fen­de hi­sto­ri­sie­ren­de Lek­tü­re und bil­det ei­nen Stein­bruch für al­le zeit­ge­nös­si­schen Kri­ti­ker der Kri­ti­ker.

Im­mer­hin wur­de im Ma­nes­se-Band ei­ne Re­ak­ti­on von Ju­les Ja­nin auf­ge­nom­men, ei­ner der be­son­ders hef­tig an­ge­grif­fe­nen Kri­ti­ker und Feuil­le­to­ni­sten, der – auch das ist durch­aus ak­tu­ell – Bal­zac at­te­stier­te, »krank« zu sein und sich den­noch ge­nö­tigt sah, die­se »wert- und wir­kungs­lo­sen Sei­ten« ent­spre­chend zu be­ant­wor­ten, denn un­wi­der­spro­chen soll­te es in kei­nem Fall blei­ben.

Ne­ben ei­ner Po­le­mik an Charles-Au­gu­stin Saint-Beuve, ei­nem kur­zen Ka­pi­tel aus Die Mu­se vom Land und in Brief­form ver­fass­te Be­mer­kun­gen über die Po­li­tik sei­ner Zeit gibt es noch ein an­de­res, wun­der­ba­res li­te­ra­ri­sches Klein­od in die­sem Band. Es ist der Brief an die fran­zö­si­schen Schrift­stel­ler des 19. Jahr­hun­derts, ver­fasst im Jahr 1834 (Lett­re adres­sée aux écri­vain fran­çais du XI­Xe siè­cle), ein pa­the­ti­scher und sprach­ge­wal­ti­ger »Ruf aus dem Elend« zu Gun­sten ei­nes Ur­he­ber­rech­tes, für die An­er­ken­nung der gei­sti­gen Lei­stung des Künst­lers und ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ver­le­ger­we­sen sei­ner Zeit. Bal­zac ist em­pört: Das Ge­setz schüt­ze eher ei­nen Bal­len Baum­wol­le ei­nes Kauf­manns vor Dieb­stahl als die »Schät­ze des Ver­stan­des« ei­nes Schrift­stel­lers. Ein Zoll, der die Gren­zen vor den Raub­drucken aus Bel­gi­en schüt­zen könn­te, exi­stie­re auch nicht und so ha­be man leid­lich ein paar Ex­em­pla­re ei­nes neu er­schie­ne­nen Bu­ches an Bi­blio­the­ken ver­kauft, wäh­rend die Ari­sto­kra­tie die bil­lig er­wor­be­nen Raub­drucke le­se.

Den fran­zö­si­schen Ori­gi­nal­text der Jour­na­li­sten­be­schimp­fung fin­det man heu­te im Netz. Die de­tail­ge­naue Über­set­zung ins Deut­sche nebst auf­wen­di­ger Re­cher­che bei Ma­nes­se als Buch. Für je­den, der schreibt, nicht nur ei­ne wich­ti­ge son­dern auch sehr un­ter­halt­sa­me Lek­tü­re.