Es le­be der Sport

Zwei­fel­los ist Rain­hard Fend­richs Lied von 1983 (!) über den Couchpotatoe-(Winter-)Sport-Schauer ei­ne Ka­ri­ka­tur und sehr über­trie­ben. Na­ja, über­trie­ben. Ein biss­chen über­trie­ben…

Seit vie­len Jah­ren lie­fern die öf­fent­lich-recht­li­chen Fern­seh­an­stal­ten in ih­ren Prime-Ka­nä­len ARD re­spek­ti­ve ZDF von No­vem­ber bis März na­he­zu je­des Wo­chen­en­de Spe­zi­al-Sport­sen­dun­gen über Bi­ath­lon, Ro­deln, Bob­fah­ren, Ski­sprin­gen, Sla­lom, Rie­sen­sla­lom, etc. Einst be­son­de­ren Ver­an­stal­tun­gen vor­be­hal­ten – Olym­pi­schen Spie­len, Welt­mei­ster­schaf­ten oder spe­zi­el­len Er­eig­nis­sen wie Ski­ab­fahr­ten auf der Streif oder in Wen­gen – wird jetzt je­der ein­zel­ne Welt­cup­wett­be­werb über­tra­gen; vie­les live und in al­ler Aus­führ­lich­keit. In Spit­zen­zei­ten be­gin­nen die Über­tra­gun­gen um 9 Uhr mor­gens und dau­ern acht, neun Stun­den, nur ge­le­gent­lich von 5‑­Mi­nu­ten-Nach­rich­ten un­ter­bro­chen. Al­le an­de­ren Pro­gramm­for­ma­te fal­len dann aus.

Ne­ben ARD und ZDF, die sich ab­wech­seln, über­trägt auch Eu­ro­s­port1 Win­ter­sport­ver­an­stal­tun­gen (wenn es nicht ge­ra­de Ten­nis gibt). Die Schwer­punk­te sind hier ähn­lich: Bi­ath­lon, die al­pi­nen Ski-Wett­be­wer­be und Ski­sprin­gen, bei Be­darf auch Nor­di­sche Kom­bi­na­ti­on und Lang­lauf. Ei­ni­ges läuft par­al­lel zu ARD/ZDF. Manch­mal setzt man al­ler­dings an­de­re Prio­ri­tä­ten. Dann fin­det sich Bi­ath­lon plötz­lich auf dem zah­lungs­pflich­ti­gen Eu­ro­s­port 2‑Kanal und es wird auf Eu­ro­s­port 1 ein Rie­sen­sla­lom über­tra­gen.

Seit ei­ni­gen Jah­ren ha­be ich mei­nen Pro­test für die­ses Bin­ge Watching-An­ge­bot auf­ge­ge­ben und bin par­ti­ell zum Zu­schau­er ge­wor­den. Nicht, dass mich al­le Sport­ar­ten gleich in­ter­es­sie­ren. Aber oft ge­nug bleibt man im Sog, wenn es denn ei­ne ge­wis­se Span­nung ver­spricht und das Wet­ter so­wie­so eher zum Zu­hau­se­blei­ben ein­lädt. Die Stun­den ver­flie­gen und am En­de fragt man sich häu­fi­ger als man wünscht: Was hat man jetzt ei­gent­lich ge­macht? Und dann ist man ei­ne Wo­che spä­ter doch wie­der da­bei.

An der Ge­wich­tung der Sport­ar­ten kann man we­nig­stens was ARD und ZDF an­geht, Prio­ri­tä­ten er­ken­nen. Ro­deln, Bob und Ske­le­ton wer­den – ob­wohl hier deut­sche Sport­ler über­pro­por­tio­nal er­folg­reich sind – fast im­mer nur in Auf­zeich­nun­gen und ge­rafft ge­zeigt. Schwer­punk­te sind Ski al­pin-Dis­zi­pli­nen, Bi­ath­lon und Ski­sprin­gen. Die letz­ten bei­den Sport­ar­ten kön­nen me­di­al sehr gut auf­be­rei­tet wer­den. Vor ei­ni­gen Jah­ren über­trug man noch aus­führ­lich und live Ski­lang­lauf-Ren­nen. Ex­per­te beim ZDF war da Pe­ter Schlicken­rie­der. Als die deut­schen Sport­ler nicht mehr in der Welt­spit­ze mit­hal­ten konn­ten, wur­de Schlicken­rie­der Bun­des­trai­ner. Gleich­zei­tig rück­te die Auf­merk­sam­keit für das Lang­lau­fen in die zwei­te Rei­he, was wo­mög­lich auch da­mit zu tun hat, dass hier im­mer wie­der Do­ping­ent­hül­lun­gen an die Öf­fent­lich­keit kom­men.

Bei Eu­ro­s­port liegt die Sa­che an­ders. Man fühlt sich dort dem deutschspra­chi­gen Pu­bli­kum ver­pflich­tet und in­ter­es­siert sich auch für Sport­ler aus Öster­reich, der Schweiz und Süd­ti­rol. Man­che Kom­men­ta­to­ren dort sind Öster­rei­cher; es gibt Spre­cher­teams aus Deut­schen und Öster­rei­chern. Eu­ro­s­port ist locke­rer als ARD und ZDF, wo­bei »locker« nicht »tri­vi­al« meint.

…wenn er es über­le­ben tut / dann wird er nach­her in­ter­viewt

Wer die Sport­be­richt­erstat­tung der 1980er und noch 1990er Jah­re in Er­in­ne­rung hat und die da­ma­li­gen Re­por­terstars wie Har­ry Va­lé­ri­en oder Man­fred Vor­der­wühlb­ecke noch kennt, muss ins­be­son­de­re was ARD und ZDF an­geht, um­den­ken. Das Set­ting dort ist in­zwi­schen recht auf­wän­dig. Im ZDF bei­spiels­wei­se gibt es pro Tag ei­nen Mo­de­ra­tor oder ei­ne Mo­de­ra­to­rin. Wenn dann über Bi­ath­lon oder Ski­sprin­gen be­rich­tet wird, schal­tet man zu ei­nem an­de­ren Mo­de­ra­tor, der sich dann mit ei­nem Ex­per­ten über das bald an­ste­hen­de Ren­nen un­ter­hält. In der Re­gel ist dies am Aus­tra­gungs­ort. We­gen Co­ro­na hat man dar­auf ver­zich­tet und ist im Stu­dio ge­blie­ben. Ich freu­te mich an­fangs schon, weil ich glaub­te, dass man da­mit auch voll­stän­dig auf die Re­por­ter vor Ort ver­zich­tet wür­de. Das war lei­der ein Fehl­schluss.

Denn tat­säch­lich irrt auch in Pan­de­mie­zei­ten je­weils ein Team vor Ort – ob Lah­ti, Za­kop­a­ne, Po­kljuka, Ras­nov oder Ant­holz – und macht dort die über­aus sinn­be­frei­ten so­ge­nann­ten »In­ter­views«. Dann wer­den Ath­le­ten und Trai­ner vor und nach dem Ren­nen oder, beim Ski­sprin­gen, nach dem er­sten Durch­gang, »be­fragt«. Um nicht im­mer die­sel­be Fra­ge (»War­um ist dies oder je­nes pas­siert?«) zu stel­len, ist man in­zwi­schen zu in­ter­es­san­ten Kon­struk­tio­nen über­ge­gan­gen. Ei­nem Ski­sprin­ger, der am Sams­tag eher schwach, aber nach dem er­sten Durch­gang am Sonn­tag bes­ser ge­sprun­gen war, fragt man nun, was an­de­res ge­we­sen sei. In die­sem Sin­ne halt.

Der In­ter­view­ba­zil­lus bei ARD und ZDF ist epi­de­misch. Mit­ten im lau­fen­den Wett­be­werb wird das 45 Se­kun­den-Fra­ge/­Ant­wort-Spiel ein­ge­blen­det, egal wer da ak­tu­ell springt, läuft, ro­delt oder was sich sonst ge­ra­de er­eig­net. Auch sonst ist man sehr fi­xiert auf be­stimm­te Ak­teu­re. Der Bild­schirm wird bis­wei­len auf­ge­split­tet, wenn Sport­ler sich vor­be­rei­ten oder ein­fach nur in die Ge­gend schau­en. Er­freu­li­cher­wei­se wur­de man bis­her im­mer­hin noch von Auf­nah­men von Toi­let­ten­gän­gen ver­schont.

We­he, wenn je­mand die ela­bo­rier­te Phra­sen­au­to­bahn ver­las­sen soll­te. Als Bi­ath­let Be­ne­dikt Doll nach ei­nen Ren­nen auf das zur Ver­fü­gung ge­stell­te, in sei­nen Au­gen schlecht prä­pa­rier­te Ma­te­ri­al schimpf­te, war das so­fort ei­ne Zei­tungs­mel­dung wert. Oder als sich Ski­sprin­ger Mar­kus Ei­sen­bich­ler über ei­ne Ju­ry­ent­schei­dung, bei ex­trem schlech­tem Wind wei­ter­zu­sprin­gen echauf­fiert. So­fort er­ei­fern sich die Me­di­en und ver­lan­gen je nach Sach­la­ge Bu­ße oder Ent­schul­di­gung. So­viel Ehr­lich­keit will man dann doch nicht hö­ren. Viel­leicht wä­re es ein­mal an­ge­bracht, die Zu­schau­er zu fra­gen, ob sie der­ar­ti­gen Fra­get­ort über­haupt hö­ren wol­len?

Die un­end­li­che Ex­per­to­kra­tie

Dem Sport, der ge­brach­ten Lei­stung, ver­traut man bei ARD und ZDF nur noch zeit­wei­se. Je­de noch so klei­ne Pau­se muss aus­ge­füllt wer­den. Bei Eu­ro­s­port ent­fal­len die In­ter­views fast gänz­lich (wun­der­bar), da­für wird man beim Ski­sprin­gen auf­ge­for­dert, sich über so­zia­le Netz­wer­ke zu be­tei­li­gen und Fra­gen zu stel­len. Das geht na­tür­lich ein­her mit ei­ner nie für mög­lich ge­hal­ten Ex­per­to­kra­tie, die in den Sen­de­an­stal­ten die je­wei­li­gen Sport­ar­ten auf­be­rei­ten sol­len. ARD und ZDF ha­ben kei­ne Ko­sten (die blei­ben üb­ri­gens ge­heim) und Mü­hen ge­scheut. Bei der ARD gibt es beim Bi­ath­lon bis zu zwei Ex­per­tin­nen, die vor und nach den Ren­nen den Fra­gen der Re­por­ter Ant­wort ste­hen. Die Qua­li­tät die­ser Ant­wor­ten ist – freund­lich aus­ge­drückt – ver­blüf­fend über­schau­bar. Neu­es er­fährt man nicht. Im ZDF as­si­stiert beim Bi­ath­lon ein Ex­per­te dem je­wei­li­gen Re­por­ter als Co-Kom­men­ta­tor. Da­zu spä­ter.

Al­le Ex­per­ten und Ex­per­tin­nen sind ehe­ma­li­ge Sport­ler. Ei­ni­ge ha­ben erst seit kur­zer Zeit ih­re ak­ti­ve Kar­rie­re be­en­det, was den Sen­dern ganz gut ge­fällt, da sie die Ak­ti­ven noch ken­nen und even­tu­ell »Insider«-Informationen ein­streu­en könn­ten. Der Nach­teil ist, dass hier Be­ur­tei­lun­gen nicht im­mer ob­jek­tiv sein dürf­ten.

Für die Ein­bin­dung gibt es zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der Ex­per­ten wer­den in Wett­kampf­pau­sen et­wa oder zu Be­ginn und am En­de zu­ge­schal­tet. Oder sie fun­gie­ren als Co-Kom­men­ta­tor. Letz­te­res ist für sie weit­aus ver­pflich­ten­der und für Zu­schau­er er­gie­bi­ger – aber auch an­stren­gend. Es wird so­fort auf die ak­tu­el­le Si­tua­ti­on re­flek­tiert. Das Kern­ge­schäft des Ex­per­ten be­steht dar­in, dem Zu­schau­er für ihn nicht Sicht­ba­res zu er­klä­ren. Im al­pi­nen Be­reich hat das ZDF den Ski­flü­ste­rer Mar­co Bü­chel da­für en­ga­giert, wäh­rend die ARD Fe­lix Neu­reu­ther ver­pflich­tet hat. Vom Tem­pe­ra­ment her könn­ten bei­de nicht un­ter­schied­li­cher sein. Ge­mein ist ih­nen, dass ih­re Kom­men­ta­re zum je­wei­li­gen Fahr­stil des Sport­lers ei­ner­seits er­hel­lend, an­de­rer­seits aber ver­wir­rend sind. Die Fach­ter­mi­ni wie »Rutsch­pha­sen« »Ober­kör­per leicht ver­dreht«, »Set-Up« oder die Au­ßen­ski-Pro­ble­ma­tik wer­den der­art häu­fig ver­wen­det, dass man sie, wenn man meh­re­re Über­tra­gun­gen ge­se­hen hat, wie­der­erkennt. Zu al­lem Über­fluss fer­ti­gen die Ex­per­ten auch noch Zeich­nun­gen von be­son­de­ren Ski­stel­lun­gen an. Wenn sie nichts Au­ßer­ge­wöhn­li­ches er­ken­nen kön­nen, ver­set­zen sie sich in die »men­ta­le« Si­tua­ti­on des Sport­ler, der Sport­le­rin. Aber was bringt ei­nem dies bei der äs­the­ti­schen Be­trach­tung? Der Sport wird da­mit der­art »tech­ni­fi­ziert« und in sei­ne ein­zel­nen Ab­läu­fe zer­legt, dass man ent­we­der zum Lai­en-Ex­per­ten wird oder ir­gend­wann ab­schal­tet. Es äh­nelt dem Pseu­do-Fach­ge­re­de im Fuß­ball um »dop­pel­te Sechs« oder »fal­sche Neun«.

Beim Ski­sprin­gen ist die Sa­che noch kom­pli­zier­ter. Hier soll­te in­zwi­schen der ge­neig­te Zu­schau­er die Fach­vo­ka­beln wie »überm Schi«, »vom Tisch«, »zu spät« oder »zu früh« an­wen­den kön­nen. An­dern­falls, so hat man das Ge­fühl, kann man den Sprung nicht mehr be­ur­tei­len. Aber auch hier gilt: Die Prot­ago­ni­sten er­klä­ren die­se Fach­be­grif­fe im­mer wie­der, weil sie ver­mu­ten, dass es kei­ne Stamm­zu­schau­er­schaft gibt. Hier­in liegt der Un­ter­schied zum Fuß­ball, wo je­der­zeit das »Wis­sen« vor­aus­ge­setzt wird. Die­se Red­un­dan­zen füh­ren zu Er­mü­dun­gen, die ei­nem im schlimm­sten Fall die Freu­de am Sport neh­men weil al­les zer­re­det wird.

Ex­per­ten­wech­sel

Ins­be­son­de­re beim Ski­sprin­gen ist das Ex­per­ten­tum in Form des Co-Kom­men­ta­tors seit lan­gem Stan­dard. Schon län­ger ist der Sport er­klä­rungs­be­dürf­tig ge­wor­den, weil es nicht mehr oh­ne wei­te­res der Fall ist, dass der, der am wei­te­sten springt, auch ge­winnt. Es kommt auf Wind- bzw. »Kom­pen­sa­ti­ons­punk­te« an. Letz­te­re gibt es, wenn wäh­rend ei­nes Durch­gangs mit un­ter­schied­li­chen An­läu­fen ge­sprun­gen wird. Ist der Auf­wind zu stark, geht man hin­un­ter; gibt es schäd­li­chen Rücken­wind, nimmt man mehr An­lauf. Zu al­lem Über­fluss kann ein Trai­ner sei­nen Über­flie­ger auch frei­wil­lig wei­ter un­ten star­ten las­sen, muss dann aber 95% der »Hill­si­ze« ei­ner Schan­ze er­rei­chen. Al­les klar?

Der Wech­sel von Sven Han­na­wald von Eu­ro­s­port zur ARD führ­te da­zu, dass man auf Eu­ro­s­port meh­re­re Ex­per­ten ver­pflich­te­te. Zu­nächst über­nahm der ehe­ma­li­ge deut­sche Bun­des­trai­ner Wer­ner Schu­ster die­se Rol­le. Dann Mar­tin Schmitt, der schon län­ger zum Eu­ro­s­port-Team ge­hört. Schmitt war zu­rück­hal­ten­der als der über­schäu­men­de Schu­ster. Schließ­lich trat ver­mehrt der ehe­ma­li­ge öster­rei­chi­sche Bun­des­trai­ner Alex­an­der Point­ner als Ex­per­te auf. Er kom­men­tiert tat­säch­lich je­den Sprung in Ori­gi­nal­zeit und zer­legt ihn se­kun­den­ge­nau in die (sicht­ba­ren) Ein­zel­tei­le. Das Er­geb­nis ist der­art, dass man nach 50 Sprin­gern mit ei­nem dicken Kopf in die Pau­se geht und Art­ti Ai­gro mit Ant­ti Aal­to ver­wech­selt.

Oh­ne Zwei­fel: Al­les, was Point­ner, Bü­chel, Neu­reu­ther, Vic­to­ria Re­bens­burg (Eurosport/Ski al­pin Frau­en), Jo­chen Beh­le (Eurosport/Langlauf) sa­gen, ist »Ex­per­ti­se«. Sie zei­gen bei je­dem Teil­neh­mer un­mit­tel­bar Feh­ler und Stär­ken auf. Die­se (ver­mut­lich) wah­ren und de­tail­ge­nau­en Ex­per­ten­be­schrei­bun­gen sind in die­ser Mas­se al­ler­dings schlicht­weg er­schla­gend. Wenn dann noch auf Bi­ath­lon Ski­sprin­gen folgt oder Ski al­pin, schwirrt ir­gend­wann nur der Kopf.

Sport­ex­per­ten die­nen nur ei­nem Zweck: das in na­her Zu­kunft statt­fin­den­de sport­li­che Re­sul­tat ei­ne Win­zig­keit vor dem Ein­tritt vor­her­zu­sa­gen. Die edel­ste Kunst des Kom­men­ta­tors wie des Ex­per­ten liegt dar­in, nach den er­sten Schwün­gen im Sla­lom noch vor der er­sten Zwi­schen­zeit die Ta­ges­form des Sport­lers zu be­stim­men. Oder beim Ab­sprung des Ski­sprin­gers be­reits ab­schät­zen, ob der Sprung ge­lingt. Die drei Se­kun­den, die ein Ski­sprung dau­ert, kann bzw. möch­te man nicht mehr war­ten.

Das Uni­kum

Das Ge­gen­bei­spiel zu die­ser Ent­wick­lung heißt Si­gi Hein­rich, Eu­ro­s­port-Kom­men­ta­tor für Bi­ath­lon (Frau­en und Män­ner, was bei ARD und ZDF ge­trennt ist). Hein­rich ist ne­ben Leicht­ath­le­tik und Cur­ling (u. a.) seit mehr als 15 Jah­ren Bi­ath­lon-Kom­men­ta­tor (fast im­mer al­lei­ne). Sei­ne Ex­per­ti­se ist sei­ne Er­fah­rung, aber, und das ist das ent­schei­den­de: sein En­thu­si­as­mus für den Sport. Nie­mand kom­men­tiert ei­ne un­ver­hoff­te WM-Me­dail­le für ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Bi­ath­le­tin eu­pho­ri­scher, nie­mand lei­det mehr mit dem Slo­we­nen Ja­kov Fak, der auf der letz­ten Run­de die si­cher ge­glaub­te Po­dest­po­si­ti­on (un­ter den er­sten drei) ver­liert. Nie­mand ist glück­li­cher, wenn Li­sa The­re­sa Hau­ser ge­winnt, Arnd Peif­fer al­le 20 Schüs­se ver­senkt oder die »Do­ro« (Do­ro­thea Wie­rer) den »Tur­bo« zün­det. Er ha­dert mit Do­mi­nik Win­disch, wenn er mal wie­der nicht trifft und ist vol­ler Re­spekt für die Nor­we­ger. Hein­rich kennt sie al­le, die Trai­ner, die Ath­le­ten, die Funk­tio­nä­re. Fast al­le sei­en sie, wie er ver­si­chert, nett. Un­ver­gess­lich, als er von Quen­tin Fil­lon-Mail­let er­zähl­te, als die­ser sei­nen er­sten Ein­zel­sieg in ei­nem Welt­cup­ren­nen fei­er­te. Und wenn ein Schwei­zer Nach­wuchs­sport­ler, der aus­sichts­reich plat­ziert wird, in der Staf­fel in die Straf­run­de muss, lei­det er wie ein Hund.

Wo an­de­re Kom­men­ta­to­ren ein pflicht­schul­di­ges »lei­der« ad­die­ren, wenn ein Sport­ler, ei­ne Sport­le­rin aus wel­chem Land auch im­mer un­ter ih­ren Mög­lich­kei­ten ge­blie­ben ist, da kommt Hein­richs Mit­lei­den aus dem Her­zen. Aus dem er al­ler­dings auch kei­ne Mör­der­gru­be macht. Die Nei­gung, Bi­ath­lon-Strecken im­mer schwie­ri­ger zu ma­chen, miss­fällt ihm. Beim Sieg ei­nes rus­si­schen Ath­le­ten, der einst Do­ping­sün­der war, wird er kalt wie si­bi­ri­scher Per­ma­frost. Als Erik Les­ser tau­melnd in den Schnee fällt und lie­gen­bleibt schimpft er, dass der Erik nicht fit ge­we­sen sein muss und nimmt den Ath­le­ten in Schutz. Hein­rich mo­du­liert sei­ne Stim­me, er passt sie dem Renn­ver­lauf für den an, der ge­ra­de im Bild, in der Er­folgs­spur ist oder er fin­det Wor­te für das Pech. Die di­ver­sen An­zei­gen in den Gra­phi­ken emp­fin­det er als über­for­dernd. Er kon­zen­triert sich auf das We­sent­li­che. Si­gi Hein­rich lebt Bi­ath­lon. Und er packt den Zu­schau­er, so dass die­ser mit ei­nem ihm bis vor ei­ni­gen Mi­nu­ten un­be­kann­ten Sport­ler mit­fie­bert.

Wenn die Wer­bung bei den Re­por­ta­gen von Si­gi Hein­rich oft an­satz­los ein­tritt, schal­tet man um auf ARD oder ZDF und be­merkt die ein­schlä­fern­de Rhe­to­rik dort. Sach­lich hält man mit, aber es fehlt der En­thu­si­as­mus. Al­len­falls Her­bert Frit­zen­wen­ger, Co-Kom­men­ta­tor beim ZDF, ver­mag hier manch­mal et­was mehr Be­gei­ste­rung zu ent­fa­chen.

Win­ter­sport schau­en ist an­stren­gend

Mit der Zeit kennt man die Sport­ler, die mehr oder we­ni­ger je­de Wo­che die glei­chen sind. Ir­gend­wann stellt man sich die Fra­ge, war­um es in noch nicht ein­mal sechs Mo­na­ten über 20 Ein­zel­ski­sprin­gen (plus Mann­schafts­sprin­gen und Ski­flie­gen) sein müs­sen. Wä­re nicht we­ni­ger mehr? Denn so ein rich­ti­ger Win­ter­sport­über­tra­gungs­tag ist an­stren­gend! Die An­pas­sungs­lei­stung des Zu­schau­ers ist nicht ge­ring ein­zu­schät­zen. Auch hier wäh­nen sich die Sen­der in der Ver­pflich­tung, den je­weils neu­en Kon­su­men­ten über bio­gra­phi­sches bzw. bis­her er­ziel­te Lei­stun­gen und Ei­gen­hei­ten auf­zu­klä­ren. Der Stamm­zu­schau­er wird da­mit im Lau­fe ei­ner Sai­son ge­lang­weilt.

Schlech­te Kom­men­ta­to­ren er­kennt man so­fort am über­mä­ßi­gen Ge­brauch von (bio­gra­phi­schen wie sport­li­chen) Sta­ti­sti­ken (sel­ber an­ge­legt oder ver­füg­bar, wie im Fuß­ball et­wa) und er­freu­en sich dann sel­ber an den wil­de Kor­re­la­tio­nen, die sie da ent­decken. Sie ver­lan­gen ge­ra­de­zu ei­nen Ex­per­ten, weil ih­re sprach­li­chen Kom­pe­ten­zen sehr be­grenzt sind, et­wa wenn ei­ne Kom­men­ta­to­rin Ski­sprün­ge »ver­nünf­tig« fin­det und Er­fol­ge von Sport­le­rin­nen als »Sam­meln« be­zeich­net, so als kau­fe man sich sport­li­chen Er­folg.

Die Über­tra­gun­gen der letz­ten Jah­re ha­ben ge­zeigt, dass der Win­ter­sport in Deutsch­land ins­be­son­de­re im Bi­ath­lon und Män­ner-Ski­sprin­gen, ve­ri­ta­ble Nach­wuchs­pro­ble­me hat. Man fragt sich nach dem Ab­schnei­den der Bi­ath­lon-Na­tio­nal­mann­schaft bei der WM, ob die Win­ter­sport­er­eig­nis­se oh­ne chan­cen­rei­che deut­sche Be­tei­li­gung bei ARD und ZDF auch wei­ter­hin der­art pro­mi­nent über­tra­gen wer­den. Si­cher­lich gibt es hier­über Ver­trä­ge. Die Fra­ge wä­re dann auch, ob die durch­gän­gi­ge Blocka­de ei­nes Pre­mi­um­pro­gramms an Sams­tag und Sonn­tag aus­schließ­lich für Sport noch län­ger le­gi­ti­miert wird, wenn »nur noch« Nor­we­ger, Fran­zo­sen, Schwe­den oder, wie im Ski­sprin­gen, Po­len re­üs­sie­ren und die be­ste deut­sche Plat­zie­rung ein 18. Platz ist. Und war­um gibt es nicht längst ei­nen ei­ge­nen AR­D/ZDF-Sport­ka­nal? Man könn­te statt­des­sen über­flüs­si­ge Re­cy­lin­g­an­stal­ten wie »One« oder »zdf neo« ein­stamp­fen.

Ab Mit­te die­ser Wo­che wer­den die nor­di­schen Ski­welt­mei­ster­schaf­ten aus Oberst­dorf über­tra­gen: Im Ski­sprin­gen und in der Nor­di­schen Kom­bi­na­ti­on gibt es si­cher­lich bei ARD und ZDF ob der gro­ßen Chan­cen der deut­schen Teil­neh­mer et­li­che »Hin­ter­grund­be­rich­te« (die meist rest­los ent­behr­lich sind) und mas­sen­wei­se »In­ter­views«. En­de März erst Pla­ni­ca, das Ski­flie­gen, zum Ab­schluss der Sai­son. Da­nach ist man ir­gend­wie froh, dass es vor­bei ist. Som­mer-Ver­an­stal­tun­gen, wie im Ski­sprin­gen in­zwi­schen üb­lich, wer­den noch mann­haft igno­riert. Aber En­de Ok­to­ber schaut man dann wie­der nach, wann es wie­der los­geht…

Bis da­hin: Es le­be der Sport!


  1. Hier ist mit Eurosport der frei empfangbare Sender "Eurosport 1" gemeint. Man hat auch einem zweiten Programmkanal, "Eurosport 2", der allerdings zahlungspflichtig ist.