Ko­in­zi­denz I

In der Nä­he des sich ins Ge­län­de schmie­gen­den, mehr­stöcki­gen Ge­bäu­des des Kin­der­gar­tens, den mei­ne Toch­ter zwei Jah­re lang be­sucht hat­te, über­hol­te mich ein Klein­last­wa­gen und bog dann in ei­ne schma­le Ne­ben­stra­ße, die ich noch nie be­fah­ren hat­te. In die Pe­da­le tre­tend, folg­te ich dem Wa­gen aus blo­ßer Neu­gier, wo die Stra­ße wohl hin­füh­ren moch­te, wo­bei der Ab­stand zum Kraft­fahr­zeug grö­ßer wur­de, zu­letzt aber, vor der nied­ri­gen Un­ter­füh­rung, die die Au­to­bahn­tras­se durch­lö­chert, wie­der klei­ner. Ich mach­te halt, war­te­te ei­ni­ge Se­kun­den vor der dunk­len und feuch­ten Höh­lung, fuhr dann zwi­schen Pfüt­zen wei­ter.

Kurz nach der Un­ter­füh­rung en­de­te die Stra­ße an ei­nem Stau­damm, hin­ter dem sich ei­ner der vie­len Tei­che zur Be­wäs­se­rung der Reis­fel­der be­fin­det. Ich stieg ab und schob das Fahr­rad vor­sich­tig, um nicht an­zu­strei­fen, vor­bei am Wa­gen, der in der Nä­he ei­ner hel­len, zum Damm hoch­füh­ren­den Trep­pe halt­ge­macht hat­te. Das Fahr­zeug be­saß ei­ne je­ner durch­sich­ti­gen, nur leicht ge­tön­ten Sei­ten­tü­ren (aus Ple­xi­glas?), wie man sie an neue­ren Mo­del­len von Last­wä­gen häu­fig sieht. Mit ei­nem ein­zi­gen Blick er­faß­te ich das Pro­fil des Man­nes mit schüt­te­rem schwar­zem Haar und bräun­li­cher Ge­sichts­far­be, das Han­dy in sei­ner aufs Lenk­rad ge­stütz­ten lin­ken Hand und das eri­gier­te Glied, das aus sei­nem Schoß rag­te, ein nichts­sa­gen­des – so das Bei­wort, das mir durch den Kopf schoß – Stäb­chen von der­sel­ben Far­be wie sein Ge­sicht, in der rech­ten.

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Die letz­te Buch­be­spre­chung (und Buch­be­spre­chungs­be­spre­chung) mei­nes Le­bens

In­zwi­schen ge­le­sen (im Shink­an­sen): Die Kie­fern­in­seln. Mit leich­ter Hand hin­ge­wor­fe­ner Kai­ser­schmar­ren. Vul­go Auf­ent­halts­sti­pen­dia­ten­pro­sa. Zum Ro­man aufgepäppel­ter, für sich ge­nom­men be­schei­de­ner – ei­ne Zier! – Kurz­rei­se­be­richt (»mit dem Shink­an­sen auf Matsuo Bas­hos Spu­ren«, oho!). Ja­pan­kli­schees, Oberflächenbild­chen, auch (be­wußt?) Fal­sches. Küh­le Iro­nie un­ter den Ach­seln. Sel­t­b­st­­mord-Spiel­chen. Im Ernst­fall ist al­les ein Traum, oder Tag­traum. Fröh­li­ches Fi­­gur-Kon­­stru­ie­­ren und ...

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An­mer­kun­gen zur trans­ver­sa­len Äs­the­tik

1. Bei spo­ra­di­schen Lek­tü­ren von aka­de­mi­schen Auf­sät­zen zur deutsch­spra­chi­gen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur, be­son­ders zu sol­cher mit so­ge­nann­tem Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund, ist mir auf­ge­fal­len, daß in den letz­ten Jah­ren die Vor­sil­be »trans-« an Häu­fig­keit ge­won­nen hat im Ver­hält­nis zur Vor­sil­be »in­ter-«, die sie manch­mal er­setzt. »Trans-« ver­weist auf Be­we­gung, auf Dy­na­mik; »in­ter-« auf ein Da­zwi­schen, auf Be­zie­hun­gen, die zwar nicht oh­ne Be­we­gung statt­fin­den, aber doch er­star­ren kön­nen, so daß sie zu Kon­stel­la­tio­nen wer­den. Es ist ei­ne Fra­ge des Ak­zents, der Auf­merk­sam­keits­rich­tung, der in den Blick ge­nom­me­nen Aspek­te. Ich selbst bin, oh­ne mich in mei­nem Tun und Las­sen stän­dig sprach­kri­tisch zu re­flek­tie­ren (und oh­ne aka­de­mi­sche Ab­sich­ten), auf den Be­griff der Trans­ver­sa­li­tät ge­kom­men, um be­stimm­ten Er­fah­run­gen des Schrei­bens, Le­sens und Le­bens Aus­druck zu ver­lei­hen. Es ist mög­lich, daß sich im mi­kro­struk­tu­rel­len Para­digmenwechsel et­was vom Zeit­geist spie­gelt; ja, daß es sich letzt­lich nur um termino­logische Mo­den han­delt. Nie­mand ist dar­über er­ha­ben, aber ei­ne Auf­ga­be des Schrift­stellers be­steht dar­in, ein Sen­so­ri­um für sol­che Vor­gän­ge zu ent­wickeln und zur Gel­tung zu brin­gen.

2. Es ist nicht Auf­ga­be des Schrift­stel­lers, Be­grif­fe zu de­fi­nie­ren, ge­gen­ein­an­der abzu­grenzen und Be­griffs­hier­ar­chien zu er­rich­ten. Auf der Hand liegt, daß in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts Au­toren und Wer­ke an Zahl und Be­deu­tung zu­ge­nom­men ha­ben, die auf un­ter­schied­li­che Wei­se mit Orts­wech­seln, Rei­sen, Er­fah­rung des Frem­den, Be­haup­tung des Ei­ge­nen in frem­der Um­ge­bung, Be­rüh­rung und Ver­mi­schung von Kul­tu­ren, In­fra­ge­stel­lung von Iden­ti­tä­ten usw. zu tun ha­ben. Es gibt da­bei frei­lich, wie bei an­de­ren Phä­no­me­nen, et­wa der tech­no­lo­gisch be­schleu­nig­ten Glo­ba­li­sie­rung, ei­ne lan­ge Vor­ge­schich­te. Un­ter Ger­ma­ni­sten war in der Zeit, als ich stu­dier­te, die Exil­li­te­ra­tur be­liebt. Sie wur­de durch­for­stet, ob aus­rei­chend oder nicht, sei da­hin­ge­stellt. Heu­te ha­ben sich die Blick­win­kel ge­än­dert, das deutsch­spra­chi­ge Exil ist in hi­sto­ri­sche Fer­ne ge­rückt, um­ge­kehrt sind Au­toren aus an­de­ren Welt­ge­gen­den in Er­schei­nung ge­tre­ten, die die hei­mi­sche Li­te­ra­tur­spra­che be­rei­chert ha­ben und be­rei­chern. Ber­tolt Brecht, Tho­mas Mann, Jo­seph Roth ha­ben die Spra­che nicht ge­wech­selt, aus meh­re­ren Grün­den, vor al­len Din­gen lag es nicht in ih­rer Ab­sicht, ein neu­es Ziel­pu­bli­kum an­zu­spre­chen, au­ßer­dem ist ein Sprach­wech­sel im fort­ge­schrit­te­nen Al­ter auf­wän­dig, schwie­rig bis un­mög­lich. (Es gibt Bei­spie­le wie Ar­thur Koest­ler und Ste­fan Heym, für die das nicht gilt. Bei­de sind in re­la­tiv jun­gen Jah­ren emi­griert.)

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Bad Mo­ther­fucker...

steht in go­ti­schen Let­tern am Rücken des schwar­zen T‑Shirts des stäm­mi­gen Man­nes, in des­sen dunk­lem Voll­bart ein paar Sil­ber­sträh­nen flie­ßen. So­eben hat er ei­ne flin­ke, fast an­mu­ti­ge Dreh­be­we­gung voll­zo­gen und ei­ne her­bei­ge­zau­ber­te Ba­na­ne bis zur Mit­te des Schafts in drei Strei­fen ge­schält. Ein Ohr beim Blues des Schwer­ge­wich­ti­gen – »ein Schrank von ei­nem Mann«, da­zu ...

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Zu­kunft

Der Song von Da­vid Bo­wie, der sich in mei­nem Kopf dreh­te, mit Wor­ten in der Art von wir stan­den vor der Wand und küß­ten uns, als könn­te nichts fal­len wäh­rend die Ge­wehr­ku­geln über un­se­ren Köp­fen pfif­fen aber die Schan­de (Scham?) fiel auf ih­re Sei­te... weck­te Bil­der von Go­ya im Kopf. Wor­te und Tö­ne und Bil­der ...

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Just for two weeks

Nie­mand be­ach­tet sie mehr, die Kirsch­bäu­me, seit sie ih­re Blü­ten ver­lo­ren ha­ben. Da­mals, in der kur­zen Blü­te­zeit, wa­ren sie die Stars: in Scha­ren dräng­ten sich die Leu­te um ih­re Stäm­me, lie­ßen sich nie­der un­ter der – what you’d say? – wei­ßen Pracht, lach­ten, tran­ken aus Bier­do­sen, lach­ten... Einst bil­de­ten sie ei­ne Al­lee, jetzt ste­hen sie ...

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In­ter­tex­tua­li­tät

. . . seht ihr ei­nen von vie­len Zu­flüs­sen. Das Rinn­sal der Exi­stenz, das Bäch­lein des Werks wird grö­ßer, wird zum Fluß, strömt breit und trä­ge, lang­sam, stockend, san­dig und schlam­mig (»Sand im Ge­trie­be«), von »Werk« kann nicht mehr die Re­de sein, aus dem Fluß geht nichts mehr her­vor, auch in der Tie­fe kei­ne Le­be­we­sen, ...

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Sack­gas­se

Sack­gas­se, in die sich der streu­nen­de Dich­ter ver­lor und zu­rück­zog, um sei­ne aus Stra­ßen­zü­gen und Baum­kro­nen auf­ge­le­se­nen Ver­se auf­zu­schrei­ben, mit oder oh­ne Pa­pier. Spä­ter zer­bra­chen ihm die Ver­se un­ter der Hand, wie Wind­ge­bäck in ei­ner zu gro­ßen Schach­tel. Sack­gas­sen, com­pa­ñe­ro, gibt es auch hier, auf dem Land, in den Wäl­dern – meist mün­den sie in ...

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