Kun­dus und Var­va­rin – Mit zwei­er­lei Maß

In der (me­dia­len) Öf­fent­lich­keit ist es Kon­sens: Die Hin­ter­blie­be­nen des An­griffs auf die bei­den Tank­zü­ge in der Nä­he von Kun­dus in der Nacht vom 3. auf den 4. Sep­tem­ber 2009 müs­sen ent­schä­digt wer­den. Die Ein­hel­lig­keit ver­blüfft. Aber das An­docken an die Scha­den­er­satz­for­de­run­gen re­ak­ti­viert die gu­te, al­te bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Tu­gend wie­der: Man löst un­an­ge­neh­me Fra­gen am be­sten mit Geld. Der An­walt der Hin­ter­blie­be­nen, Ka­rim Po­pal, be­harrt dar­auf, di­rekt mit der Bun­des­re­gie­rung in Ver­hand­lun­gen zu tre­ten; er ver­traut der af­gha­ni­schen Re­gie­rung nicht und be­fürch­tet, das Geld ver­sickert in der Kor­rup­ti­on. Die­se Be­fürch­tung ist nach­voll­zieh­bar.

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Le­thar­go­kra­tie, Staats­ver­schul­dungs­be­schleu­ni­ger und Semiso­zia­lis­mus

Pe­ter Slo­ter­di­jk und die deut­sche Po­li­tik

Ei­ne ir­gend­wie öde Dis­kus­si­on, die da seit ei­ni­gen Mo­na­ten (ins­be­son­de­re von der ZEIT, aber auch in der FAZ) am Kö­cheln ge­hal­ten wird. Kern der Aus­ein­an­der­set­zung ist Pe­ter Slo­ter­di­jks Ar­ti­kel »Die Re­vo­lu­ti­on der ge­ben­den Hand« (al­ler­dings auch ei­ni­ge Ka­pi­tel aus des­sen Buch »Du musst dein Le­ben än­dern«). Axel Hon­neth glaub­te dar­auf­hin nun Slo­ter­di­jk an­grei­fen zu müs­sen, in dem er ihn – grob ver­kür­zend – in durch­aus alt­lin­ker Ma­nier als Neu-Rech­ten und/oder wirt­schaft­li­be­ra­len de­nun­ziert, der ir­gend­wie blind für die Be­dürf­nis­se von Hartz-IV-Emp­fän­gern ist. Es gab ei­ni­ges Feuil­le­ton-Ge­plän­kel und so­gar ei­ne bril­lan­te, aber schwer ver­ständ­li­che Ver­tei­di­gungs­re­de von Karl-Heinz Boh­rer in der FAZ.

Aber Slo­ter­di­jk wä­re nicht Slo­ter­di­jk wenn er nicht zu ei­ner Art Be­frei­ungs­schlag aus­ge­holt hät­te; ab­ge­druckt in »Ci­ce­ro« mit dem am­bi­tio­nier­ten wie pro­vo­ka­ti­ven Ti­tel »Auf­bruch der Lei­stungs­trä­ger«.

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Dex­ter Fil­kins: Der ewi­ge Krieg

Dexter Filkins: Der ewige Krieg
Dex­ter Fil­kins: Der ewi­ge Krieg

Dex­ter Fil­kins, 1961 ge­bo­ren, kam zum er­sten Mal als Kor­re­spon­dent der Los An­ge­les Times im April 1998 nach Af­gha­ni­stan und be­rich­te­te von dort re­gel­mä­ßig bis zum Som­mer 2000. Kurz nach den An­schlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001, die er in New York er­leb­te, ging er nach Af­gha­ni­stan zu­rück und blieb dort bis En­de 2002. Von März 2003 bis Au­gust 2006 leb­te Fil­kins im Irak und be­rich­te­te von dort für die New York Times aus de­ren Bag­da­der Bü­ro. »Der ewi­ge Krieg«, ein in den USA viel­fach prä­mier­tes Buch, ver­spricht, so der Un­ter­ti­tel, »In­nen­an­sich­ten aus dem ‘Kampf ge­gen den Ter­ror’ «.

Wie­der ein­mal ein ir­re­füh­ren­der und ef­fekt­ha­sche­ri­scher Un­ter­ti­tel. Er ist in dop­pel­ter Hin­sicht ir­re­füh­rend. Zu­nächst exi­stiert er im US-ame­ri­ka­ni­schen Ori­gi­nal gar nicht – das Buch heißt dort ein­fach nur »The Fo­re­ver War«. Zum an­de­ren sug­ge­riert man durch den Ge­brauch der Vo­ka­bel »Kampf ge­gen den Ter­ror« (der zu­dem noch ei­ne fal­sche, ver­harm­lo­sen­de Über­tra­gung des »War on [against] terror[ism]« dar­stellt) ei­ne min­de­stens teil­wei­se in­tro­spek­ti­ve Ana­ly­se über ei­ne rei­ne Schil­de­rung des ei­gent­li­chen Krie­ges hin­aus.

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Av­ra­ham Burg: Hit­ler be­sie­gen

Ein Buch wie ei­ne Hil­fe­schrei. Hier schreibt ei­ner, der ge­trie­ben ist von ei­ner bes­se­ren Welt. Ge­trie­ben von dem Auf­spren­gen ei­nes Teu­fels­rei­ses mit den Mit­teln der Ein­sicht, des Ar­gu­ments – und der Em­pa­thie. Der Au­tor ist Av­ra­ham Burg, 1955 ge­bo­ren, ehe­ma­li­ger Of­fi­zier in ei­ner Fall­schirm­jä­ger­ein­heit, ehe­ma­li­ger Vor­sit­zen­der der »Je­wish Agen­cy« und ehe­ma­li­ger Knes­set-Spre­cher (ein viel­fach »Ehe­ma­li­ger« al­so). Burg ist Sohn ei­nes »Jeckes«, ei­nes Dresd­ner Uni­ver­si­täts­pro­fes­sors, der in Deutsch­land blieb so lan­ge es eben ging, für ei­ne Un­ter­or­ga­ni­sa­ti­on des Mos­sad in Pa­ris il­le­ga­le Ein­wan­de­rer her­aus­schmug­gel­te und da­für so­gar mit NS-Of­fi­zie­ren ver­han­del­te und spä­ter Mi­ni­ster in meh­re­ren is­rae­li­scher Re­gie­run­gen wur­de und ei­ner ara­bi­schen Jü­din, die als Kind nur mit Glück und Hil­fe (ih­res ara­bi­schen Ver­mie­ters) dem He­bron-Mas­sa­ker 1929 ent­kam. Die­ses Buch will er auch ver­stan­den wis­sen als Ge­spräch mit sei­nem (ver­stor­be­nen) Va­ter und als Dia­log­grund­la­ge für sei­ne Kin­der (uns es gibt be­rüh­ren­de Mo­men­te der An­nä­he­rung und der Be­wun­de­rung sei­nen El­tern ge­gen­über).

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Avraham Burg: Hitler besiegen
Av­ra­ham Burg: Hit­ler be­sie­gen
Von Jo­han­nes Rau stammt der Satz: »Ein Pa­tri­ot ist je­mand, der sein Va­ter­land liebt. Ein Na­tio­na­list ist je­mand, der die Va­ter­län­der der an­de­ren ver­ach­tet.« Ge­nau um die­se Dif­fe­renz geht es in dem Buch »Hit­ler be­sie­gen«: Burg ist ein Pa­tri­ot, der sich ge­gen das na­tio­na­li­stisch wer­den­de, sich iso­la­tio­ni­stisch ge­bär­den­de und da­bei mehr und mehr in Pa­ra­noia ver­fal­len­de Is­ra­el po­si­tio­niert und statt­des­sen sei­ne, die Wer­te sei­ner Fa­mi­lie, die Wer­te der Grün­der­vä­ter, die Wer­te ei­nes mo­der­nen, neu­en Ju­den­tums, set­zen möch­te.

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Lutz Sei­ler: Die Zeit­waa­ge

Lutz Seiler: Die Zeitwaage
Lutz Sei­ler: Die Zeit­waa­ge

»Turk­sib« in ziem­li­cher Ein­mü­tig­keit den In­ge­borg-Bach­mann-Preis zu­ge­spro­chen be­kam. Auch wenn man viel­leicht ei­nen an­de­ren »Lieb­lings­text« im Wett­be­werb hat­te – die Qua­li­tät die­ser Pro­sa war ein­deu­tig und tat­säch­lich her­aus­ra­gend. Und noch heu­te er­in­nert man sich an die­sen schau­rig-zärt­li­che Lo­re­ley-Ge­sang des rus­si­schen (?) Hei­zers auf den rüt­teln­den Turk­sib-Gän­gen. Viel­leicht ist die­ser Fisch­ge­sang, der sich zwi­schen Er­zäh­ler und Hei­zer für ei­ne schwer durch­at­me­te Dau­er er­eig­ne­te, der Kri­stal­li­sa­ti­ons­punkt die­ser Er­zäh­lung, die an­son­sten fast nur aus der Be­wäl­ti­gung des Ich-Er­zäh­lers der Strecke vom Zu­gen­de zum Zug­an­fang (oder ist es um­ge­kehrt?) und der Be­schau ei­nes Gei­ger­zäh­lers (und vor al­lem dem Ge­räusch!) zu be­stehen scheint. Aber – und dies wird noch Ge­gen­stand der Er­ör­te­rung sein – es ist nicht im­mer ganz leicht, den Mo­vens der Er­zäh­lun­gen von Lutz Sei­ler »her­aus­zu­ar­bei­ten«, was al­ler­dings die Lek­tü­re zu­sätz­lich reiz­voll macht.

Der vor­lie­gen­de Band mit dem schö­nen, al­le­go­ri­schen Ti­tel »Die Zeit­waa­ge« (ei­ne Zeit­waa­ge ist ein In­stru­ment zur Fest­stel­lung der Gang­ge­nau­ig­keit ei­ner Uhr) um­fasst drei­zehn Er­zäh­lun­gen (die Ti­tel­ge­schich­te fin­det sich am En­de des Bu­ches). Sie wei­sen for­mal kein ein­heit­li­ches Sche­ma auf. Häu­fig gibt es ei­nen Ich-Er­zäh­ler, der bis­wei­len durch­aus (bio­gra­fi­sche) Par­al­le­len mit dem Au­tor sug­ge­riert (aber manch­mal wird die­ses über­eif­ri­ge Ger­ma­ni­sten­su­chen auch auf per­fi­de Art plötz­lich, in­ner­halb der Er­zäh­lung, ge­bro­chen) und so­gar, ein­mal (in der Er­zäh­lung »Gavro­che«), wer­den Er­zäh­ler und Er­zäh­lung sel­ber Ge­gen­stand der Er­zäh­lung. Und in ei­ni­gen Ge­schich­ten gibt es ab­wei­chend ei­nen aukt­oria­len Er­zäh­ler.

Bis auf die er­sten bei­den Ge­schich­ten (»Frank« und »Im Ge­räusch«), die durch die Prot­ago­ni­sten mit­ein­an­der ver­bun­den sind (sie sind auf Ur­laub in den USA), »Turk­sib« und die »Zeit­waa­ge« (Ber­lin) kann man als Ort Sei­lers Hei­mat Thü­rin­gen aus­ma­chen. Und ob­wohl die Ge­schich­ten in der ehe­ma­li­gen DDR min­de­stens ver­wur­zelt sind, die Prot­ago­ni­sten ih­re So­zia­li­sa­ti­on dort er­fah­ren ha­ben (zu al­ler­dings durch­aus un­ter­schied­li­chen Zei­ten) und es durch­aus An­spie­lun­gen auf Skur­ri­li­tä­ten und Ab­son­der­lich­kei­ten des Sy­stems gibt (die­se meist eher mit leich­ter Hand ge­zeich­net), ist die »Zeit­waa­ge« kein »DDR-Buch«, schon gar kein Be­wäl­ti­gungs­buch. Die Ver­stö­run­gen und Ver­let­zun­gen der Fi­gu­ren sind auf ei­ne fast be­tö­ren­de Art Zeug­nis ei­nes aus-der-Welt-ge­fal­len-Seins und be­sit­zen ei­nen merk­wür­dig ho­hen Grad an Uni­ver­sa­li­tät (die al­ler­dings in kei­nem Fall mit Be­lie­big­keit ver­wech­selt wer­den darf).

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Der prag­ma­ti­sche Ver­söh­ner

Wann im­mer in Deutsch­land in ir­gend­ei­ner Form von der »Waf­fen-SS« die Re­de ist, kann man si­cher sein, dass die Em­pö­rungs­wel­len, die Ri­tua­le der Ent­rü­stung, hoch­schla­gen. Noch heu­te brü­sten sich Wohl­stands­kin­der, die in den 60er Jah­ren auf­ge­wach­sen sind, mit wohl­fei­len Ent­hül­lungs­ge­schich­ten, die be­wei­sen sol­len, dass Pro­mi­nen­te mit 15, 16 oder 17 Jah­ren in der »Waf­fen-SS« oder auch »nur« der »Par­tei« wa­ren. Leu­te, die noch nie vor Si­tua­tio­nen stan­den wie die­se Grün­schnä­bel rich­ten mehr als 60 Jah­re nach Kriegs­en­de mit ei­nem Fe­der­strich über das Le­ben die­ser Leu­te.

Lan­ge (oder im­mer noch?) galt die­se Form des Jour­na­lis­mus als in­ve­sti­ga­tiv. Sie be­gann üb­ri­gens nicht erst mit 1968, wie uns heu­te die Ve­te­ra­nen die­ser Zeit na­he­le­gen wol­len und da­mit hübsch wei­ter an ih­rer ei­ge­nen »re­vo­lu­tio­nä­ren« Le­gen­de stricken. Fest steht: Es gibt un­ge­zähl­te Bei­spie­le, wie Schrift­stel­ler, Schau­spie­ler, Jour­na­li­sten, Po­li­ti­ker und an­de­re Per­so­nen im öf­fent­li­chen Raum noch bis weit in die 1980er Jah­re von ih­rer Ver­gan­gen­heit »ein­ge­holt« wur­den. Der lin­ke Ent­lar­vungs­ge­stus in Sa­chen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ent­band von der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem ei­ge­nen Irr­weg, der zwar auch schon lan­ge zu­rück­lag, aber ent­we­der he­roi­siert oder ein­fach nur ver­drängt wur­de. En­ga­ge­ment für Ku­ba? Ma­os Kul­tur­re­vo­lu­ti­on? War da mal was?

Mit der Wen­de 1989/90 und der »Auf­ar­bei­tung« der DDR und ih­rer Or­ga­ni­sa­tio­nen be­gann die zwei­te Wel­le. Dies­mal nur aus der an­de­ren Rich­tung. Wäh­rend lin­ke so­ge­nann­te In­tel­lek­tu­el­le die DDR noch als »kom­mo­de Dik­ta­tur« ein­stuf­ten (sie zo­gen es vor, in ih­ren Som­mer­häu­sern in der Tos­ka­na oder Por­tu­gal Ur­laub zu ma­chen) wur­de in ty­pisch deut­scher Gründ­lich­keit (Ak­ten, die ver­nich­tet wur­den, wer­den in­zwi­schen mit auf­wen­di­ger Tech­nik wie­der re­stau­riert; das schafft auf Jah­re Ar­beits­plät­ze) bei­spiels­wei­se das Sy­stem der Staats­si­cher­heit der DDR (ver­se­hen mit dem Ko­se­na­men »Sta­si«) akri­bisch un­ter­sucht.

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(Ni­co­las) Mahler: Län­gen und Kür­zen

Mahler: Längen und Kürzen
Mahler: Län­gen und Kür­zen

Auf dem Um­schlag steht nur »Mahler«. Der Ti­tel: »Län­gen und Kür­zen«. Man staunt, ei­nen »Band I« ei­nes »schrift­stel­le­ri­schen Ge­samt­werks« in den Hän­den zu hal­ten. Die Fi­gu­ren hat man aber schon ein­mal ir­gend­wo ge­se­hen.

Mahler? Ja. Klar. Es han­delt sich um den öster­rei­chi­schen Zeich­ner Ni­co­las Mahler (be­kannt aus für FAZ, NZZ und »Ti­ta­nic«, zum Bei­spiel).

Und ganz schnell geht man Mahler auf den Leim: Ist nicht der vor dem Ver­lags­chef ste­hen­de und spä­ter in sei­nen Brie­fen mit »M.« zeich­nen­de Dich­ter Mahler sel­ber? Ein fin­di­ger Trick, denn man glaubt zu­nächst ge­nau das Buch zu le­sen, wel­ches der Dich­ter sei­nem Ver­le­ger vor­stellt (wie la­ko­nisch die­se ge­zeich­ne­ten Co­mics) und sei­ner Freun­din Do­ro­thee an­preist.

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Der Bal­ken im Au­ge der Jour­na­li­sten

Ei­gent­lich woll­te Pe­tra Ger­ster in der »heute«-Sendung vom 05.11.09 zei­gen, wie »dra­ma­tisch« die Ein­brü­che bei den Steu­er­ein­nah­men sind. Da je­doch bei Ka­te­go­rien von 500 Mil­li­ar­den Eu­ro und mehr die Re­la­tio­nen schwer ver­mit­tel­bar sind, schritt man zur hy­per­deut­li­chen Gra­phik, in der die Bal­ken nur ab 500 Mil­li­ar­den ge­zeigt wur­den:

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