F. W.

Ei­gent­lich soll­te man so et­was über­le­sen. Ich kann­te F. W. nicht, ha­be kei­ne Tex­te von ihm in Er­in­ne­rung. Die Feuil­le­tons über­schla­gen sich nun, weil die­ser F. W. sich jah­re­lang fälsch­li­cher­wei­se als jü­disch ge­rier­te und sein be­haup­te­tes Ju­den­tum auch da­zu be­nutz­te, um is­ra­el­kri­ti­sche Po­si­tio­nen zu pu­bli­zie­ren. Jan Kü­ve­ler schreibt in der Welt, dass »nach iden­ti­täts­po­li­ti­scher Lo­gik« ...

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Jens Bal­zer: No Li­mit

Jens Balzer: No Limit
Jens Bal­zer: No Li­mit

Jah­res- und De­ka­den­bü­cher bil­den seit ei­ni­ger Zeit fast schon ein ei­ge­nes Gen­re. Um ih­re Exi­stenz zu recht­fer­ti­gen, müs­sen die be­han­del­ten Zeit­ab­schnit­te nicht nur nach be­stimm­ten Kri­te­ri­en zu­sam­men­ge­fasst, son­dern auch über­höht wer­den. Ir­gend­et­was muss ge­sche­hen sein, um das Jahr oder die Epo­che ein­zig­ar­tig dar­zu­stel­len. Das ist rück­wir­kend be­trach­tend um­so ein­fa­cher, je wei­ter die ent­spre­chen­de De­ka­de ent­fernt ist. Auch die Fest­stel­lung, dass da­mals et­was für ak­tu­el­le Ge­gen­wart ty­pi­sches ih­ren An­fang ge­nom­men ha­be, ist dann si­che­rer zu tref­fen.

2019 ver­öf­fent­lich­te Jens Bal­zer ein Buch über die 1970er Jah­re. Zwei Jah­re spä­ter nahm er sich die Acht­zi­ger vor. Und jetzt, 2023, mit No Li­mit die Neun­zi­ger. Die Sieb­zi­ger nennt er das ent­fes­sel­te, die Acht­zi­ger das pul­sie­ren­de Jahr­zehnt. Die Neun­zi­ger wer­den zum »Jahr­zehnt der Frei­heit«, oder, wie es spä­ter et­was ge­nau­er heißt, das »Zeit­al­ter ei­ner glo­ba­len Frie­dens­ord­nung«. Pas­sen­der­wei­se be­ginnt das Buch über die Neun­zi­ger mit dem Mau­er­fall und lässt sie mit dem 11. Sep­tem­ber 2001 aus­klin­gen (wo­bei kein Er­eig­nis zwi­schen 2000 und 9/11 ei­ne Rol­le spielt). Das »Jahr­zehnt des Auf­bruchs« en­det schließ­lich als Zeit, in der »al­te Iden­ti­tä­ten wie­der­keh­ren und neue Iden­ti­tä­ten ent­ste­hen.« Mit dem Ein­sturz der Zwil­lings­tür­me »en­den die Neun­zi­ger­jah­re. Es en­det das En­de der Ge­schich­te. Und es en­det die Post­mo­der­ne, in der man glaub­te, dass sich al­le über­kom­me­nen Tra­di­tio­nen und Iden­ti­tä­ten auf­lö­sen wür­den in ei­ner Glo­ba­li­sie­rung, in der die ge­sam­te Mensch­heit sich ver­eint und ver­söhnt – im frei­en Han­del, im frei­en Aus­tausch von Gü­tern, Kul­tu­ren, Ideen.«

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Neu­es aus Bal­zers

Jens Dittmar: Falknis
Jens Ditt­mar: Falk­nis

Vor neun Jah­ren muss­te ich vor der Lek­tü­re von So kalt, so schön des Tho­mas-Bern­hard-Mo­no­gra­phi­sten, Schrift­stel­lers, Her­aus­ge­bers und Künst­lers Jens Ditt­mar ka­pi­tu­lie­ren. Der »Schel­men­ro­man« (Ver­lags­wer­bung) über die Fi­gur Aleph Kraus-Gón­go­ra, die­ses opu­lent-über­bor­den­de Ge­misch aus Rät­sel­spie­len, Scha­ra­den und Mocku­men­ta­ry mit vie­len deut­li­chen und ver­mut­lich noch mehr ver­steck­ten li­te­ra­ri­schen Re­fe­ren­zen und An­spie­lun­gen hat­te mich über­for­dert. Da­her hat­te ich auch lan­ge Zeit die drei Jah­re spä­ter er­schie­ne­ne »Mord­ge­schich­te« Falk­nis ins Re­gal der un­ge­le­se­nen Bü­cher ge­stellt, frei­lich mit der Am­bi­ti­on, dies ir­gend­wann zu än­dern. Der im letz­ten Jahr er­schie­ne­ne Ro­man Neu­lich in Bär­wal­de war jetzt der An­lass, sich Jens Ditt­mar er­neut an­zu­neh­men.

Falk­nis ist ei­ne Art Ta­ge­buch­ro­man. Dr. Li­nus Frick, sei­nes Zei­chens ar­beits­lo­ser (und sich un­ver­stan­den füh­len­der) Künst­ler, bi­lan­ziert zwi­schen De­zem­ber 2014 und Ok­to­ber 2015 vor al­lem die Er­eig­nis­se um sei­nen Halb­bru­der Hau­ke, der ur­plötz­lich ver­schwun­den ist. Hau­ke war ein Ge­nie auf dem Ge­biet des Kunst­stoff- und Pla­stik-Re­cy­cling, hat­te meh­re­re Pa­ten­te zur Wie­der­ge­win­nung von Pla­stik­ab­fäl­len und er­öff­ne­te ei­ne Fa­brik für Flü­ster­asphalther­stel­lung in Kroa­ti­en. In sei­nem Fir­men­kon­strukt ar­bei­te­ten ir­gend­wann 800 Men­schen; es lief sehr gut, aber er woll­te auch aus sei­nem Hei­mat­ort Bal­zers in Liech­ten­stein, ge­nau­er: dem Ge­biet um das Drei­län­der­eck Liech­ten­stein, Schweiz und Öster­reich um den Berg Falk­nis, ei­ne Art Al­pen-Dis­ney­land mit sau­di-ara­bi­schem In­vest­ment er­rich­ten. Schnell ge­wann er die lo­ka­le Po­li­tik, denn es ging na­tür­lich auch um Ar­beits­plät­ze. Aber plötz­lich war Hau­ke ver­schwun­den. Man er­mit­tel­te we­gen Steu­er­hin­ter­zie­hung und Ver­un­treu­ung, aber ein viel­sa­gen­der Ab­schieds­brief lässt die Po­li­zei an Selbst­mord glau­ben. Die Rest­zwei­fel (es gab kei­ne Lei­che) ge­nüg­ten, um bis­wei­len Li­nus auf den Zahn zu füh­len. Der weiß na­tür­lich nichts, weil er – wie fast im­mer – nie in Hau­kes Ge­schäf­te ein­ge­weiht war.

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Ne­ben­säch­lich­kei­ten

Seit heu­te gibt es ein neu­es »Res­sort« oder, we­ni­ger hoch­tra­bend, ei­ne neue Ka­te­go­rie: »Ne­ben­säch­lich­kei­ten«. Es sind kur­ze No­ti­zen, Auf­fäl­lig­kei­ten, Stüm­pe­rei­en – oft ver­mut­lich eher Be­lang­lo­ses. Da­her er­schei­nen die No­ta­te auch nicht auf der Start­sei­te und wer­den nicht un­ter »Neue­ste Bei­trä­ge« er­fasst. Wer möch­te, kann sie durch ein Abo auf­ru­fen (oder auch igno­rie­ren).

Mi­chel Hou­el­le­becq: Ei­ni­ge Mo­na­te in mei­nem Le­ben

Michel Houellebecq: Einige Monate in meinem Leben
Mi­chel Hou­el­le­becq: Ei­ni­ge Mo­na­te in mei­nem Le­ben

Die Däm­me sind ge­bro­chen, die Über­zeu­gungs­ar­beit von Ge­ne­ra­tio­nen von Li­te­ra­ten, Kri­ti­kern, Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lern und Le­sern ist Ma­ku­la­tur. Die Ver­si­che­rung, ja: Er­kennt­nis, dass das na­men­lo­se Er­zähl-Ich ei­nes Ro­mans oder ei­ner Er­zäh­lung nicht iden­tisch ist mit dem Au­tor, der Au­torin wird zu­se­hends pul­ve­ri­siert. En­de der 1970er Jah­re vom fran­zö­si­schen Schrift­stel­ler und Li­te­ra­tur­pro­fes­sor Ser­ge Dou­brov­sky ent­deckt und ge­prägt, be­gann es mit dem Gen­re der Au­to­fik­ti­on. Mit ihm wur­de das im au­to­bio­gra­phi­schen Schrei­ben vor­han­de­ne Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Au­tor und Er­zähl-Ich ver­scho­ben zu Gun­sten der Les­art, dass das »Ich« (na­he­zu) iden­tisch mit dem Au­tor ist. Der li­te­ra­ri­sche Akt lag in der Aus­ge­stal­tung des Er­eig­ne­ten. Bei­spiel­haft für au­to­fik­tio­na­les Schrei­bens ist die 2022 mit dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis aus­ge­zeich­ne­te An­nie Er­naux. Ih­rem letz­ten Buch Ein jun­ger Mann stell­te sie ihr Schreib­ge­setz vor­an: »Wenn ich die Din­ge nicht auf­schrei­be, sind sie nicht zu ih­rem En­de ge­kom­men, son­dern wur­den nur er­lebt.«

An­fangs be­grüß­te das Feuil­le­ton die­sen bio­gra­phi­sti­schen An­satz, weil es ihm die lä­sti­ge Su­che nach der Li­te­r­a­ri­zi­tät von Pro­sa­tex­ten er­spar­te. Man brauch­te nur die Le­bens­da­ten des Ver­fas­sers mit dem Ge­schrie­be­nen zu ver­glei­chen. Nach dem (nie wirk­lich re­le­van­ten) »Tod des Au­tors« be­gann die Do­mi­nanz der Ver­schmel­zung zwi­schen Ver­fas­ser und Er­zäh­ler, die Herr­schaft der Au­then­ti­zi­tät und des Plots. Die ak­tu­el­le De­bat­te um Iden­ti­tä­ten ver­stärkt den Trend der Au­to­fik­ti­on, ob­wohl in­zwi­schen längst die mei­sten Kri­ti­ker da­von er­schöpft sind.

Mi­chel Hou­el­le­becq war bis­her kein Au­tor au­to­fik­tio­na­len Schrei­bens. Zwar gab es ver­ein­zelt Par­al­le­len zwi­schen ihm und sei­nen Fi­gu­ren (Li­te­ra­tur­vor­lie­ben oder ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Sicht­wei­sen), aber nie­mand wä­re ernst­haft auf die Idee ge­kom­men, bei­spiels­wei­se den Li­te­ra­tur­pro­fes­sor Fran­çois aus Un­ter­wer­fung als Al­ter ego Hou­el­le­becqs zu se­hen. Mit sei­nem neue­sten Buch mit dem harm­los an­mu­ten­den Ti­tel Ei­ni­ge Mo­na­te in mei­nem Le­ben (Über­set­zung von Ste­phan Klei­ner) sieht das al­les ganz an­ders aus. Hou­el­le­becq zer­stört mit die­sem Buch jeg­li­che Di­stanz zwi­schen sich und dem Er­zähl-Ich, zwi­schen den tat­säch­li­chen Er­eig­nis­sen und den Schil­de­run­gen im Buch. Er schreibt ei­ne ul­ti­ma­ti­ve Nicht­fik­ti­on. Dass das Buch kei­ne Gen­re­bezeich­nung trägt, ist nur kon­se­quent. Der Un­ter­ti­tel lau­tet Ok­to­ber 2022 – März 2023. Aber ein Ta­ge­buch oder Jour­nal ist es auch nicht. Ge­gen En­de spricht er sel­ber von ei­nem »Be­richt«; auf­ge­schrie­ben zwi­schen dem 31. März und dem 16. April 2023.

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Kai Diek­mann: Ich war BILD

Kai Diekmann: Ich war Bild
Kai Diek­mann: Ich war Bild

Ir­gend­wie scheint es in Deutsch­land ei­ne Fi­xie­rung auf den Zeit­ab­schnitt »sech­zehn Jah­re« zu ge­ben. Als wä­re da­mit ei­ne be­son­de­re Form von Qua­li­tät und Lei­stung ver­bun­den. Hel­mut Kohl und An­ge­la Mer­kel et­wa wa­ren sech­zehn Jah­re Bun­des­kanz­ler. Und jetzt kommt Kai Diek­mann mit sei­nem Buch da­her und er­zählt sei­ne sech­zehn Jah­re als Bild-Chef. Um es nicht zu kom­pli­ziert zu ma­chen, wer­den Chef­re­dak­teurs­po­sten, Her­aus­ge­ber­schaft und ein Aus­lands­jahr ein­fach ad­diert. Egal, für den Zeit­raum vom 1.1.2001 bis 31.1.2017 gilt: Ich war BILD. Und das be­schreibt er auf mehr als 500 Sei­ten in zwölf Ka­pi­teln gar­niert mit Fak­si­mi­les von viel­leicht nicht im­mer so be­deu­ten­den Schrift­stücken wie hand­schrift­li­chen Re­de­ent­wür­fen (von sich und an­de­ren), halblu­sti­gen Brie­fen, un­ter an­de­rem ein An­schrei­ben zur Spe­sen­ab­rech­nung an Ma­thi­as Döpf­ner, sei­nem Chef, Dut­zen­den von Bil­dern von Be­geg­nun­gen (und Wid­mun­gen!) mit di­ver­sen US- oder son­sti­gen Prä­si­den­ten oder ein­fach nur Stars und Stern­chen (et­li­che da­von ken­ne ich gar nicht). Tro­phä­en­strecken nach dem Ha­la­li, das jetzt schon sechs Jah­re vor­bei ist.

Da­bei soll es »kei­ne be­lang­lo­se An­ek­do­ten­samm­lung aus dem Bü­ro des BILD-Chef­re­dak­teurs« sein, wie der Au­tor am En­de noch ein­mal be­tont, viel­mehr ei­ne »un­er­war­te­te See­len­rei­se«, wo­bei ich mir so­fort die Fra­ge stel­le, für wen die­ses »un­er­war­tet« gilt – für den Au­tor, die ge­schil­der­ten Per­sön­lich­kei­ten (et­li­che da­von sind tot) oder den Le­ser, aber das ist ei­gent­lich egal.

Diek­mann be­ginnt sein Buch mit den Er­eig­nis­sen um den Bun­des­prä­si­den­ten Chri­sti­an Wulff 2011, die im Fe­bru­ar 2012 zu des­sen Rück­tritt führ­ten. So gibt es ein Tran­skript der omi­nö­sen »Mailbox«-Nachricht, in der von Din­gen die Re­de ist, die über »das Er­laub­te« hin­aus­ge­hen, den »Bruch mit dem Sprin­ger-Ver­lag« an­dro­hen und ei­nen »Krieg« in Aus­sicht stel­len. Diek­mann schil­dert, war­um man die Nach­richt nicht ver­öf­fent­lich­te, wie dann doch ein­zel­ne In­hal­te durch­sicker­ten und ver­passt sich ei­nen Hei­li­gen­schein, in dem er noch ein­mal be­tont, dass er den Fo­kus der De­bat­te lie­ber auf die Fi­nan­zie­rung von Wulffs Haus ge­se­hen hät­te. Und weil das so ist be­rich­tet er im wei­te­ren Ver­lauf dar­über gar nichts – ver­mut­lich des­halb, weil es da we­nig bis nichts zu skan­da­li­sie­ren gab au­ßer ei­ner Un­ge­nau­ig­keit von Wulff.

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Ra­pha­e­la Edel­bau­er: Die In­kom­men­sur­a­blen

Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen
Ra­pha­e­la Edel­bau­er:
Die In­kom­men­sur­a­blen

Der 17jährige Pfer­de­knecht Hans Ranft­ler trifft am 30. Ju­li 1914 aus Ti­rol in Wien ein. Er will He­le­ne Che­resch (*1877), Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin mit »Fach­ge­biet Mas­sen­hy­ste­rien«, mit ei­ner Merk­wür­dig­keit kon­fron­tie­ren und kon­sul­tie­ren: An­de­re Men­schen (auch sol­che, die er nicht kennt), spre­chen zu­wei­len aus, was er, Hans, kurz zu­vor ge­dacht hat­te. Da­hin­ter steckt wohl die Idee von Ge­dan­ken­über­tra­gung. Zu­vor muss er sich je­doch durch die Men­schen­mas­sen am Bahn­hof durch­schla­gen. Da­bei wird er so­fort an­ge­spro­chen, ob er sich nicht frei­wil­lig mel­den möch­te und so ge­nau ver­steht Hans das nicht.

Auf der Stie­ge vor Che­reschs Pra­xis war­tend trifft er Kla­ra Ne­mec, ei­ne Stu­den­tin der Ma­the­ma­tik, die mor­gen ihr Ri­go­ro­sum über in­kom­men­sura­ble Zah­len ab­zu­lie­fern hat. Sie ist, wie sich spä­ter her­aus­stellt, die Lieb­ha­be­rin von He­le­ne Che­resch und so et­was wie ei­ne Mu­se für das, was sie Traum­clu­ster nen­nen. Zehn­tau­send Men­schen sol­len den glei­chen Traum ha­ben, von ei­nem my­ste­riö­sen Wei­ler, ei­ner Art Pa­ra­dies mit dem hei­li­gen Gral, ei­nem omi­nö­sen Lu­ster in ei­ner prunk­vol­len Vil­la; Che­resch un­ter­sucht und ana­ly­siert die Traum­be­rich­te. Hans er­fährt dies durch Adam Graf Je­sen­ky, ei­nem »Asphalt­jüng­ling« und, vor al­lem, Of­fi­ziers­sohn, der be­reits mor­gen im noch nicht ganz er­klär­ten Krieg ge­gen Ser­bi­en und Russ­land ein­zie­hen soll. Er ist ein Freund von Kla­ra und in psy­cho­ana­ly­ti­scher Be­hand­lung. Als Hans schließ­lich bei der Ana­ly­ti­ke­rin vor­spricht, ist sie in­ter­es­siert an sei­nem Fall und ter­mi­niert ihn für den näch­sten Tag, 16 Uhr, zur Sit­zung. Und so neh­men Kla­ra und Adam Hans im Schlepp­tau.

Das ist das Set­ting für Ra­pha­e­la Edel­bau­ers Die In­kom­men­sur­a­blen. Die drei er­le­ben in den näch­sten knapp 24 Stun­den ei­ne Stadt, ein Land, ja: die Welt in Auf­ruhr. Es ist der »letz­te Abend der Mensch­heit«. Zu­wei­len färbt das Pa­thos der sich über­schla­gen­den Ex­tra­blät­ter auf die all­wis­sen­de Er­zäh­le­rin ab. Hans sam­melt die­se Au­gen­blicke, ist nach­ein­an­der Gast bei ei­ner Schön­berg-Pro­be von Adams Mu­sik­ensem­ble (die in ei­ner wü­sten Schlä­ge­rei ob der Sinn­haf­tig­keit sol­cher Pro­ben en­det) und wird an­schlie­ßend zum Abend­essen in Adams El­tern­haus ein­ge­la­den. Dort dis­pu­tiert er mit Ho­no­ra­tio­ren, die an­geb­lich den Kai­ser be­ra­ten, so hef­tig, dass er nicht zum Es­sen kommt. Um ei­nem grö­ße­ren Streit aus dem Weg zu ge­hen, flie­hen die drei in ein eher her­un­ter­ge­kom­me­nes, bor­dell­ähn­li­ches Lo­kal, in dem Kla­ra und ih­re Freun­din be­stens be­kannt sind. Hier spielt die neue Mu­sik, der »Swing« – den es da­mals al­ler­dings noch nicht gab; spä­ter kor­ri­giert (sich) Adam und nennt es »Rag­time«. Die Gä­ste le­ben dort voll­kom­men frei, le­gen sich zum Bei­spiel ein­fach schla­fen, trin­ken oder su­chen Sex. Der ist Amü­se­ment; ei­ne Wa­re (wenn­gleich im­mer die Sy­phi­lis zu dro­hen scheint, die man an­schei­nend am Ge­sicht er­ken­nen kann).

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