Zugegeben, lange Zeit war meine Abneigung gegen die Figur, die sich im Fernsehen Horst Lichter nennt so groß, dass ich immer wenn ich durch Zufall beim Channelcrossing auf »Bares für Rares« stieß binnen Sekunden umschaltete. Ein Koch, der für Maggi Werbung gemacht hatte. Unmöglich. Und auch sonst. Irgendwann war ich einmal zu müde, blieb auf dem Sender und plötzlich erkannte ich dort jenseits von Smalltalks, Expertisen, Preisgeboten und Geldzählen ein zeitgenössisches Phänomen würdig von Soziologen und sonstigen studierten Taxifahrern bei Gelegenheit einmal genauer analysiert zu werden.
Wie hellsichtig erscheint das Lied vom Versaufen des Häuschens der Großmutter aus den 1920er Jahren. Denn die meisten der von den potentiellen Verkäufern vorgebrachten Kostbarkeiten (wobei die Variationsbreite sehr groß ist – zwischen 20 Euro und – einmal eine besondere Münze – 35.000 Euro, vom Nippes bis zum Oldtimer ist alles möglich) sind Fund- bzw. Erbstücke, was nicht nur von Lichter im Plausch abgefragt wird sondern oft genug von den fünf Händlern, die in scheinbarer Harmlosigkeit fragen, woher man denn bitteschön diesen Gegenstand habe, herausgekitzelt wird. Dabei bedeutet Erbstück natürlich immer auch, dass der Verkäufer rein gar nichts aufgebracht hat – sein Einstandspreis ist null Euro. Jetzt muss man nur herausbekommen, ob das Stückchen von einer nahen oder fernen Verwandten (Freund/Freundin) stammt – und schon kann man auch den emotionalen Wert für den Verkäufer taxieren. Je geringer dieser ist, desto lukrativer der Einkauf.
Tatsächlich wird, wenn man die Sendung über ein paar Monate gesehen hat, überwiegend der Großeltern‑, Tanten- und Onkelhausstand verkauft und damit alles, was einer bestimmten Epoche angehört und Generationen einst als kostbar, wertvoll oder wichtig erschien abgewickelt. Porzellan (Meißen, wobei Meißen Synonym für Ernüchterung ist), Silber in allen Variationen, Schmuck jeglicher Art und Provenienz, Statuetten, Bronzen, Bier- und sonstige Krüge, Pickelhauben, Gemälde, die zu groß, zu klein oder zu speziell sind und sogar Möbelstücke. Kurz: Devotionalien aus vergangenen Zeiten, die nun vom soliden Mittelstand des 21. Jahrhunderts zur Auffüllung der Urlaubskasse oder als kleine Unterstützung für Kinder und/oder Enkel dienen sollen. Die meisten Gegenstände die auf diese Art verflüssigt werden sollen stammen aus der sogenannten Gründerzeit (ab 1870) bis hinein in die 1930er Jahre. Ob Absicht oder nicht – der gedrillte Schnurrbart des Moderators erscheint kongenial. Die Nazijahre kommen kaum vor. Es geht dann wieder weiter mit den 1950er Jahren, »Made in US-Zone«, vor allem Blech- und anderes Spielzeug und dann natürlich die 1970er, das, was als Vintage bzw. Retro gilt.
Das Konzept ist der Sendung einfach: Potentieller Verkäufer trifft auf Moderator und Experte – hier wird eruiert was das Stück wert ist und bringen könnte. Die Fragen von Lichter sind immer gleich: Woher kommt es? Was möchte man erzielen? (Wie hoch ist die Schmerzgrenze?) Was macht man mit dem Geld? (Das wird auch noch bei einer Schätzung von 100 Euro oder weniger abgefragt.) Und dann: Was sagt der Experte/die Expertin? Ist die Differenz zwischen Erwartung und Expertise zu groß bleibt der Zugang zum Händler- bzw. Auktionsraum verwehrt. Ansonsten zückt Lichter das »Händlerkärtschen« und nach einem kurzen (wie überflüssigem Statement des Verkäufers zur Expertise) beginnt irgendwann Phase zwei. Der Verkäufer betritt den Händlerraum (und muss für die Kamera genau auf einem Punkt stehen). Dort sitzen/stehen die ominösen Händler, die nun auf den Gegenstand bieten. Danach gibt es dann noch ein (ebenso überflüssiges) Statement des Verkäufers, der sich zumeist freut und die Geldscheine in die Kamera hält.
Die Expertise, die die Händler, die auf das Stück bieten, nicht kennen, soll den Verkäufer davor schützen sein Objekt zu preiswert abzugeben (und manchmal ist ja sogar eine Fälschung dabei, die ausgesiebt werden muss). Aber das Prozedere dient auch dazu, die eventuell zu hohen Erwartungen einzudämmen. Aber hier ist nicht der einzige Grund, dass das Zusammensein von Verkäufer, Moderator und Experte der wichtigere Teil der Sendung ist. Lichters fast penetrant-schmerzende Freundlichkeit, die zuweilen am Rande des Erträglichen ist, wird bei näherer Sicht zu einer immens wichtigen Komponente um den obszönen Akt des Abstossens und Geldmachens zu humanisieren. Dabei pflegt der Moderator eine Marotte, die einem zuweilen in Weißglut bringt: Er versucht zu Beginn dem Verkäufer (den Verkäufern) sein »Du« aufzuschwätzen, so als sei der fünfminütige Moment der Beginn einer ewiglichen Freundschaft und man ertappt sich als Zuschauer bei der kurzen Vorabvorstellung der Verkäufer dabei, dass man abschätzt, wem er das »Du« aus seiner Menschenkenntnis heraus einmal nicht anbietet (und vor allem: warum).
Wie wichtig dieses manchmal als peinlich wahrgenommene Verfahren ist zeigt sich, wenn man es anders macht wie in der Sendung »Viel zu bieten«, die auf zdfneo als eine Art verschärfte Version des Trödelshowbusiness lief. Hier saßen die vier sogenannten Händler auf Stühlen und beäugen einen Verkäufer. Ziel war hier ausschließlich das Feilschen, Hintergründe zum Objekt gab es kaum bzw. wurden nicht abgefragt (eine Expertise, die in einem Satz eingestreut wurde, blieb anonym). Die Verkäufer wurden aufgefordert, einen Preis zu nennen – das Gegenteil dessen, was bei »Bares für Rares« passiert (hier erfolgt das Abfragen der »Schmerzgrenze« durch die Aufkäufer zumeist erst, wenn das Bieten stockt). Jemand der bei »Viel zu bieten« verkaufen wollte muss ein Objekt für das er 200 Euro erzielen wollte zunächst einmal mit 600 oder mehr einstellen. Nach dem zweiten Bietvorgang durch die Händler (man lag dann vielleicht bei 90 Euro) folgte schon die freundliche, aber bestimmte Aufforderung »massiv« herunterzugehen. Warum das so sein soll wurde nicht kommuniziert. Der Verkäufer ging dann zum Beispiel auf 400 Euro herunter was jedem klarmachte, dass er maximal mit 200 rechnete. All diese Bewegungen wurden durch Kassengebimmel vom Sender orchestriert. Am Ende verkaufte er dann für 150. Hier wurde gnadenlos verramscht; Antiquitäten oder kostbare Stücke wie in der Lichtersendung gab es eher selten und hätten auch eher gestört. Die Käufer in »Vieles zu bieten« gerierten sich als eine Mischung aus »König von St. Pauli« und orientalischem Basar. Dafür kauften sie auch Showacts ein und zahlten knapp über Mindestlohn. Dafür ließen sie sich dann auch noch feiern.
Wer »Viel zu bieten« gesehen hatte, weiß »Bares für Rares« plötzlich zu schätzen. Das große Vorbild – »Kunst und Krempel« vom Bayerischen Rundfunk – wird hier mit sanfter Walldorfpädagogik und gepflegter Auktionshausatmosphäre gekreuzt. Da bekennt Lichter nach drei Minuten, dass es einen ganz besonderen Menschen kennengelernt habe. Oder alles ist »wie ein Träumchen«. Es ist interessant, dass er sehr oft die Grenzen dessen, was man Privatsphäre nennt, nicht nur berührt, sondern bewusst verletzt. Er will diese übertriebene Harmonie und unterschwellig bekommt es der Sendung sehr gut. Sogar wenn ein Verkäufer (oder eine Verkäuferin) hilflos vor den zaudernden Händlern steht, eilt er hinauf und erklärt erst einmal, was Sache ist.
Derlei Interventionen sind jedoch eher selten, denn es gehört zum Konzept, dass die Händler nicht als raffgierige Schlechtredner auftreten, sondern ebenfalls »menscheln«. Schnell erkennt man die Rollenspiele. Da ist der knorrige Prolet aus der Eifel der sogar bei den britischen Kronjuwelen noch mit einen Startgebot von »80 Euro« beginnen würde. Dann die distinguierte junge Schmuckhändlerin. Der freundlich-charmante Österreicher mit Gelfrisur, der einem sofort Vertrauen einflößt. Das Punk-Küken aus dem Osten mit eigenem Schloss. Der alt-bajuwarische Philanthrop und Frauenverehrer mit Hemden, die selbst Jürgen von der Lippe nicht freiwillig angezogen hätte. Das ist die Stammbelegschaft aber daneben gibt es noch zahlreiche andere Protagonisten, die allesamt leicht in bestimmte Schemata einzuordnen sind. Vieles würde ohne die Fernsehkameras nie angekauft werden, aber die Aufmerksamkeit, die diese Sendung verspricht, hilft es so manchen Fehlkauf zu verschmerzen.
Nur selten wird diese Harmonie gestört. Einmal wurde für ein hoch eingeschätztes Objekt nur etwas mehr als ein Drittel geboten. Die obligatorische Frage »Wollen Sie das Geschäft mit XY abschliessen« nervte den Verkäufer. Er negierte ein wenig barsch. Das lockende »Hier bekommen Sie aber sofort Bargeld« wurde von ihm schließlich gekontert mit »Ich brauche das Geld nicht sofort« und in diesem Augenblick bröckelte kurz die Fassade. Darauf ist man nicht eingerichtet und wenn es einmal zäh läuft legt man auch schon einmal als Lockangebot das Geld auf den Tisch. Tritt dann der Verkäufer auf den Tresen zu, ist das Geschäft besiegelt. Dieses allzu deutliche Herausstellen dieses Verkaufscharakters stört jedoch die Aura der Sendung; es geschieht zum Glück selten. Und immer bleibt der Ausweg: Man muss nicht verkaufen, obwohl es manchmal ein bisschen beleidigt wirkt, wenn Verkäufer ihr Stück wieder mitnehmen.
Natürlich stellt man sich die Frage wieviel nun Fake ist. Woher wissen die Experten die Daten des französischen Porzellanmalers so genau? Wie kann man wissen, wann das Spielzeugauto produziert wurde? Und warum hat der Händler genau die 570 Euro in der Tasche, die der Verkäufer erlöst hat? Und was geschieht mit all denen, die sich in die Schlange angestellt haben und nicht das ominöse Eintrittskärtchen erhalten?
Ungeklärt bleibt auch, an wen die Händler die Artikel verkaufen (abgesehen davon, dass nun Millionen Leute den Einkaufspreis kennen). Denn wer legt heute noch Wert auf eine Taschenuhr die einhundert Jahre alt ist? Wer dekoriert seine Wohnung mit einem Teeservice von 1880 aus Silber? Wer kauft einen Anhänger aus der Jugendstilzeit? Warum eine Meissenfigur? Es müssen allesamt Menschen sein, die sich der Waren- und Urlaubswelt entzogen haben bzw. für einen Moment entziehen wollen. Zeitreisende vielleicht. Oder Sammler, die dann irgendwann selber ihre Sammlung wieder verkaufen. Dabei sind es die rührendsten Momente, wenn Sammler ihre Stücke verkaufen, die Sammlung »auflösen« wie es heißt, und die jahrzehntelange Beschäftigung und Hingabe nur ein paar hundert Euro einbringt, weil »der Markt« inzwischen zusammengebrochen ist (was allzu oft stimmt) oder die gesammelten Stücke eben doch nur »Flohmarktfunde« sind (das ultimative Todesurteil jedes Artikels). Der Kaufkraftschwund ist es dabei nicht, eher der ideelle Verlust, der wirklich schmerzt. Das Wissen um das Unhonorierbare und daher im heutigen Denken praktisch wertlose dessen, was man einst mit Schönheit und Ästhetik verband und dem man sich ein Stück weit hingab. Die Botschaft ist deutlich: Sammlungen versprechen nichts mehr; sie sind nicht amortisierbar. Ihr Wert ist oft nur außerhalb eines »Marktes«. Wenn der Ausverkauf droht, wird es bitter. Dann versöhnt auch die Aussicht auf einen Urlaub nicht mehr.
Die Erkenntnis, der aus dieser Sendung kommt und ein Trost sein könnte liegt darin, dass der Ramsch, der seit Jahrzehnten Kaufhäuser und Geschäfte vollstopft, für immer wertlos bleiben wird. Unvorstellbar, dass jemand irgendwann einmal heutige Gebrauchsgegenstände zum Ankauf anbietet. Aber bis dahin laufen immer mehr Entrümpler und Schatzsucher mit Lupen über die Dachböden und Trödelmärkte und entziffern Punzen und Signaturen. Die Händler stöhnen längst. Jeder macht sich über Nacht zum Hobbyexperten. Wo einst die »Dingse vom Dach« ein harmloses Ratevergnügen versprachen, wird nun alles liquidiert, was nicht mehr in die Einrichtung passt. Das Fernsehen beginnt derweil das Genre auszubeuten. Zwischenzeitlich gab es mit »Clever abgestaubt« in zdfneo eine Mischung aus Quiz und Trödelshow, die recht schnell wieder in der Versenkung verschwand. »Gut geschätzt gewinnt«, vom ZDF im Mai gestartet (eine eher undurchsichtige Spielshow) gibt es noch. Inzwischen ziehen auch andere Sender nach. Es droht eine mediale Invasion und irgendwann kann man die Expertisen schon vom Fernsehen aus vornehmen und das soundsovielte Schuco-Modellauto oder die ewig bekannte und beliebte Meißenfigur machen den Zuschauer ab einem gewissen Punkt müde. Aber Kochshows gibt’s ja auch immer noch. Das ist dann allerdings kein Trost – eher eine Drohung.
Vor ein paar Jahren hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, solche Erbstücke zu versilbern. Der Besuch bei einigen Händlern hatte schon verschiedenste Formen des Ekels heraufbeschworen, als ich dann doch noch auf sympathische Menschen in einem Auktionshaus gestoßen war.
Konsens bei den Händlern war, dass die Käufer solcher Preziosen gerade aussterben. Zumindest bei uns. In Russland und China z.B. kann alteuropäischer Chic wohl noch punkten. So kann bei den Versteigerungen des Aktionshauses auch via Internet aus dem Ausland mitgeboten werden. Ich habe dort selbst noch für »Meißen mit abgebrochenen Flügeln« Summen erhalten, mit denen ich nicht gerechnete hätte.
Meine Tochter liebt diese Sendung übrigens. Ich habe die Dialektik zwischen (gespielter) Freude über Schönes und Feilschen um 10 Euro nicht verstanden und fühlte mich lediglich abgestoßen.
Zur »Rechtfertigung« meines Beitrags kann ich vielleicht anbringen, dass ich beruflich jahrzehntelang in (Groß-)Händlerkreisen verkehrte und davon lebte. Da wurde selbst in der Industrie um Zehntelpfennige gefeilscht. Am schlimmsten waren die kleinen Unternehmen. Einer bekam einmal im Jahr 30 Säcke einer teuren Chemikalie. Wir hatten diese vom Hersteller importiert. Das Nettogewicht pro Sack war mit 20 kg angegeben. Der Inhaber nahm die Ware an und verwog eigenhändig die 30 Säcke, verfasste ein »Gewichtsprotokoll« und stellte am Ende 300 gramm Fehlgewicht fest. Das Produkt kostete rund EUR 12/kg. Die 4 Euro zog er von der Rechnung ab. Dabei hatte man noch Glück, dass er die Arbeitsstunde für das Wiegen nicht in Rechnung stellte.
Auf Büchermärkten erlebe ich ständig dieses Feilschen um 1 oder 2 Euro. So etwas stösst mich auch immer ab. Ich kaufe die Bücher einfach nicht, wenn sie mir zu teuer sind.
Schöner Beitrag, danke. Freunde alter technischer Gerätschaften (wie z.B. von HiFi-Tonbandgeräten und anderem Audio-»Geraffel« aus den 1970ern) wundern sich zuweilen sehr über die läppischen Erlöse, die die Besitzer derartiger Preziosen in »Bares für Rares« erzielen, obwohl für diese Geräte (immer noch) ein breiter Sammler-Markt existiert.
Gerade bei technischem Gerät, welches schon anhand der Typenbezeichnung eindeutig spezifizierbar ist, kann doch jede(r) heutzutage in Sekundenschnelle herausfinden, was vergleichbare Teile wert sind bzw. einbringen können. Eine eBay-Recherche zu unterlassen, sich der fragwürdigen Expertise von TV-Show-Händlern in einer weitgehend gescripteten Sendung auszusetzen und hernach nur mit einem Bruchteil des bei Direktverkauf erlösbaren Geldes heimzugehen, ist nach meinem Dafürhalten nicht rational zu erklären. Oder etwa doch?
Lesetipp:
http://old-fidelity.de/thread-18183.html
(leider nur für angemeldete Foristen sichtbar)
Naja, die Expertisen werden ja nicht von den Händlern erstellt. Und es wird ständig betont, dass es sich bei den Aufkäufern eben um Händler handelt und nicht um Sammler. In der Zusammensetzung der Händler mendelt sich mit der Zeit heraus, dass diese gerade von elektronische Gerätschaften wenig bis gar keine Ahnung haben, was damit zu tun haben könnte, dass sie das nicht schwerpunktmässig verkaufen. Es geht in der Sendung tatsächlich mehr um Schmuck, Uhren, Porzellan, Gemälde, Silber bzw. alles andere was zwischen 1870 und 1930 hergestellt wurde. Das bildet wohl den Schwerpunkt der Kunden ab, die die Händler haben.
Dennoch ist die Sendung gescripted, d.h. die Händler und die Gutachter wußten vorher, was sie zu sehen kriegen (und konnten sich entsprechend schlaumachen). Der Focus liegt auf Unterhaltung und nicht auf Erkenntnisgewinn... Und es bleibt die Frage, warum jemand einen Zwischenhändler mitverdienen läßt bei Artefakten, deren aktueller Wert sich leicht ermitteln läßt.
Naja, die Sendung dürfte mindestens zum Teil gescripted sein. Und zur Not gibts ja bei den Händlern immer noch ein Tablet auf dem man ganz schnell Preise nachschlagen kann.
Die Suche nach einem echten Sammler gestaltet sich für einen Verkäufer unter Umständen recht zeitaufwendig, so dass man dann lieber auf Händler zurückgreift. Zudem spielt wohl der Faktor des »Dabeigewesen-Seins« eine Rolle, d. h. die Verkäufer möchten einfach auch mal ins Fernsehen.
Ästhetik, Atmosphäre und Inszenierung spielen in der gegenwärtigen Ausprägung des Kapitalismus’ »unserer« Gesellschaften eine große Rolle, weil nur sie noch Wachstum versprechen, das Unnötige wird funktionalisiert, im Sinne eines »Mehr« an Leben, demgegenüber schwindet der Gebrauchswert der Waren, horizontale Schichtungen der Gesellschaft entstehen, eine Art gruppierender Luxuskonsum, weit jenseits dessen was Bedürfnis ist (in diesem Bändchen knapp, präzise und kritisch beschrieben).
Damit wäre der Sinn »des Dabeiseins« umrissen, der doch über ein bloßes Dabeisein hinausgeht: Der Verkäufer und sein Gegenstand (seine Gegenstände) erscheinen in einem anderen Licht und fühlen (oder leben) durch den Auftritt anders (systemlogisch gesehen). Rational ist das nicht oder dann doch wieder.
Interessant ist, was Antiquitäten, Krempel, Raritäten,..., in diesem Zusammenhang bedeuten könnten, wenn sie nicht Gegenstand einer Sammeltätigkeit sind (ich las einmal, müsste nachsehen wo, davon, dass innerhalb der Moderne ein historisierendes, ordnendes Bewusstsein nötig sei, da sie ja eine Fortschrittsbewegung darstelle und dem Neuen einen besonderen Status beimesse, man muss also wissen, was überholt ist): Haftet an ihnen nichts Gegenwärtiges mehr, dann könnte man in postmodernen Zeiten davon ausgehen, dass das Interesse an ihnen, in dem oben skizzierten Zusammenhang, gering ist, weil es – sozusagen – nicht verstanden wird (oder eben nur in Ausnahmefällen Verwendung findet): Mit einem Adelsbrief aus dem 18 Jhd. kann man sich heute nicht wirksam inszenieren, mit einem Fleece von Jack Wolfskin hingegen schon.
Den Adelsbrief gab es heute. Er fand keinen Käufer, weil die Differenz zwischen Gebot und Wunsch zu groß war (1100 vs 3000). Typisches Sammlerstück; Händler haben da unter Umständen Jahre auf Lager.
Der Wert der veräußerten Gegenstände macht sich nur noch am Marktpreis fest. Nie erfährt man besser, was es bedeutet, wenn sich etwas nach Angebot und Nachfrage richtet. Stücke, die in mühevoller Handarbeit gefertigt wurden, werden kaum mehr den Wert dieser Handarbeit erlösen (es gibt seltene Ausnahmen). Ein 150-teiliges Porzellanset aus dem Jahr 1930 – komplett und gut erhalten – bringt gerade einmal 280 oder 300 Euro. Anschaffungspreis war über 3000 (umgerechnet auf Kaufkraft noch höher).