Da ist sie also wieder, die Medienkritik. So zuverlässig wie Politiker auf »unsere Werte« rekurrieren und »Konsequenzen« ziehen wollen, so zuverlässig diskutiert man in den Medien über die Medien und deren Berichterstattung nach Terrortaten, Amokläufen und anderen Gewaltexzessen. Zwei Lösungen scheinen sich anzubahnen: Zum einen sollen die Täter nicht mehr genannt, mindestens jedoch nicht mehr im Bild gezeigt werden. Letzteres geschieht ja ohnehin kaum; stattdessen wird auf dem zur Fußball-EM angeschafften Fernseher mit 110 cm Diagonale ein verpixelter Haufen gesendet, was man sich tatsächlich sparen könnte. Auch Ausschnitte aus eventuellen Propagandavideos sollen nicht mehr gezeigt werden. Die nächste Forderung ist vermutlich, dass man nicht mehr über die Taten berichten soll.
Tatsächlich lebt der Terrorismus (und nicht nur er) von den medialen Wirkungen, die er erzeugt. Nahezu alle seriösen Quellen, die sich mit Terrorismus beschäftigen, interpretieren solche Taten auch als kommunikative Akte. Terrorismus ist eine perverse Form von Sprache; verwendet von denen, die sich bewusst sind, in einer machtlosen Position zu sein und auch zu bleiben. Der Terrorist weiß, dass er die politischen Verhältnisse mit seiner Tat nicht ändern wird. Er braucht einen Sinn jenseits des rationalen Diskurses. Diesen Sinn findet er in einer Ideologie und/oder der Religion.
Der Terrorist spricht aber durch die Tat auch zu seinen Sympathisanten. Er sagt: Wir sind da. Und wir können etwas bewegen. Das Ziel des Terrorismus ist es (mindestens zunächst) nicht, die Gesellschaft im Sinne seiner Ideologie zu verändern. Das Ziel besteht darin, die Gesellschaft pauschal zu verunsichern. Die Botschaft ist eindeutig: Keiner ist mehr sicher. Jeder ist schuldig – ob Politiker oder Marktfrau, ob Prominenter oder Priester. Es gilt das Momentum des Schicksals: Wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann zum Opfer werden.
Diese Botschaft muss immer wieder durch neue Aktionen erneuert werden. Inzwischen agieren die Sympathisanten vermutlich weitgehend selbständig. Ob Metropole oder Kleinstadt, ob Kirche oder Musikfest – kein Ort ist mehr »sicher«. Dabei ist es auch egal, welche Dimensionen ein solcher Anschlag hat. Sicher ist: Jede Tat erhält eine nahezu globale Aufmerksamkeit. Ein bisschen als sich das Andy Warhol mit seinen 15 Minuten Berühmtheit vorgestellt haben dürfte.
Ist es daher nicht vernünftig, die Berichterstattung zurückzufahren? Bei Autounfällen schaffen es ja auch nur die spektakulären in die Nachrichten. Und von den Schusswaffenanschlägen in den USA erfahren wir auch nur, wenn diese rassistisch motiviert sind. Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass die Zahl der Schienensuizide zurückgegangen war, wenn nicht ständig in den Durchsagen und in den Medien darauf hingewiesen wurde. Und spätestens jetzt ist man beim Nachahmereffekt, gelegentlich auch »Werther-Effekt« genannt.
Der »Werther-Effekt« rekurriert auf den Roman »Die Leiden des jungen Werthers« von Johann Wolfgang Goethe, der 1774 erschienen war. Die Hauptfigur des Romans ist Werther, der sich, wie man zu Beginn erfährt, in eine Frau verliebt hat und nun das dadurch das Leben hoffnungsfroh und zuversichtlich sieht. Jeder kennt das Ende: Werther konnte seine Liebe nicht gewinnen (die Gründe waren vielfältig) und er erschießt sich. Goethe schildert diesen Tod nicht als zwangsläufigen Akt eines psychisch Gestörten. Noch Sekunden vor der Tat hat Werther die Möglichkeit, davon abzulassen. Er macht es nicht, weil er nach Abwägung in seinem Leben keinen Sinn mehr sieht. Der Roman löst auch heute noch beim Leser eine starke Erregung aus. Der Grund ist einfach: Über mehr als einhundert Seiten lernen wir eine Person kennen. Wir nehmen Anteil an seiner Freude, an den Schönheiten der Natur, die er erlebt, an seiner Liebe (die, wie er glaubt, auch erwidert wird). Und wir erfahren in allen Details seine Verzweiflung. Goethe erzeugt einen hohen Grad von Empathie für die Hauptfigur (ein Grund übrigens, warum er später diesen Roman nicht mehr mochte). Ähnliches wurde durch das Fernsehen 1981 mit der ZDF-Serie »Tod eines Schülers« erreicht. Im Lesen eines Romans wie im Anschauen einer Fernsehserie beschäftigt sich der jeweilige Rezipient stunden- ja tagelang mit den Protagonisten und natürlich auch der Hauptfigur. Es entsteht eine starke emotionale Verstrickung. Man entdeckt Parallelen (und auch Unterschiede), Wesensgemeinsamkeiten und –fremdheiten. Mitleid und Schrecken, ähnlich wie in einer griechischen Tragödie, sind die Folgen. Der Unterschied zur Definition der Tragödie liegt darin, dass es nicht zur Katharsis, zur Reinigung kommt. Der Rezipient muss sich sozusagen selbst mit dem Schopf aus dem Sumpf ziehen.
Der Werther-Effekt beruht also auf einer längeren emotionalen Bindung an eine Figur, die sich unter Umständen in einer ähnlichen, vielleicht labilen Gemütslage befindet wie der Rezipient. Die Romantik des späten 18. Jahrhunderts war voller unglücklicher Liebesverhältnisse. Diese Gefühle traf Goethe genau. Der harmlose Werther-Effekt bestand darin, sich gemäß Werther zu kleiden und zu reden. Nicht eindeutig belegbar sind die zum Teil hohen Zahlen der Suizide, die mit dem Buch in Verbindung gebracht wurden. Das Buch wurde tatsächlich 1775 in Leipzig (und später auch in anderen Städten) verboten. Allerdings weniger aus Fürsorgepflicht denn aus der Sorge, der Freigeist und Rebell Werther, der auch an den gesellschaftlichen Konventionen Anstoß nahm, könnte zu politische Unruhen Anlass geben.
Also gibt es Nachahmungstäter? Studien zeigen dies durchaus. Je prominenter ein Suizident ist, desto eher steigt die Quote der Suizide in der Bevölkerung an. Aber welche Folgen hat das? Dass man über den Tod von Marilyn Monroe (angeblich Suizid) besser nicht berichtet hätte? Dass man keine Trauerfeier im Stadion zum Gedenken an Robert Enke veranstaltet hätte? Dass man Alter, Geschlecht, Herkunft und Biografie der Terroristen nicht publiziert? Dass man auch den Massenmörder B. aus Norwegen nicht mehr zeigt? Oder gar, man stelle sich das vor, Dokumentationen zu Nazi-Verbrechern anonymisiert und verpixelt oder, noch verrückter, aus den Buchläden und Fernsehprogrammen verbannt? Demnächst noch die Übertragung von Autorennen verbieten, weil es zu Nachahmern führt, die in Innenstädten Rennen veranstalten? Paradox wird es ja, wenn die Verfechter der anonymisierten Berichterstattung aus Furcht vor Nachahmern im gleichen Atemzug Killerspielen wie Counterstrike (die auch noch, wie man neulich hörte, in psychiatrischen Behandlungshäusern gespielt werden dürfen) keinerlei Auswirkungen attestieren. Einen solchen Spagat muss man erst einmal hinbekommen.
Aber wo bleibt eigentlich die Essenz unserer sogenannten Werte, die Aufklärung? Was ist mit all den Versuchen, historische Begebenheiten (Terroranschläge sind nichts anderes) als solche zu benennen, Ursachen auszuforschen und zu bewerten? Und dann stellt sich noch die Frage, warum die Gesellschaft derart wenig Zutrauen zu sich selber hat, dass sie glaubt, Jugendliche würden durch allzu viele Informationen und Bilder über die Terroristen angestachelt? Als könnten sie sich wo auch immer nicht diese Informationen schon selber besorgen.
Von Angsthasen werde ein »kein-Forum-Bieten-Journalismus« betrieben – so reagierte Malte Herwig neulich in einem Tweet auf meine Verblüffung, dass man sich darüber aufregt, dass (nicht unbedingt nur: wie) die ARD den türkischen Präsidenten Erdogan interviewt habe. Auch hier diese Furcht, die in seltsamem Kontrast zu unseren doch angeblich so standhaften Demokratie und tollen Pluralismus steht: Alles, was nicht gefällt (die Gründe hierfür mögen ja noch so ehrenhaft sein), soll nicht mehr diskutiert, sondern am besten sofort aus dem Diskursraum entfernt werden. So entstehen – das müsste man eigentlich wissen – eher mehr als weniger Verschwörungstheorien. Und man sollte den Rezipienten ja selber überlassen, ob sie sich den Tort eines Erdogan-Interviews antun, auch wenn es als »Interview« oder »Gespräch« journalistisch missglückt ist.
Sicher, man muss nicht über jedes Stöckchen springen, welches populistische oder rassistische Politiker hinhalten. Aktuell instrumentalisiert Donald Trump geradezu perfekt die Medien für sich. Melden muss man das schon; alleine die Tatsache, dass er – heute – fordert, russische Hacker sollten das Mailkonto von Hillary Clinton hacken, spricht für sich selber. Und daher muss man auch nicht bei jeder Meldung über Trumps Geschwätz die psychologische Behandlungscouch hervorziehen. Der richtige Trump-Anhänger wird es nicht lesen.
Wer Angst vor Nachahmern hat, sollte vielleicht demnächst auch die überbordende Zahl von »Krimis« reduzieren, die wie Gülle in die Fernsehkanäle eingesickert sind und die einem, wenn man das tatsächlich schaut, das Gefühl vermitteln, ein Mord sei so selbstverständlich wie eine Geschwindigkeitsübertretung. Wer dies möchte, könnte auch Spielfilme von Kultregisseuren zensieren, in denen literweise (falsches) Blut fließt. Wer ernsthaft glaubt, die Heroisierung von Terroristen würde auf ARD, ZDF, RTL oder N24 betrieben, ist grenzenlos naiv.
Und noch eine Frage stellt sich bei dem virulent vertretenen Angsthasenjournalismus: Wie sieht es mit unserer Erinnerungskultur aus? Die hat ja schon seit der Auseinandersetzung um das »Recht auf Vergessen« eine größere Delle erfahren. Wenn man jedoch die vorauseilende Angst vor Nachahmungen ernst nimmt, müsste man auf die in den letzten Jahren fast schon rituell gewordenen Erinnerungen kleiner und größerer Katastrophen beispielsweise in den Hauptnachrichtensendungen des Fernsehens verzichten. Tatsächlich ist nicht immer ganz einzusehen, warum die Erinnerungsdaten derart fest einzementiert werden. Muss es wirklich sein, jedes Jahr auf den 24.3., 22.7., 11.9. und demnächst dann 13.11. hinzuweisen? Wäre es nicht wirklich besser, auf diese in Floskelwolken regelmässig erstickenden Erinnerungsrufe, zu verzichten? Der Journalist Frank Lübberding wies neulich darauf hin, dass solche Art des Denkmaltums immer auch aufs Neue den/die Täter in den Fokus rückt. Bedeutet Erinnerung immer auch das zwanghafte Daran-Denken-Müssen?
Medienkritik müsste die beiden unterschiedlichen Pole zwischen legitimem Informationsbedürfnis und bloßer Schau- und Sensationslust ausloten und benennen. Es mag ja für die persönliche Hygiene angebracht sein auf Figuren wie Broder oder gar Ulfkotte einzudreschen und der Bild-Zeitung oder auch allen anderen vorzuwerfen, ein Portrait nicht ordnungsgemäss verpixelt zu haben. Das sind gutgemeinte Reflexe; mit ernsthafter Medienkritik hat das nichts zu tun. Ein Gastrokritiker besucht schließlich auch keine McDonalds-Läden. Auch der Wunsch mehr gute Nachrichten zu verbreiten, ist eher ein hilfloser Akt denn seriöse Auseinandersetzung. Das erinnert von Ferne an den Witz, dass der Nachrichtensprecher meldet, heute seien 3.476 Flugzeuge gestartet und 3.475 ordnungsgemäß gelandet.
Keine Frage: Die Medienkritik ist im gleichen Dilemma wie der Journalismus, den sie kritisiert. Sie soll (glaubt, zu sollen) im tagesaktuellen Modus die Berichterstattung über das Gesehene, Gehörte, Gelesene einordnen. Damit befindet sie sich selber in Teufelskreis einer Aktualität, die, so wird uns immer noch erzählt, von uns gewünscht wird. Wie hilflos dieser Aktualitätszwang wird zeigt sich immer wieder, wenn »Breaking News« auf dem Schirm kommen. Es ist schwierig, dem Sende- und Publikationszwang zu entkommen. Selbst die heftigsten Spontankritiker auf Twitter, die die bei dieser Gelegenheit überbordende Dominanz des Konjunktivs beklagen, bleiben »dabei«.
Das ist übrigens kein Phänomen der neuen Zeiten, des Internets. Der größte Sündenfall geschah im August 1988 mit der Geiselnahme von Gladbeck. An dieses Ereignis wird glücklicherweise in den Nachrichten nicht mehr erinnert. Allerdings sollten sich angehende und vielleicht auch einige praktizierende Journalisten damit immer wieder einmal beschäftigen. Als abschreckendes Beispiel.
Der Terrorist weiß, dass er die politischen Verhältnisse mit seiner Tat nicht ändern wird.
Damit bin ich nicht einverstanden. Die Anschläge von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen waren, so meine Erinnerung, erfolgreich, weil sie von der parlamentarischen Mehrheit als Ausdruck des Volkswillens verstanden wurden. Der Erfolg bestand darin, dass sich eine Mehrheit für Einschränkungen des Asylrechts fand.
Hoyerswerda und Rostock waren keine Terroristen, sondern Verbrecher.
Eine verrückte These: es könnte eine Verunsicherung darüber geben, wie die Opfer-Täter-Kategorien bei den verschiedenen Attentats-Formen anzuwenden wären. Wir beobachten arrogante Menschenschlächter, Dschihadisten, Amok-Schützen und »Selbstmord-Attentäter«. Das ist eine Gemengelage. In einer Anzahl (aber eben nicht ausschließlich, daher die Verunsicherung) der Fälle kommen suizidale Aspekte zum Vorschein, die den Täter dialektisch auch als Opfer kennzeichnen.
Eine Abbildung der Täter in allen Fällen ist sehr zweideutig, es könnte zu Momenten der Empathie beim Betrachter kommen, und diese Empathie könnte von dem einen Fall auf den anderen Fall ÜBERGEHEN. Richtig, das ist absurd. Denn das impliziert, dass sich ein Mitgefühl in Bewunderung verwandeln könnte.
Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass Menschen eine gewisse Sorge plagt, dass sie a) Gefühle nicht unterscheiden, und b) Gefühle häufig von anderen fehleingeschätzt werden, sodass es manchmal ehrenrührig wird?!
Das ist klassisch neurotisch, werden sie sagen. Und es stimmt. Aber haben unsere Journalisten kein Anrecht auf ein bisschen Neurose?!
Also, meine These, wenn Sie so wollen, wäre: politische Linietreue trifft psychologisch überforderten Alltagsverstand des Journalisten.
Mag sein, dass sich bei einigen ein Gefühl der Bewunderung einschleicht. Aber hierfür bedarf es nicht der »offiziösen« Medien; es gibt genug Nischendreck im Netz, der das noch entsprechend untermalt. Denken Sie daran, dass »der« IS scheinbar praktisch jedes Attentat für sich einfach übernimmt. Beim näheren Hinsehen wird dann klar, dass der Täter jemanden kannte, der jemanden kannte, etc.
Interessanter finde ich den Gedanken der vollkommenen Anonymisierung dahingehend, dass sich hier ein Verfahren aufbaut, dass alles Unangenehme plötzlich entpersonalisieren möchte. Das ist sehr ungewöhnlich, denn Medien neigen ja dazu alles sofort zu personalisieren, um ihm ein Bild zu geben. Das gilt auch für all die negativen Figuren wie Trump, Erdogan oder Putin. Ausgerechnet bei eindeutigen Mördern und Verbrechern lässt man davon ab – zum einen, weil man die Privatsphäre der Verbrecher schützen möchte und zum anderen um Nachahmer zu verhindern. Beides mag seine Berechtigung haben, führt dann am Ende aber zu im wörtlichen Sinn gesichtslosen Taten, die dadurch eine neue, andere, eventuell verhängnisvollere Aura erhalten. Dem gegenüber stehen die ständig präsenten Bilderbögen der politischen Schurken. Auf die Idee Erdogans Bild zu verpixeln, um nicht noch mehr Anhänger in Deutschland zu erzeugen, ist noch niemand gekommen. Das wäre ja auch absurd, zumal Erdogan als »Person der Zeitgeschichte« gilt. Aber ein Terrorist, der 100 Menschen erschießt, ist es womöglich auch.
In Wahrheit geht es darum, wie stabil eine Gesellschaft ist und was man ihr zumuten kann. Die Diskussion um die Veröffentlichung nebst Kommentierung von »Mein Kampf« zeigt dies besonders. Auf der einen Seite die paternalistischen Beschützer auf der anderen Seite die Verfechter der Meinungsfreiheit. Wie groß das Interesse ist zeigt sich ja darin, dass die kommentierte Ausgabe von 2015 ein Bestseller wurde. Es besteht also ein Interesse, ohne dass diese Leute Nazis wären (die Neo-Nazis haben das Ding längst im Netz oder anderswo).
Dass das Buch heute eine Strahlkraft jenseits derer, die bereits mit dem Neonazi-Virus infiziert sind, haben könnte, erscheint mir absurd. Zumal ja in der kommentierten Ausgabe die historischen Fehlschlüsse und Lügen des Autors behoben wurden.
Hoyerswerda und Rostock waren keine Terroristen, sondern Verbrecher.
Gut. Die Ermordung Rabins. Danach war die israelische Gesellschaft eine andere. Das war ein Ziel des Attentäters.
Im Buch von Richardson kann man die inzwischen weitgehend akzeptierte Definition von Terrorismus nachlesen. Sie lautet, kurz gefasst: »Terrorismus bedeutet einfach, für politische Zwecke planmässig und gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen.« Weiter heisst es bei ihr: »Das...wichtigste Merkmal des Terrorismus ist, dass er sich bewusst gegen Zivilisten richtet. Das unterscheidet ihn von anderen Formen politischer Gewalt, auch vom eng verwandten wie dem Guerillakrieg. [Das Töten von] Nichtkämpfenden ist kein Unfall oder unbeabsichtigter Nebeneffekt, […] sondern strategisch geplant. « Ein wichtiger Punkt ist übrigens auch die Verbreitung der Tat über die Medien und die Platzierung der »Botschaft«.
Insofern ist der Mord von Rabin – der tatsächlich die israelische Gesellschaft nachhaltig verändert und bestimmt hat – kein Terrorismus. Er richtete sich gegen eine verhasste Person (hier ein Politiker). Demzufolge sind Attentate (Lincoln, Kennedy, Rabin) keine terroristischen Aktionen, auch wenn dabei womöglich andere Personen ums Leben kommen sollten.
Daher ist es mindestens ungenau von den Charlie-Hebdo-Killern von Terroristen zu sprechen (obwohl sie auch Polizisten ermordet haben). Ihr Angriff galt gezielt den Herausgebern und Zeichnern einer Zeitschrift.
Man könnte ketzerisch Fragen, ob es nicht eher maternalistische Beschützer sind. Deutschland und damit auch die öffentliche Meinung ist weiblicher geworden. So wie Paternoster plötzlich Todesfallen sind, mag vielleicht auch der Journalismus kuscheliger geworden sein. Schaut man sich den Autoaufgalopp morgens an unseren Schulen an, könnte man auf die Idee kommen in Aleppo zu wohnen. Die Anzahl der Beispiele ist Legion. Chauvinistisch? Vielleicht. Entspricht aber meiner Wahrnehmung.
Naja, der Vergleich mit Aleppo ist gewagt.
Die Idee mit dem maternalistischen Beschützen ist interessant, weil ja verblüffenderweise seit einigen Jahren als Spitzname für die Kanzlerin »Mutti« im Gespräch ist. Eigentlich kann dieses Etikett von Anfang an nur pejorativ gedacht gewesen sein, denn erstens ist Merkel kinderlos und zweitens ist ihr Verhalten als Parteivorsitzende einer (mindestens damals männlich dominierten CDU) nie »mütterlich« gewesen. Man muss allerdings sagen, dass Muttergefühle in politischen Auseinandersetzungen wenig karrierefördernd sind.
Ich hatte weniger an Merkel, als an die Journalistinnen gedacht, die nicht nur andere Themen setzen, sondern auch anders berichten. Natürlich gibt es bei jedem Geschlecht die volle Bandbreite, aber Frauen sind im Mittel konsensorientierter und eher bei speziellen Themen fokussiert (puh, Klippe umschifft). Das führt dann nicht nur zu anderer Gewichtung, sondern auch zu anderen Schlussfolgerungen. Merkel ist mit ihrem Opportunismus da eher eine Ausnahme. Und die Mutti habe ich ihr noch nie abgekauft.
Sorry, dann habe ich das missverstanden. Ich bemühe mich ja immer zunächst den Autor eines journalistischen Artikels so weit es geht zu ignorieren bzw., wenn das nicht möglich ist, ihn einigermaßen vorurteilsfrei zu rezipieren. Bei einigen AutorInnen gelingt das nur schwierig; manche lese ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Ich glaube, dass das Geschlecht weniger eine Rolle spielt als die politischen und sozialen Prägungen, die am Ende dann das Weltbild formen. Mich amüsieren die Attribute wie »weibliches Schreiben« oder »Frauen lesen...« eher; besonders wenn es fast religöse Ausmaße annimmt. Es ist ja ein Märchen, dass der Journalismus heute weniger kathederhaft ist als früher. Er ist es auf eine perfide Art und Weise sogar mehr. Ohne das empirisch belegen zu können glaube ich dass die Toleranz- und Meinungsvielfalt in den 1970er und 1980er-Jahren sehr viel ausgeprägter war.
Komme zu spät, noch zu #4: guter Gedanke, die prominenten Schurken sind ausgewiesen, und ein subalternes Heldentum wird nicht geduldet.
Ich meine zu ahnen, dass hinter dem Entzug der Publizität auch die Vorenthaltung der Anerkennung steckt.
»Der Gegner hat kein Gesicht«, kann ja sehr unterschiedlich gedeutet werden.
Die paranoide Variante lautet: die Gefahr lauert überall, es ist keine Person, sondern eine Ideologie.
Die Verdränger-Variante, um die es sich eher handeln dürfte, lautet: der Gegner kann als Person nicht wahrgenommen werden, weil er den kultur-immanenten Anforderungen nicht entspricht. Person und »Problem« fallen komplett auseinander.
Ich kann Gregor zustimmen: die De-Personalisierung scheint auf einen Zusammenhang von Person (Identität) und Wahrnehmbarkeit hinzudeuten. Die Anti-These würde behaupten: es nützt nichts, die Fotos zu veröffentlichen, ihr könnt darauf nicht erkennen, dass es Terroristen sind.
Der Terrorismus wird als ein Sachverhalt behauptet, der keine Sichtbarkeiten bei den Personen impliziert. Dass es sich in Regel um Abkömmlinge aus dem muslimischen Kulturraum handelt, ist erst recht irrelevant.
Die Abstraktion des Tatbestands hat also den glücklichen Nebeneffekt, dass man die eminente Kulturschwelle, die sich zwischen Europa und dem Nahen Osten bemerkbar macht, weiterhin leugnen kann.
Es lebe die Globalität, weg mit den Gesichtern!
Die Anti-These würde behaupten: es nützt nichts, die Fotos zu veröffentlichen, ihr könnt darauf nicht erkennen, dass es Terroristen sind.
Ja, das ist ein sehr interessanter Gedanke, auf den ich nicht gekommen wäre. Indem die gezeigten Täter als solche nicht den (gängigen) Klischees von Dschihadisten entsprechen, würde, so diese These, das zeigen der Fotos nur den Grad der Verunsicherung steigern.
»Terrorismus bedeutet einfach, für politische Zwecke planmässig und gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen.«
Das ist aber eine sehr einschränkende Definition, die sicher nicht den Terrorismusbegriff der Medien abdeckt. Darunter würde nicht mal die RAF fallen.
Aber egal, das ist ja eine Nebensache; es ging ja um die Darstellung. Meiner Erinnerung nach hat die Sympathisantenszene in den 70ern mit dem Verschwinden von Stars wie Baader und Meinhof abgenommen – die dritte Generation war weitgehend unbekannt. Korrelation oder Kausalität? (Vermutlich ersteres.)
Die RAF hatte ja durchaus zunächst die Absicht, zivile Personen von ihren »Taten« zu verschonen (Botschaftsangehörige, Wachmänner und Polizisten gehörten nicht dazu, die wurden einfach unter »System« subsumiert). Bei der Buback-Entführung wurde dieses »Tabu« 1977 mit der Ermordung des Fahrers aufgeweicht. Mit der Entführung der »Landshut«-Maschine fiel es dann endgültig.
Die dritte Generation blieb meines Erachtens eher unbekannt, weil man bis heute nicht so viel über diese Leute weiss. Es ist ja eigentlich absurd, dass sie sich inzwischen 25 Jahre im Untergrund halten sollen und nur ab und zu Banküberfälle verüben – die auch jedes Mal gelingen.