Neulich gab es auf Twitter einer jener Aktionen, deren Urheber fast immer im Dunklen bleiben. Unter #Achtzigerjahrewoerter posteten Menschen Begriffe, die sie mit den 1980er Jahren assoziierten. Solche Rückblenden anhand von Worten finde ich interessant. Daher hatte ich mir von Medimops für EUR 3,01 (inklusive EUR 3 Versandkosten) auch gleich das Wörterbuch der Achtziger von Reclam gekauft: »Petting statt Pershing«. Das Buch ist von Gerald Fricke und Frank Schäfer aus dem Jahr 1998. Der zeitliche Abstand ist also gegeben. Die Texte sind im »Tempo«-Stil geschrieben, obwohl beide vermutlich niemals für »Tempo« geschrieben haben.
Wie üblich blättert man solche Bücher immer mal wieder durch, bleibt bei einem oder zwei Begriffen hängen und muss dann irgendwann einkaufen gehen oder sich anderen wichtigen Dingen widmen. Für Sentimentalitäten gibt es in diesem Buch keinen Platz, dafür prasselt das dauerironische Feuer ein bisschen zu heftig. (Gut so.) Umso überraschter ist man ob des Eintrags zu »Burnout«, anscheinend einer »Großmetapher für unsere Dekade«, in der nun die »linke[n] Ideale« der 70er verpuffen, aber auch bürgerliche Werte »sich in Rauch auf[lösen]«. Und schließlich stand der »schwarze Atomtod vor der Tür«.
»Burnout« also schon ein Phänomen der 80er und zwar dreißig Jahre bevor Miriam Meckel medienwirksam und stilsicher ihre Überforderungen inszenierte (mit allerlei Ungereimtheiten) und Ex-Feuilletonisten auf die Analogie zur Neurasthenie des Jahres 1913 kamen. Aber diejenigen, die 2010 auf den Burnout-Zug aufsprangen, dürften keine oder nur wenig Erinnerung an die 1980er gehabt haben.
Immer noch besser, solche Begriffe zu reinstallieren als zu plagiieren, wie gerade ein Bachmannpreisträger in seltener Dreistigkeit die Quelle seiner Inspiration schlichtweg unterschlägt.
Wenn man keinen Zugang zu einem großen Textkorpus hat, kann man zur Untersuchung des Wortgebrauchs über die Zeit zur Not auch Googles NGram Viewer verwenden. Für z.B. Burnout ergibt sich in den deutschen Texten, die Google gescant hat, folgendes Bild (bis 2008):
https://books.google.com/ngrams/graph?content=burnout&year_start=1950&year_end=2015&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cburnout%3B%2Cc0
Im Vergleich mit der Neurasthenie hat der Burnout aber einen klaren Vorsprung:
https://books.google.com/ngrams/graph?content=burnout%2Cneurasthenie&year_start=1880&year_end=2008&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cburnout%3B%2Cc0%3B.t1%3B%2Cneurasthenie%3B%2Cc0
Danke für den Hinweis. Natürlich sind die Zahlen der internetlosen Zeit mit der Jetztzeit schwer vergleichbar. Oder ist das sozusagen eingearbeitet in den Schaubildern?
Soweit ich weiss, sind die Ergebnisse nur relatives Auftreten in den Google Books (also z.B. kein Internet und Zeitungen). Eine erhöhte Publikationsrate hat auf die Kurve also keinen Einfluss, außer, dass in Zeiten geringer Veröffentlichungen (< 19. Jahrhundert) eine einzelne Nennung schon einen Peak erzeugen kann.
Interessant finde ich, dass von 1935–80 das Interesse an dem Thema deutlich geringer erscheint. Möglichweise könnte man ja mit einem Konvolut aus Schlagwörtern einen Dekadenz- oder Hysterie-Index über die Zeit erstellen.
Nochmals vielen Dank für diesen Hinweis.