Re­zen­sie­ren nach Ge­ruch

Selbst un­ter Re­zen­sen­ten der Zei­tun­gen ist es üb­lich, dass ein Buch an­ge­le­sen, dann durch­ge­blät­tert wird und dann nach Ge­ruch re­zen­siert wird. Ba­zon Brock in ei­nem Vor­trag1. (Klei­ne Er­gän­zung hier­zu.) tran­skri­biert; Link zum Vor­trag lei­der de­ak­ti­viert ↩

Alex­an­dra To­bor: Sit­zen vier Po­len im Au­to

Alexandra Tobor: Sitzen vier Polen im Auto
Alex­an­dra To­bor:
Sit­zen vier Po­len im Au­to
Das Buch der vor al­lem un­ter dem Pseud­onym si­lent­tiffy be­kann­ten Alex­an­dra To­bor mit dem selt­sam-al­ber­nen Ti­tel »Sit­zen vier Po­len im Au­to« be­ginnt 1986. Tscher­no­byl war ge­ra­de ex­plo­diert, aber Nichts ge­nau­es war hier­über be­kannt, au­ßer, dass man Jod neh­men soll­te. Al­eksan­dra, die al­le nur Ola nann­ten, ist fünf und der klei­ne Bru­der To­mek wur­de ge­bo­ren. Va­ter Pa­weł war In­ge­nieur in ei­ner Koh­le­gru­be und konn­te al­les re­pa­rie­ren, was nur ka­putt­ge­hen konn­te. Mut­ter Da­nu­ta war Leh­re­rin, was ihr spä­ter den Ti­tel Frau Pro­fes­sor ein­brach­te. Die wah­re Che­fin war Oma Gre­ta, de­ren Re­so­lut­heit sich Al­eksan­dra oft nur mit kind­li­chem Tot­stel­len ent­zie­hen konn­te. Es braucht nur we­ni­ger Mi­nu­ten Lek­tü­re, um in die pol­nisch-so­zia­li­sti­sche Welt En­de der 80er Jah­re ein­zu­tau­chen. Der Charme der Ich-Er­zäh­le­rin ist über­wäl­ti­gend.

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Mit Ka­no­nes auf Le­ser

Da ist es al­so wie­der: ein neu­er Li­te­ra­tur­ka­non. Dies­mal geht es um »Eu­ro­pas Welt­li­te­ra­tur«. Von Zeit zu Zeit liest der Li­te­ra­tur­kri­ti­ker die Al­ten so gern, dass man dies un­be­dingt al­len an­de­ren mit­tei­len möch­te. »Rp.« lau­tet die Ab­kür­zung auf den ärzt­li­chen Re­zep­ten und »re­ci­pe« ru­fen die Feuil­le­to­ni­sten in die sich längst ver­zwei­gen­de Leser­schaft hin­ein und stel­len Ärz­ten gleich Re­zep­te ge­gen Le­se­frust und ‑über­druß aber vor al­lem ‑über­fluss aus. Aber wie schon die­ses Ärz­tela­tein nur noch Re­si­du­en ei­nes einst stol­zen Stan­des do­ku­men­tiert, so ver­puf­fen am En­de die Im­pe­ra­ti­ve, Emp­feh­lun­gen oder ein­fach nur gut ge­mein­ten Rat­schlä­ge im »anything goes« der an­geb­lich nach Ori­en­tie­rung äch­zen­den Le­ser­schaft. Und das ist ei­gent­lich gut so.

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Der Rück­gang, der kei­ner ist

Die Weis­hei­ten der werk­täg­li­chen Bör­sen­sen­dung in der ARD sind zu­meist eh nur von be­schei­de­nem Rang. Da wird mit Zah­len jon­gliert und auch schon mal Sta­ti­sti­ken falsch aus­ge­wer­tet. Haupt­sa­che, die ge­ra­de gän­gi­ge Mei­nung (es sei al­les »grau und trost­los«) in den »Er­war­tungs­ba­ro­me­tern« wird ent­spre­chend be­bil­dert.

So ging es auch am 17.07., als das der­zeit sin­ken­de Wachs­tum Chi­nas halb tri­um­phal, halb re­si­gna­tiv ver­mel­det wur­de. Im zwei­ten Quar­tal wach­se die Wirt­schaft dort »nur« noch um 7,6% (was zwar im Ver­hält­nis zu Eu­ro­pa »mär­chen­haf­te« Zu­stän­de sei­en, aber im Ver­gleich zum durch­schnitt­li­chen Wachs­tum Chi­nas im Jahr 2007 mit 14% ein Rück­gang vom 46%. Die­se Aus­sa­ge wird mit ei­ner Gra­phik un­ter­stützt und wört­lich sagt der Be­richt­erstat­ter Mar­kus Gür­ne: »Bin­nen fünf Jah­ren ging es al­so um 46% berg­ab.«

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Nicht be­müht

Gro­ße Em­pö­rung bei Po­li­ti­kern von CDU und FDP – und auch in der Schweiz: Das Land Nord­rhein-West­fa­len hat wie­der ein­mal ei­ne CD mit ge­stoh­le­nen Da­ten von deut­schen Steu­er­sün­dern auf­ge­kauft. Sol­che Vor­gän­ge sind um­strit­ten, da der Staat wi­der­recht­lich an­ge­eig­ne­te Da­ten aus­wer­tet. Aber dar­um geht es schon lan­ge mehr: Es geht um’s Geld und Lan­des­re­gie­run­gen un­ter­schied­li­cher po­li­ti­scher Cou­leur hat­ten in der Ver­gan­gen­heit Lö­se­gel­der für der­ar­ti­gen Da­ten­trä­ger be­zahlt (die sich dann sehr schnell amor­ti­sier­ten).

Die Em­pö­rung rich­tet sich da­hin­ge­hend, dass die SPD/­Grü­nen-Lan­des­re­gie­rung in NRW ei­nen Auf­kauf ei­ner sol­chen CD vor­ge­nom­men hat, wäh­rend­des­sen das so­ge­nann­te Steu­er­ab­kom­men zwi­schen der Schweiz und Deutsch­land im Bun­des­rat von eben die­sen Par­tei­en blockiert wird. Der NRW-Fi­nanz­mi­ni­ster be­grün­det den Auf­kauf da­mit, dass das Ab­kom­men noch nicht in Kraft sei und man sich da­her nicht so ver­hal­ten brau­che. Der FDP-Ge­ne­ral­se­kre­tär be­klag­te sich, die rot-grü­ne Re­gie­rung »ma­che mit dem An­kauf deut­lich, dass sie sich nicht an das ge­plan­te Steu­er­ab­kom­men mit der Schweiz hal­ten wol­le«.

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Sou­ve­rä­ni­ti­sten und Ge­braucht­wa­gen­händ­ler

Wenn man ei­ni­ge Ta­ge nach der Ver­han­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts die Be­richt­erstat­tung Re­vue pas­sie­ren und al­le mehr oder we­ni­ger ge­wich­ti­gen Aus­sa­gen zur Kennt­nis ge­nom­men hat, so bleibt bei mir – viel­leicht zum er­sten Mal im Le­ben – das Ge­fühl ei­ner un­be­stimm­ba­ren Furcht vor der Zu­kunft des­sen, was man – tech­no­kra­tisch kühl – Ge­mein­we­sen nennt. Schier un­ver­söhn­lich ha­ben sich wohl die Pro­zess­geg­ner in Karls­ru­he ge­gen­über ge­stan­den. Hier die Po­li­tik – im par­tei­en­über­grei­fen­den Kon­sens ih­rer Al­pha-Prot­ago­ni­sten agie­rend (au­ßer die Links­par­tei). Sie er­klä­ren den vorge­schlagenen Weg für »al­ter­na­tiv­los« und ma­len in sel­te­ner und selt­sa­mer Ein­tracht das Schei­tern Eu­ro­pas in dicken Stri­chen auf ih­re Fah­nen. Aber war­um maß­re­gelt mich die­ses Ka­ta­stro­phen­sze­na­rio nicht? War­um ver­fal­le ich nicht des­we­gen in Schock­star­re und Un­be­ha­gen, son­dern vor al­lem ob der schein­bar un­aus­weich­li­chen Al­ter­na­tiv­lo­sig­keit, die sich da auf­zu­tun scheint?

Der in­zwi­schen in­fla­tio­nä­re Ge­brauch von Ka­ta­stro­phen­sze­na­ri­en be­hagt mir nicht und macht mich noch skep­ti­scher als wür­de man die vor­ge­schla­ge­nen Maß­nah­men nüch­tern als Not­wen­dig­keit po­stu­lie­ren und mit ih­nen ar­gu­men­tie­ren. Aber das fin­det gar nicht statt. In Wahr­heit ver­mag nie­mand zu er­klä­ren, war­um die­ser drit­te (oder vier­te?), im Prin­zip ver­mut­lich un­end­lich gro­ße »Ret­tungs­schirm« nebst ent­spre­chen­dem Vertrags­werk in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ner Sou­ve­rä­ni­täts­ab­ga­be an ei­ne noch nicht ein­mal in Skizzen­strichen ent­wor­fe­nen eu­ro­päi­schen In­sti­tu­ti­on den Eu­ro und/oder Eu­ro­pa – und da­mit die Welt! – ret­ten soll. Die Er­klä­run­gen der Be­für­wor­ter blei­ben blass und va­ge. Ei­ni­ge las­sen sich die­ses Zö­gern auch noch als be­son­de­re Au­then­ti­zi­tät be­schei­ni­gen. Die Kanz­le­rin sag­te, sie fah­re »auf Sicht« – und ge­nau das gilt als »ehr­lich«. Gleich­zei­tig weiß sie aber, dass Eu­ro­pa an­son­sten zu schei­tern droht. Aber wie kann je­mand im Ne­bel fah­ren und das Land am Ho­ri­zont trotz­dem se­hen?

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Die­ter Kühn: Den Mu­sil spreng ich in die Luft

Dieter Kühn: Den Musil spreng ich in die Luft
Die­ter Kühn:
Den Mu­sil spreng ich in die Luft
»Ge­fälsch­te Ge­schich­ten« un­ter­ti­telt Die­ter Kühn sei­nen Er­zähl­band »Den Mu­sil spreng ich in die Luft« – und ver­sieht die­se Gat­tungs­be­zeich­nung neckisch mit ei­nem Fra­ge­zei­chen. Der in­ter­es­sier­te Le­ser fragt sich zu­nächst, wer wohl Ro­bert Mu­sil in die Luft spren­gen will. Und als er dann die Über­schrift ei­ner an­de­ren Er­zäh­lung ent­deckt (»Ich ha­be Gö­ring schwer ge­schä­digt«), glaubt er auch schon zu wis­sen, um wen es sich han­delt. Da ist dann die Über­ra­schung groß, wenn es sich nicht um Ro­bert, son­dern um Alo­is Mu­sil han­delt, ei­nen Vet­ter des be­kannten Schrift­stel­lers. Und in der Gö­ring-Ge­schich­te geht es nur am Ran­de um Her­mann, der an­geb­lich ge­schä­digt wird, aber viel­mehr um des­sen Bru­der, ei­nem Geg­ner des Na­zi-Re­gimes, Al­bert.

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Som­mer­wet­ter

Die Wol­ken hin­gen schwer und in Trau­ben über den oran­ge­ro­ten Dä­chern bei­sam­men: Ju­lia ging ei­nen Schritt vom Fen­ster zu­rück, schlüpf­te in ih­re Turn­schu­he und öff­ne­te die Tür: Sie trat hin­aus auf die Stra­ße, über­quer­te die ge­pfla­ster­te Fahr­bahn, und spa­zier­te ge­mäch­lich da­hin.

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