Lud­wig Fels: Die Hot­ten­tot­ten­werft

Ludwig Fels: Die Hottentottenwerft

Lud­wig Fels: Die Hot­ten­tot­ten­werft

Am 24. No­vem­ber 1903 bringt die SS Fried­rick Wal­baum nach 39 Ta­gen Über­fahrt ne­ben Rin­dern, Pfer­den, zwei Ka­me­len, Zi­vi­li­sten und Frau­en auch 43 Sol­da­ten als Nach­schub nach Swa­kop­mund, Deutsch-Süd­west. Ei­ner von ih­nen ist Rei­ter Mohr, wo­bei Rei­ter nicht der Vor­name son­dern der Dienst­grad ist. Mohr ent­flieht sei­ner frän­ki­schen Hei­mat, dem trunk­süch­ti­gen Va­ter, der er­drücken­den Zu­nei­gung der Mut­ter und der un­ge­wis­sen Lie­be zu Sef­fie. Er mel­det sich frei­wil­lig nach Afri­ka. Ein paar Jah­re Dienst und dann ist da die­ses dif­fu­se Ver­sprechen, sich ir­gend­wo mit ei­ner Farm sess­haft ma­chen zu kön­nen. Ein Le­ben mit Frau und Fa­mi­lie. So­weit der Traum.

En­de 1903 ist die Ei­sen­bahn­li­nie zwi­schen der Ver­wal­tungs­zen­tra­le Wind­huk und Swa­kop­mund fast fer­tig­ge­stellt. Die Ko­lo­nia­li­sie­rung bleibt je­doch schwie­rig und in je­der Hin­sicht auf­wändig. Die un­ge­wohn­te Hit­ze. Die Feind­se­lig­kei­ten. Die in­di­ge­ne Be­völ­ke­rung wird mit den üb­li­chen At­tri­bu­ten ver­se­hen, von de­nen »Hot­ten­tot­ten« noch das harm­lo­se­ste ist. Das ist der Rah­men, in dem Lud­wig Fels’ Ro­man »Die Hot­ten­tot­ten­werft« spielt.

Mohrs Ka­me­ra­den kom­men aus al­len Re­gio­nen des Deut­schen Reichs. Sie hei­ßen Kat­zen­schla­ger, Glat­zel, Ru­by­ni­ak und Elchlepp. Kom­man­dant der Ein­heit ist ein Haupt­mann Suck. Feld­we­bel Wei­bel schleift die Re­kru­ten auch sonn­tags an der »Es­ka­la­ti­ons­wand«. Ko­ope­ra­ti­ons­wil­li­ge Ein­hei­mi­sche ge­nie­ßen Pri­vi­le­gi­en, wie der für das Mi­li­tär ar­bei­ten­de Kund­schaf­ter Wad­die, der an­de­rer­seits ei­nem ge­wis­sen Kapt­ein Xi­menz dient. Xi­menz ist Kom­man­dant der »Hot­ten­tot­ten­werft« Ho­pa­dessa, ei­ner ehe­ma­li­gen Mis­si­ons­sta­ti­on, was die Fröm­mig­keit der Be­woh­ner er­klä­ren könn­te. Ei­ne Le­xi­kon­de­fi­ni­ti­on des Be­griffs Werft aus dem Jahr 1909 hat Fels dem Buch vor­an­ge­stellt. Da­bei han­delt es sich um ei­ne Art Re­ser­vat für die in­di­ge­ne Be­völ­ke­rung mit be­grenz­ter Teil­au­to­no­mie durch Stam­mes­obe­re. Die­se Form der Zu­sam­men­ar­beit ist mehr ein Waf­fen­still­stand als ein Frie­de. Für die Deut­schen blei­ben sie »Kaf­fer«. Und die Ab­nei­gung ist ge­gen­sei­tig. Wie brü­chig die­se un­glei­che Al­li­anz ist, zeigt sich dar­in, dass Xi­menz’ Sohn Jo­se­phat im­mer wie­der Stei­ne auf Sol­da­ten oder Lo­ka­li­tä­ten schmeisst. Jo­se­phats Toch­ter Hulet­te, Xi­menz’ En­ke­lin, wur­de als Dienst­mäd­chen bei Haupt­mann Suck ein­quar­tiert. Dies gilt als ei­ne Art Deal; Hulet­te soll ir­gend­wann ei­nen hö­he­ren Sta­tus er­rei­chen. Aber sie dient Suck bis zur An­kunft sei­ner Ge­mah­lin auch noch als Sex-Skla­vin.

Kein Hauch von »Jen­seits von Afri­ka«. Aber auch zwi­schen den prot­zi­gen In­sze­nie­run­gen ei­nes gla­mou­rö­sen Le­bens der Of­fi­zie­re und dem eher tri­sten Da­sein der Mann­schaf­ten tun sich Wel­ten auf. All­mo­nat­lich war­ten die Sol­da­ten sehn­süch­tig auf ih­ren Sold, der dann schnell zwi­schen Knei­pen und Bor­dell auf­ge­braucht wird. Die Bier­stu­be ist für vie­le Re­mi­nis­zenz an die Hei­mat, für Mohr hat sie den »Ge­schmack des Fremd­seins«. Weih­nach­ten, Lü­de­ritz­tag, Kai­sers Ge­burts­tag – Fei­er­ta­ge brin­gen kaum Ab­wechs­lung. »Der Kai­ser wur­de äl­ter und äl­ter, wäh­rend sie sich in Grund und Bo­den lang­weil­ten.« Mohr ver­sucht sich die­sem Strom zu ent­zie­hen und min­de­stens Tei­le des Solds zu spa­ren. Nach­dem er er­fährt, das Sef­fie ge­hei­ra­tet hat, ver­liebt er sich auf den er­sten Blick in Hulet­te. Es ist ei­ne in meh­re­rer Hin­sicht aus­sichts­lo­se Lie­be.

Mohr ist ein Son­der­ling. Früh wird er mehr­mals we­gen »Re­ni­tenz« und an­de­rer Nich­tig­kei­ten ar­re­stiert und zu ver­schärf­tem Wach­dienst ver­ur­teilt. Äu­ßer­lich sto­isch er­trägt er die­se De­mü­ti­gun­gen. Er ge­nießt »die Land­schaft von sinn­lo­ser Schön­heit«, be­son­ders die Näch­te mit ih­rem Ster­nen­him­mel (für den Fels wun­der­ba­re Me­ta­phern fin­det). Aber er han­delt auch wi­der­stän­dig. Als die Ge­le­gen­heit gün­stig ist, bringt er den Kampf­hund des Haupt­manns um. Mit Ru­by­ni­ak, sei­nem Freund, ent­deckt er wie Jo­se­phat Waf­fen schmug­gelt. Sie un­ter­neh­men nichts, er­stat­ten kei­ne Mel­dung. Ein Ge­wehr mit Ba­jo­nett kommt ih­nen in die Hän­de. Schließ­lich über­fal­len bei­de aus Lan­ge­wei­le die Sta­ti­ons­kas­se, was durch Glück für sie oh­ne Fol­gen bleibt. Als man für den Gna­den­schuss un­rett­bar ver­un­glück­ter Tie­re ei­nen frei­wil­li­gen Schüt­zen braucht, ist es Mohr, der das je­wei­li­ge Tier er­löst.

Zu Dr. Pa­tar­ga, dem stets an­ge­trun­ke­nen Ross­arzt, ent­wickelt Mohr kurz­zei­tig Ver­trau­en. »Dies hier ist kein Land für Träu­mer«, so sein Re­su­mée. Ru­by­ni­ak er­kennt das und macht sich in ei­ner Mi­schung aus Dumm­heit, Nai­vi­tät und Mut zu Fuß auf den Weg nach ei­nem an­de­ren ge­lob­ten Land, nach Ame­ri­ka. We­ni­ge Ta­ge spä­ter wird er von Wad­die zurück­gebracht und ver­stirbt, noch be­vor er als De­ser­teur ge­rich­tet wer­den kann.

»Du träumst den fal­schen Traum« mahnt auch Wad­die Mohr, der aber an sei­nem Luft­schloss fest­hält, seit er die ver­las­se­ne Farm Ross­mund ge­se­hen hat. Hier ima­gi­niert er sein Pa­ra­dies. Auch als Hulet­te zur Farm des Rin­der­züch­ters Ar­ting­ko­fer ge­bracht wird, hält Mohr dies nicht auf. Als die Kom­pa­nie zum Tref­fen mit Ar­ting­ko­fer und Xi­menz dort­hin auf­bricht, mel­det er sich frei­wil­lig zum Be­gleit­kom­man­do. Die Stim­mung ist spannungs­geladen. Zur Ab­schreckung zeigt man Xi­menz ei­ne neue Feld­hau­bit­ze. Den­noch glau­ben al­le, dass es Krieg ge­ben wird. Bei ei­nem An­schlag wird Mohrs Freund Elchlepp ge­tö­tet. Zum Schluß über­schla­gen sich die Er­eig­nis­se. Mohr de­ser­tiert, wird ge­stellt, kann sich be­frei­en, er­blickt die Re­sul­ta­te ei­nes Ge­met­zels auf Ho­pa­dessa und er­lebt den Show­down mit Xi­menz.

Lud­wig Fels’ Ro­man er­zählt die nicht en­den wol­len­den Kon­fron­ta­tio­nen der Prot­ago­ni­sten un­ter­ein­an­der, von ei­ner Spi­ra­le der Aus­weg­lo­sig­keit. Es sind Fi­gu­ren, die un­rett­bar in ih­ren Kau­sa­li­tä­ten ver­strickt sind. Mohr ist am En­de die ein­zig mo­ra­lisch in­te­gre Per­son. Zu­wei­len er­in­nert er an Büch­ners Woy­zeck – bei­des Schlaf­lo­se, bei­de ge­fan­gen in ei­ner hoff­nungs­lo­sen Lie­be und bei­de Spiel­fi­gu­ren im Wel­ten­lauf. Nur »hirn­wü­tig« ist er nicht. Mohr wird zum tra­gi­schen Hel­den, fast so­gar zum Mär­ty­rer; viel­leicht re­sul­tiert da­her auch sein Vor­na­me Cris­pin. Er pro­ji­ziert sei­ne Sehn­süch­te und Wün­sche auf Hulet­te, die wir er sel­ber ei­ne Au­ßen­sei­te­rin ist. Da­bei glaubt er sie zu lie­ben, oh­ne ge­nau zu wis­sen, was Lie­be ist. Ge­gen En­de muss er al­ler­dings er­ken­nen, dass auch Hulet­te in ih­ren (Vor-)Urteilen ge­fan­gen ist. Sie traut ihm erst dann, als die Lie­be kei­ne Zu­kunft mehr hat.

So kraft­voll die Er­eig­nis­se in die­sem Ro­man auf den Le­ser ein­pras­seln, so fes­selnd ist die­ses Buch ge­schrie­ben. Spra­che und Plot har­mo­nie­ren in sel­te­ner Ein­tracht. Da­bei ist das Buch aus­drück­lich kein Schlüs­sel­ro­man, kei­ne Do­ku-Fic­tion, die hi­sto­ri­sche Er­eig­nis­se auf­ar­bei­ten oder be­wer­ten möch­te. Dass 1904 der Auf­stand der He­re­ro und Na­ma be­ginnt, der in ei­nem Völ­ker­mord en­det, wird nicht the­ma­ti­siert. Selbst die Na­men der in­di­ge­nen Stäm­me sind er­fun­den. Dies ge­schieht ab­sichts­voll, aber nicht aus Igno­ranz. Das Buch ist ein ab­so­lu­tes Kunst­pro­dukt; der Ort und die Rah­men­hand­lung Deutsch-Süd­west sind Al­le­go­rien. In­dem auf die so­ge­nann­te Au­then­ti­zi­tät ver­zich­tet wird, ist der Blick frei auf das Schick­sal der ein­zel­nen Prot­ago­ni­sten. Und trotz­dem han­delt der Ro­man, wie Fels in sei­nem kur­zes Dan­kes­wort schreibt, »im wei­te­sten Sinn von der Wahr­heit und ih­ren Fol­gen«. »Die Hot­ten­tot­ten­werft« ist ei­ne gro­ße Mo­ri­tat; eher an Ödön von Hor­váth er­in­nernd als an Brecht. Es ist ein er­grei­fen­des und sehr le­sens­wer­tes Buch. Ein Buch von Lud­wig Fels eben.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Al­so mir gin­gen die zahl­lo­sen Be­rich­te aus der Männ­lich­keits­welt zwi­schen Ficken, Sau­fen und Pis­sen auf die Ner­ven. Hab das Buch nicht zu En­de ge­le­sen, ob­wohl ich den Au­tor ei­gent­lich mag.

  2. »Ficken, Sau­fen und Pis­sen« ist der­ber zu­sam­men­ge­fasst, als es im Buch dann vor­kommt. Ver­tei­di­gend könn­te man sa­gen, dass die­se Red­un­dan­zen be­wusst ge­setzt sind um das Au­ßen­sei­ter­tum Mohrs her­aus­zu­stel­len.