Ende 1903 ist die Eisenbahnlinie zwischen der Verwaltungszentrale Windhuk und Swakopmund fast fertiggestellt. Die Kolonialisierung bleibt jedoch schwierig und in jeder Hinsicht aufwändig. Die ungewohnte Hitze. Die Feindseligkeiten. Die indigene Bevölkerung wird mit den üblichen Attributen versehen, von denen »Hottentotten« noch das harmloseste ist. Das ist der Rahmen, in dem Ludwig Fels’ Roman »Die Hottentottenwerft« spielt.
Mohrs Kameraden kommen aus allen Regionen des Deutschen Reichs. Sie heißen Katzenschlager, Glatzel, Rubyniak und Elchlepp. Kommandant der Einheit ist ein Hauptmann Suck. Feldwebel Weibel schleift die Rekruten auch sonntags an der »Eskalationswand«. Kooperationswillige Einheimische genießen Privilegien, wie der für das Militär arbeitende Kundschafter Waddie, der andererseits einem gewissen Kaptein Ximenz dient. Ximenz ist Kommandant der »Hottentottenwerft« Hopadessa, einer ehemaligen Missionsstation, was die Frömmigkeit der Bewohner erklären könnte. Eine Lexikondefinition des Begriffs Werft aus dem Jahr 1909 hat Fels dem Buch vorangestellt. Dabei handelt es sich um eine Art Reservat für die indigene Bevölkerung mit begrenzter Teilautonomie durch Stammesobere. Diese Form der Zusammenarbeit ist mehr ein Waffenstillstand als ein Friede. Für die Deutschen bleiben sie »Kaffer«. Und die Abneigung ist gegenseitig. Wie brüchig diese ungleiche Allianz ist, zeigt sich darin, dass Ximenz’ Sohn Josephat immer wieder Steine auf Soldaten oder Lokalitäten schmeisst. Josephats Tochter Hulette, Ximenz’ Enkelin, wurde als Dienstmädchen bei Hauptmann Suck einquartiert. Dies gilt als eine Art Deal; Hulette soll irgendwann einen höheren Status erreichen. Aber sie dient Suck bis zur Ankunft seiner Gemahlin auch noch als Sex-Sklavin.
Kein Hauch von »Jenseits von Afrika«. Aber auch zwischen den protzigen Inszenierungen eines glamourösen Lebens der Offiziere und dem eher tristen Dasein der Mannschaften tun sich Welten auf. Allmonatlich warten die Soldaten sehnsüchtig auf ihren Sold, der dann schnell zwischen Kneipen und Bordell aufgebraucht wird. Die Bierstube ist für viele Reminiszenz an die Heimat, für Mohr hat sie den »Geschmack des Fremdseins«. Weihnachten, Lüderitztag, Kaisers Geburtstag – Feiertage bringen kaum Abwechslung. »Der Kaiser wurde älter und älter, während sie sich in Grund und Boden langweilten.« Mohr versucht sich diesem Strom zu entziehen und mindestens Teile des Solds zu sparen. Nachdem er erfährt, das Seffie geheiratet hat, verliebt er sich auf den ersten Blick in Hulette. Es ist eine in mehrerer Hinsicht aussichtslose Liebe.
Mohr ist ein Sonderling. Früh wird er mehrmals wegen »Renitenz« und anderer Nichtigkeiten arrestiert und zu verschärftem Wachdienst verurteilt. Äußerlich stoisch erträgt er diese Demütigungen. Er genießt »die Landschaft von sinnloser Schönheit«, besonders die Nächte mit ihrem Sternenhimmel (für den Fels wunderbare Metaphern findet). Aber er handelt auch widerständig. Als die Gelegenheit günstig ist, bringt er den Kampfhund des Hauptmanns um. Mit Rubyniak, seinem Freund, entdeckt er wie Josephat Waffen schmuggelt. Sie unternehmen nichts, erstatten keine Meldung. Ein Gewehr mit Bajonett kommt ihnen in die Hände. Schließlich überfallen beide aus Langeweile die Stationskasse, was durch Glück für sie ohne Folgen bleibt. Als man für den Gnadenschuss unrettbar verunglückter Tiere einen freiwilligen Schützen braucht, ist es Mohr, der das jeweilige Tier erlöst.
Zu Dr. Patarga, dem stets angetrunkenen Rossarzt, entwickelt Mohr kurzzeitig Vertrauen. »Dies hier ist kein Land für Träumer«, so sein Resumée. Rubyniak erkennt das und macht sich in einer Mischung aus Dummheit, Naivität und Mut zu Fuß auf den Weg nach einem anderen gelobten Land, nach Amerika. Wenige Tage später wird er von Waddie zurückgebracht und verstirbt, noch bevor er als Deserteur gerichtet werden kann.
»Du träumst den falschen Traum« mahnt auch Waddie Mohr, der aber an seinem Luftschloss festhält, seit er die verlassene Farm Rossmund gesehen hat. Hier imaginiert er sein Paradies. Auch als Hulette zur Farm des Rinderzüchters Artingkofer gebracht wird, hält Mohr dies nicht auf. Als die Kompanie zum Treffen mit Artingkofer und Ximenz dorthin aufbricht, meldet er sich freiwillig zum Begleitkommando. Die Stimmung ist spannungsgeladen. Zur Abschreckung zeigt man Ximenz eine neue Feldhaubitze. Dennoch glauben alle, dass es Krieg geben wird. Bei einem Anschlag wird Mohrs Freund Elchlepp getötet. Zum Schluß überschlagen sich die Ereignisse. Mohr desertiert, wird gestellt, kann sich befreien, erblickt die Resultate eines Gemetzels auf Hopadessa und erlebt den Showdown mit Ximenz.
Ludwig Fels’ Roman erzählt die nicht enden wollenden Konfrontationen der Protagonisten untereinander, von einer Spirale der Ausweglosigkeit. Es sind Figuren, die unrettbar in ihren Kausalitäten verstrickt sind. Mohr ist am Ende die einzig moralisch integre Person. Zuweilen erinnert er an Büchners Woyzeck – beides Schlaflose, beide gefangen in einer hoffnungslosen Liebe und beide Spielfiguren im Weltenlauf. Nur »hirnwütig« ist er nicht. Mohr wird zum tragischen Helden, fast sogar zum Märtyrer; vielleicht resultiert daher auch sein Vorname Crispin. Er projiziert seine Sehnsüchte und Wünsche auf Hulette, die wir er selber eine Außenseiterin ist. Dabei glaubt er sie zu lieben, ohne genau zu wissen, was Liebe ist. Gegen Ende muss er allerdings erkennen, dass auch Hulette in ihren (Vor-)Urteilen gefangen ist. Sie traut ihm erst dann, als die Liebe keine Zukunft mehr hat.
So kraftvoll die Ereignisse in diesem Roman auf den Leser einprasseln, so fesselnd ist dieses Buch geschrieben. Sprache und Plot harmonieren in seltener Eintracht. Dabei ist das Buch ausdrücklich kein Schlüsselroman, keine Doku-Fiction, die historische Ereignisse aufarbeiten oder bewerten möchte. Dass 1904 der Aufstand der Herero und Nama beginnt, der in einem Völkermord endet, wird nicht thematisiert. Selbst die Namen der indigenen Stämme sind erfunden. Dies geschieht absichtsvoll, aber nicht aus Ignoranz. Das Buch ist ein absolutes Kunstprodukt; der Ort und die Rahmenhandlung Deutsch-Südwest sind Allegorien. Indem auf die sogenannte Authentizität verzichtet wird, ist der Blick frei auf das Schicksal der einzelnen Protagonisten. Und trotzdem handelt der Roman, wie Fels in seinem kurzes Dankeswort schreibt, »im weitesten Sinn von der Wahrheit und ihren Folgen«. »Die Hottentottenwerft« ist eine große Moritat; eher an Ödön von Horváth erinnernd als an Brecht. Es ist ein ergreifendes und sehr lesenswertes Buch. Ein Buch von Ludwig Fels eben.
Also mir gingen die zahllosen Berichte aus der Männlichkeitswelt zwischen Ficken, Saufen und Pissen auf die Nerven. Hab das Buch nicht zu Ende gelesen, obwohl ich den Autor eigentlich mag.
»Ficken, Saufen und Pissen« ist derber zusammengefasst, als es im Buch dann vorkommt. Verteidigend könnte man sagen, dass diese Redundanzen bewusst gesetzt sind um das Außenseitertum Mohrs herauszustellen.