Die Mit­te Deutsch­lands im Wech­sel der Zei­ten


Ge­schich­te kennt kein letz­tes Wort. (Wil­ly Brandt)

 

Ein Riss ging durch deut­sche Lan­de – von Tra­ve­mün­de bis zum ein­sti­gen Drei­län­der­eck bei Hof. Über vier­zig Jah­re. Die­se po­li­ti­sche wie geo­gra­phi­sche Tei­lung trenn­te Men­schen und Re­gio­nen. Ent­stan­den war aber auch ein (fast) un­be­kann­ter Land­schafts-Längs­schnitt in bei­den Deutsch­lands.

Grenzübergänge - Info Tafel in Mödlareuth (Foto © R. Lüdde)

Grenz­über­gän­ge – In­fo Ta­fel in Möd­lareuth (Fo­to © R. Lüd­de)

Aus al­ten Kul­tur­land­schaf­ten wa­ren Grenz­ge­bie­te ge­wor­den und nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung 1990 aus dem ein­sti­gen To­des­strei­fen ein Le­bens­band: Ein über 1393 Ki­lo­me­ter lan­ges mit 17 Na­tur­räu­men ver­bundenes »Grü­nes Band« zieht sich in­zwi­schen durch die Mit­te Deutsch­lands: ge­schütz­te Land­stri­che, un­mit­tel­bar am ehe­ma­li­gen Grenz­ver­lauf.

Das Na­tur­schutz­pro­jekt »Grü­nes Band« be­wahrt ei­nen Grün­gür­tel, ei­nen Kor­ri­dor durch stark zer­stückelte Land­schaft. Da­bei han­delt es sich um den so ge­nann­ten Ko­lon­nen­weg auf der ehe­ma­li­gen »De­mar­ka­ti­ons­li­nie« in ei­ner Brei­te zwi­schen 50 und 200 Me­tern. Über Jahr­zehn­te hat­te hier nur die Na­tur »Be­we­gungs­frei­heit«. Es ent­stand ei­ne Art Wild­nis in ei­ner sonst so in­ten­siv ge­nutz­ten land­schaftlichen Um­ge­bung: Brach­flä­chen wech­seln sich mit ver­busch­ten Ab­schnit­ten ab, Altgras­fluren mit Wald, Flüs­se mit Feucht­ge­bie­ten und Moo­ren.


An­gren­zen­de Schutz­ge­bie­te und groß­flä­chi­ge na­tur­na­he Be­rei­che sol­len in ei­ner länger­fristigen Per­spek­ti­ve mit dem Grü­nen Band ver­bun­den wer­den. An der ehe­ma­li­gen Gren­ze ist ein ein­zig­ar­ti­ger na­tio­na­ler Bio­top­ver­bund ent­stan­den, der auch als »Ta­fel­sil­ber der Deut­schen Ein­heit« be­zeich­net wird und 2005 im »Na­tio­na­len Na­tur­er­be« aus­ge­ru­fen wur­de.

Schon Mit­te der 1970er hat­te der baye­ri­sche Lan­des­ver­band des Bund für Um­welt und Na­tur­schutz Deutsch­land (BUND) auf die Vo­gel­welt im in­ner­deut­schen Grenz­strei­fen auf­merk­sam ge­macht. Seit 1989 en­ga­giert sich der BUND ge­mein­sam mit an­de­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen und den Be­hör­den der be­trof­fe­nen Bun­des­län­der für den Er­halt des Grü­nen Ban­des.

Aus­ge­hend von dem deut­schen Pro­jekt ent­wickel­te sich die Idee ei­nes »Grü­nen Ban­des Eu­ro­pa« als grenz­über­schrei­ten­des öko­lo­gi­sches Netz­werk und Sym­bol für die Ver­ei­ni­gung zwi­schen Ost- und West-Eu­ro­pa. Einst war Eu­ro­pa auf ei­ner Län­ge von über 12.500 Ki­lo­me­tern vom Eis­meer bis zum Schwar­zen Meer und geo­po­li­tisch ge­teilt. In der Nä­he der Gren­zen gab es weit­räu­mi­ge ver­bo­te­ne Zo­nen, ins­ge­samt ein Le­bens­raum, der sich durch 24 Staa­ten vom ark­ti­schen Nor­den bis in den me­di­ter­ra­nen Sü­den zieht, ein Re­fu­gi­um für vie­le be­droh­te Tie­re und Pflan­zen. Ziel­set­zung an al­len Ab­schnit­ten des Grü­nen Ban­des ist die Er­hal­tung exi­stie­ren­der Na­tur­schutz­ge­bie­te, die Men­schen sol­len wie­der mit ih­rer na­tür­li­chen Um­ge­bung ver­bun­den und nach­hal­ti­ge Re­gio­nal­ent­wick­lung ge­för­dert wer­den.

Welt­weit gibt es 621 Bio­sphä­ren­re­ser­va­te in 115 Staa­ten. Im in­ter­na­tio­na­len Netz UNESCO zu­sam­men­ge­schlos­sen, ob­lie­gen ih­nen Auf­ga­ben der For­schung, Umwelt­beobachtung und Um­welt­bil­dung. Sechs­zehn Bio­sphä­ren­re­ser­va­te gibt es in Deutsch­land; am Grü­nen Band lie­gen das Bio­sphä­ren­re­ser­vat Schaal­see, die Fluss­landschaft El­be-Meck­len­burg-Vor­pom­mern, die Nie­der­säch­si­sche Elb­tal­aue und das Bio­sphä­ren­re­ser­vat Rhön.

Un­be­kann­tes Deutsch­land
Die ehe­ma­li­gen deut­schen Grenz­re­gio­nen mit ih­rer Viel­ge­stal­tig­keit sind vie­len un­be­kannt – auch noch nach 25 Jah­ren Grenz­öff­nung. Die­se al­ten Kul­tur­land­schaf­ten sind Dank ih­rer De­fi­ni­ti­on als »Grenz­land« von land­schaft­li­cher Aus­beu­tung und Zer­sie­de­lung ver­schont ge­blie­ben und in un­mit­tel­ba­rer Grenz­nä­he na­he­zu un­be­rührt.

Aus die­sem Grund sind die­se Ge­bie­te nicht al­lein nur für die Zeit­ge­schich­te mit ih­ren Bau­denk­ma­len (Grenz­an­la­gen und ‑Mu­se­en) von Nord nach Süd ge­ra­de in der Gesamt­schau mit all ih­ren un­ter­schied­lich­sten Merk­ma­len von In­ter­es­se. Ne­ben al­ter und jüng­ster Ge­schich­te bie­ten die­se Land­stri­che zahl­rei­che Nah­erho­lungs­zie­le in der Na­tur mit ab­wechs­lungs­rei­cher kul­tu­rel­ler Viel­falt in den ehe­ma­li­gen Grenz­or­ten.

Die Ent­wick­lung der So­zi­al­struk­tu­ren der Re­gio­nen über die Jahr­hun­der­te ha­ben sich zum Teil bis in die Ge­gen­wart ma­ni­fe­stiert: Vie­les ist noch er­kenn­bar, ei­ni­ges ist aber auch end­gül­tig ver­schwun­den, da ge­ra­de der je­wei­li­ge Staat dies und jen­seits der Gren­ze wäh­rend der Tei­lung an­de­re Prio­ri­tä­ten ge­setzt hat­te.

Monte Kali bei Heringen, Hessen Grenze - Großensee - Kleinensee - Foto: © R. Lüdde

Mon­te Ka­li bei He­rin­gen, Hes­sen Gren­ze – Gro­ßen­see – Klei­nensee – Fo­to: © R. Lüd­de

In der Sperr­zo­ne im Osten ver­harr­ten vie­le Ge­mein­den ge­zwun­ge­ner­ma­ßen in ei­ner Art Dorn­rös­chen­schlaf, aus dem sie nun er­weckt wur­den. Im We­sten muss­ten sich die Ge­mein­den im so ge­nann­ten »Zo­nen­rand­ge­biet« auch auf die Ver­änderungen ein­stel­len. Die­ser Wan­del zeigt sich an Tra­ve und El­be so­wie im Harz, im Thü­rin­ger- und Fran­ken­wald.

Rück­blick
Der 9. No­vem­ber 1989 ver­än­der­te die Welt. Ein Da­tum, dass den Ab­schluss ei­ner Ent­wick­lung mar­kiert, die am 18. Ju­ni 1914 in Sa­ra­je­wo be­gon­nen und in die »Ur­ka­ta­stro­phe des 20 Jahr­hun­derts« (Ge­or­ge F. Kannan), in den Er­sten Welt­krieg von 1914 bis 1918, ge­führt hat­te: Die­ser Krieg war der »Brut­ka­sten« (Her­fried Mün­k­ler) von Ideo­lo­gien und geo­po­li­ti­schen Stra­te­gien, die wie­der­um nur zwei Jahr­zehn­te spä­ter im Zwei­ten Welt­krieg mün­de­ten.

Sein En­de in Eu­ro­pa am 8. Mai 1945, mit der Ka­pi­tu­la­ti­on des Deut­schen Rei­ches, brach­te als Er­geb­nis die Tei­lung der Welt in zwei sich feind­lich ge­gen­über­ste­hen­de, mi­li­tä­risch hoch­ge­rü­ste­te po­li­ti­sche Blöcke. In der Fol­ge spal­te­te sich der eu­ro­päi­sche Kon­ti­nent, Deutsch­land wur­de zur Naht­stel­le ei­nes Ost-West-Kon­flikts und Kal­ten Krie­ges. Die Tei­lung ver­lief von Nord nach Süd: der »We­sten« mit sei­nen ka­pi­ta­li­stisch or­ga­ni­sier­ten Staa­ten im Ver­bund mit den USA auf der ei­nen Sei­te, der Osten mit sei­nen so­zia­li­sti­schen Ge­sell­schafts­sy­ste­men im Ein­fluss­be­reich an die über­mäch­ti­ge So­wjet­uni­on.

Am 9. No­vem­ber 1989 öff­ne­te sich zu­nächst die Ber­li­ner Mau­er, spä­ter wur­de auch die bis­her her­me­tisch ab­ge­rie­gel­te in­ner­deut­sche Gren­ze in der Mit­te Deutsch­lands durch­läs­sig. Im Lauf der fol­gen­den Wo­chen und Mo­na­te kam es zur grund­le­gen­den po­li­ti­schen Wen­de in der DDR. Und nicht ein­mal ein Jahr nach dem 9. No­vem­ber war aus den bei­den Deutsch­lands wie­der ei­nes ge­wor­den.

So viel Wan­del war in der Ge­schich­te noch nie so schnell von­stat­ten ge­gan­gen: Nicht nur die Kon­stel­la­tio­nen der po­li­ti­schen »Groß­wet­ter­la­ge« hat­ten sich ge­wan­delt. Der Wan­del setz­te in den Or­ten, den Land­schaf­ten und bei den Men­schen ein.

Im Fo­kus der Be­trach­tun­gen ste­hen hier je­doch die ein­sti­gen Grenz­re­gio­nen mit­ten in Deutsch­land. Was hat der Wech­sel der Zei­ten mit sich ge­bracht – im Po­si­ti­ven wie Ne­ga­ti­ven? Wie ha­ben sich die ein­zel­nen Re­gio­nen ge­wan­delt, nicht erst seit den letz­ten Jahr­zehn­ten, son­dern wie sah ih­re Ge­schich­te vor, wäh­rend und nach der Tei­lung aus.

Zu­sam­men und doch ge­trennt
Der all­ge­mei­nen Fa­ma nach, sei von der DDR nicht viel mehr üb­rig blie­ben als das grü­ne bzw. ro­te Am­pel­männ­chen oder der grü­ne Ab­bie­ge­pfeil, den man auch an ei­ni­gen Or­ten im We­sten ein­ge­führt hat. Doch da ist viel mehr, wenn man nur ge­nau­er hin­schaut, auch wenn vie­ler­orts der Ver­lauf der Gren­ze nicht mehr er­kenn­bar ist. Da­für gibt es aber im Ge­gen­satz an vie­len heu­te bun­des­land­über­schrei­ten­den Stra­ßen Hin­weis­schil­der, wann ge­nau dort die Gren­ze vor 25 Jah­ren ge­öff­net wur­de. Hin­zu kom­men über 30 Gedenk­stätten und Mu­se­en, die die Jah­re der Tei­lung er­in­nern. An der ein­sti­gen Demar­kationslinie zeigt sich, was ein­mal zu­sam­men war, dann ge­trennt und nun wie­der zu­sam­men ist: Ei­ne le­ben­di­ge Do­ku­men­ta­ti­on der ge­mein­sa­men Ge­schich­te.

Ne­ben po­li­ti­schen und ideo­lo­gi­schen Prä­fe­ren­zen, die bei der Be­trach­tung der Grenz­ge­schich­te ei­ne Rol­le spie­len, ist es vor al­lem auch für man­chen der per­sön­li­che Be­zug, für an­de­re über­haupt nicht, da sie weit weg von der Mit­te Deutsch­lands le­ben. Für den Ei­nen ist es Hei­mat – ge­we­sen oder heu­te noch bzw. wie­der; an­de­re ken­nen die Or­te und Land­schaf­ten viel­leicht nur vom Hö­ren­sa­gen, ei­nem kur­zen Be­such.

In den Hin­ter­grund ge­tre­ten war über die vier­zig Jah­re Tren­nung die Tat­sa­che, dass bei­de deut­sche Staa­ten sich (ei­gent­lich) vor­ge­nom­men hat­ten, die Tei­lung »ei­nes Ta­ges« wie­der auf­zu­he­ben: Der ei­ne Staat schrieb sich dies als Ver­pflich­tung in sein Grund­ge­setz, der an­de­re in sei­ne Na­tio­nal­hym­ne. Doch die Ein­heit hat­ten die bei­den Staa­ten nicht selbst in der Hand; sie wa­ren ab­hän­gig von den Groß­mäch­ten, die sie ali­men­tier­ten und zu Front­staa­ten des Kal­ten Krie­ges hat­ten wer­den las­sen: Die al­te Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land war öko­no­misch wie po­li­tisch Teil des We­stens, die Deut­sche De­mo­kra­ti­sche Re­pu­blik fest ver­an­kert in der so­zia­li­sti­schen Staa­ten­ge­mein­schaft des Ost­blocks.

Vie­le, die be­reits ge­gen Kriegs­en­de vor den her­an­na­hen­den rus­si­schen Trup­pen über die El­be nach We­sten ge­flüch­tet und vor der her­me­ti­schen Ab­rie­ge­lung der DDR in den We­sten über­ge­sie­delt wa­ren bzw. spä­ter un­ter zum Teil aben­teu­er­li­chen Um­stän­den und un­ter Zu­rück­las­sung ih­res Hab und Guts ge­flo­hen wa­ren, hat­ten zum Teil Ver­wand­te und Freun­de zu­rück­ge­las­sen. An der in­ner­deut­schen Gren­ze hat es zwi­schen 1946 und 1989 et­wa 233.000 Flucht­ver­su­che mit ins­ge­samt 1.008 To­des­op­fern ge­ge­ben. (Vor Ver­schärfung der Grenz­an­la­gen und dem Bau der Ber­li­ner Mau­er 1961 star­ben 363 Men­schen, nach 1961waren es 645, al­lein an der Ber­li­ner Mau­er 178.)

An ge­gen­sei­ti­ge Be­su­che von West nach Ost war nicht zu den­ken und nur in we­ni­gen Aus­nah­me­fäl­len mög­lich. DDR-Bür­ger durf­ten prin­zi­pi­ell nicht aus­rei­sen. Und wer vom We­sten in den West­teil von Ber­lin rei­sen woll­te, konn­te dies auf dem Land­weg nur über die so ge­nann­ten Tran­sit­strecken. Ab 1951 muss­ten Stra­ßen­be­nut­zungs­ge­büh­ren be­zahlt wer­den, 1968 führ­te die DDR den Pass- und ge­büh­ren­pflich­ti­gen Vi­sa­zwang auch für den Tran­sit­ver­kehr nach West-Ber­lin ein. Durch das Vier­mäch­te-Ab­kom­men und das Tran­sit­ab­kom­men 1971 wur­den ver­bind­li­che Re­ge­lun­gen ver­ein­bart, die ei­ne zü­gi­ge­re Ab­fer­ti­gung er­mög­lich­ten, und Gü­ter­trans­por­te konn­ten in ver­plomb­ten Lkws durch die DDR rol­len. Es ent­fie­len auch die Vi­sa- und Stra­ßen­be­nut­zungs­ge­büh­ren. Die wur­den von der Bun­des­re­gie­rung pau­schal be­zahlt: Von 1980 bis 1989 wa­ren das jähr­lich 525 Mil­lio­nen DM.

Ei­nig Volk im Grenz­land
Die hi­sto­ri­schen Er­eig­nis­se über­roll­ten Men­schen und Po­li­ti­ker in den bei­den Deutsch­land ge­ra­de­zu. Am 28. No­vem­ber 1989 leg­te der da­ma­li­ge Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl im Bon­ner Bun­des­tag ein Zehn-Punk­te-Pro­gramm vor, das zu­nächst ei­ne Kon­fö­de­ra­ti­on mit der DDR vor­sah und zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt in­ner­halb des ge­samt­eu­ro­päi­schen Ei­ni­gungs­pro­zes­ses die Wie­der­ver­ei­ni­gung er­reicht wer­den soll­te.

Der­weil über­schlu­gen sich in Ost-Ber­lin die Er­eig­nis­se: An­fang De­zem­ber wur­de die Füh­rungs­rol­le der SED aus der Ver­fas­sung ge­stri­chen, und ge­gen ehe­ma­li­ge SED-Funk­tio­nä­re wur­de er­mit­telt. Im Ja­nu­ar 1990 rie­fen die Mon­tags­de­mon­stran­ten nicht nur »Wir sind ein Volk«, son­dern »Deutsch­land ei­nig Va­ter­land«. Am 15. Ja­nu­ar wur­de die Sta­si­zen­tra­le in Ber­lin ge­stürmt.

Am 18. März fan­den die er­sten frei­en Wah­len zur Volks­kam­mer statt. Die Al­li­anz für Deutsch­land, ein Wahl­bünd­nis aus CDU, DSU und De­mo­kra­ti­schem Auf­bruch er­rang die Mehr­heit und bil­de­te mit der Ost-SPD am 12. April ei­ne Gro­ße Ko­ali­ti­on, Minister­präsident wur­de der Rechts­an­walt Lo­thar de Mai­ziè­re (CDU), der zü­gi­ge Ver­hand­lun­gen mit der Bon­ner Bun­des­re­gie­rung über ei­ne ge­mein­sa­me Wirtschaft‑, Wäh­rungs- und So­zi­al­uni­on auf­nahm. Die­se trat am 1. Ju­li in Kraft: Die Deut­sche Mark wur­de of­fi­zi­el­les Zah­lungs­mit­tel in der DDR.

Die im Ju­li ge­grün­de­te Treu­hand­an­stalt war mit dem Ziel ge­grün­det wor­den, die Volks­ei­ge­nen Be­trie­be (VEB) zu pri­va­ti­sie­ren bzw. wie es im Amts­deutsch hieß, »ab­zu­wickeln«. Groß­kom­bi­na­te wur­den ge­teilt, vie­le Be­triebs­be­rei­che still­ge­legt, wenn sie den Ef­fi­zi­enz­an­for­de­run­gen und der Wett­be­werbs­fä­hig­keit nach An­sicht der Treu­hand nicht mehr ge­nü­gen konn­ten. Alt­ei­gen­tü­mer er­hiel­ten ih­ren Be­sitz zu­rück.

Die Po­li­tik »Pri­va­ti­sie­rung vor Sa­nie­rung« führ­te rasch zu so­zia­len Ver­wer­fun­gen, da die Neu­ei­gen­tü­mer der Be­trie­be kei­ne Ar­beits­platz­ga­ran­tien ab­ge­ben muss­ten. Es war auch zu er­heb­li­chem Miss­brauch von För­der­mit­teln ge­kom­men. Mit Ab­lauf des Jah­res 1994 be­en­de­te die Treu­hand­an­stalt ih­re Ar­beit. Die Er­lö­se aus Pri­va­ti­sie­run­gen be­tru­gen rund 60 Mil­li­ar­den DM, die Aus­ga­ben über 300 Mrd. DM.

Der Ei­ni­gungs­ver­trag vom 31. Au­gust und ei­ne »Ver­ein­ba­rung zur Durch­füh­rung und Aus­le­gung« vom 18. Sep­tem­ber 1990 re­gel­te die Mo­da­li­tä­ten des Bei­tritts der DDR zur Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nach Ar­ti­kel 23 des Grund­ge­set­zes. Die bei­den deut­schen Par­la­men­te stimm­ten dem Ei­ni­gungs­ver­trag zu: die Volks­kam­mer mit 299 von 380 Stim­men, der Bun­des­tag mit 442 von 492 Stim­men und der Bun­des­rat ein­stim­mig. Am 3. Ok­to­ber 1990 hör­te die DDR auf zu exi­stie­ren.

25 Jah­re da­nach: »Son­der­zo­ne Ost«
In den er­sten zwei Jahr­zehn­ten kam es zu ei­ner Ab­wan­de­rungs­wel­le aus Ost­deutsch­land. Die­se wur­de nach dem jähr­li­chen Be­richt des Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­ri­ums zum Stand der Deut­schen Ein­heit erst­mals 2012 ge­stoppt: In die­sem Jahr sei­en un­ge­fähr so vie­le Men­schen von Ost- nach West­deutsch­land wie um­ge­kehrt ge­zo­gen. Als Grund da­für wur­de die ver­bes­ser­te La­ge auf dem ost­deut­schen Ar­beits­markt ge­nannt. Doch die Ar­beits­lo­sen­quo­te liegt hier wei­ter­hin deut­lich über dem west­deut­schen Durch­schnitt. Eben­so gibt es im­mer noch gro­ße Un­ter­schie­de bei den Löh­nen und Ge­häl­tern. Trotz der Re­indu­stria­li­sie­rung im Osten in den letz­ten Jah­ren wuchs der We­sten schnel­ler, mit der Kon­se­quenz, dass die neu­en Bun­des­län­der wirt­schaft­lich zu­rück­fie­len.

Der Auf­bau Ost mit ak­ti­ver Wirt­schafts­po­li­tik für struk­tur­schwa­che Re­gio­nen ist noch nicht an sei­nem En­de an­ge­kom­men. Ob die An­glei­chung der Le­bens­ver­hält­nis­se zwi­schen Ost und West bis zum En­de des So­li­dar­pakts nach 2019 er­reicht ist, wird von Wirtschafts­wissenschaftlern be­zwei­felt.

Je­des Jahr ge­hen vom Bund rund drei Mil­li­ar­den Eu­ro in die ost­deut­sche Wirt­schaft plus sie­ben Mil­li­ar­den Eu­ro in die »Neu­en Län­der«. Hin­zu kom­men die so ge­nann­ten Sozial­transfers für Ar­beits­lo­se, Hartz-IV-Emp­fän­ger und Rent­ner. Die­se Kauf­kraft ist nicht selbst er­wirt­schaf­tet. So ist Deutsch­land wie­der ge­teilt: ei­ne Wohl­stands­gren­ze trennt nun Ost von West. Aber auch im Osten un­ter­schei­den sich die Re­gio­nen hin­sicht­lich ih­rer Wirt­schafts­kraft zum Teil er­heb­lich.


© Rü­di­ger Din­ge­mann bzw. Na­tio­nal Geo­gra­phic


Rüdiger Dingemann: Mitten in Deutschland

Rü­di­ger Din­ge­mann: Mit­ten in Deutsch­land

Die­ser Text ist ein ein Vor­ab­druck aus Rü­di­ger Din­ge­manns neu­em Buch »Mit­ten in Deutsch­land – Ent­deckun­gen an der ehe­ma­li­gen Gren­ze«, wel­ches am 14.04.2014 bei Na­tio­nal Geo­gra­phic er­scheint.