Das Stöh­nen der Ver­la­ge

Vor ei­ni­gen Wo­chen er­schien im Zeit-Ma­ga­zin ei­ne Art Por­trait des Schrift­stel­lers Ma­xim Bil­ler. Ich hat­te es im Strom all der Links über­se­hen, ver­mut­lich auch, weil ich Bil­ler als Au­tor zu we­nig ken­ne. Be­kannt sind mir ei­ni­ge sei­ner Po­le­mi­ken und na­tür­lich die Auf­tritte im »Li­te­ra­ri­schen Quar­tett«, aus dem er sich kürz­lich selbst hin­aus­ka­ta­pul­tier­te.

Wil­le­ke über­schreibt sei­nen Text mit ei­ner Dia­gno­se: »Der Un­zu­mut­ba­re«. Ober­fläch­lich be­trach­tet wird von meh­re­ren Be­geg­nun­gen be­rich­tet und die Bio­gra­phie Bil­lers skiz­ziert. Man er­fährt u. a. dass der mit­tel­mä­ssi­ge Da­ni­el Kehl­mann zu Bil­lers Freun­den ge­hört. Mit fort­schrei­ten­der Lek­tü­re wird die So­zi­al­ar­bei­ter-Me­ta­pho­rik Wil­le­kes im­mer unerträg­licher, denn er möch­te Bil­ler ir­gend­wie vor sich selbst be­schüt­zen und fin­det »Erklä­rungen« für des­sen zu­wei­len af­fek­tier­tes Ver­hal­ten. Die Bot­schaft: Was könn­te aus dem Raub­ein wer­den, wenn er erst ein­mal gu­te Ma­nie­ren hät­te. Aber »ge­gen ir­gend­was oder ge­gen ir­gend­wen rennt er im­mer an« kon­sta­tiert Street­wor­ker Wil­le­ke und fragt ei­ni­ger­ma­ßen re­si­gniert: »War­um nur?« Denn er »könn­te es sich so ein­fach ma­chen, aber er macht es sich so schwer. Wä­re er ein biss­chen kon­zi­li­an­ter, ein biss­chen we­ni­ger stur, dann könn­te er dank sei­nes Wort­wit­zes und sei­ner Klug­heit ein gern ge­se­he­ner Au­tor sein, um den sich Fern­seh­sen­der rei­ßen. Aber er ist be­reit, sich selbst zu scha­den, nur um sei­ne Un­ab­hän­gig­keit zu do­ku­men­tie­ren.«

Wil­le­ke ver­steht das nicht. Und ich ver­ste­he Wil­le­ke nicht. Wenn Bil­ler näm­lich ge­nau so wä­re, wie er, Wil­le­ke, es möch­te, dann wä­re Bil­ler eben nicht mehr Bil­ler son­dern ei­ner die­ser weich­ge­spül­ten Li­te­ra­tur­be­triebspüpp­chen, die sich auf blau­en, ro­ten oder sonst­far­bi­gen So­fas lä­cher­li­chen Fra­gen von eben­so lä­cher­li­chen Kri­ti­ke­ri­mi­ta­tio­nen ge­fal­len las­sen nur um ih­re all­zu oft ma­xi­mal durch­schnitt­li­che Reiß­brett­pro­sa am Zwei­buch­im­jahr­le­ser zu ver­kau­fen.

Wo­her der Wind weht, kann man et­was spä­ter le­sen: »›Die Buch­ver­la­ge stöh­nen je­des Mal, wenn Bil­ler Bü­cher ver­nich­tet‹, wird der Re­dak­teur Da­ni­el Fied­ler spä­ter sa­gen, der für die Sen­dung ver­ant­wort­lich ist.« Als ob das Stöh­nen der Buch­ver­la­ge ein Kri­te­ri­um wä­re. Lob­hud­ler sind ge­fragt; Leu­te, die Bü­cher in die Ka­me­ra hal­ten und »Le­sen!« ru­fen (und »Kau­fen!« mei­nen). Si­cher, Bil­lers In­vek­ti­ven ge­gen Au­toren und Bü­cher sind nicht im­mer stu­ben­rein, aber da­hin­ter konn­te man, wenn man denn woll­te, durch­aus ei­ne Sub­stanz er­ken­nen, aber durch ei­ne aus­blei­ben­de Mo­de­ra­ti­on blieb sie oft ver­bor­gen. Aber wer hat sich denn ein­mal die Mü­he ge­macht, Bil­lers Lo­be ent­spre­chend zu ana­ly­sie­ren? Die­se he­ben sich näm­lich spür­bar von all den Schecks und Hei­den­reichs ab, ver­su­chen Em­pha­se mit äs­the­ti­schen Kri­te­ri­en zu ver­bin­den. Wäh­rend Frau We­ster­mann im Quar­tett im­mer nur et­was »gern ge­le­sen« hat, wuss­te Bil­ler im­mer ge­nau, war­um – und er konn­te das er­klä­ren.

Nein, ich sym­pa­thi­sie­re nicht mit Ma­xim Bil­ler. Ich ken­ne ihn nicht, we­der per­sön­lich, noch sei­ne Bü­cher. Ei­ni­ge der Auf­sät­ze, die ich von ihm ge­le­sen ha­be, fand ich als Po­le­mik ganz nett, an­de­re (wie neu­lich der über die west­deut­sche Lin­ke) zu an­ge­strengt und oh­ne Es­prit. Aber mir wi­der­strebt die pa­ter­na­li­sti­sche Por­trait­kunst ei­nes Ste­fan Wil­le­ke, die je­de zu­ge­spitz­te Kri­tik nicht äs­the­tisch, son­dern mo­ra­li­sie­rend und so­gar aus kommer­ziellen Ge­sichts­punk­ten auf der ad-per­so­nam-Ebe­ne be­wer­tet und sper­ri­ge Persön­lichkeiten mit dem schein­hei­li­gen Odi­um des Mit­leids ver­sucht, zu ret­ten. Hin­zu kommt noch die Heu­che­lei, dass man Bil­ler das Ver­let­zen un­ge­schrie­be­ner Ge­set­ze vor­wirft, in dem er Bü­cher von Au­toren aus dem Ver­lag, in dem er pu­bli­ziert, ne­ga­tiv be­spricht. Die Bot­schaft ist klar: Man möch­te den an­ge­pass­ten Schrei­ber. Und da­zu passt denn auch Platt­haus’ kur­zer Kom­men­tar in der FAZ, der Bil­ler vor­wirft, un­fä­hig zu sein, mit Kri­tik um­zu­ge­hen. Auch hier der päd­ago­gi­sche Duk­tus des gut­mei­nen­den On­kels. Am En­de ist der Ver­fas­ser ent­täuscht, dass ihn Bil­ler nicht ge­fragt hat.

Und so könn­te man schon gro­ße Sym­pa­thie mit Ma­xim Bil­ler ent­wickeln, wä­ren da nicht die al­ber­nen, un­frei­wil­lig ko­mi­schen Po­sen Bil­lers auf den Bil­dern von Mar­kus Jans im Wil­le­ke-Text. Da­mit gibt er na­tür­lich dem Af­fen wie­der ge­hö­rig Zucker. So ganz hat er sich al­so doch noch nicht vom Be­trieb ver­ab­schie­det.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Nun ist es für den kom­mer­zi­el­len Er­folg schlim­mer ver­schwie­gen, als ver­ris­sen zu wer­den: Von da­her ist die­ser Spa­gat durch­aus ver­ständ­lich, mö­gen muss man ihn des­halb frei­lich nicht.

  2. Das Stöh­nen der Ver­la­ge?
    Hab’ ich da nicht was in mei­ner Zi­ta­ten­samm­lung?
    Ja:
    »Fest steht, dass das Pu­bli­kum seit ei­ni­gen Jah­ren kei­ne oder fast kei­ne Bü­cher mehr kauft.«
    (Adri­en­ne Mon­nier: »Auf­zeich­nun­gen aus der Rue de l’O­de­on«, aus dem Jahr 1937)