Zwi­schen Traum und Wirk­lich­keit

New York, Diens­tag, 25. Mai 1982

Bis ca. 12h Schlaf. Traum­aus­tausch mit S. Ich hat­te ein selt­sa­mes Traum­er­leb­nis – ei­ne Re­pa­ra­tur­hal­le, dar­in gro­ße Ma­schi­nen, ganz ver­ro­stet, gro­ße Au­tos, Last­wa­gen, Lo­ko­mo­ti­ven, al­les to­tal ver­ro­stet. Und un­ge­fähr 6 Män­ner, die die Me­cha­ni­ker wa­ren, al­te Män­ner, in ir­gend­wel­chen Staats­uni­for­men, die Re­pa­ra­tur­werk­stät­te of­fen­bar ein Staats­be­trieb. Aber al­le Ma­schi­nen, die man hier­her brach­te, be­kam man erst Mo­na­te spä­ter, oder aber nie­mals wie­der. Und ich soll­te her­aus­fin­den, war­um al­les so lan­ge dau­er­te bzw. ver­kom­men war. Stell­te fest, daß die 6 al­ten Me­cha­ni­ker ei­gent­lich über­haupt nicht ar­bei­te­ten, höch­stens ein­mal ei­ne Lo­ko­mo­ti­ve von ei­nem Werk­stät­ten­en­de zum an­de­ren scho­ben, nur das, nur das Hin- und Her­schie­ben ver­ro­sten­der Ma­schi­nen. Sehr ei­gen­ar­tig das Gan­ze. Die At­mo­sphä­re dort! Und die Män­ner in ih­ren Uni­for­men. Kap­pen wie Bahn­be­am­te. (…) Wir früh­stücken, d.h. die lie­be S. be­rührt vor dem Abend kei­ne Nah­rungs­mit­tel. Nur schwar­zen Kaf­fee. Beim Fort­ge­hen be­mer­ke ich, daß ich mei­nen Schlüs­sel­bund ver­lo­ren ha­be. Ge­stern. Beim Tan­zen? Ru­fe über­all an. Nein, nir­gend­wo ge­fun­den. Bin mü­de – bin schlecht bei­sam­men. Zum Post­amt, schlaf­trun­ken – 14. Stra­ße. Sen­de mein Hör­spiel1 an Jo­chen Scha­le2 und den Fi­scher Ver­lag. Bin froh, es end­lich ab­ge­sandt zu haben…Dann Fahrt zur Ver­mie­te­rin, sie wirkt nicht hoch­er­freut, gibt mir die 4 Schlüs­sel, die ich ko­pie­ren las­se.

Da­nach Sub­way nach Hau­se. Schla­fe. G. will mich se­hen – und S.? Was sa­ge ich S.? Ge­he um 20h30 zur G., brin­ge ihr das Hör­spiel. Din­ner in ei­nem lu­sti­gen fran­zö­si­schen Lo­kal, zu laut, aber sym­pa­thisch. (…) Ta­xi, ein Ber­li­ner Ju­de, ca. 60 Jah­re alt, wir re­den, nach­dem wir G. ab­ge­setzt ha­ben. Er spricht von der Kriegs­ge­fahr auf Er­den. Und daß »die Sa­che« mit Is­ra­el nicht gut ge­hen wer­de. Das Un­recht, das den Pa­lä­sti­nen­sern wi­der­fährt, wer­de sich rä­chen. Sein Stolz auf ei­ne Vi­si­ten­kar­te, die ihm vor we­ni­gen Ta­gen ein Fahr­gast in die Hand drück­te: Fürst von Ester­ha­zy steht dar­auf in schwar­zen Let­tern. Der Fürst lebt in Brook­lyn. / Te­le­pho­nie­re dann noch mit S. Bin ir­gend­wie froh, daß ich al­lein bin – Re­la­tiv frü­her Schlaf.

Mitt­woch, 26. Mai

(…) Um halb 18h Ab­schied von S., fah­re zum Öster­rei­chi­schen Kul­tur­in­sti­tut, Ge­org-Eis­ler-Zeich­nun­gen, Il­lu­stra­tio­nen zu Isaac B. Singer’s Kurz­ge­schich­ten3; vie­le Men­schen, von de­nen der ei­ne selt­sa­mer­wei­se Isaac B. Sin­ger4 höchst­per­sön­lich ist, mei­ne Ruhm­sucht er­hält ei­ne Über­do­sis ver­ab­reicht. Eis­ler5 will mich Sin­ger vor­stel­len, ich zie­re mich, bin zu schüch­tern, sa­ge nein, dann doch ja, und Eis­ler stellt mich als Ste­phan Ro­bert Jungk vor, ich schütt­le die Hand mei­nes Idols, die­ser zier­li­che, lie­bens­wür­di­ge, zer­brech­li­che Mensch, sei­ne glat­te Haut, das schüt­te­re Kopf­haar, ganz weiß die we­ni­gen Haa­re, er ist doch et­was grö­ßer, als ich dach­te und wirkt ei­gent­lich recht ro­bust, läßt ca. 1 Stun­de von Ver­eh­rung (gern!) über sich er­ge­hen; Eis­ler sagt ihm, daß ich schrei­be, viel über jü­di­sche The­men, er fragt, wel­cher Ver­lag? Ich er­wäh­ne Fi­scher + Times Books, weiß nicht, ob er das mit­be­kommt, dann sagt er, sei­ne Bü­cher sei­en auf Deutsch bei Han­ser er­schie­nen, ich sa­ge: »yes, of cour­se, I know, I’ve read al­most all your books, but in Eng­lish. Your work has be­en very in­flu­en­ti­al for me!« Bin so schreck­lich ver­le­gen an sei­ner Sei­te. Er dankt mir für mei­nen In­fluence-Satz, blickt selbst ver­le­gen, und dann zieh’ ich mich wie­der zu­rück, will nicht auf ihn ein­re­den. G. taucht auf, mit ih­rem Be­kann­ten, dem Mil­lio­när Schwarz, In­ha­ber der El­dridge Dairy Farms. Spre­che mit ihm, er ist vor 4 Jah­ren plötz­lich ›Baal-Te­schu­vah‹6 ge­wor­den, ent­wickelt sich mehr + mehr in Rich­tung Fröm­mig­keit, sehr zum »Be­dau­ern« sei­ner se­phar­di­schen, nicht-re­li­giö­sen Frau.

Merk­wür­di­ger Typ, die­ser Schwarz, nicht sym­pa­thisch, aber ori­gi­nell ir­gend­wie, ver­ste­he aber nicht: Wenn fromm, wie kann er dann G. nach­lau­fen? Vor 4 Jah­ren starb sein Va­ter, er sag­te Kad­disch7 + lang­sam, lang­sam fühl­te er sich im­mer mehr an­ge­zo­gen vom or­tho­do­xen Ju­den­tum – in­zwi­schen un­ter­stützt er zahl­rei­che Yes­hiv­ot8 fi­nan­zi­ell. Er ver­steht nicht, wie ich auf den Schab­bat ver­zich­ten kann, das Herr­lich­ste in sei­nem bis­he­ri­gen Le­ben, so glück­lich sei er, daß er das ge­fun­den hat – ich ver­ste­he plötz­lich et­was Wich­ti­ges: NATÜRLICH ist das Schab­bat-Er­leb­nis für je­den Ge­schäfts­mann, für je­den Boß, aber auch für je­den An­ge­stell­ten das PARADIES, auf das man sich die gan­ze Wo­che lang freu­en kann, wo man »Be­fehl von Oben« hat, ab­so­lut ab­zu­stel­len, kei­ne Brie­fe, kein Te­le­phon, kei­ne Ge­schäfts­ver­pflich­tung. Na­tür­lich ist man dar­über als Nicht-»Künstler« ex­trem glück­lich, das leuch­tet mir voll­kom­men ein. Aber für je­man­den wie mich, für je­man­den, der ei­gent­lich »FREI« ist, der sei­ne Zeit selbst ein­tei­len kann, ist das ei­ne voll­kom­men an­de­re Si­tua­ti­on, der »Freie« fühlt sich vom Schab­bat ein­ge­schnürt, be­vor­mun­det, in sei­nem krea­ti­ven Le­ben voll­stän­dig ein­ge­engt. Der Un­freie ist be­glückt, der Freie ein­ge­schnürt. Das ist auch der Grund, war­um kaum ein ein­zi­ger »Frei­er«, den ich ken­ne, fromm ist. (…) / San­dee Bra­wars­ky9 kommt, sie kennt ja Sin­ger recht gut, wird von Sin­gers Se­kre­tä­rin, ei­ner jun­gen, lie­ben Frau na­mens De­vo­r­ah10 zu ihm ge­führt. Der Ma­ler Wal­ter Schmö­g­ner

Und im­mer wie­der Kurz­ge­sprä­che mit Schwarz, der dann un­be­dingt möch­te, daß Ja­kov Lind11, G., ih­re Freun­din Hen­ni + ich mit ihm Abend­essen ge­hen. Aber ich bin doch mit San­dee ver­ab­re­det. Was tun? San­dee sagt im Grun­de nein, ich will aber mit­ge­hen, war­um ei­gent­lich? Auch Bron­ner12 ein­ge­la­den, aber er zieht sich dan­kend zu­rück, nach ei­ni­gen Schrit­ten auf der Stra­ße. Kommt sich vor, wie das 5. Rad am Wa­gen. / San­dee kei­nes­wegs be­gei­stert, von mir na­tür­lich auch nicht ganz in Ord­nung, die Plä­ne so um­zu­schmie­den. Schwarz führt uns in den so­ge­nann­ten ›Rain­bow Room‹, am Top des Rocke­fel­ler Cen­ters, wun­der­ba­rer Blick, scheuß­li­ches Schi-Schi-Lo­kal, hier war Schwarz of­fen­bar oft mit sei­nem Va­ter; lau­te, häß­li­che Mu­sik, tau­send ja­pa­ni­sche Ge­sich­ter, Tou­ri­sten­fal­le, ex­trem teu­res Lo­kal, nur Ja­kov fühlt sich hier wohl, San­dee fast zu Stein er­starrt. Schwarz be­müht sich vor, wäh­rend und nach dem Es­sen um G.’s Gunst, will mit ihr tan­zen, es ge­lingt ihm nicht. Er fragt Ja­kov aus, was das für ihn ei­gent­lich be­deu­te, das Schrei­ben? Und ob es »ago­ni­zing« sei? Und Ja­kov ant­wor­tet brav, ist ja schließ­lich zum Es­sen ein­ge­la­den. Die­ses Im­mer-La­chen auf dem Ge­sicht des Mil­lio­närs! Und manch­mal sein zie­gen­ähn­li­ches Ge­mecke­re-Ge­la­che, laut + auf­dring­lich. Ja­kov er­zählt von sei­nen An­fän­gen, da­mals leb­te er in Is­ra­el, sei­ne er­sten Ge­schich­ten er­schie­nen -. Und dann wer­de ich von Schwarz ge­fragt ad Schrei­ben. Und was ent­stand vor dem ›Rund­gang‹13? Ich ant­wor­te brav. Und Schwarz hält wie­der um G.s Hand an. Der From­me auf Auf­riß. San­dee zwar von ihm ab­ge­sto­ßen, den­noch ir­gend­wie be­wegt von die­sem Zu­sam­men­sit­zen + Es­sen + Spre­chen. Er fragt na­tür­lich auch sie aus. (Mein Mo­ment am Klo, ei­ne Kurz­ge­schich­te wert, wie SCHÖN es dort oben war + wie glück­lich der Klo­mann zu sein schien, ein al­ter, häß­li­cher, schie­len­der Mensch, mit sei­nem Blick auf das Aben­dro­sa + die mäch­tig­sten Hoch­häu­ser der Er­de. Sein Hö­hen­flug, als Klo­mann, und sein glück­li­ches La­chen, Lä­cheln, sein Mensch­sein. Der nied­rig­ste Be­ruf an höch­ster Stel­le, mit schön­stem Blick der Welt, ab­ge­se­hen vom Hi­ma­la­ya­ge­bir­ge.)

Ab­schied um ca. 22h, G. und die an­de­ren fah­ren in Schwarz’ Li­mou­si­ne Rich­tung Down­town (der Chauf­feur, ein Schwar­zer, hat­te na­tür­lich die ge­sam­te Zeit im Wa­gen ver­bracht, auf sei­nen Mei­ster, sei­nen Herrn, war­tend. Die Welt wird so an­ders sein, in 20 – 30 Jah­ren! Das wird es nicht mehr ge­ben, die­se in­di­rek­te Skla­ve­rei, nichts der­glei­chen, aber vor­her wird es ei­ne Ex­plo­si­on ge­ben, Weiß ge­gen Schwarz, vor al­lem in Ame­ri­ka, bin ganz si­cher.) Ge­he mit San­dee den recht wei­ten Weg in ih­re Stra­ße. Dort ein Lo­kal, in das wir ein­keh­ren, sehr »chic«, fran­zö­sisch, wir sit­zen an der Bar, trin­ken Weiß­wein, füh­le mich gut, spre­che mit San­dee dar­über »was das Le­ben sei«, ziem­lich lang so­gar. Be­glei­te sie vor ih­re Haus­tür, sie lädt mich ein, noch hin­auf­zu­kom­men, ich leh­ne ab, wir ste­hen noch ei­ne gan­ze Wei­le vor der Tür, re­den, re­den…

Don­ners­tag, 27. Mai

(…) Fah­re Upt­own, zur Woh­nung, in der die Par­ty für Ja­kov Lind statt­fin­det, G. hat mich ge­be­ten, ihr zu hel­fen. Lind wie im­mer stran­ge zu mir, ich fin­de kei­nen Zu­gang. Mit Mi­cha­el Schmut­zer, dem ehe­ma­li­gen Be­sit­zer der Fir­ma Ro­sen­baum, Drucke­rei, zu No­wot­ny14, ein Lind-Ge­mäl­de ab­zu­ho­len. Schmut­zer ge­fällt mir, er hat et­was sehr Zar­tes, Lie­bes an sich, ob­wohl schwer­fäl­lig, lang­sam, mü­de… Im Ta­xi er­zählt er mir von Mol­dens15 Bank­rott, bin nicht vor­be­rei­tet ge­we­sen auf ei­nen sol­chen Aus­gang der Kri­se, al­les hat er ver­lo­ren, in Schimpf und Schan­de, vor al­lem das Haus in der Eroi­ca­gas­se hat man ihm weg­ge­nom­men, als Ge­schla­ge­ner zieht er nach Alp­bach, das Alp­bach-Haus ge­hört of­fen­bar dem Han­nerl; mei­ne Trau­rig­keit ist groß, aber Mol­den wird si­cher auf gro­ßer Spur wie­der­kom­men, viel­leicht auf an­de­rem Ge­biet, ich bin si­cher, er geht nicht un­ter. Mit Schmut­zer in No­wot­nys Haus, gro­ßer Streit mit dem Haus­mei­ster, der uns schlecht be­han­delt, ich brül­le, wie in Träu­men, 3 Auf­zugs­män­ner ge­gen uns. No­wot­ny ist nicht zu­hau­se, sein Te­le­phon be­setzt, rät­sel­haft, wir ge­ben auf. (…)

Ab 18h30 die Lind-Par­ty bei Ri­chard Ka­plan16, sehr schö­ner Raum, Ar­chi­tekt Ka­plan ein ab­so­lut Me­schug­ge­ner. Schmut­zer als Bar­man, in­ter­es­sant, daß er sich um die­se Die­n­er­rol­le be­wirbt, be­ob­ach­te ihn beim Be­die­nen, die Leu­te be­han­deln ihn na­tür­lich als Un­ter­ge­be­nen, nicht als ehe­ma­li­gen Drucke­rei­be­sit­zer und künf­ti­gen De­stil­lier­ma­schi­nen-Her­stel­ler.

Un­ge­fähr 50 Men­schen bei der Par­ty. (…) Tim17 kommt mit S., bin nicht lieb zu S., küm­me­re mich kaum um sie. Ka­plan stürzt sich auf sie, be­rührt und be­quatscht sie. Tim und ich hö­ren Linds Le­sung aus sei­nem neu­en Buch nicht zu, flü­stern, stö­ren. Nach der Le­sung das Ken­nen­ler­nen ei­nes äl­te­ren Ehe­paa­res, mit dem ich schon vor­her kurz ge­spro­chen hat­te; als ich ih­nen zu­ge­hört und zu­ge­schaut hat­te, wuß­te ich: Emi­gran­ten aus Wien. Frag­te plötz­lich: »Kann­ten Sie in Wien ei­nen An­zen­gru­ber-Ver­lag18?« Die bei­den ganz fas­sungs­los, daß ich die­sen Ver­lag ken­ne. »Na­tür­lich!«, sagt er, »Su­schitz­ky, den hab ich doch ge­nau ge­kannt, auch sei­ne Kin­der, den Wil­ly, der hat doch im Quar­tett ge­spielt…« Und sei­ne Frau er­in­nert sich an die an­de­ren Kin­der – »Ich glaub, al­le hab ich ge­kannt.« Ich fra­ge sie: »Und an die Ruth Su­schitz­ky, an die er­in­nern Sie sich auch?« »Na­tür­lich an die Ruth, die hat g’spielt, im Ka­ba­rett und so…« Als ich sa­ge: »Ich bin von der Ruth Su­schitz­ky der Sohn«, da über­schüt­tet mich Gän­se­haut, und die Frau wankt, sagt: »Oi, ah, nein, no, ich – wis­sen Sie!, so et­was!, ich muss mich set­zen…« …un­heim­lich, die­ses WANKEN. Spä­ter stellt sich her­aus, die bei­den ka­men hier­her an­statt je­mand an­de­rem, ken­nen we­der Lind noch Ka­plan, kei­ner­lei Ver­bin­dung. Und das am Abend des Fei­er­tags She­vuot19. Er ist In­ge­nieur im Ru­he­stand – seit der Ju­gend An­ti­al­ko­ho­li­ker. Ich er­in­ne­re ihn dar­an, daß der An­zen­gru­ber Ver­lag Bü­cher ge­gen den Al­ko­hol-Miß­brauch her­aus­ge­ge­ben hat – er er­in­nert sich ge­nau. (…) Ricky Le­vin­son will mich ver­füh­ren, sie be­zeich­net mich ei­ner Freun­din ge­gen­über als den »se­xiest man at the par­ty« – bin ex­trem schüch­tern ihr ge­gen­über, heu­te. Bron­ner da, wir be­sich­ti­gen mit S. die obe­ren Zim­mer, Schlaf­ge­mä­cher – ich las­se Bron­ner mit S. al­lein, ge­he hin­un­ter. Spä­ter meint Bron­ner, S. sei be­son­ders lieb, ich sol­le sie nicht so schnell auf­ge­ben. G. na­tür­lich ganz ge­gen sie. Ja­kovs Bil­der ver­kau­fen sich zum Teil, er ver­dient ca. 2000 $. Mit S. fort, um 23h wirkt die Nacht wie 3h mor­gens, bin mü­de, be­glei­te S. in’s Lo­kal 103 2nd Street, sie ißt, ich na­sche. Be­glei­te sie nach Hau­se. Schla­fe sehr rasch ein, schla­fe löch­rig.

Schab­bat, 29. Mai

Traum, Bahn­hof, ha­be je­man­den be­glei­tet, will das Bahn­hofs­ge­bäu­de ver­las­sen, wer­de kon­trol­liert von ei­nem Uni­for­mier­ten, mei­nen Paß will er se­hen. Aber ir­gend­wie ge­be ich ihm ein Buch, das die­sem Ta­ge­buch hier sehr ähn­lich sieht, er blät­tert dar­in, fin­det ganz hin­ten ei­nen gan­zen Pack STEMPELMARKEN, sagt, ich müs­se 20 Schil­ling Stra­fe zah­len, weil er et­was mir pri­vat Ge­hö­ren­des hat se­hen müs­sen, das sei ver­bo­ten: Ei­nem Be­am­ten et­was zu zei­gen, was ei­nen pri­vat be­tref­fe. Ich kann’s kaum glau­ben, be­gin­ne, mit ihm zu strei­ten, im­mer lau­ter, im­mer hef­ti­ger, Tim und Ka­rin plötz­lich ne­ben mir, ich bit­te Ka­rin, die ja An­wäl­tin ist, mir zu hel­fen. Ich brül­le auch sie an, sie müs­se doch die­se Un­ge­rech­tig­keit se­hen + sich ein­set­zen; sie setzt sich ein klein we­nig ein, ich brül­le den Be­am­ten an, ver­lan­ge sei­ne Dienst­num­mer, die er mir aber nicht ge­ben will, ich brül­le noch mehr + plötz­lich ver­wan­delt sich al­les, er gibt mir sei­ne No. + ist mir plötz­lich so sym­pa­thisch, rei­zen­der Mann, der nur sei­ne Pflicht tat, setzt sich mit mir an ei­nen Tisch, ich sa­ge ihm, daß ich ge­gen sei­ne Stra­fe Ein­spruch er­he­ben wer­de + mei­ne 20 Schil­ling zu­rück­ha­ben will, ja, das ver­steht er ab­so­lut -. Und wir ei­ni­gen uns, ich wer­de das Geld wahr­schein­lich in 4 Zah­lun­gen zu je 5 Schil­ling zu­rück­be­kom­men, freue mich schon, ihn bei je­der Aus­zah­lung wie­der­se­hen zu kön­nen, wir bei­de freu­en uns aufs Wie­der­se­hen, er gibt mir auch sei­ne Adres­se, ir­gend­wo in den Vor­or­ten. Sein Na­me sehr ge­wöhn­lich, aber ich lie­be die­sen Po­li­zi­sten, als wir aus­ein­an­der­ge­hen. Ken­ne den Grund nicht, für die­sen Traum, kann ihn nicht ana­ly­sie­ren.

Le­se lang die New York Times, Kriegs­be­rich­te Falk­land War, Zu­rück­er­obe­rung von Dar­win und Goo­se Green. Sy­ri­en – al­les so furcht­bar de­pri­mie­rend, was auf der Welt ge­schieht. Um ca. halb 17h ein Spa­zier­gang, zum Boat Pier nach Sta­ten Is­land. Ka­put­te Ty­pen dort, grau­es Wet­ter. Und Gang durch den voll­kom­men men­schen­lee­ren Wall-Street-Be­zirk, Zen­trum des Ka­pi­ta­lis­mus, oh­ne ei­ne See­le. Ge­spen­stisch. Als ob Krieg herr­sche. Er­fah­re, daß Ro­my Schnei­der heu­te Mor­gen ge­stor­ben ist. An­geb­lich nicht Selbst­mord. Bin aber ei­gent­lich si­cher, daß es den­noch Selbst­mord ist. Zu­rück nach Hau­se. Le­se sen­sa­tio­nel­le Kri­tik von Sy­ber­bergs ›Par­si­fal‹20 in der Vil­la­ge Voice, bin ein we­nig mit­ver­ant­wort­lich für den Film, glau­be ich, hat Hanns21 nicht mei­ne Mon­sé­gur-Post­kar­ten ver­wen­det? /


  1. Das Hörspiel ›Suchkraft‹, Regie von Heinz von Cramer, wurde am 4. 12. 1983 erstmals im WDR gesendet 

  2. Hans-Jochen Schale, Hörspieldramaturg, 1925 – 2013 

  3. Gemeint sind sehr wahrscheinlich Georg Eislers Original-Zeichnungen, die zu dem Band ›Geschichten aus New York‹ von Isaac B. Singer entstanden waren. 

  4. Isaac Bashevis Singer, 1902 – 1991 

  5. Georg Eisler, 1928 – 1998 

  6. Ein Baal Teshuvah kehrt zur traditionellen, jüdischen Religionsausübung zurück, nachdem er zuvor einen säkularen Lebensstil verfolgt hat. 

  7. Das jüdische Totengebet wird nach dem Ableben eines nahen Familienmitglieds elf Monate lang täglich drei Mal gesprochen. 

  8. Jüdische Bibelschulen, in denen man sich dem Torah- und Talmudstudium widmet. 

  9. Autorin, Journalistin, Verlagslektorin. 

  10. Gemeint ist die langjährige Privatsekretärin von Isaac B. Singer, Dvorah Telushkin. Ihr Erinnerungsbuch ›Master Of Dreams‹ (2004) ist ein Muss für jeden Singer-Verehrer. 

  11. Schriftsteller und Maler, 1927 – 2007 

  12. Oscar Bronner, Journalist, Maler, Verleger 

  13. Mein 1981 im S. Fischer erschienener Roman 

  14. Zwischen 1978 und 1983 war Thomas Nowotny österreichischer Generalkonsul in New York 

  15. Fritz Molden, 1924 – 2014, war ein erfolgreicher österreichischer Verleger, der 1982 Konkurs anmelden musste 

  16. Richard D. Kaplan, 1933 – 2016, vgl. auch: https://www.abebooks.com/servlet/BookDetailsPL?bi=13974483766 

  17. Gemeint ist der Fotograf und Dokumentarfilmregisseur Timothy Greenfield-Sanders 

  18. Der Verlag, benannt nach dem österreichischen Dichter und Dramatiker Ludwig Anzengruber, gehörte meinem mütterlichen Großvater Philipp Suschitzky und seinem Bruder Wilhelm Suschitzky, siehe: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Anzengruber-Verlag_Br%C3%BCder_Suschitzky 

  19. Hoher jüdischer Feiertag. 

  20. Hans-Jürgen Syberbergs ›Parsifal‹ (1982) ist eine Filmversion von Richard Wagners Oper 

  21. Gemeint ist der Künstler Hanns Kunitzberger. Kunitzberger war Syberbergs Assistent bei der ›Parsifal‹-Verfilmung. Welche Rolle die erwähnten Postkarten bei der Verfilmung spielten, lässt sich 43 Jahre später nicht mehr rekonstruieren. 

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