Udo Stiehl schlägt vor den »Lügenpresserufern« den Alltag in den Redaktionen zu zeigen um auf diesem Weg ihrer Kritik zu begegnen; das klingt ein wenig nach Verzweiflung, könnte aber ein Ansatz sein, wenn man ihn unter den richtigen Vorzeichen begeht.
Einmal unterstellt, dass es nicht nur »Lügenpresserufer« gibt, und Herr Stiehl das auch so sieht, sondern etliche seriöse Kritiker, denen viel an einer qualitativen hoch stehenden Medienlandschaft liegt, die gleichzeitig aber nicht darüber hinwegsehen können, dass einiges im Argen liegt. Und die gerne wüssten wie in konkreten Fällen gearbeitet wurde.
Denn: Wann interessieren sich Mediennutzer für die Entstehung einer Nachrichtensendung oder eines Artikels? Da lesen, hören und sehen im Idealfall eine kritische Haltung darstellt, genau dann, wenn man Fehler bemerkt oder Zweifel hat, dass sich etwas so und nicht anders zugetragen haben könnte. Dann möchte der Rezipient wissen wie und wo man recherchiert hat, wie und unter welchen Voraussetzungen das Material geprüft und unter welchen Rahmenbedingungen die Geschichte geschrieben wurde.
Ein Anfang wäre die Aufarbeitung der angeblichen Parade von Volk und Politikern vergangenen Sonntag in Paris. Wie kommt es dazu, dass ein Ereignis medial anders vermittelt wird, als es sich real verhalten hat? Vor allem dann, wenn das jeder Kameramann oder vor Ort gewesene Journalist gewusst haben muss; Irrtümer kann man in diesem Fall ausschließen, im Gegenteil: Die Eindrücke dieser Brennpunkt Sendung entstehen erst durch Schnitt und Perspektive, also technische Eingriffe und durch den Verzicht auf aufklärende Kommentare.
Eine sachliche aber deutliche Kritik der Umstände und Reaktionen von Seiten der ARD, die noch einmal ein Thema für sich sind, dort. Das wäre meine Basis, die des Mediennutzers. Und ich würde mich über einige klärende Worte der anderen Seite freuen.
Ein »Tag der offenen Tür« wäre natürlich nur ein Symbol. Denn niemand ist in der Lage, den Journalisten dabei zuzusehen, wie sie Quellen gewichten, Rechercheergebnisse auswerten und welche Nachrichten sie letztlich warum bringen – und welche nicht. Hierfür müsste man mindestens ein paar Tage neben dem Redakteur sitzen, ihn befragen, selber Zugang zu den Quellen haben, usw. Das geht schon organisatorisch gar nicht. Nur die Leute ein bisschen rumzuführen dürfte nicht mehr genügen, da der Graben zwischen Rezipienten und Journalisten inzwischen sehr tief geworden ist.
Stiehls Text ist das Bemühen nicht abzusprechen, das ehrt ihn. Aber sich nur die platten Floskeln der Forenstammtische vorzuknöpfen und ein paar beruhigende Sätze zu schreiben, reicht nicht. Als wenn der »Mythos«, dass die Radionachrichten um 3 Uhr morgens aufgezeichnet würden, eine tragende Säule der Kritik wäre. In Stiehls kurzem Text fehlt ein gravierender Punkt: Der Einfluss der politischen Parteien auf das öffentlich-rechtliche System in Deutschland. Diesen Einfluss »sieht« man natürlich bei keiner »offenen Tür«.
@Gregor
»Nur die Leute ein bisschen rumzuführen dürfte nicht mehr genügen, da der Graben zwischen Rezipienten und Journalisten inzwischen sehr tief geworden ist. «
Ja, das glaube ich auch. Man könnte das aber auch als Indiz lesen, dass sich das noch nicht herum gesprochen hat (oder doch?). In jedem Fall wird das Nicht-ernsthaft-Stellung-nehmen nichts verbessern, im Gegenteil.
Ich hätte noch ein Fußnote, Stichwort Liberalismus. Garniert mit einem Zitat von Heiner Müller: Die Moderne ist eine Erfindung des Journalismus.
Wenn wir, was ich für zutreffend erachte, von einer Krise der politischen Medien, des politischen Journalismus sprechen, dann wäre die intermediäre Situation des Machtbeobachters und Machtumlenkers genau zu beleuchten. Gewöhnlich spricht man von einer Nähe der Redaktionen zu politischen Lagern. Doch ist der Begriff Nähe zugleich verräterisch wie abstrakt. Diese Nähe ist tatsächlich eine Form der »Intimität«, der Intimusistät, und doch wird das Meinungsgeflecht, welches typisch ist für die Relativität, für den RELATIVISMUS, mit welcher sich der Journalismus öffentlich verwirklicht, damit nicht fassbar. Von Linientreue kann ja ernsthaft keine Rede sein. Nicht mal beim SPIEGEL!
Meine These wäre: der Journalismus ist mit dem Scheitern des dritten politischen Weges verknüpft. Gesetzt, der Liberalismus wird aufgefasst als eine Form des Sprechens, der politischen Aussagen, dem Wunsch, Diskurse zu regeln, zu verändern, etc. und weniger als eine Form des Regierens. Der Liberalismus arbeitet sich immer schon an Meinungen, Ideen, Plänen anderer weltanschaulicher Fraktionen ab. Dabei bleibt er in seinem Innerem eine Hohlform. (Das ist nicht kritisch gemeint, sondern betont nur den zeitgemäßen Umstand, dass das nötige Außen chaotischer und diffuser wird, damit seine Angriffsfläche verliert. Dadurch erodiert das Konzept. Das Hohle wird merklich.)
Pingback: Tag der offenen Tür? | Makulatur