»Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en«

Der Jour­na­list, Bio­graph und Re­por­ter Mal­te Her­wig hat­te Ra­do­van Ka­ra­džić, der als ei­ner der Draht­zie­her des Mas­sa­kers von Sre­bre­ni­ca gilt, des größ­ten Kriegs­ver­bre­chens in Eu­ro­pa nach dem Zwei­ten Welt­krieg, im Ge­fäng­nis in Sche­ven­in­gen be­sucht und in ei­ner ein­drucks­vol­len Re­por­ta­ge da­von im letz­ten »SZ-Ma­ga­zin« zu­sam­men mit Ro­nen Stein­ke be­rich­tet.1 Mal­te Her­wig war so freund­lich, ei­ni­ge Fra­gen hier­zu be­ant­wor­ten.2

Be­gleit­schrei­ben: Sie ha­ben Ra­do­van Ka­ra­džić be­sucht und ge­spro­chen. Konn­ten Sie im­mer wäh­rend des Ge­sprächs von den ihm zur Last ge­leg­ten Ta­ten ab­stra­hie­ren?

Mal­te Her­wig: Ja, ein sach­li­cher Zu­gang ist die ein­zi­ge Ge­sprächs­ba­sis für ein gu­tes In­ter­view. Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en – vor­aus­ge­setzt er ist ge­stän­dig. Es ist doch fei­ge und un­ehr­lich ge­gen­über dem Pu­bli­kum, wenn man sich em­pört und Fra­gen stellt im Duk­tus von: »Sie sind ein bö­ser Mensch, was sa­gen Sie da­zu?«. Ich ha­be Mör­der, Gei­stes­kran­ke und Ras­si­sten in­ter­viewt. Aber der In­ter­view­er ist kein Rich­ter. Mich in­ter­es­siert nicht, ob mei­ne Ge­sprächs­part­ner gu­te oder schlech­te Men­schen sind, son­dern was sie zu ih­ren Ta­ten an­ge­trie­ben hat.

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  1. "Gesichter des Todes" - "Süddeutsche Zeitung Magazin" Nr. 19, 9. Mai 2014, S. 12-18 

  2. Die Fragen und Antworten wurden per E-Mail ausgetauscht. 

Die Kri­se in der Ukrai­ne, die Rol­le der EU und das Po­si­ti­ons­pa­pier der Ne­os

Der Aus­gangs­punkt: Das Un­be­ha­gen mit Po­li­tik und Be­richt­erstat­tung

Es wä­re falsch zu be­haup­ten, dass die Me­di­en oder die Po­li­tik, die als ei­ne sol­che En­ti­tät gar nicht exi­stie­ren, in ih­rer Ge­samt­heit ein schwarz-wei­ßes Bild ge­zeich­net hät­ten und es noch im­mer tun, aber in der Brei­te der Be­richt­erstat­tung, in dem was man so hört, dem das auch der po­li­tisch we­nig In­ter­es­sier­te mit­be­kommt, tritt es deut­lich zu Ta­ge: Das Schwar­ze, das ist Russ­land oder per­so­na­li­siert: Pu­tin.

Die­ses Bild, das vie­le Bür­ger zu­min­dest ih­rem Ge­fühl nach für falsch hal­ten, be­darf der Kor­rek­tur, aber nicht im Sin­ne ei­ner Um­fär­bung, der Far­be Weiß, son­dern in der Wahl an­de­ren Dar­stel­lung, ei­ner in Grau­stu­fen: Aus­ge­wo­gen­heit statt zwei­er­lei Maß.

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Die In­ter­ven­tio­ni­sten und ih­re hu­ma­ni­tä­ren Ak­tio­nen

Es ist schon er­staun­lich, wie sich Ge­schich­te wie­der­holt. 1991, 1999, 2001, 2003 und jetzt 2011. Es sind Jah­res­zah­len der mar­kan­te­sten mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­tio­nen des »We­stens«. Man kann auch Krieg sa­gen, aber das klingt nicht so gut.

So un­ter­schied­lich die Fäl­le sind und so dif­fe­ren­ziert man die Ein­grif­fe be­wer­ten muss – die me­dia­len Mu­ster, wie sich die­se Kon­flik­te dar­stel­len, sind ab­so­lut iden­tisch: Zu­nächst gibt es ei­nen seit Jah­ren agie­ren­den Au­to­kra­ten (oder Dik­ta­tor) in ei­nem Land. Die­ser tut ir­gend­wann et­was, was sicht­bar ge­gen un­se­re Vor­stel­lun­gen von Mo­ral ver­stößt. Wohl ge­merkt: Er muss es sicht­bar tun. Es reicht nicht, wenn er jahr­zehn­te­lang Ab­trün­ni­ge in Ge­fäng­nis­sen fol­tern und um­brin­gen lässt. Es reicht nicht, wenn er ei­nen Ge­heim­dienst­ap­pa­rat un­ter­hält, der re­pres­siv ge­gen die ei­ge­ne Be­völ­ke­rung vor­geht. Es reicht auch nicht, wenn in we­ni­gen Wo­chen bis zu ei­ner Mil­li­on Men­schen um­ge­bracht wer­den, und es ist kei­ne Ka­me­ra da­bei. Es muss et­was ge­sche­hen, was in die gän­gi­ge Bil­der­welt un­se­rer Me­di­en ein­fließt und als schreck­lich, grau­sam, bru­tal oder men­schen­ver­ach­tend be­zeich­net wer­den kann. So­gleich wird die­se Fi­gur zur per­so­na non gra­ta. So­ge­nann­te In­tel­lek­tu­el­le stel­len dann Ver­glei­che an. Der grif­fig­ste Ver­gleich ist im­mer noch der mit Hit­ler. Oder er ist ein­fach ein »Ir­rer«. In je­dem Fall ein »Schläch­ter«. Oder al­les gleich­zei­tig.

Schnell fin­den sich wil­li­ge In­ter­ven­tio­ni­sten. Die Neo­kon­ser­va­ti­ven der USA der 1970–2000er Jah­re und die Grü­nen Eu­ro­pas sind in ih­rem In­ter­ven­tio­nis­mus sehr ähn­lich. Bei­de ver­tre­ten die Ideo­lo­gie, dass am west­li­chen We­sen die Welt ge­ne­sen muss. Schnell po­ten­zie­ren sich die Er­eig­nis­se durch wil­li­ge Hel­fer in den Me­di­en zum schein­bar al­ter­na­tiv­lo­sen Han­deln. Ge­gen­ar­gu­men­te wer­den mit der Bil­li­gung der Ta­ten des Des­po­ten ein­fach gleich­ge­setzt. Der ab­trün­ni­ge Stand­punkt wird de­nun­ziert – dar­in sind sie den­je­ni­gen, die sie be­kämp­fen wol­len, durch­aus eben­bür­tig. Es gibt nur noch schwarz oder weiß – wer nicht für sie ist, ist ge­gen sie.

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