
Es ist 2019, ein Jahr vor einer Pandemie und drei Jahre vor einem neuen Krieg in Europa. Ein Schriftsteller, der sich Szczepan nennt, flüchtet vor »der Welt und dem Leben«, reist nach Spitzbergen, nimmt die Fähre nach Pyramiden, einer ehemaligen Bergarbeiterstadt, in der nur noch ein paar Russen leben, und verbringt eine Woche im Eis, in der Nähe des Gletschers Jotunfonna. Dann kehrt er zurück, trinkt in einem schäbigen Hotel in Barentsburg einen Whisky, will immer noch nichts von Menschen sehen und hören, was fast gelingt. Bis ihn eine ältere Frau anspricht, eine gewisse Borghild Moen, die rasch seine Neugier weckt. »Der Ozean ist meine einzige Heimat«, sagt diese rüstige Dame, zeigt ihm ihre moderne, 50 Fuß lange Yacht »Isbjørn« und lädt ein, auf eine Tour zu gehen, wobei sie nicht das Ziel nennt, was den Schriftsteller nur noch neugieriger macht, denn da ist ein »verborgenes Geheimnis« in dieser 82jährigen Frau. Er sagt alle Termine ab, nimmt die mürrischen Kommentare entgegen, und kommt sich in Bezug auf seine beiden Kinder ein wenig schäbig vor. Die »Isbjørn« ist technisch sehr gut ausgestattet, der Proviant üppig (er beteiligt sich mit 2000 Kronen daran). Seine nautischen Kenntnisse helfen ihm; bald entsteht ein stilles gegenseitiges Vertrauen und Borghild Moen legt ihm ein altes Heft vor, das Notizbuch eines Konrad Widuch, beginnend am 16. Juni 1946. Er soll es »mit Verstand lesen«. Dann ist das Vorwort von Szczepan Twardochs neuem Roman Kälte (wie immer ist Olaf Kühl der Übersetzer) vorbei und es beginnt.
Widuch, damals 51, »geborener Preuße«, aus Pilchowitz, Schlesien stammend, zum Zeitpunkt der Niederschrift gefangen im arktischen Eis auf einem Schiff mit dem hochtrabenden Titel »Invincible«, schreibt, ja kotzt seine Lebensgeschichte in dieses Heft, in mäanderndem, burleskem Ton, gerichtet an eine anonyme Leserin, an die er zwar nicht glaubt, aber dann doch irgendwie erhofft, denn ansonsten würde das Aufschreiben sinnlos sein. Die Kindheit ist schwer, der Vater ist früh verschwunden, die Mutter gibt sich mit immer neuen Männern ab und mit 14 verlässt Widuch das Elternhaus, nachdem er dem neuesten Liebhaber der Mutter aus Rache für einen gebrochenen Arm mit dem anderen Arm und einem Schürhaken zusammengeschlagen hatte. Er geht 1912 »an die Ruhr«, dann zur See, wird auf der kaiserlichen »Helgoland« Matrose, später Maat. Als man ihm und den anderen befiehlt, Kanonenfutter für die Engländer zu werden, rebelliert die Besatzung. Widuch nimmt 1918 am Matrosenaufstand teil und wird zum Kommunisten, er, dessen »offizielle zivile Ausbildung mit der Grundschule zu Ende war.«
Der Leser ist gefordert, den Lebenslauf aus den abschweifenden und zeitlich immer wieder durcheinander wirbelndem Erzählstrom des Schreibenden zu ordnen, denn es beginnt mit grausigen Foltermethoden, die der in einem Gulag sah und bisweilen am eigenen Leib erlebte (dutzende Male erklärt er, diesen Ort nicht namentlich zu nennen, als würde damit ein Fluch gebannt). Die Schilderungen sind nichts für zarte Gemüter. Immerhin: Seiner Frau Sofie und den beiden Töchtern dürften die Flucht gelungen sein, denn sonst würde man ihn in Verhören nicht nach ihnen fragen. Das war um 1937, nachdem Widuch in den 1920er Jahren den großen Marsch vom Kaukasus in die Ukraine, also den russischen Bürgerkrieg gegen »die Weißen« mitgemacht hatte, und der Leser erfährt wie nebenbei, dass er auch kein Engel war, etwa als er diesen jungen polnischen Leutnant gefangen nahm, der um sein Leben jammerte. Widuch wog ihn in Sicherheit und dann schoss er ihn von hinten in den Kopf, sich immer noch rühmend, den Offizier vor den Malträtierungen der Kosaken (Spezialität: Penis abschneiden) bewahrt zu haben.