Bald ist Weihnachten und Silvester und danach beginnt ein neues Jahr und die Affäre um einen gewissen Claas Relotius wird nur noch Randgruppen interessieren. Von daher ist der Augenblick der Spiegel-Beichte geschickt gewählt. Und inzwischen mehren sich ja auch die üblichen Täterversteher wieder, die die Motivation überall suchen nur nicht mehr beim Verursacher. Da ist natürlich das Publikum oder sofort die »neoliberale« Wirtschaft, die Journalistenpreise und deren Juroren oder das interne Fehlermanagement des Spiegel. Herr Niggemeier stört der Stil des Aufklärungstextes von Herrn Fichtner, der, und das überrascht nun wirklich, im üblichen Spiegel-Jargon geschrieben sei. Ja wie denn auch sonst, möchte man hinterherrufen und noch einmal auf den Enzensberger-Text von 1957 hinweisen.
Einige sorgen sich um das Seelenwohl von Herrn Relotius. Andere nennen das Geschehen »Tragödie« – wie so häufig eine vollkommen falsche Zuschreibung. Aber immerhin zeigt es Mitleid an. Tatsächlich spielt es kaum mehr eine Rolle welche von Relotius’ Reportagen reine Fiktion sind bzw. wo die Lüge beginnt und wo sie endet. Warum sollte man jetzt eine Textfledderei betreiben und das Geschreibe damit noch einmal aufwerten?
Den Keim für diese Entwicklung des Journalismus wird man damit nicht finden. Längst sehen sich viele Journalisten als die besseren Schriftsteller. Einige – u. a. Dirk Kurbjuweit vom Spiegel, der nun die Aufklärung betreiben will und flugs einen neuen Helden des Journalismus aus dem Hut zaubert – gerieren sich längst als Romanautoren. Niemand scheint dies sonderlich zu (be)kümmern. In den Feuilletons und in den öffentlich-rechtlichen Medien ist das normal. Was dies für den Stil und vor allem für den Journalismus der Protagonisten bedeutet, interessiert niemanden. Vermutlich, weil selbst die professionellen Leser kaum noch zwischen Journalismus und Fiktion unterscheiden können bzw. dazu bereit sind.