Auf ver­lo­re­nem Po­sten

Die Neu­gier des Jour­na­li­sten und die Gren­zen des Wis­sens

Seit der er­sten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts wird un­ser so­ge­nann­tes Welt­wis­sen im­mer mehr von den Mas­sen­me­di­en be­stimmt, die ei­ne ra­san­te, noch lan­ge nicht ab­ge­schlos­se­ne Ent­wick­lung durch­ge­macht ha­ben. Die Le­ben der mei­sten Men­schen in der west­li­chen Welt sind ver­hält­nis­mä­ßig arm an un­mit­tel­ba­ren, per­sön­li­chen Er­fah­run­gen. Si­cher­heits­den­ken, Vor­sor­ge, Schutz­maß­nah­men al­ler Art ver­stär­ken die­se Ten­denz noch. Gleich­zei­tig wer­den wir durch die Mas­sen­me­di­en, vor al­lem die Bild­me­di­en, tag­täg­lich mit oft haar­sträu­ben­den oder er­schüt­tern­den Er­eig­nis­sen kon­fron­tiert, und die mei­sten Kon­su­men­ten set­zen sich die­ser In­for­ma­ti­on, die­ser Be­ein­flus­sung ge­wohn­heits­mä­ßig und gern aus. Die Kluft zwi­schen per­sön­li­cher Er­fah­rung und Welt­wis­sen ist tief ge­wor­den. PR-Stra­te­gien di­ver­ser An­bie­ter der Frei­zeit­in­du­strie – Rei­se, Sport, Well­ness, Es­sen & Trin­ken, Part­ner­su­che – be­schwö­ren Aben­teu­er­lich­keit und Ge­nuß­freu­de, Lei­den­schaf­ten und Er­leb­nis­se um­so ein­dring­li­cher, je mehr die rea­len Grund­la­gen da­für schwin­den. Es gibt Er­leb­nis­braue­rei­en und Er­leb­nis­du­schen, Er­leb­nis­tickets und Er­leb­nis­gut­schei­ne, Er­leb­nis­ta­ge und Er­leb­nis­näch­te, und na­tür­lich gibt es auch ei­nen Markt­füh­rer für die Ver­mitt­lung von Er­leb­nis­sen. Was den Kon­su­men­ten von die­sen Fir­men ver­kauft wird, ist Er­satz. Je lang­wei­li­ger das Le­ben der Kun­den, de­sto mehr Sen­sa­ti­on, Schock und Em­pö­rung brau­chen sie. Viel­leicht ist das seit je­her ei­ne Ei­gen­tüm­lich­keit der Men­schen. Ei­ner, der es ei­gent­lich wis­sen muß­te, der Jour­na­list und Schrift­stel­ler Ryszard Ka­pu­scin­ski, schrieb: »Un­se­re Phan­ta­sie lechzt näm­lich nach der klein­sten Sen­sa­ti­on, dem ge­ring­sten Si­gnal ei­ner Be­dro­hung, dem schwäch­sten Pul­ver­ge­ruch, saugt al­les gie­rig auf, um es dann un­ver­züg­lich zu mon­strö­sen, über­wäl­ti­gen­den Aus­ma­ßen auf­zu­bla­sen.«

Sol­chen Ein­sich­ten zum Trotz ha­ben sich ha­ben sich in den de­mo­kra­ti­schen Län­dern im Be­reich der Print­me­di­en Re­geln und Stan­dards her­aus­ge­bil­det, die heu­te – auch beim Fern­se­hen, zu­min­dest theo­re­tisch – für Jour­na­li­sten als ver­bind­lich gel­ten. Ein Ar­ti­kel über gleich wel­ches The­ma soll mög­lichst ob­jek­tiv und aus­ge­wo­gen sein, der Ver­fas­ser soll Quel­len an­ge­ben und über­prü­fen, Fak­ten checken und ge­gen­checken, un­ter­schied­li­che Sicht­wei­sen und Mei­nun­gen zu Ge­hör brin­gen. Ich ge­brau­che das Ad­verb »mög­lichst«, weil auf der Hand liegt, daß es nicht im­mer ein­fach ist, die­sen An­for­de­run­gen ge­recht zu wer­den; An­for­de­run­gen, die im üb­ri­gen durch das Über­hand­neh­men des Un­ter­hal­tungs­fak­tors und dem Buh­len um blo­ße Auf­merk­sam­keit – Ein­schalt- und Click­quo­ten – aus­ge­dünnt, wo nicht über­flüs­sig ge­macht wer­den. Man kann sich so­gar, oh­ne ins De­tail zu ge­hen oder Bei­spie­le zu er­ör­tern, die Fra­ge stel­len, ob et­was wie »Ob­jek­ti­vi­tät« über­haupt mög­lich ist. Als Norm oder Wunsch be­ruht sie auf ei­nem Ana­lo­gie­mo­dell, dem­zu­fol­ge Tex­te und Bil­der ei­ne Wirk­lich­keit ab­bil­den, ihr zu­min­dest »ent­spre­chen«. Auf die Wirk­lich­keit ak­tiv Ein­fluß zu neh­men oder sie gar zu »kon­stru­ie­ren«, um ei­nen Mo­de­be­griff aka­de­mi­scher Kul­tur­wis­sen­schaft­ler zu ge­brau­chen, ist nach die­sen Prin­zi­pi­en nicht die Auf­ga­be ei­nes Jour­na­li­sten. Jo­r­is Luy­en­di­jk, jah­re­lang Aus­lands­kor­re­spon­dent im Na­hen Osten, zeigt in ei­nem Buch, das sei­ne dies­be­züg­li­chen Er­fah­run­gen auf­ar­bei­tet, wie groß der Ab­stand zwi­schen den heh­ren Prin­zi­pi­en und der jour­na­li­sti­schen Pra­xis ist. Sei­ner Dar­stel­lung zu­fol­ge ist es so gut wie un­mög­lich, sich in ei­ner Dik­ta­tur oder in be­setz­ten Ge­bie­ten ein – »ad­äqua­tes« – Bild von den tat­säch­li­chen Vor­gän­gen im Land zu ma­chen, weil die In­for­ma­ti­on auf­be­rei­tet, ge­fil­tert und/oder ganz un­ter­drückt wird und die Men­schen in Angst le­ben, so daß sie ih­re Mei­nun­gen und Er­fah­run­gen nicht frei äu­ßern kön­nen (und selbst wenn sie es tun, muß sich der ver­ant­wor­tungs­vol­le Jour­na­list fra­gen, ob er durch die Ver­öf­fent­li­chung den Aus­kunft­ge­ber nicht in Ge­fahr bringt). Das­sel­be gilt für Si­tua­tio­nen, in de­nen ein Me­di­en­krieg ent­fes­selt wur­de, wo­bei auf west­li­cher, »de­mo­kra­ti­scher« Sei­te zu­neh­mend PR-Be­ra­tungs­agen­tu­ren die Art der In­for­ma­ti­ons­wei­ter­ga­be und letzt­lich der Be­richt­erstat­tung be­ein­flus­sen. Die Fra­ge liegt na­he, ob die­se Ab­hän­gig­keit von Wer­bung und Mar­ke­ting mitt­ler­wei­le nicht auch den In­lands­jour­na­lis­mus be­trifft, so daß Jour­na­li­sten im­mer häu­fi­ger das wie­der­ge­ben, was ih­nen Be­hör­den, Par­tei­en, Fir­men, Lob­bys usw. un­ter­stützt von PR-Agen­tu­ren vor­ge­kaut ha­ben.

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Wenn Qua­li­täts­jour­na­li­sten ope­rie­ren

Ich ge­ste­he frei­mü­tig bis ge­stern von der Exi­stenz ei­ner »Deut­schen Ge­sell­schaft Qua­li­täts­jour­na­lis­mus« nichts ge­wusst zu ha­ben. Die Mel­dung im Bran­chen­ma­ga­zin »Kress« über ei­nen Bei­trag des FAZ-Mit­her­aus­ge­bers Wer­ner D’In­ka hat mich auf die Spur ge­bracht. Im Band »Quo va­dis, Qua­li­täts­jour­na­lis­mus«, der als pdf her­un­ter­lad­bar ist, fin­det sich D’In­kas Bei­trag. Aus­ge­wie­se­ne Jour­na­li­sten­schüt­zer wie bei­spiels­wei­se Ro­land Ber­ger, Vol­ker Bouf­fier, Bernd Raf­fel­hü­schen, Jür­gen Fit­schen, Jens Weid­mann oder auch Götz Wer­ner er­klä­ren in zu­wei­len knap­pen wie ba­na­len Bei­trä­gen, wie wich­tig heut­zu­ta­ge Jour­na­lis­mus ist. So­gar Bahn­chef Rü­di­ger Gru­be fand zwi­schen den Tarif­verhandlungen sei­nes Per­so­nal­vor­stands noch Zeit, ei­nen Text zu ver­fas­sen. Man fragt sich in An­be­tracht die­ser Zu­sam­men­stel­lung mehr denn je, wie schlecht es um das, was man ge­mein­hin »Jour­na­lis­mus« nennt in die­sem Land be­stellt sein muss, wenn es sol­che Lob­red­ner braucht.

Die heh­ren Be­kennt­nis­se die­ser Her­ren (es sind nur we­ni­ge Da­men) ha­ben in et­wa den Er­kennt­nis­wert ei­ner Sand­männ­chen-Sen­dung. Es kom­me nicht auf Klick­zah­len im In­ter­net an, weiß zum Bei­spiel Vol­ker Bouf­fier, der lei­der nicht schreibt, was er in sei­ner zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen kur­zen Zeit im ZDF Ver­wal­tungs­rat da­für ge­tan hat, Kul­tur­pro­gram­me jen­seits der Ein­schalt­quo­ten­hö­rig­keit ins Pro­gramm zu plat­zie­ren. Fast je­der die­ser Fach­leu­te in Sa­chen Jour­na­lis­mus be­tont die Not­wen­dig­keit der frei­en Pres­se. In­ter­es­san­ter­wei­se wis­sen sie auch recht ge­nau, wie die­se aus­zu­se­hen hat.

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Pörk­sens Zir­kel­schluss

Ich hat­te mir ei­gent­lich vor­ge­nom­men über das so­ge­nann­te Jour­na­li­sten-Bas­hing nichts zu schrei­ben. Da gibt es klu­ge Ar­ti­kel wie den von Ste­fan Nig­ge­mei­er, der den Grün­den in­ner­halb der Zunft nach­spürt und ir­gend­et­was wie ei­nen drit­ten Weg zwi­schen Ver­schwörungstheorie und bran­chen­üb­li­chen Durch­hal­te­pa­ro­len nebst par­ti­el­ler Jubel­arien ver­sucht.

Aber dann gibt es den Ar­ti­kel von Bern­hard Pörk­sen auf ZEIT-On­line, der ei­ne Ehren­rettung des Jour­na­lis­mus ver­sucht. We­ni­ger die Tat­sa­che an sich ist bemerkens­wert, als die Art und Wei­se in der dies ge­schieht.

Zu Be­ginn räumt Pörk­sen Ver­feh­lun­gen des Jour­na­lis­mus ein. Den­noch hält er – so der Schluss aus sei­nen Aus­füh­run­gen – die Re­ak­tio­nen dar­auf für über­zo­gen. Wut und Skep­sis ha­be sich in Hass ver­wan­delt. Do­ku­men­te die­ser Me­di­en­ver­dros­sen­heit fin­det er in ei­ner Stu­die aus dem Jahr 2010. Im­mer­hin kon­sta­tiert er, dass es nicht den ei­nen Grund ge­be, son­dern ei­ne Viel­zahl von Aspek­ten, die zu die­ser ne­ga­ti­ven Sicht auf den Jour­na­lis­mus füh­re.

Pörk­sen zählt zwar die ein­zel­nen Aspek­te auf (Ein­fluss von Lob­by- und PR-Agen­tu­ren auf Jour­na­lis­mus; die über­bor­den­de Skan­da­li­sie­rungs­rhe­to­rik, usw.), un­ter­lässt es je­doch, auf sie et­was ge­nau­er ein­zu­ge­hen. Statt­des­sen wid­met er sich den Kri­ti­kern und fin­det ver­wirr­te Reichs­deut­sche […] wie Frie­dens­be­weg­te dar­un­ter. Zu­nächst soll da­mit die Spann­brei­te der Un­zu­frie­den­heit jen­seits po­li­ti­scher und welt­an­schau­li­cher Gren­zen do­ku­men­tiert wer­den. Auf den zwei­ten Blick dient die­se For­mu­lie­rung aber auch da­zu die am Jour­na­lis­mus un­se­rer Ta­ge Zwei­feln­den zu de­nun­zie­ren. Bei der Zu­wei­sung als »Reichs­deut­sche« leuch­tet das so­fort ein, aber auch »Frie­dens­be­weg­te« wird hier pe­jo­ra­tiv ein­ge­setzt. Zwi­schen den Zei­len wird erst­mals die mo­ra­li­sche Fra­ge an den Le­ser ge­stellt: ‘Willst Du in die­ser Rei­he ste­hen?’

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