
Harry S. Nowack lebt im Ruhrgebiet, ist freier Fotograf und kann sich die Art seiner jeweiligen Unfreiheit daher aussuchen. Wenn er annimmt, seine Bilder wären nicht nur Nachrichten, sondern gültige Deutungen der Ereignisse bietet er sie Bildagenturen oder Lokalzeitungen an. Ansonsten schlägt er sich durch mit kleinen Aufträgen unter anderem auch von der Polizei, der er ansonsten skeptisch gegenübersteht, durch. Nowack ist trotz stets drohender Mittellosigkeit Künstler, Bonvivant, Frauenheld und auch ein bisschen ein Revoluzzer, der sich von linken politischen Heilsidealen noch nicht ganz entfernt hat. Aber vor allem ist Nowack ein Phantast, der alle Erscheinungen sofort in surreale Traum- und auch gelegentlich Alptraumszenarien verwandelt und sie unentwirrbar mit der Realität verknüpft. Diese Bilder, diese wilden, psychedelischen Assoziationsgewitter und skurrile Wirklichkeitsverzerrungen, bilden den Kern von Wolfgang Körners Roman »Nowack«.
Dreh- und Angelpunkt von Nowacks Unternehmungen ist neben seiner Kellerwohnung das Café Capocci, in dem er die mit Spitznamen bezeichneten Protagonisten trifft: Jack the Ripper, Dr. Stein, Dr. Seiler, Ferdo Gawrilowicz, Drogenpeter. Und natürlich die Frauen, die entweder irgendwann vor seiner Tür stehen, wie die Sechszwölfteljungfrau, die ihn stets in aufreizender Designer-Garderobe aufsucht und ihren vermögenden Mann verlassen will (es kommt dann in einer urkomischen Szene ein wenig anders), das Schreibmaschinenmädchen Beate, die er im Pfandhaus kennen- und dann auch lieben lernt oder seine Ex-Geliebte Monika, die er vor allem beim Beischlaf mit den anderen Frauen einfach nicht vergessen kann.
Tatsächlich ist die Verankerung Nowacks im Ruhrgebiet essentiell für diesen Roman. Es geht um lokale Ereignisse, die ihre Schatten voraus werfen: Das sogenannte Zechensterben und die damit verbundenen massiven Änderungen in der Lebens- und Arbeitswelt der Menschen vor Ort. Daher kann »Nowack« nicht in Hamburg oder München spielen. Seine surreale Bilderwelt, die immer wieder aufbricht und praktisch keine Szene naturalistisch zu Ende erzählt, ist hingegen jenseits geographischer Verortungen.