
»Auf allen Kanälen volkspsychologisches Gefasel über die Gier« – so lautet ein Notat von Peter Sloterdijk am 18. Oktober 2008, veröffentlicht in »Zeilen und Tage«. Weiter heißt es: »Kein Mensch will begreifen, daß nicht die Gier an der Macht ist, sondern der Fehler…« Auch Rainald Goetz’ Erzähler in »Johann Holtrop« schreibt über die Gier, die die Welt steuere, eine Gier, sich dauernd irgendeinen Vorteil für sich zu verschaffen, am liebsten natürlich in Form von Geld, genau darin aber, in ihrem Kalkül auf Eigennutz, umgekehrt selber kalkulierbar, ausrechenbar und ausbeutbar zuletzt, das war die Basis der abstrakten Geldmaschine, die hier residierte. »Hier« ist der fiktive Ort Krölpa, Sitz der »Assperg AG«, eines weltweit agierenden Medienkonzernes deren Vorstandsvorsitzender Dr. Johann Holtrop ist. Welch ein Wortspiel zu Beginn (eines von vielen): »Assperg« erinnert an das Asperger-Syndrom, womit das Milieu wohl durchgängig charakterisiert werden soll (ich komme später noch hierauf zurück). Und dann zucken die Parallelen (auch dort, wo es sie absichtsvoll nicht gibt): »Assperg« hat einiges von Bertelsmann und einiges nicht; Holtrop erinnert an Middelhoff und auch wieder nicht, Kate Assperg und der »Alte« an Liz und Reinhard Mohn. Einiges stimmt, anderes nicht; irgendwann beginnt man die Parallelen nicht mehr zu suchen, weil es egal ist, ob Gabriele Heintzen nun Madeleine Schickedanz ist, Holtrops Vermögensberater Mack an Josef Esch erinnert, die Figur Binz an Leo Kirch und mit dem Gosch-Imperium der Springer Verlag gemeint ist. Die Figuren und Organisationen werden gekonnt bis zur Unkenntlichkeit stereotypisiert. Mit dem Spiel mit der Realität, dem Gewesenen, schafft man immerhin semi-ehrgeizigen Germanist(inn)en eine Spielwiese und da passt es ganz gut, dass es zwei Listen gibt, die hier behilflich sind: eine Figurenliste und eine Übersicht »Schauplatz und Geschehen»1 (»holtropplag« zur Begutachtung der Doktorarbeit Holtrops fehlt vielleicht noch.)
Die Geschichte der Nullerjahre will Rainald Goetz hier (fort)schreiben; das Überbuch heißt »Schlucht«; der Werkkontext ist ganz vorne im Buch abgedruckt. »Abriss einer Gesellschaft« lautet der mehrdeutige Untertitel zum Holtrop-Buch, ziemlich frei und doch auch erinnernd an »Verfall einer Familie«. Ambitioniert also.
Beide Links zu den Listen sind per 06.08.2015 nicht mehr abrufbar. ↩