»Ein reg­sam lau­es Trei­ben«

Zu­ge­ge­ben, die­ser Satz ist arg pro­vo­ka­tiv:

Der Li­te­ra­tur­be­trieb hat das li­te­ra­ri­sche Le­ben ge­ra­de­zu ver­nich­tet.

Und Heinz Plesch­in­ski re­la­ti­viert ihn auch so­fort wie­der: Schul­di­ge sind schwer­lich zu be­nen­nen. Doch selbst der Li­te­ra­tur­be­trieb ist nur ein win­zi­ges Seg­ment im all­ge­mei­nen Trend zur Ver­fla­chung. Wer Buch­in­hal­te re­fe­riert, ern­tet ein Gäh­nen – nie­mand will mehr ru­hig zu­hö­ren – al­lein die Ver­kaufs­zah­len hal­ten in Atem und fun­gie­ren als Qua­li­täts­sie­gel. Der Kampf um den Ab­satz be­stimmt al­les. Lek­to­ren und Ver­le­ger win­ken ab und das Ver­triebs­per­so­nal senkt den Dau­men, wenn ih­nen ein sper­ri­ges Ma­nu­skript un­ter die Au­gen ge­rät.

So weit, so be­kannt, möch­te man mei­nen. Aber die wei­te­re Lek­tü­re des Ar­ti­kels in der »Welt« (un­ter dem mar­tia­lisch-trot­zi­gen Ti­tel »Wir müs­sen wei­ter ins Ge­fecht«) ist den­noch emp­feh­lens­wert und hebt sich von der all­ge­mei­nen Li­te­ra­tur­kri­tik-Me­lan­cho­lie, wel­ches im Mo­ment die Feuil­le­tons durch­zieht (kein Wun­der: die al­ten Män­ner tre­ten ab und die Neu­en se­hen ih­re Erb­hö­fe vor sich hin mo­dernd), wohl­tu­end ab.

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Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len

Der Vor­wurf des Pla­gi­ats ist der schlimm­ste, den man ei­nem Schrift­stel­ler ma­chen kann. Da­her soll­te man mit sol­chen Be­schul­di­gun­gen vor­sich­tig um­ge­hen. Pla­gi­ats­ge­schich­ten ha­ben meist nicht nur Ent­hül­lungs­cha­rak­ter. Die schlech­ten Ent­hül­lun­gen de­nun­zie­ren auch im­mer gleich mit. Es gibt zahl­rei­che Bei­spie­le für Kam­pa­gnen, die ge­le­gent­lich durch­aus die In­ten­ti­on hat­ten, Schrift­stel­ler auch öko­no­misch zu ver­nich­ten.

Die De­fi­ni­ti­on von dem, was man »Pla­gi­at« nennt, ist recht klar. Ne­ben der recht­li­chen Er­klä­rung, gibt es auch ei­ne ethi­sche. Bei­de In­ter­pre­ta­tio­nen ma­chen es so schwie­rig fest­zu­stel­len, ob et­was Pla­gi­at ist, ein Mo­tiv ver­wandt wur­de oder ob es ei­ne Ver­än­de­rung oder Wei­ter­ent­wick­lung ei­nes Mo­ti­ves ist.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Web­log »die ge­fühls­kon­ser­ve« He­le­ne He­ge­manns Best­sel­ler »Axolotl Road­kill« mit dem Buch »Stro­bo« des Blog­gers »Ai­ren« ver­gli­chen und ver­blüf­fen­de Par­al­le­len fest­ge­stellt, die er aus­führ­lich do­ku­men­tiert.

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Rai­nald Goetz: los­la­bern

Rainald Goetz: loslabern
Rai­nald Goetz: los­la­bern

LOSLABERN: Trak­tat, Trak­tat über den Tod, über Wahn, Sex und Text, und, er­hei­tert von die­sem so­eben durch ihn hindurch­gefahrenen Ex­pres­si­vi­täts­er­eig­nis: Be­richt!, der Herbst 2008!... Ei­ne gro­sse (groß­spu­ri­ge?) Er­öff­nung. Dann: »los­la­bern« als ethi­scher Akt. Als neue Dis­kurs­form im Ha­ber­ma­si­en der Nuller­jah­re? Und na­tür­lich auch gleich die »pas­sen­de« li­te­ra­tur­hi­sto­ri­sche Selbst­ein­stu­fung: Ein rich­tig los­ge­la­ber­ter Text wür­de sei­ne, dass man aber dann, oh­ne sich da­bei zu un­ter; Fin­ster­nis: Steu­er, Er­wach­se­nen­le­ben, Ver­ant­wor­tung, Ein­sicht, Ver­nunft; ENDHÖLLE. Ver­stan­den? Nein? Macht nichts. »los­la­bern« ist eben auch zwang­lo­ses bzw. ‑haf­tes Ab­son­dern. (Das aber glück­li­cher­wei­se eher sel­ten.)

Vom Grö­ßen­wahn wech­selt Rai­nald Goetz dann bis­wei­len ins thea­tra­li­sche und ge­riert sich auch schon mal als der Ge­fan­ge­ne. Aber trö­stend für den Le­ser: Er meint we­nig in die­sem Buch wirk­lich Ernst. Hin­ter die­sen Text­kas­ka­den steckt (zu) oft (zu) we­nig. Nur ab und an ist das an­ders, et­wa wenn er Schirr­ma­cher vor­hält, die Se­rio­si­tät des (FAZ-)Feuilletons dro­he nach­zu­las­sen. Dann blitzt die Angst des Kin­des her­vor, sei­ne Spiel­wie­se zu ver­lie­ren. Denn Goetz weiß sehr wohl, was er an sei­ner Spiel­wie­se hat.

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Ro­ger de Weck und Frank Schirr­ma­cher

An­re­gen­des und in­for­ma­ti­ves Ge­spräch über Qua­li­täts­jour­na­lis­mus, neue Me­di­en, das deut­sche Feuil­le­ton, freie Mit­ar­bei­ter, Reich-Ra­­nicki und Nig­ge­mei­er und das Recht des Le­sers von be­stimm­ten Tri­via­li­tä­ten nicht be­lä­stigt zu wer­den. De Weck fragt spöt­tisch und streng und zwingt Schirr­ma­cher ge­le­gent­lich in die De­fen­si­ve.

Pe­ter Slo­ter­di­jk: Theo­rie der Nach­kriegs­zei­ten

Peter Sloterdijk: Theorie der Nachkriegszeiten
Pe­ter Slo­ter­di­jk: Theo­rie der Nach­kriegs­zei­ten

Es ist ja nicht so, dass sich Pe­ter Slo­ter­di­jk dar­über be­klagt, dass das deutsch-fran­zö­si­sche Ver­hält­nis vom He­ro­is­mus zum Kon­su­mis­mus mu­tiert scheint und in­zwi­schen mit wohlwollende[r], gegenseitige[r] Nicht-Be­ach­tung ver­mut­lich zu­tref­fend cha­rak­te­ri­siert ist. Am En­de emp­fiehlt er ja so­gar den gro­ssen Kon­flikt­her­den der Welt, sich nicht zu sehr für­ein­an­der zu in­ter­es­sie­ren. Denn erst ge­gen­sei­ti­ge Des­in­ter­es­sie­rung und De­fas­zi­na­ti­on las­sen Ko­ope­ra­ti­on und Ver­net­zung zu.

Die The­sen ba­sie­ren auf ei­ner Re­de, die 2007 ge­hal­ten wur­de. Ei­ner­seits wird das deutsch-fran­zö­si­sche Ver­hält­nis skiz­ziert (zu­nächst weit aus­ho­lend und dann doch auf die Zeit nach 1945 kon­zen­triert) und zum an­de­ren die Rol­le Deutsch­lands in Eu­ro­pa be­fragt. Ein Eu­ro­pa, für das die Be­zeich­nung »Nach­kriegs­eu­ro­pa« 64 Jah­re nach En­de des Zwei­ten Welt­kriegs lang­sam ob­so­let sein dürf­te.

»Me­t­a­noia« und »Af­fir­ma­ti­on«

Das 50jährige Ju­bi­lä­um des ge­mein­sa­men Got­tes­dien­stes zwi­schen Ade­nau­er und de Gaul­le im Jah­re 1962 in Reims an­ti­zi­pie­rend (Slo­ter­di­jk greift hier spitz­bü­bisch dem »Ju­bi­lä­ums­jahr« 2012 vor [nur die Evan­ge­li­sche Kir­che in Deutsch­land ist da ge­schäf­ti­ger: sie be­ginnt im Jahr 2008 die Fei­er­lich­kei­ten, die so­ge­nann­te »Lu­ther­de­ka­de«, die 2017 ih­ren Hö­he­punkt ha­ben soll]), stellt er trocken, aber wahr­schein­lich zu­tref­fend fest: Es ge­hört fast kei­ne Phan­ta­sie da­zu, um sich die Re­den vor­zu­stel­len, die man…hören wird.

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Die FAZ und ih­re Kam­pa­gnen

Im Mo­ment macht das neue Lay­out der FAZ mäch­tig Fu­ro­re. Kom­men­ta­re wer­den nun nicht mehr in Frak­tur über­schrie­ben und es gibt jetzt wohl täg­lich ein bun­tes Bild auf der Ti­tel­sei­te. Dies wie­der­um führt in an­de­ren Zei­tun­gen zu Kom­men­ta­ren (und ge­le­gent­lich Hä­me) über den neu­en Weg der FAZ. Und viel­leicht ent­deckt der ge­neig­te Le­ser ja nach »Ori­gi­nal und Fälschung«-Manier noch an­de­re Klei­nig­kei­ten.

Jens Jes­sen be­fand die­se äu­sser­li­chen Än­de­run­gen vor ei­ni­gen Wo­chen schon als »Nor­ma­li­sie­rung nach un­ten«. Er mein­te da­bei das Ni­veau und sei­ne Be­fürch­tun­gen klan­gen so­gar echt. Und ir­gend­wie glau­ben wir doch al­le, dass ei­ne Locke­rung des äu­sse­ren Er­schei­nungs­bilds auch im­mer mit ei­ner Locke­rung der Sit­ten zu tun hat; hier: der Qua­li­tät.

Es gibt nun ei­nen sehr schö­nen Vor­trag von Gun­ther Nickel mit dem Ti­tel Kein Ein­zel­fall, ab­ge­druckt im »Ti­tel-Ma­ga­zin«, der akri­bisch an­hand drei­er von der FAZ mass­geb­lich ge­führ­ten Kam­pa­gnen be­legt, dass es auch mit Frak­tur und oh­ne bun­te Bild­chen schon Ele­men­te des Bou­le­vard­jour­na­lis­mus gab, die höchst zwei­fel­haf­te Ur­tei­le ge­bar. Le­ser wur­den, so Nickels Ur­teil, ten­den­zi­ös in­for­miert und ins­be­son­de­re die Jour­na­li­sten Frank Schirr­ma­cher und Hu­bert Spie­gel küm­mer­ten sich nicht um ele­men­ta­re jour­na­li­sti­sche Sorg­falts­pflich­ten.

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Ver­fall des Feuil­le­tons?

Wie­der ein in­ter­es­san­ter Ar­ti­kel in der taz. Dies­mal von Da­ni­el Bax: »Kampf der Kultur­banausen«. Bax greift dort fron­tal das deutsch­spra­chi­ge Feuil­le­ton an – und ganz spe­zi­ell das Feuil­le­ton der FAZ.

Bax’ Auf­satz kon­sta­tiert zu­nächst rich­tig, dass das Feuil­le­ton gro­sser Zei­tun­gen nicht mehr bloss Re­zen­si­ons­feuil­le­ton ist, son­dern ei­ne Art in­ter­dis­zi­pli­nä­rer De­bat­ten­ort, der zu ak­tu­el­len Dis­kur­sen in Kunst, Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Wirt­schaft und Na­tur­wis­sen­schaf­ten Stel­lung be­zieht. Die­se Ent­wick­lung ist je­doch nicht neu; so hat bei­spiels­wei­se Al­fred Kerr be­reits um 1900 »mo­der­ne« Feuil­le­tons mit um­fas­sen­der ge­sell­schaft­li­cher Di­men­si­on ver­fasst, die weit über das bloss be­schrei­ben­de der Ber­li­ner Kul­tur­sze­ne hin­aus­gin­gen. Wer sei­ne Feuil­le­tons aus Ber­lin nach­liest, die er für die Bres­lau­er Zei­tung wö­chent­lich ver­fass­te, wird dies ent­decken und – so­gar heu­te noch! – ge­nie­ssen kön­nen. In der Wei­marer Re­pu­blik folg­ten vie­le; ei­ni­ge Feuil­le­to­ni­sten wa­ren oder wur­den Schrift­stel­ler (man er­in­ne­re sich nur an Jo­seph Roth oder Wal­ter Ben­ja­min).

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