Bov Bjerg: Ser­pen­ti­nen

Bov Bjerg: Serpentinen
Bov Bjerg: Ser­pen­ti­nen

Ein in die (Wechsel)Jahre ge­kom­me­ner, in Ber­lin le­ben­der So­zio­lo­ge fährt mit sei­nem sie­ben­jäh­ri­gen (na­men­los blei­ben­den) Sohn über die Ser­pen­ti­nen der Schwä­bi­schen Alb, die Stät­ten sei­ner Kind­heit und sei­ne (zu­meist ehe­ma­li­gen) Freun­de be­su­chend. Von M., der Mut­ter des »Jun­gen«, ei­ner er­folg­rei­chen An­wäl­tin, lebt er längst ge­trennt. Der Grund für die Rei­se bleibt un­klar. Will er mit sei­nem Sohn ei­ne aben­teu­er­li­che Zeit in Wäl­dern, Höh­len und Mu­se­en ver­brin­gen? Oder dient sie als Grund­la­ge zum Auf­po­lie­ren des vi­ru­len­ten Fa­mi­li­en- und Selbst­has­ses?

Die Ant­wort ist schnell ge­fun­den. Va­ter, Groß­va­ter und Ur­groß­va­ter des eben­falls an­onym blei­ben­den Ich-Er­zäh­lers (er gibt bei der An­mel­dung ei­nen fal­schen Na­men an) ha­ben sich um­ge­bracht. Die Vä­ter­frau­en wa­ren nun »Selbst­mör­der­wit­wen«, die schließ­lich ir­gend­wann de­ment wur­den (was ihn durch­aus amü­siert). Dem Jun­gen hat er von die­ser Selbst­mord­ket­te nichts er­zählt. Der weiß auch nicht, dass es nicht nor­mal ist, wenn der Va­ter schon mor­gens mit dem Bier­trin­ken be­ginnt (und es er­bre­chen muss wenn er nichts im Ma­gen hat). Der Jun­ge ist just in dem Al­ter, in dem der Er­zäh­ler da­mals den er­häng­ten Va­ter ge­fun­den hat­te. Und es wird durch­aus furcht­ba­res über­legt. Zum ei­nen, es dem Va­ter gleich zu tun. Aber dies wür­de be­deu­ten, das Kind im Stich zu las­sen, al­so ge­nau das, was er heu­te, Jahr­zehn­te spä­ter, un­ter an­de­rem im­mer noch sei­nem Va­ter vor­wirft. Da dies ei­gent­lich nicht in­fra­ge kommt, er­wägt er noch die Mög­lich­keit, das Kind um­zu­brin­gen. Da­nach wä­re dann der Weg frei.

Das ist un­ge­fähr die Stim­mung in Bov Bjergs »Ser­pen­ti­nen«, ei­ner Road-No­vel, die im­mer wie­der von Rück­blen­den, As­so­zia­tio­nen und Ver­wün­schun­gen aus Kind­heit und Schul­zeit des Prot­ago­ni­sten un­ter­bro­chen wird. Er er­in­nert sich an Freun­de, an Rolf, der ei­ne Bom­be ge­gen sei­nen prü­geln­den Va­ter ent­wickel­te, an den längst ver­stor­be­nen Frie­der, den »Au­gen­staub­sauger«, mit dem er einst die Kunst in den Mu­se­en er­grün­de­te, an ei­ne Ve­ro­ni­ka, die im­mer »ver­arscht« wur­de (die es dann aber zur Ho­tel­be­sit­ze­rin ge­bracht hat), an sei­ne Mut­ter, die mit Putz­ar­bei­ten den La­den zu­sam­men­hielt (da­her hat er ein schlech­tes Ge­wis­sen, sel­ber ei­ne Putz­frau zu be­schäf­ti­gen) und an den Bru­der, der sich wie­der­um an al­les ganz an­ders er­in­nert als er sel­ber. In Ver­bin­dung ge­setzt wird dies mit der Be­zie­hung zu M., der Hass auf sei­nen (und auch M.s) Be­ruf, den Uni­ver­si­täts­be­trieb, die Re­fle­xio­nen über all die Na­zis in der Fa­mi­lie und die Na­zi-Kon­ti­nui­tät in der deut­schen Ge­sell­schaft. »Gas ge­ben« er­in­nert ihn an KZ. Ein Fluß ist ein »Fa­schis­mus­bäch­lein«. Und selbst bei mar­mo­rier­ten Flie­sen denkt er an »Welt­krieg, Völ­ker­mord, Wirt­schafts­wun­der«.

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