Wie der britische »Guardian« berichtet, sollen ab 2008 Neustudenten in Grossbritannien bei ihrer Anmeldung unter anderem nach dem Bildungsgrad ihrer Eltern befragt werden. Auch Fragen, die einen unmittelbaren Schluss zu ihrer »sozialen Schicht« zulassen, sollen gestellt werden. Sinn der Massnahme ist es, auch Angehörigen von unteren Schichten die Möglichkeit eines Studiums einzuräumen und diese eventuell zu fördern.
Splitter
Botho Strauß: Mikado (II)
Ein junger Telefontechniker, Züchter von Dalmatinern im Nebenberuf, kam am frühen Nachmittag, etwas zu früh, von seiner Arbeit nach Hause. Er fand seine Wohnung kahl, vollkommen ausgeräumt. Seine Frau aber stand an der nackten Wand, lehnte mit dem Rücken an, und ihr gegenüber, ebenfalls mit dem Rücken an die Wand gelehnt, stand ein Mann, den er nie zuvor gesehen hatte. Beide atmeten erschöpft in den letzten Zügen eines langen Streits, eines die Affäre beendenden, wie es schien, denn die Worte, die sie jetzt noch wechselten, troffen wie aus einer ausgepreßten Leidenschaftsfrucht und ihr Sinn entglitt ins Abstruse.
Er, dieser Fremde, sagte: Wenn wir die Möbel tiefer ins Zimmer gerückt hätten...Tiefer, ganz tief, nach hinten, noch tiefer...
Seine ihm nicht weniger fremde Frau sagte: Das Zimmer ist nicht so tief, daß man sich irgend etwas hätte vom Leib rücken können. Und schon gar nicht, um es genau zu sagen, mich etwa.
Da bemerkte er an seiner Frau ein vorher nie gesehenes Rucken des Kopfes, und zwar zu dem anderen hin, dem Fremden, so wie man jemanden mit angehobenem Kinn auf- oder herausfordert: Komm Komm Komm! ... lch zeig es dir! Aber nichts kam mehr von der anderen Seite. Sie ruckte den Kopf auffordernd, ohne noch etwas zu erwarten, als sei es ihr schon zur Marotte geworden.
Und sie wehrten sich...
Wenige Tage nach den Ausschreitungen nach einem Fussballspiel in Italien hat es auch den deutschen Fussball erwischt: Am vergangenen Wochenende randalierten in Leipzig während und nach einem Landespokalspiel rund 800 Hooligans. Also kein Grund zur Häme hinsichtlich »italienischer Verhältnisse«.
Das Ausmass der Gewalt überraschte – aber die Tatsache als solche, dass es (insbesondere in Ostdeutschland, aber nicht nur dort) in den unteren Ligen zu Randale kommt, ist nicht neu.
Zwischen den Jahren
In der vergangenen Woche lief auf Phoenix die Wiederholung der Dokumentation von Lutz Hachmeister und Gert Scobel »Ich, Reich-Ranicki«. So viel über diesen Film zu sagen und zu kritisieren wäre – eine Szene aus Reich-Ranickis Zeit als Literaturkritiker in Deutschland sticht heraus und beeindruckt nachhaltig. Er sitzt da irgendwann (vermutlich in den 80er Jahren) mit ...
Kunde in Deutschland
Der Artikel »Vom König zum Knecht« spricht mir aus der Seele. Das, was seit Jahrzehnten schleichend eine ehemalig existierende Einkaufskultur pervertiert, wird vom willigen Konsumenten (häufig genug mangels Alternative) exekutiert.
Inzwischen ist der Dienstleistungsort Deutschland derartig verkommen, dass ich freiwillig Fahrkarten der Bundesbahn im Internet kaufe – nur um nicht den grantigen und überforderten Verkäufern ausgeliefert zu sein. Es gibt inzwischen Frisörläden, die den Kunden den Föhn selber in die Hand drücken. Selbst wenn ich die paar Euro nicht sparen möchte, habe ich keine Alternative. Demnächst muss man vermutlich in der Bäckerei die Brötchen noch selber backen und bekommt nur den (chemisch angereicherten) Teigklotz übergeben – nein: man sucht ihn im Regal aus. Spätestens wenn man das Tier, dessen Fleisch man kaufen möchte, selber ausnehmen muss, werde ich Vegetarier werden.
Abpfiff
Die Fussball-Weltmeisterschaft ist zu Ende – Italien ist Weltmeister; Sieger eines kuriosen Finales. Es war – wie man allenthalben hört – ein tolles Fest; das Wort der »WM-Party« machte die Runde. Hunderttausende standen vor Grossbildschirmen. Berichterstattung hierüber war Pflicht. Gelegentlich konnte man glauben, das Drumherum sei wichtiger als die Spiele.
Die Euphorie, die spätestens nach dem furios gewonnenen Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft einsetzte, kannte kaum noch Grenzen. Voreilige Urteile, ein neuer, gar gefährlicher Patriotismus könne sich entzünden, müssen allerdings wohl begraben werden. Die Fahnen sind schon weitgehend wieder verschwunden. Vermutlich wird die Prognose von Harald Schmidt eintreffen: Spätestens zum Advent ist wieder die alte Stimmung im Land!
Das Verschwinden des Respekts
Es ist selten, dass ich mit Iris Radisch in ästhetischen Fragen übereinstimme, aber in der neuesten Glosse (am Link erkennbar, dass es eine ist!) hat die den Nagel auf den Kopf getroffen: Wo ist sie nur geblieben, die gute alte Schreibhemmung?
Nein, ich bin natürlich nicht Koeppen oder Johnson, mitnichten. Aber im Kern hat Radisch recht:
Ach, was waren das für Zeiten, als die Verschriftlichung der Welt offenbar noch eine Schwierigkeit darstellte, mit der nicht jeder spielend fertig wurde.