»Über­aus war­me Wor­te«

Ich le­se ge­ra­de das wun­der­ba­re, im Wall­stein-Ver­lag kürz­lich er­schie­ne­ne Buch Kaum ein Tag oh­ne Spek­ta­kel mit Er­zäh­lun­gen und Feuil­le­tons des dä­ni­schen Schrift­stel­lers Hen­rik Pon­top­pi­dan (1857–1943). Her­aus­ge­ge­ben ist es von Mar­le­ne Ha­sten­plug und dem re­nom­mier­ten Ul­rich Son­nen­berg, der u. a. mit der Neu­über­set­zung der Him­mer­lands­ge­schich­ten des dä­ni­schen No­bel­preis­trä­gers Jo­han­nes V. Jen­sen für Fu­ro­re ge­sorgt hat­te.

Nun al­so Hen­rik Pon­top­pi­dan, der eben­falls mit dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis aus­ge­zeich­net wur­de (1917 zu­sam­men mit Karl Gjel­ler­up, ei­nem Lands­mann). Pon­top­pi­dan ist, wie man im Nach­wort des Bu­ches er­fährt, in Dä­ne­mark im­mer noch Schul­lek­tü­re. Und – das ist wirk­lich ei­ne Be­son­der­heit: Es gibt ei­ne Pon­top­pi­dan-Ge­sell­schaft, die aus­ge­wähl­te Kurz­pro­sa und jour­na­li­sti­sche Tex­te des vor acht­zig Jah­ren ver­stor­be­nen Au­tors auf ei­ner Web­sei­te zur Ver­fü­gung stellt. Ne­ben Eng­lisch und Fran­zö­sisch fin­den sich auch deut­sche Über­set­zun­gen. Letz­te­re durch ei­ne Ko­ope­ra­ti­on des In­sti­tuts für Skan­dia­vi­stik der Goe­the-Uni­ver­si­tät Frank­furt mit der Pon­top­pi­dan-Ge­sell­schaft.

ARNO HOLZ –
Von Erich Bütt­ner – Quel­le / Ge­mein­frei

Dort fin­den sich auch Brie­fe an und von Hen­rik Pon­top­pi­dan in deut­scher Spra­che. Ei­ner der Brief­schrei­ber war der leid­lich be­kann­te na­tu­ra­li­stisch-im­pres­sio­ni­sti­sche Schrift­stel­ler Ar­no Holz. Ins­ge­samt sind vier Brie­fe von Holz an Pon­top­pi­dan hin­ter­legt – ge­schrie­ben zwi­schen No­vem­ber 1921 und Ju­li 1922. Holz kennt im er­sten Brief kei­ne Hem­mun­gen und bit­tet den dä­ni­schen Dich­ter »gü­tigst als Kan­di­da­ten für den li­te­ra­ri­schen No­bel­preiss in Vor­schlag zu brin­gen.« Ei­ne Ant­wort ist nicht über­lie­fert, aber Holz scheint Hoff­nung ge­schöpft zu ha­ben, bringt sich ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter er­neut in Er­in­ne­rung – mit prä­zi­sen In­struk­tio­nen, wie ei­ne Emp­feh­lung vor­zu­neh­men ist.

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Ei­ne klei­ne Sticho­my­thie

Li­te­ra­tur­dis­kus­sio­nen im di­gi­ta­len Zeit­al­ter

Ge­le­gent­lich, in ver­schie­de­nen Tex­ten und Kon­tex­ten, wei­se ich dar­auf hin, daß ich die seit ei­ner Rei­he von Jah­ren welt­weit ver­brei­te­te Ge­wohn­heit zahl­lo­ser Pri­vat­per­so­nen oder viel­leicht auch – man kann es nicht wis­sen – öf­fent­li­cher Per­so­nen, sich nur un­ter so­ge­nann­ten nick­na­mes oder ganz oh­ne Na­men öf­fent­lich, al­so im In­ter­net, zu äu­ßern, für ei­ne Un­sit­te hal­te, die al­les in al­lem ne­ga­ti­ven Ein­fluß auf die Ent­wick­lung des ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­le­bens aus­übt. Ich selbst äu­ße­re mich in so­ge­nann­ten Fo­ren und Kom­men­tar­spal­ten grund­sätz­lich nur un­ter mei­nem so­ge­nann­ten Klar­na­men. Das tat ich un­längst im On­line­fo­rum ei­ner öster­rei­chi­schen Ta­ges­zei­tung, nach­dem ich dort ei­ne Er­zäh­lung ei­nes öster­rei­chi­schen Schrift­stel­lers ge­le­sen hat­te, die sich auf die ge­gen­wär­ti­ge Pan­de­mie be­zog. Die mei­sten Re­ak­tio­nen der On­line­le­ser die­ser Er­zäh­lung wa­ren ne­ga­tiv und nicht son­der­lich klug, ge­schrie­ben von Leu­ten, die we­nig Ah­nung ha­ben von Li­te­ra­tur.

Ich ver­spür­te kein Be­dürf­nis, da­zu selbst et­was zu äu­ßern, bis ich auf ei­nen – na­tür­lich pseud­ony­men – Kom­men­tar stieß, der mir das Pro­blem die­ser Er­zäh­lung zu be­rüh­ren schien. Jetzt griff ich doch noch zur Fe­der, ließ mei­ne Fin­ger über die Ta­sta­tur des Com­pu­ters glei­ten. Aus­drück­lich schrieb ich, daß ich die ab­schät­zi­ge Wer­tung die­ses Le­sers nicht tei­le, und ver­such­te, die von ihm ver­mu­te­te per­sön­li­che Pro­ble­ma­tik auf ei­ne li­te­ra­ri­sche Ebe­ne zu he­ben: Ich stell­te die Fra­ge, ob ei­ne vor­sätz­lich und ra­di­kal ab­strak­te Li­te­ra­tur, bei der man nicht ein­mal die ge­schlecht­li­che Zu­ord­nung (»El­tern­tei­le«), ge­schwei­ge denn ir­gend­wel­che – sei es auch fik­ti­ve – Na­men und erst recht kei­ne Ge­füh­le er­fährt, denn funk­tio­nie­ren kön­ne. Soll­te Li­te­ra­tur nicht ge­ra­de das Kon­kre­te, Be­son­de­re, Ein­zig­ar­ti­ge im Au­ge ha­ben?

Die­se Fra­ge kann man so oder so be­ant­wor­ten. Es gibt Au­toren, auch sehr be­rühm­te, die vor­wie­gend mit Ste­reo­ty­pen, de­ren Kon­struk­ti­on und De­kon­struk­ti­on ar­bei­ten. Mit sol­cher Li­te­ra­tur ha­be ich zu­ge­ge­ge­be­ner­ma­ßen Schwie­rig­kei­ten. Ich se­he aber nicht, was dar­an eh­ren­rüh­rig sein soll­te, die­se Fra­ge am Bei­spiel ei­nes kon­kre­ten (und zwar ab­strak­ten) Er­zähl­tex­tes auf­zu­wer­fen.

Kurz nach der Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Kom­men­tars er­hielt ich im Mes­sen­ger mei­nes »Face­book-Ac­counts« (so nennt man das wohl) ei­ne Nach­richt die­ses Au­tors. Er woll­te wis­sen, ob ich der­je­ni­ge sei, der un­ter dem Na­men »Leo­pold Fe­der­mair« in je­nem On­line­fo­rum »ge­po­stet« hat­te. Die Fra­ge wirk­te selt­sam, zu­mal der Au­tor bei sei­ner Auf­for­de­rung zur Ant­wort das Wort »Mut« ge­brauch­te und da­mit im­pli­zit die Mög­lich­keit von Feig­heit in den Raum stell­te. Ich ant­wor­te­te frei­mü­tig: Ja, klar, so hei­ße ich, so po­ste ich.

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Von »zei­chen­ba­sier­ten Epi­de­mien«

Me­di­en­theo­rie rührt an das me­dia­le Un­be­wuß­te von so­zia­len Groß­kör­pern, die seit dem 18. Jahr­hun­dert als Po­pu­la­tio­nen von Na­tio­nal­staa­ten ver­faßt sind, zu­meist in For­ma­tie­run­gen von zehn Mil­lio­nen bis 300 Mil­lio­nen Men­schen und mehr. Im Blick auf die­se über­gro­ßen Ge­bil­de sta­tu­iert die un­be­lieb­te Theo­rie: Der ak­tu­el­le men­ta­le Zu­sam­men­hang sol­cher nie­mals phy­sisch ver­samm­lungs­fä­hi­gen Rie­sen­kol­lek­ti­ve kann nur durch Mas­sen­me­di­en ...

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Zit­tern und Lust

»Die be­vor­ste­hen­de Ka­ta­stro­phe wird mit Zit­tern und zu­gleich mit Lust be­schwo­ren, mit Angst und zu­gleich mit Sehn­sucht er­war­tet. So wie in der deut­schen Ge­sell­schaft zwi­schen den bei­den Welt­krie­gen Kla­ges und Speng­ler den apo­ka­lyp­ti­schen Ton an­ga­ben, so fun­gie­ren heu­te […] die öko­lo­gi­schen Kas­san­dras als Buß­pre­di­ger ei­ner Klas­se, die nicht mehr an die ei­ge­ne Zu­kunft glaubt; ver­än­dert ...

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Voi­là un hom­me.

FAZ: Die Buch­sta­ben er­schie­nen mir auf ein­mal als der An­fang von »Fa­zi­es« (oder der des gleich­aus­ge­spro­che­nen Faci­es), als ich auf dem schräg ge­stell­ten Bild­schirm das Fo­to von Ha­med Ab­­del-Sa­­mad sah. Die Hand, die er nach­denk­lich ans Kinn ge­nom­men hat, kann ihm kei­ne Stüt­ze ge­ben, so schräg ist er vom Be­ar­bei­ter ins Bild ge­setzt wor­den. So ...

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Ko­in­zi­denz II

Ein lan­ger Tisch im Sü­den des asphal­tier­ten Plat­zes (der sonst Au­to­mo­bi­len dient), mit Kult­ge­gen­stän­den, de­nen kei­ner der Sit­zen­den, Kau­ern­den, Kau­en­den, Trin­ken­den, Fei­ern­den, Lau­fen­den, Hüp­fen­den Be­ach­tung schenkt, wo­durch die An­we­sen­heit die­ser Din­ge ei­gent­lich erst her­vor­ge­ho­ben wird: neun­stöcki­ge Mi­nia­tur­pa­go­de, gol­de­ne Kan­ne, Blu­men­strauß, zwei Ker­zen, zwei... Ge­fei­ert wird näm­lich die Jah­res­mit­te oder der Be­ginn des Jah­res; die Aus­saat ...

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Ko­in­zi­denz I

In der Nä­he des sich ins Ge­län­de schmie­gen­den, mehr­stöcki­gen Ge­bäu­des des Kin­der­gar­tens, den mei­ne Toch­ter zwei Jah­re lang be­sucht hat­te, über­hol­te mich ein Klein­last­wa­gen und bog dann in ei­ne schma­le Ne­ben­stra­ße, die ich noch nie be­fah­ren hat­te. In die Pe­da­le tre­tend, folg­te ich dem Wa­gen aus blo­ßer Neu­gier, wo die Stra­ße wohl hin­füh­ren moch­te, wo­bei der Ab­stand zum Kraft­fahr­zeug grö­ßer wur­de, zu­letzt aber, vor der nied­ri­gen Un­ter­füh­rung, die die Au­to­bahn­tras­se durch­lö­chert, wie­der klei­ner. Ich mach­te halt, war­te­te ei­ni­ge Se­kun­den vor der dunk­len und feuch­ten Höh­lung, fuhr dann zwi­schen Pfüt­zen wei­ter.

Kurz nach der Un­ter­füh­rung en­de­te die Stra­ße an ei­nem Stau­damm, hin­ter dem sich ei­ner der vie­len Tei­che zur Be­wäs­se­rung der Reis­fel­der be­fin­det. Ich stieg ab und schob das Fahr­rad vor­sich­tig, um nicht an­zu­strei­fen, vor­bei am Wa­gen, der in der Nä­he ei­ner hel­len, zum Damm hoch­füh­ren­den Trep­pe halt­ge­macht hat­te. Das Fahr­zeug be­saß ei­ne je­ner durch­sich­ti­gen, nur leicht ge­tön­ten Sei­ten­tü­ren (aus Ple­xi­glas?), wie man sie an neue­ren Mo­del­len von Last­wä­gen häu­fig sieht. Mit ei­nem ein­zi­gen Blick er­faß­te ich das Pro­fil des Man­nes mit schüt­te­rem schwar­zem Haar und bräun­li­cher Ge­sichts­far­be, das Han­dy in sei­ner aufs Lenk­rad ge­stütz­ten lin­ken Hand und das eri­gier­te Glied, das aus sei­nem Schoß rag­te, ein nichts­sa­gen­des – so das Bei­wort, das mir durch den Kopf schoß – Stäb­chen von der­sel­ben Far­be wie sein Ge­sicht, in der rech­ten.

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Bad Mo­ther­fucker...

steht in go­ti­schen Let­tern am Rücken des schwar­zen T‑Shirts des stäm­mi­gen Man­nes, in des­sen dunk­lem Voll­bart ein paar Sil­ber­sträh­nen flie­ßen. So­eben hat er ei­ne flin­ke, fast an­mu­ti­ge Dreh­be­we­gung voll­zo­gen und ei­ne her­bei­ge­zau­ber­te Ba­na­ne bis zur Mit­te des Schafts in drei Strei­fen ge­schält. Ein Ohr beim Blues des Schwer­ge­wich­ti­gen – »ein Schrank von ei­nem Mann«, da­zu ...

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